im Jahre 2008 konnte Regisseur und Drehbuchautor Özgür Yildirim mit „Chiko“ einen kleinen Achtungserfolg erzielen, indem er den Gangsta-Film nach Deutschland brachte. Jetzt kehrt er in das Milieu der kriminellen Migranten und deutschen Möchtegerngangster zurück. Mit dabei: Moritz Bleibtreu, so krass und hart wie nie zuvor…

Drehbuch und Regie: Özgür Yildirim

Darsteller: Moritz Bleibtreu, Edin Hasanovic, Kailas Mahadevan, Birgit Minichmayr

Artikel von Christian Jürs

Gleich zu Beginn sehen wir unseren Moritz mit tätowiertem Oberkörper beim Beten. In meinem Fall beschränkte sich der visuelle Genuss dieser Szene übrigens tatsächlich auf das Auge, denn der Ton wurde erst in der Folgeszene zugeschaltet.

Diese spielt dann fünf Jahre in der Vergangenheit. Wir befinden uns im nächtlichen Frankfurt auf irgendeinem Hinterhof. Im Schutz der gelben Ausleuchtung und des grünen Farbfilters, die uns den gesamten Film begleiten werden, fahren die Brüder Ricky (Moritz Bleibtreu) und Rafael (Edin Hasanovic) mit ihrem Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) vor, um eine Tasche aus einer Autowerkstatt zu klauen. Doch der Überfall läuft schief. Ein Mann stirbt im Kugelhagel, Rafael und eine Frau werden schwer verletzt. Als die Polizei anrauscht, kann Latif fliehen. Ricky selbst stellt sich mit seinem blutenden Bruder der Justiz.

Danach springen wir wieder fünf Jahre in die Zukunft. Ricky kommt aus dem Gefängnis, hinaus in den tristen Alltag. Er will aussteigen und irgendwo eine Bar am Strand von hab-ich-vergessen eröffnen. Der Traum des Carlito Brigante, nur zehn Nummern kleiner. Verwirrend ist die Musikuntermalung seiner Bahnfahrt in die Freiheit. Krass-cooler Gangsta-Rap mit wahrhaft poetischem Text: „Isch will einhundärt Prozent!“ – irgendwie nicht so ganz passend für sein Vorhaben.

Zurück im Drecksloch Frankfurt besucht er seinen dementen Vater (Peter Simonischek), der in seiner dunklen Bude vor sich hin vegetiert und unfassbar widerlich daher kommt. Insbesondere, wenn er von der verstorbenen Mutter spricht („Ich hab ihr den Finger immer so in die Fotze gesteckt…“), wandelt sich Mitleid in Ekel. Dass er dann auch noch Ricky nicht erkennt und nur nach seinem jüngeren Sohn Rafael fragt, macht die Situation nicht angenehmer.

Als Ricky in Latifs grün ausgeleuchtete Shisha Bar (mit gelben Fenstern) auftaucht, bietet dieser ihm als Entschädigung für die fünf auf sich alleine genommenen Jahre Haft eine Beteiligung an einem todsicheren Ding an. Hierbei sollen ein paar krasse Gangster um zweieinhalb Kilo Heroin gebracht werden, jedoch in deren Auftrag, um den Stoff behalten zu können. Mit dem Geld wäre die Bar am Strand für Ricky greifbar nah.

Doch in letzter Minute kommt Latif ein Polizeieinsatz im eigenen Heim dazwischen (welch Zufall). Aus der Not heraus bittet Ricky daher seinen Bruder Rafael um Hilfe. Doch der hat gerade ganz andere Probleme. Seine strippende (!) Freundin, die tagsüber Kindern das Tanzen beibringt, ist schwanger. Das sich Rafael bei der Selbstbedienung vom Safe ihres Vaters, für den er bis dahin arbeitete, erwischen ließ, macht die Sache nicht leichter.

Wer jetzt meint, dass diese Charaktere es schwer haben, dem sei gesagt, dass das beschissenste Los der alleinerziehenden, hochverschuldeten Streifenpolizistin Diana (Birgit Minichmayr) zuzuschreiben ist. Ihre kleine Tochter leidet nämlich an einem schweren Herzfehler, der schleunigst operiert werden muss. Die nette Ärztin empfiehlt hierfür eine Finanzspritze von 30000 Euro, um auf illegalem Wege ein Spenderorgan zu erhalten. Ob das mit der Ärztekammer vereinbar ist?

Natürlich treffen alle Figuren aufeinander. Natürlich geht schief, was schief gehen kann. Eine tragische Gangstergeschichte aus Deutschland, ganz ohne Tatortermittler, was durchaus ungewöhnlich und lobenswert ist. Hier hat jeder Dreck am Stecken und jeder zahlt seinen Preis. Da macht der Film nie einen Hehl draus. Die Ausleuchtung ist dabei clever durchdacht. Manchmal allerdings dachte ich, gleich kommt Warren Beatty als Dick Tracy um die Ecke, so unnatürlich wirkt das Bild. Das ständige gelb-grün nervt auf Dauer. Bei den weiblichen Darstellern fällt dieses jedoch weg. Hier kommen natürliche Farben und Gegenlichtaufnahmen zum Tragen.

Stilistisch kann man dem Film kaum Vorwürfe machen. Natürlich hält Yildirim nicht mit seinen großen Vorbildern mit. So verschenkt er bei Rafaels Eintreffen in dem Striplokal eine anfangs coole Kamerafahrt durch den Laden durch einen viel zu frühen Schnitt, wo eine Plansequenz hätte beeindrucken können. Auch das Finale, in dem dreist die Zeitlupensequenz von Im Vorhof der Hölle kopiert wird, kann nicht überzeugen. Viel zu kurz und ohne eigene Ideen kommt diese Szene daher.

Als großes Plus muss man die Darsteller nennen, denn diese machen allesamt einen guten Job. Ob Bleibtreu, Minichmayr oder der bereits in Familie Braun brilliante Edin Hasanovic, hier gibt es nix zu meckern.

Doch das Drehbuch steckt so voller Klischees, mit denen ich so meine Schwierigkeit hatte. Was hier an Zufällen aufeinander trifft, ist schon bizarr. Auch so manche Figurenentscheidung ist nicht nachvollziehbar. So bekommen wir einen Gastauftritt von Alexandra Maria Lara als Ex-Freundin von Ricky kurz zu Gesicht. Diese lebt jetzt mit Mann und Kind im glücklichen Eigenheim. Doch kaum taucht Ricky auf, geben diese ihm bereitwillig 30000 Euro, um ihm aus der Patsche zu helfen. All diese Dinge verderben den Brei ein wenig.

Unterm Strich ein ambitioniertes Werk von Regisseur Yildirim, welches an allzu viel Klischees krankt. Zuviel ist Hollywood entliehen. Da helfen auch die krassen „Isch fick disch!“ – Gangstadialoge nix. Zwar stilsicher inszeniert, aber mit löchrigem Drehbuch. Der Weg ist richtig, aber das Ziel noch nicht ganz erreicht.

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