Die schüchterne Thelma verlässt ihr streng religiöses und konservatives Elternhaus in der ländlichen Idylle der norwegischen Wälder, um in Oslo zu studieren. Dort lernt sie die Studentin Anja kennen und zwischen den beiden entsteht eine starke Anziehungskraft. Thelma entdeckt die Zwanglosigkeit der Jugend, feiert Partys und verliebt sich in Anja. Doch plötzlich erlebt Thelma epilepsieartige Anfälle und es beschleicht sie der Verdacht, dass mit ihrem Befreiungsschlag auch übersinnliche Fähigkeiten freigesetzt werden, die tief in ihrer Familiengeschichte verwurzelt sind. Das klingt wie ein Spin Off von CARRIE (1976), doch Regisseur Joachim Trier verzichtet auf Budenzauber und inszeniert sein Mystery-Drama souverän skandinavisch mit einer fantastischen Hauptdarstellerin.

Regie: Joachim Trier

Darsteller: Eili Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen, Ellen Dorrit Petersein

Artikel von Kai Kinnert

Der Film beginnt mit einem Gänsehaut-Moment. In nur knapp 4 Minuten schafft es THELMA, das man wissen will, wie er ausgeht, was sein Geheimnis ist. Die Inszenierung ist dabei so klar und zurückgenommen, so voller Zwischenraum, wie es eigentlich nur das skandinavische Kino schaffen kann und findet damit sofort die richtige Stimmung für den Film.

Am Anfang des Films geht die kleine Thelma, hier noch Kind, mit ihrem Vater in den Wäldern Norwegens auf Rotwildjagd. Es ist Winter. Und ihre erste Jagd. Sie halten hinter Bäumen plötzlich inne. Auf einer Lichtung vor ihnen ist ein Reh. Thelma beobachtet es angespannt. Ihr Vater, etwas hinter Thelma stehend, hebt sein Gewehr und legt auf das Reh an. Thelma sieht nur zum Reh und hält den Atem an. Von ihr unbemerkt, dreht sich der Vater plötzlich zu Thelma und zielt mit dem Jagdgewehr auf ihren Kopf. Schwarzbild. Thelma, jetzt vielleicht 19, zieht von Zuhause aus. Ihr Vater bringt sie nach Oslo.

Und sofort schnappt der Film zu. Was, zum Geier, ist da passiert? Was sind denn das für Zustände? Regisseur Joachim Trier baut hier mit einer trickreichen Zurückgenommenheit eine unterschwellige Spannung um Thelma herum auf, die ganz wunderbar von Eili Harboe gespielt wird. Harboe ist ein echter Glücksgriff und hier in ihrem zweiten größerem Film nach THE WAVE – DIE TODESWELLE (2015) zu sehen. Nun schickt das Drehbuch Thelma zum ersten Mal in die große, weite Welt und wir sind dabei, wie sie das Studium beginnt und Anja (Kaya Wilkins) kennenlernt. Beide Mädchen mögen sich und Thelma beginnt sich zu verlieben.

Doch Thelma befindet sich mit ihren Gefühlen im Konflikt, denn ihre Erziehung ist streng religiös und Sexualität und Partys gehören der Hölle an. Doch Thelma kann nicht verdrängen, das sie in Anja verliebt ist und so beginnen die beiden eine zarte Annäherung. So bald Thelmas Gefühle zu tief in einen Konflikt geraten, beginnen bei ihr epileptische Anfälle und ein telekinetischer Effekt entsteht. Unaufdringlich und doch in der Lage Spannung zuzuspitzen, schafft es Trier sein Coming-Out-Drama mit einer angenehm sanften Bedrohung zu erfüllen, die an einen Horrorfilm erinnert. THELMA hat das, was THE KILLING OF A SCARED DEER (2017) immer gerne gehabt hätte: Die Fähigkeit eine Metaebene im Drama des Thrills greifbar zu inszenieren und so den Konflikt künstlerisch gelungen und durchdacht umzusetzen.

In der ersten Hälfte des Films widmet sich Trier der Annäherung der beiden Mädchen, bis sich langsam der Vater wieder in die Geschichte einspielt und sie wegen ihrer Anfälle medizinisch untersucht wird. Ab hier schaltet der Film tiefer in die Vergangenheit von Thelma und eröffnet so einen doppelten Boden.

Der Film ist kein CARRIE-Remake. Das wäre auch sein Untergang. Er findet stattdessen eine geschickte Wendung und führt Thelma nun zurück zum Drama in ihrer Familie. Mit stimmig-schleichenden Thrills entblättert sich so die Vergangenheit und Angst seiner Hauptfigur.

Der Film ist eine kleine Überraschung. Joachim Trier liefert über die gesamte Laufzeit hinüber ein angenehm ruhiges und doch spannendes Tempo vor, das mit gelungen und doch reduzierten Bildern umgesetzt wird. Ob nun eine Scheibe platzt oder das zarte Haar am Ohrläppchen der Geliebten betrachtet wird, Trier bleibt seinem einmal vorgegebenen Tempo treu und streut so eine unaufgeregt aufbrechende, tiefe Spannung in seinen Film. Es würde mich nicht wundern, wenn sich Hollywood die Rechte an THELMA sichert und ein Remake produziert.

Wer zurückgenommene und doch psychologisch-spannende Filme mit einem gewissen Horror-Thrill aus Skandinavien mag, darf zuschlagen. Hier fließt kein Blut, denn Thelma ist tiefer. Was ist wahr und was nicht? Eili Harboe ist in der Hauptrolle eine echte Entdeckung und verleiht dem Film die nötige Zartheit, um alle anderen Ebenen der Story glaubwürdig zu verbinden.

Das Bild der BD ist sauber und passend satt in seinen Farben.

Trailer:

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