S. Craig Zahler hat wieder zugeschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes. Mit eklatanter Verspätung erscheint nun sein gefeiertes Grindhouse-Gefängnisdrama BRAWL IN CELL BLOCK 99 (2017) als ungekürzte Fassung von CAPELIGHT PICTURES. Uns hat man dankenswerterweise das schicke Mediabook zur Verfügung gestellt, was wir zum Anlasse nehmen, euch zur verraten, warum der Knast-Reißer mit Vince Vaughn ein absolutes Genre-Highlight darstellt.

Originaltitel: Brawl in Cell Block 99

Drehbuch & Regie: S. Craig Zahler

Darsteller: Vince Vaughn, Jennifer Carpenter, Don Johnson, Marc Blucas, Udo Kier, Dion Mucciacito…

Artikel von Christopher Feldmann

Wenn sich jemand in den letzten Jahren ein gehöriges Renommee im Genre-Kino erarbeitet hat, dann wahrscheinlich S. Craig Zahler. Der versierte Romanautor streckte Fühler erstmals im Jahr 2011 Richtung Hollywood aus, als man ein von ihm geschriebenes Drehbuch mit dem Horrorstreifen THE INCIDENT (2011) adaptierte. Auch andere Stoffe aus seiner Feder wurden aufgegriffen, aber nie nach seinen Vorstellungen filmisch umgesetzt. Wahrscheinlich war das der maßgebliche Antrieb, selbst in das Regie-Fach zu wechseln. Mit dem Western BONE TOMAHAWK (2015) gab Zahler schließlich sein viel beachtetes Debüt als Drehbuchautor und Regisseur. Der, mit Kurt Russell und Patrick Wilson prominent besetzte, Film entwickelte sich zum Geheimtipp, denn der Mix aus charaktergetriebenem Western der Marke Sam Peckinpah und deftigem Kannibalen-Horror, der an das italienische Exploitationkino der frühen 1980er Jahre erinnerte, schlug bei den Genre-Fans in die passende Kerbe. Auch mit seinem zweiten Spielfilm, bleibt sich Zahler als moderner Grindhouse-Auteur treu, denn BRAWL IN CELL BLOCK 99 (2017) ist die konsequente Fortführung eines ganz eigenwilligen Stils. Modernes Exploitationkino, ohne viel Schnickschnack, dafür mit starker Figurenentwicklung und pessimistischem Weltbild.

Handlung:
Das Leben des ehemaligen Boxers Bradley Thomas (Vince Vaughn) könnte besser sein. Nachdem der grobschlächtige, aber durchaus aufrichtige, Kleinbürger seinen Job verloren hat und auch die Ehe mit seiner Frau Lauren (Jennifer Carpenter) unter keinem guten Stern steht, beschließt Bradley Alles umzukrempeln, um seine Beziehung wieder auf die Kette zu bekommen. Für Kumpel Gil (Marc Blucas) beginnt er als Drogenkurier zu arbeiten, was ihm ordentlich Geld einbringt. 18 Monate später wohnen er und Lauren in einem schönen Haus, die holde Meid ist schwanger und das Leben könnte nicht besser sein, bis die Kooperation mit einem mexikanischen Drogengangster (Don Mucciacito) im Desaster und für Bradley im Knast endet. Doch die Jahre lassen sich nicht so einfach absitzen, denn die Schulden bei dem Kartellboss müssen beglichen werden, sonst ist Laurens Leben nicht mehr sicher. Um sein Konto wieder auszugleichen, soll Bradley buchstäblich in die Hölle hinabsteigen, nämlich in den Zellenblock 99 eines berüchtigten Hochsicherheitsgefängnisses. Sein Auftrag: Mord!

BRAWL IN CELL BLOCK 99 (2017) ist ein ziemlich harter Brocken, denn für einen handelsüblichen Knastfilm gestalten sich die 132 Minuten nicht gerade schlank. Das ist auch völlig in Ordnung, denn Zahlers Tour de Force entzieht sich jeglichen Standards, die über Dekaden hinweg geprägt wurden. Das macht sich schon dadurch bemerkbar, dass der Film erstmal eine knappe Stunde verstreichen lässt, bevor wir ein Gefängnis überhaupt von Innen sehen. Zahler geht es nämlich nicht darum Klischees zu variieren, sondern sie zu brechen. Bradley Thomas ist nicht die übliche Hauptfigur, die unschuldig eingebuchtet wird und die wir dann meist beim Ausbruch begleiten. Thomas ist ein Verbrecher, der die Kriminalität gewählt hat, um ein besseres Leben zu führen. Er mag auch nicht der positivste Zeitgenosse sein, wenn man sieht wie er aus Zorn das Auto seiner Frau zu Beginn auseinander nimmt. Er ist ein Anti-Held, der in der Spirale der Gewalt immer weiter abwärts geschleudert wird. Zahlers nüchterne Erzählweise fängt diesen Charakter perfekt ein, denn Moral und Werte werden schnell über Bord geworfen. In dieser Welt hat nur Gewalt ihren Platz und es ist auch die Gewalt, die als einzige Lösung funktioniert, ein Happy End gibt es nicht. Zahler spart sich die typische Knastromantik und inszeniert das Leben hinter den Mauern als klaustrophobische Tortur, zwischen kahlen Wänden und Wärtern, die gerne ihre Überlegenheit demonstrieren.

Nachdem die Hauptfigur erstmal vollständig etabliert wurde, geht der Film zu seinen Wurzeln zurück. Plötzlich wird aus einem Quasi-Charakterdrama ein beinharter Exploitationfilm, der genüsslich zitiert und mit den Erwartungen spielt. Durch die bodenständige Interpretation der Geschichte, besitzen gewisse Figuren eine ganz eigene Wirkung. Da hätten wir zum Beispiel den, von Udo Kier wunderbar widerlich gespielten, Mittelsmann des Drogenbosses, der mit ruhiger, entspannter Stimme erstmal erklärt, dass ein verrückter asiatischer Chirurg Bradleys fünf Monate altem Baby ein paar Gliedmaßen abschneiden wird, falls er nicht kooperieren sollte. Ein herrlicher, wenn auch etwas verstörender Auftritt, der nachhaltig im Gedächtnis bleibt. Nun wird BRAWL IN CELL BLOCK 99 zum derben, blutrünstigen Exploitationfilm. Bradley soll einen besonderen Häftling töten, der im Gefängnis „Redleaf“ einsitzt. Dieser Knast sieht aus, als hätte Jess Franco seiner Zeit schon ein paar sleazy Frauenknaster abgedreht. Und wenn dann noch Don Johnson als Zigarre rauchender Direktor mit Sonnenbrille und Lederhandschuhen auf der Bildfläche erscheint, dann weiß man als Zuschauer wo der Hase läuft. Hier werden aber erst die Stärken des Films deutlich. Denn obwohl Zahler bewusst zitiert und auch gerne überhöhte Elemente in seine Geschichte einbindet, albern wird es nie. Wir sind immer bei der Figur, wir leiden mit ihr und stecken mit ihr ein. Jeder Schlag in die Magengrube, ist auch für den Zuschauer ein Schlag in die Magengrube.

Zahlers Inszenierung fängt hingegen das Geschehen wunderbar ein. Die Action ist gut choreographiert, ohne abgehoben zu wirken. Das Sounddesign und die erstaunlich gute Physis von Vince Vaughn, der eher für Comedy bekannt ist, sorgen dafür, dass jeder Schlag richtig sitzt und man ihn fast schon selbst spüren kann. Der Film unterstreicht die pessimistische Grundstimmung, in dem er die Bilder in kühle Blau- und Grüntöne hüllt und uns wirklich in eine Welt mitnimmt, in der Hoffnung ein Fremdwort ist. Das zeigt sich auch an der dargestellten Gewalt, denn die ist ziemlich deftig. Die Kamera hält immer schön drauf, wenn Köpfe zermatscht oder Knochen gebrochen werden. Ein nötiger Kniff, um die Tonalität auf den Punkt zu bringen. Der FSK war das allerdings eine Spur zu heftig, weswegen die ungekürzte Fassung keine Freigabe erhielt und den Gang zur Juristenkommission antreten musste.  Auch wenn die Gewalt einen ziemlich exploitativen Beigeschmack besitzt, erfüllt sie ihren Zweck, genau wie Hauptdarsteller Vince Vaughn, der, entgegen seiner eigentlichen Karriere, letztendlich wie ein Dampfhammer durch den Zellenblock 99 fegt. Selten wurde ein Anti-Held so grandios und eindringlich verkörpert wie in diesem Film.

Das Mediabook aus dem Hause CAPELIGHT PICTURES ist, genau wie der Film, ein absoluter Volltreffer. Während UNIVERSUM den Film schon 2018 in den Handel brachte, allerdings in einer gekürzten Fassung, spendiert uns das renommierte Label nun die völlig schnittfreie Variante im exklusiven Mediabook, wahlweise auch als UHD-Version. Neben einem sehr guten Booklet von Prof. Dr. Marcus Stiglegger, gibt es noch ein Q&A mit Cast & Crew, ein Making-Of, sowie Trailer im Bonusmaterial zu bewundern. Das Ganze ist einer hübschen Edition mit tollem Cover verpackt, welche sich hervorragend in der Sammlung macht.

Fazit:
S. Craig Zahlers Neo-Grindhouse Knaller BRAWL IN CELL BLOCK 99 (2017) ist ein großer Wurf, zumindest für Freunde handfesten Genre-Kinos, die mal etwas Neues sehen wollen. Ein eindrücklicher, mitreißender Film, der zwar seine Exploitation-Vorbilder zitiert und zelebriert, aber durch seine unkonventionelle Erzählart und Charakterentwicklung nachhaltig wirkt. Absolut empfehlenswert!

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