Suspiria – mit diesem Namen verbindet man einen der ganz großen Klassiker des italienischen Horrorkinos, wenn nicht sogar einen der besten Horrorfilme aller Zeiten. In starken Bildern erzählte Großmeister Argento ein bizarres Stück Kunst, dessen Stil bis Heute unübertroffen geblieben ist. Bis Heute… denn man hat sich tatsächlich gewagt, die Geschichte um eine Ballettschule noch einmal aufzugreifen, und dementsprechend neu zu interpretieren. Der Aufschrei war groß, die Zweifler schrien (wie immer) „Blasphemie“, und ich? Tja, ich habe gesagt: „Mal schauen…“. Und genau DAS habe ich nun getan… Koch Films und Capelight überschwemmen den Markt mit einem Füllhorn an Editionen, die Sammler in den Wahnsinn treiben werden. Die Krönung? Eine 10 (!!) Disc-Edition mit allem Schnickschnack, der dazu gehört!

Originaltitel: Suspiria

Regie: Luca Guadagnino

Drehbuch: David Kajganich

Darsteller: Dakota Johnson, Chloë Grace Moretz, Tilda Swinton, Mia Goth, Malgosia Bela, Angela Winkler, Elena Fokina, Jessica Harper

Artikel von Victor Grytzka

Mhhh… wie fange ich nun an? Nach rund 2 1/2 Stunden (und ein paar Zigaretten danach) habe ich den Film noch immer nicht ganz verarbeiten können. Darf ich das überhaupt? Darf ich nun wirklich über diesen Film schreiben, ohne mich dabei auf Argentos Werk zu beziehen? Kann ich das überhaupt? Ich denke… Ja, das darf, kann und muss ich. Denn Suspiria (2018) ist kein Remake. Zwar hat man das Grundgerüst von Argento übernommen, hat dann aber etwas ganz anderes daraus gemacht als das, was von vielen als der „ultimative Horrorfilm“ angesehen wird. Und das ist gut so! „Suspiria 2.0“, so kann ich es beschreiben. In diesem Falle werde ich ausnahmsweise einmal den offiziellen Covertext verwenden, da die Gefahr eines Spoilers von meine Seite her doch zu groß wäre, sollte ich den Inhalt umschreiben.

Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) schließt sich 1977 dem renommierten Markos Tanzensemble in Berlin an. Während Susie unter der revolutionären künstlerischen Leiterin Madame Blanc (Tilda Swinton) außergewöhnliche Fortschritte macht, freundet sie sich mit der Tänzerin Sara (Mia Goth) an. Als Patricia (Chloë Grace Moretz), ebenfalls Mitglied des Ensembles, unter mysteriösen Umständen verschwindet, kommt der Psychotherapeut der jungen Tanzschülerin, Dr. Josef Klemperer, einem dunklen Geheimnis auf die Spur. Auch Susie und Sara ahnen, dass sich hinter der Fassade von Madame Blanc und ihrer Tanzschule unbarmherzige Hexen verbergen… (Covertext (c) Koch Films / Capelight).

Von der ersten Minute an fesselt ein herausragender Aspekt an den heimischen Bildschirm. „Suspiria“ überrascht den Zuschauer direkt einmal als optische Wucht. Angefangen bei dem sehr überzeugenden Setting, das die Liebe zum Detail und den Aufwand der Produktion direkt offensichtlich macht. Das Westberlin der 70er Jahre. Mit einem hohen Maß an Detailverliebtheit arbeitet eine sauber geführte Kamera und beschert so Bildkompositionen, die eine von Grund auf triste, aber dennoch interessante Komponente versprühen. Man hat beinahe das Gefühl, als hätte sich das Produktionsteam in eine Zeitmaschine gesetzt, und den Film tatsächlich im Berlin des Jahres 1977 gedreht. Angefangen bei den schlecht gepflegten Häuserschluchten, über originalgetreue Fahrzeuge, bis hin zu Details wie Schildern, Tageszeitungen, Getränkekästen… Wie zum Teufel haben die das angestellt. Da steht einem noch der Mund offen, wenn man schon von dem nächsten Hammer erschlagen wird. Hervorragend recherchiert präsentieren sich die Akteure des Films in einer Optik, die auch direkt aus dieser Zeit zu stammen scheint. Kleidung, Frisuren, Makeup – hier wurden nicht nur 100, sondern 1000% gegeben. Das Sahnehäubchen sind die Banner und politischen Sprüche dieser Zeit, die an Häusern und der superb nachgebildeten Berliner Mauer zu finden sind. Begleitet von einer unangenehmen Tristesse, zurückzuführen auf die Farbgebung des Materials, verbreitet sich schnell eine Mischung aus faszinierender Nostalgie und einem leicht depressiven Gefühl, welches perfekt auf die düstere Handlung einstimmt.

Diese baut sich langsam auf, beginnt dabei eher mit sehr vielen Fragezeichen, da einfach so viele Charaktere und Aspekte vorgestellt werden, die man zunächst so gar nicht begreifen mag, ja, sogar überhaupt nicht begreifen kann. Denn eine ganz große Stärke des Skripts ist der Spannungsbogen und das eher gemütliche Tempo, bei dem sich viele Szenen aneinanderreihen, die so erst mal keine wichtigen Informationen oder gar einen Sinn zu haben scheinen. Verfolgt man jedoch den Aufbau dieses Films, so wird man feststellen, dass man dann und wann wieder ein Häppchen aufschnappt, das eine zuvor gesehene Szene klarer erscheinen lässt, diese aber nicht vollends erklärt. Kontrolliertes Chaos, so lässt es sich am besten beschreiben. Der Film ist in mehrere Akte (samt Epilog) unterteilt, die zwar in sich geschlossen sein könnten, würden sie nicht im fulminanten Finale ein großes Ganzes ergeben.

Ich ringe hier um Worte, wie ich meine Faszination so beschreiben kann, dass ihr als Leser wisst, warum ich so begeistert bin. Dazu muss ich dann doch mal ein wenig auf den 77er „Suspiria“ eingehen. Argento verstand es durch eine stimmungsvolle Beleuchtung, gewürzt mit seinen typisch Nerven zerfetzenden Gore-Szenen, ein verstörendes Horror-Kunstwerk zu schaffen. Hier ist es mehr so, dass der Horror sich sehr subtil entwickelt, und die verstörenden Elemente sich mehr auf ein paar wenige Szenen beschränken. Diese glänzen dann allerdings auch durch eine gewisse Härte, die jedoch nicht kopiert wurden, sondern der eigenen Interpretation der Geschichte ein logisches Element hinzufügen. Ich hoffe, dass ihr mir bei diesen Ausführungen folgen könnt.

Optisch unterstreicht man diese Vision des Terrors durch hervorragend agierende Schauspieler in makellos gefilmten Sequenzen, toll choreographierten Tanzeinlagen und verstörend wirkenden „Filmschnipseln“. Die bunte Beleuchtung – bei Argento Stilmittel – wurde hier (fast) komplett ignoriert, und wich einem teils statischen Look, der eine morbide Grundstimmung erzeugt, und trotz seiner eher ruhigen Art eine unglaubliche Dynamik entwickelt. Das liest sich irgendwie bizarr… JA… genau dieses Wort habe ich gesucht. Bizarr! Das trifft es. Der Einsatz von Musik ist recht spärlich, auch dieser Umstand dient dem Film absolut. Wenn es dienlich ist, dann erklingt ein stimmungsvoller Soundtrack. Die meiste Zeit trägt sich „Suspiria“ jedoch ganz von selbst. Sei es durch Optik, Schauspiel, Dialoge oder die Erzählweise.

Über den Handlungsablauf mag ich ja nicht zu viel verraten, dennoch sei gesagt, dass diese wahre Flut an Bruchstücken, die am Ende ein großes Ganzes ergeben, in einem hervorragend inszenierten Finale münden, das die Messlatte für den Begriff „verstörend“ extrem hoch legt. Mutter will leben, und das wird sie… Mehr darf ich hier nicht verraten.

Mediabook Cover A

Mediabook Cover B

Zur Durchsicht lag mir die „einfache“ BluRay vor, die im Bonusbereich leider nicht viel bieten kann (Teaser / Trailer), dafür aber mit einem sehr scharfen und detailreichen Bild überzeugt, und auch in der 7.1 DTS-HD Abmischung ein wahres Fest für die Ohren ist. Wem das nicht langt, der kann zu den angebotenen Mediabooks greifen. Diese enthalten zusätzlich neben dem Film auf DVD und BluRay eine Stange an Extras, die aus Interviews, Making Of, Featurettes und einem knapp 80-minütigen Feature mit dem Regisseur bestehen. Ein 28 Seiten starkes Booklet gibt es auch noch dazu.  Den Oberhammer wird allerdings die am 18. April erscheinende „Ultimate Edition“ bieten, die aus 10 Discs besteht, und neben dem Original von Argento, dem Remake (DVD / Blu / 4K) noch folgende Ausstattung zu bieten hat:

10 Discs; 2 Poster; 8 Artcards; 64-seitiger Bildband mit Werbematerial und Bildern der beiden Suspiria Filme, dazu ein Interview mit Luca Guadagnino und ein Text zum Film von Prof. Dr. Marcus Stiglegger; BAFTA-Guru-Masterclass mit Luca Guadagnino (ca.74 Minuten); Die Oscar-Academy im Gespräch mit Luca Guadagnino und Cast (ca. 11 Minuten); Interviews mit Cast & Crew (ca. 39 Minuten); Making-of (ca. 4 Minuten); Die Kunst des Tanzens (ca. 4 Minuten); Der Look (ca. 4 Minuten); Die Masken (ca. 4 Minuten); Teaser und Trailer (ca. 4 Minuten); Zwei Soundtrack-CDs mit Musik zum Film von Thom Yorke (ca. 81 Minuten)

Wenn das mal keine „Ultimate Edition“ ist, dann weiß ich es auch nicht!

Und nun werdet ihr mich hassen. Warum? Weil ich ein Urteil über die Neuinterpretation von „Suspiria“ fällen muss. Und das werde ich nun tun…

Argento in allen Ehren. Er hat im Jahr 1977 die Messlatte für die Kombination von Kunst und Horror extrem hoch gelegt. Oft kopiert, nie erreicht und schon mal gar nicht besiegt. Und dann kommt der eigene Film im Jahre 2018 zurück, und macht – unter neuer Führung natürlich – eben diesem Kultfilm den Thron streitig. Mag „Suspiria 2.0“ auch ganz anders sein, in vielen Teilen sogar „verworrener“ und (ja, ich schreibe das jetzt) anspruchsvoller, so ist er doch eines ganz klar. Der bessere Film! Ja, so sehe ich das. Guadagnino hat für mich einen Meilenstein hingelegt, der vermutlich an vielen Zuschauern vorbei gehen wird, und so seinen Kultstatus erst noch verdienen muss. „Suspiria“ ist – in der 2018er Version – kein Film für ein Popcorn-Publikum, ja, noch nicht mal ein Film für ein Publikum, das sich einen Horrorschocker wünscht. Es ist mehr ein Kunstprojekt, wie ein Gemälde, das auf jeden Zuschauer anders wirkt, vielleicht sogar abstrakt und bizarr. Ich kann für meinen Teil sagen, dass dieser Film der ultimative Beweis ist, dass auch (Horror) Filme große Kunst sind. Vermutlich habe ich noch immer nicht alle Eindrücke verarbeiten können, vielleicht werde ich das nie können. Dennoch sage ich: Gibt es einen neuen Meilenstein im Genre? Ja, den gibt es!

Trailer:

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