Luchino Visconti gilt als einer der bedeutendsten Regisseure des europäischen Kinos und als einer der Mitbegründer des italienischen Neorealismus. DONAU FILM hat nun seinen letzten Spielfilm DIE UNSCHULD (1976) neu remastered auf Blu-Ray und DVD veröffentlicht. Ein Grund, das Historiendrama mal genauer zu beleuchten.

Originaltitel: L’innocente

Drehbuch: Suso Cecchi D’Amico, Enrico Medioli, Luchino Visconti; nach dem gleichnamigen Roman von Gabriele D’Annunzio
Regie: Luchino Visconti

Darsteller: Giancarlo Giannini, Laura Antonelli, Jennifer O’Neill, Rina Morelli, Marc Porel…

Artikel von Christopher Feldmann

Heute lassen wir mal die Genre-Filme beiseite und werfen einen kleinen Blick in die Welt des Arthouse-Kinos aus europäischen Gefilden, aus dem Luchino Visconti nicht wegzudenken ist. Visconti schuf eine Reihe von Filmen, die heute als Meisterwerke gelten, wie zum Beispiel DIE VERDAMMTEN (1969) und das historische Epos LUDWIG II. (1972), für den der italienische Auteur sogar Romy Schneider überreden konnte, noch einmal die Rolle der Kaiserin Elisabeth („Sissy“) zu spielen. In mehreren Filmen spielte übrigens Helmut Berger eine Hauptrolle, mit dem Visconti von 1964 bis zu seinem Tod liiert war. Mit DIE UNSCHULD (1976) haben wir nun den letzten Film aus dessen Schaffen vorliegen, den er schon gar nicht mehr selbst fertigstellen konnte. Einmal mehr widmet sich Visconti hier dem ewigen Spiel zwischen Mann und Frau und fügt der Adaption von Gabriele D’Annunzios gleichnamigen Roman neue Facetten hinzu. Dabei herausgekommen ist ein gut gespielter aber doch recht sperriger Film aus der Blütezeit des italienischen Kinos.

Inhalt:
Rom 1890. Der Aristokrat Tullio Hermil (Giancarlo Giannini) lebt mit seiner Frau Giuliana (Laura Antonelli) zusammen – eine Verbindung, die nicht viel mehr als die Erfüllung eines gesellschaftlichen Zwanges darstellt. Ohne Skrupel lebt der Egomane Tullio vor den Augen der Öffentlichkeit eine Affäre aus. Erst als sich Giuliana mit dem Schriftsteller Filippo (Marc Porel) einlässt, wird sie für ihren Ehemann wieder interessant. Tullio reagiert plötzlich eifersüchtig und versucht seine Frau zurückzugewinnen. Doch Giuliana ist schwanger und Tullio weiß, dass das Kind nicht von ihm sein kann.

Das Luchino Visconti ein ernst zunehmender Regisseur und Autor war, ist nicht abzustreiten. Und trotzdem hat sich im Falle von DIE UNSCHULD wenig Begeisterung eingestellt, was nicht heißen soll, dass der Film schlecht ist. Mit Präzision zeichnet der 1976 verstorbene Meister ein feines Bild der sogenannten „Belle Epoque“, jene europäische Epoche, in denen Adelsfamilien ein unbeschwertes Leben führten, mit dem gesellschaftlichen, wie auch technischen Fortschritt im Rücken. Die „Belle Epoque“ siedelt sich im späten 19. Jahrhundert an und wird allgemein mit dem Beginn des ersten Weltkriegs für beendet erklärt. Genauer in dieser Zeit zelebriert der Film seine Geschichte über einen untreuen Ehemann, der genug von seiner zurückgezogenen Frau hat und in der Gesellschaft seine eigenen romantischen Abenteuer findet. Die Geschichte zeigt hier ganz klar die Stellungen der Geschlechter auf, denn während der Ehemann seine Affäre überhaupt nicht wirklich verheimlicht, fasst er es als Frevel auf, dass seine Frau plötzlich einen eigenen Verehrer hat. Man kann das Beziehungsgeflecht ganz gut auf die heutige Zeit übertragen. Wie oft kommt es vor, dass Ehemänner plötzlich eifersüchtig werden, obwohl sie selbst kaum besser sind? Recht oft, ich spreche aus Erfahrung.

Männer haben anscheinend immer noch diesen Besitzanspruch im Kopf, der ihnen vermittelt, dass die Frau in einer speziellen Form sein Eigentum ist und selbst wenn er gerne mal ein Auswärtsspielchen macht, die Frau ist trotzdem unantastbar für andere. Mit diesem Szenario walzt Visconti über 120 Minuten Beziehungsdrama über den Bildschirm. Die Dialoge sind gut geschrieben, jedoch wirkt vieles heute einfach arg gestelzt und wenig natürlich. Die Story steuert dabei auf einen emotionalen Höhepunkt zu, der im ursprünglichen Roman gar nicht zu finden ist, sondern vom Regisseur selbst erdacht wurde. Der Weg dahin ist allerdings oftmals etwas dröge.

Das liegt aber nicht an den Schauspielern, die allesamt eine sehr gute Performance abliefern. Gerade die Damen, Laura Antonelli und Jennifer O’Neill, verleihen ihren Figuren, durch viele kleine Nuancen, eine gewisse Mehrdimensionalität. Auch Giancarlo Giannini, den die jüngeren Zuschauer vielleicht als Doppelagenten Mathis aus den beiden Bond-Abenteuern CASINO ROYALE (2006) und EIN QUANTUM TROST (2008) kennen dürften, brilliert als gehörnter Ehemann mit Todessehnsucht.

Visconti selbst inszeniert sein Drama mit der nötigen Sorgfalt, als, bis ins letzte Detail perfekt ausgestattetes, Historiendrama, voller prunkvoller Dekoration und tollen Kostümen. DIE UNSCHULD mutet in vielen Szenen schon fast wie ein Theaterstück an, was nicht ungefähr kommt, war Visconti doch ein ausgewiesener Theaterprofi und inszenierte bereits viele gefeierte Stücke vor seinem filmischen Durchbruch. Diese Einflüsse sind deutlich zu spüren aber sie vergrätzen wahrscheinlich auch jüngere Zuschauer, denn man kann mit Fug und Recht behaupten, dass DIE UNSCHULD ein recht sperriger Film ist, auf den man sich einlassen muss. Der Film lebt von seinem Beziehungsgeflecht, von seinen Darstellern und seiner Ausstattung. Tempo sucht man hier vergebens und ich kann verstehen, wenn Zuschauer dies als langweilig und dröge empfinden, mir ging es genauso. Vielleicht bin ich auch der falsche Rezensent für diese Art von Film.

Das Bild der Veröffentlichung ist sehr gut gelungen und bietet eine hohe Qualität, auch wenn hier sicher noch etwas mehr drin gewesen wäre. Der Ton ist ebenfalls sauber, wenn auch nicht weltbewegend. Im Bonusmaterial findet sich ein Trailer, sowie eine Bildergalerie.

Fazit:
Luchino Viscontis letzter Spielfilm DIE UNSCHULD (1976) ist ein toll gespielter, famos ausgestatteter, bis ins Detail gut inszenierter Historienschinken über die Beziehung zwischen Mann und Frau. Keine leichte Kost und stellenweise etwas langatmig aber für Fans von Arthouse und europäischem Kunstkino seine sichere Bank.

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