Bevor Keanu Reeves wieder als JOHN WICK über die Leinwände fegt, darf Mads Mikkelsen als gealterter Auftragskiller ordentlich Kopfschüsse verteilen. Seit kurzer Zeit ist POLAR (2019) beim Streamingdienst NETFLIX verfügbar und spaltet die Gemüter. Für Manche ist die Comic-Adaption ein Must-See, für Andere eine eher mittelprächtige Angelegenheit. Grund genug, dass auch wir unseren Senf dazu geben!

Originaltitel: Polar

Drehbuch: Jayson Rothwell; basierend auf der gleichnamigen Graphic Novel von Victor Santos
Regie: Jonas Akerlund

Darsteller: Mads Mikkelsen, Vanessa Hudgens, Katheryn Winnick, Fei Ren, Matt Lucas…

Artikel von Christopher Feldmann

Die Debatte um NETFLIX-Filme ist derzeit ziemlich groß. Immer öfter landen, eigentlich für das Kino produzierte Streifen, im Fundus des VOD-Anbieters, was für viele dem Untergang des Abendlandes gleichkommt. Beispielsweise musste auch Alfonso Cuaróns OSCAR-Drama ROMA (2018) nach kurzer Kinoauswertung seine Zuschauer im Internet generieren. Es ist schon schade, wenn Filme, die für das Erlebnis auf der Leinwand gedreht wurden, als Futter herhalten müssen, damit sie im schlechtesten Fall auf dem Tablet oder dem Smartphone konsumiert werden. Natürlich kann man einen Film wie POLAR nicht mit ROMA vergleichen aber der Trend zieht seine Kreise und NETFLIX entwickelt sich immer mehr zum Auffangbecken für liegengebliebene Produktionen, die es wahrscheinlich sehr schwer hätten, auf herkömmlichen Weg ihre Zuschauer im Kino zu finden. Im Falle von POLAR ist das verständlich, denn der oft als „JOHN WICK auf Crack“ beschriebene Action-Thriller ist bei weitem kein schlechter Genre-Vertreter, ein großer Kassenerfolg wäre aber sehr wahrscheinlich ausgeblieben. Vielleicht ist es auch Glück, dass es eine Plattform wie NETFLIX gibt, welche Jonas Akerlunds wilden Killer-Cocktail in die Presse katapultierte. Was die filmische Qualität des Reißers angeht, löst POLAR, trotz einiger cooler Momente, eher eine mittelprächtige Begeisterung aus.

Handlung:
Duncan Vizla (Mads Mikkelsen) zählt als Auftragskiller zu der Speerspitze seiner Zunft. Doch der, als BLACK KAISER bekannte, Hitman will dem Leben als Killermaschine entsagen und sich zur Ruhe setzen. Einen letzten Job soll er noch für seinen Boss Mr. Blut (Matt Lucas) erledigen, dann winkt ihm die hochdotierte Rente. Doch der exzentrische Arbeitgeber zieht es eher vor, Duncan erledigen zu lassen, um die Kosten niedrig zu halten. Leider hat er sich mit dem Falschen angelegt, denn der BLACK KAISER lässt sich nicht so einfach abspeisen und dezimiert Bluts Killer bis auf das Minimum, was dieser nicht so einfach hinnimmt und mal eben Camille (Vanessa Hudgens) entführt, die gerade noch damit begonnen hat eine Form von Bindung zu Duncan aufzubauen. Zeit für Vergeltung!

Wem die Prämisse jetzt irgendwie bekannt vorkommen sollte, muss sich nicht wundern, denn unzählige Actionfilme warten mit derselben Handlung auf. Das ewig gleiche Lied vom Auftragskiller, der nur noch einen letzten Job erledigen muss, um endlich aus dem schmutzigen Business auszusteigen, was natürlich nicht klappt. Gefühlt hat man das schon dutzende Male gesehen und auch POLAR schafft es kaum, dem bekannten Muster irgendetwas Neues hinzuzufügen. Das Drehbuch von Jayson Rothwell, der sich als Autor schon beim Horrorfilm SILENT NIGHT (2012) seine Sporen verdiente, wirkt nämlich, als wären 40 Jahre Filmgeschichte vorbeigezogen, ohne das es irgendjemand bemerkt hätte. Okay, es mag vielleicht auch an der Comic-Vorlage von Victor Santos liegen, dass POLAR weder fresh, noch originell wirkt, sondern eher altbacken und bis zur letzten Minute vorhersehbar. Ich kann das nicht beurteilen, da sich die Graphic Novel meiner Kenntnis entzieht, jedoch wäre ein etwas tighteres Drehbuch wünschenswert gewesen. Nur weil man eine Vorlage adaptiert, heißt es ja nicht, dass man sich dramaturgisch zwingend daran halten muss. Der Film gestaltet sich über die, zu langen, zwei Stunden sehr oft fad und versucht mit extrovertierten Figuren zu punkten, die wirken, als hätte man sie aus dem Papierkorb von Robert Rodriguez geholt. Die Dialoge sind voller Klischees und auch auf gewisse Albernheiten wird nicht verzichtet, um den besonders grellen Touch zu wahren. Zwar sind einige Ideen ganz nett, wie zum Beispiel der kleine Wink an den Kollegen Wick, wenn Mikkelsen seinen kürzlich erworbenen Hund gleich aus Versehen über den Haufen ballert, andere aber auch völlig daneben. Damit ist die ziemlich nervige Killertruppe gemeint , die unserem Anti-Held ans Leder will und mit Ruby O. Fee als Sindy, die wohl nervigste Figur des ganzen Films zu bieten hat, was auch nicht sonderlich verwundert, wenn man bedenkt, dass sie die Freundin von Matthias Schweighöfer ist.

Andere Darsteller haben es ebenfalls schwer. Matt Lucas legt eine ziemlich bescheuerte Performance als Mr. Blut auf das, mit rotem Lebenssaft beschmierte, Parkett und entpuppt sich als schräger Vollidiot, anstatt als ernst zunehmender Bösewicht. Natürlich kann man einen Schurken auch mal ad absurdum führen, jedoch verpufft jeglicher Anflug von Bedrohlichkeit, wenn man versucht ihm auch sinistere Facetten abzugewinnen, wie zum Beispiel in einer recht unspannenden Folter-Szene. Als weiblichen Lead konnte man den ehemaligen HIGHSCHOOL MUSICAL-Star Vanessa Hudgens verpflichten, die auch als Einzige versucht, wirklich zu spielen und für ganz ordentliche emotionale Zwischentöne sorgt. Jedoch wird man nie das Gefühl los, dass ihre Figur nur den Zweck hat, als Motor für Mikkelsens Figur zu dienen. Der hingegen macht als Action-Hero eine ganz ordentliche Figur und punktet mit seiner Ausstrahlung und physisch beachtlichen Präsenz. Der ehemalige Bond-Schurke macht als grummeliger Hitman eine erstaunlich gute Figur und kann auch in den Action-Momenten glänzen. Falls es irgendwann doch noch eine Verfilmung von METAL GEAR SOLID gibt, dann bitte mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle. Achja, Richard Dreyfuss hat sich übrigens auch für einen kleinen Auftritt in den Streifen verirrt. Warum, wissen wir nicht, vermutlich lief er zufällig über das Set.

Das klingt jetzt alle recht negativ aber Jonas Akerlung überzeugt zumindest mit einer recht ansprechenden Optik. Wer beispielsweise CRANK (2006) und CRANK 2: HIGH VOLATGE (2009) mochte, wird an dem visuellen Konzept von POLAR Gefallen finden. Akerlund lässt viele Elemente der Vorlage einfließen und würzt das Ganze mit grellen, kontrastreichen Farben und einer nicht zu leugnenden Over-The-Top Ästhetik. Das spiegelt sich auch in der Härte wieder, denn der Film lässt ordentlich rote Farbe fließen und bietet einige blutige Headshots und derbe Keilereien. Allerdings gelingt dem Film dann doch nicht der Sprung zum Action-Brett, da POLAR genau eine etwas ausufernde Action-Szene zu bieten hat, in der Mikkelsen zahlreiche Bad-Guys über den Jordan schicken darf. Andere Momente sind einfach zu Kurs (der Showdown im Lagerhaus) oder optisch einfach uninteressant (die Szene in der Hütte). Ansonsten bietet der Film einige derbe Scharmützel und Gewaltspitzen, Tempo nimmt er dabei aber selten auf. Und das verringert den Spaß bei knapp 120 Minuten merklich.

Fazit:
POLAR (2019) ist nicht der schlechteste Film, den man sich auf NETFLIX zu Gemüte führen kann, jedoch fehlt es der Comic-Adaption einfach an Tempo und originellen Ideen, so dass man immer das Gefühl hat, alles schon x-fach gesehen zu haben. Wer jedoch auf grelle Comic-Adaptionen aus dem Adult-Segment steht und überdrehten Charakteren etwas abgewinnen kann,wird an Mads Mikkelsens Rachefeldzug seinen Spaß haben. Auch ich kann einen gewissen Unterhaltungsfaktor nicht leugnen, allerdings wäre hier noch mehr drin gewesen.

Christopher auf Letterboxd folgen

Zurück zur Startseite