Kultregisseur David Cronenberg behandelt in seinen Filmen fast immer das Thema Sex und Gewalt. Fleischgewordene Videos, wurmartige Sexparasiten und die Brundle-Fliege lassen das Herz des anspruchsvollen Horrorfans noch heute höher schlagen. Doch Cronenberg lässt sich aber bei weitem nicht in eine Schublade pressen. So begann der Meister sich gegen Ende des letzten Jahrtausends neben dem Körperhorror auch in anderen Genres zu probieren. 1996 präsentierte er in Cannes sein neuestes Werk, in dem Menschen den sexuellen Kick durch riskante Autounfälle suchen. Ein provokanter Film, welcher gleichermaßen für Applaus, aber auch Buh-Rufe sorgte. TURBINE MEDIEN hat dem Film jetzt eine wunderschöne Veröffentlichung in brandneuer 4K-Abtastung spendiert, die unter der strengen Aufsicht David Cronenbergs entstand. Grund genug, einmal zu prüfen, ob der Film heute immer noch zum Skandalfilm taugt oder ob doch alles nur heiße Luft im Kunstgewand ist.

Drehbuch und Regie: David Cronenberg

Nach einem Roman von J.G. Ballard

Darsteller: James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas, Deborah Kara Unger, Rosanna Arquette

Artikel von Christian Jürs

Der Filmproduzent James Ballard (James Spader) führt seit geraumer Zeit eine unglückliche Ehe mehr mit seiner attraktiven Frau Catherine (Deborah Kara Unger). Beide haben sich entfremdet und vollziehen außereheliche Aktivitäten, von denen sie einander ausführlich beim sanften Sex berichten. Doch während Catherine ihre Hauptbefriedigung in ihren Affairen findet, hat James weniger Glück mit seinem Quickie im Büro mit einer Kameraassistentin, der durch ständige unfreiwillige Störungen ohne Höhepunkt verläuft.

Ausgerechnet ein von ihm unbeabsichtigt verursachter Frontalzusammenstoß auf nächtlicher Straße, bei dem der Beifahrer des Unfallgegners durch die Frontscheibe fliegt und stirbt, soll die sexuelle Wende in James Leben bringen. Denn auf diesem Wege lernt er die Fahrerin des anderen Autos, Helen Remington (Holly Hunter), kennen, die im gleichen Unfallkrankenhaus untergebracht wird wie er. Dort trifft er auch auf den Fotografen Vaughan (Elias Koteas), der ein besonderes Interesse an James Unfallnarben zeigt. Nach seiner Entlassung beginnt James eine Affaire mit Helen, die vorrangig auf den Rücksitzen von Autos stattfindet, da sich beide fortan von Fahrzeugen sexuell angezogen fühlen. Eines Abends besuchen sie eine illegale Veranstaltung, bei der Vaughan mit Hilfe zweier Stuntman den tödlichen Unfall James Deans nachzustellen versucht, ohne Netz und doppelten Boden. Doch außer ein paar Prellungen und einer Gehirnerschütterung, die sich Stuntfahrer Colin Seagrave (Peter MacNeill) zuzieht, kommen die Beteiligten mit einem blauen Auge davon.

Nach und nach finden sich Menschen zusammen, die durch Unfallerfahrungen ihrem Sexleben neuen Antrieb gegeben haben, wie die an den Beinen schwer verletzte Gabrielle (Rosanna Arquette), die trotz vieler Narben und einer Gehbehinderung immer wieder auf ein Tête-à-Tête in einem Gefährt platz nimmt. Bald führt Vaughan auch Catherine in den Club der Unfall-Fetischisten ein, in dem, wenn nicht gerade Unfallvideos als Masturbationsvorlage geschaut werden, jeder mit jedem schläft. Nach und nach steigern sich die Stahl- und PS-süchtigen in ihre Obsession. Doch dann kommt es zu einem tödlichen Unfall unter ihnen…

Menschen korpulieren auf- und in Karosserien. David Cronenberg bietet die ultimative Sex-Phantasie für Leute, die The Fast & the Furious nur wegen der Autos schauen. Doch deren Fans werden mit dieser Romanverfilmung mit Sicherheit nichts anfangen können. Denn Crash ist Kunstkino, welches völlig entschleunigt und mit freizügigen Sexszenen daher kommt, die im letzten Jahrtausend, als Lars von Trier noch nicht mit Nymphomaniac die Messlatte des zeigbaren dezent nach oben schraubte, ein recht großer Skandal waren. „Krank und Übelkeit erregend“ schimpfte ein angesehener englischer Kritiker und in den westlichen Teilen Londons wurde sogar ein Aufführungsverbot verhängt. Mittlerweile haben sich diese Wogen aber geglättet.

Viele Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens gewisse Fetische, denen sie sexuell nachgehen. Manches sind harmlose Rollenspiele, doch gibt es natürlich auch extremere Varianten. So natürlich auch in einem Film von David Cronenberg. Seine Protagonisten gieren nach der Technik ihres Automobils, nach der Wucht des Aufpralls und dem daraus entstehenden Adrenalinstoß, der sie ihr eigentlich traurig-einsames (Liebes-)Leben vergessen macht. Dabei nehmen sie bleibende Körperschäden in Kauf, ja, geilen sich an diesen sogar auf. Eine etwas andere Form von Körperhorror. Und Cronenberg versteht es, auch dem „normal“ sexuell orientierten Menschen (was genau ist dieses normal?), begreiflich zu machen, was und warum diese Leute so empfinden, auch wenn man (hoffentlich) selbst so etwas nie fühlen wird. In einem ruhigen Tempo, mit einem einprägsamen und auch gewollt prägnanten Score von Howard Shore unterlegt, sind es primär Bilder, Episoden der Existenz (nicht zu verwechseln mit eXistenZ) der Protagonisten, die wir hier zu sehen bekommen. Eine klassische Geschichte gibt es im Grunde nicht, weswegen sich bei Crash wohl auch heute noch die Meinungen teilen werden. Inszeniert ist der Film allerdings auf stilistisch extrem hohem Niveau. Vor allem aber gingen die Darsteller hier an ihre Grenzen und wissen zu überzeugen. Insbesondere Deborah Kara Unger sticht dabei hervor.

Das aufwendig vom Kameranegativ neu erstellte 4k-Master des Erotikdramas sieht fantastisch aus. Kein Filmkorn ist zu sehen, auch in dunkleren Passagen. Der Film schaut aus, als sei er gerade erst gedreht worden (lediglich der zum Streifen rasierte Schambereich von Frau Unger deutet auf ein Werk aus den 90ern hin). Auch die Tonqualität (Deutsch und Englisch wahlweise in 5.1 oder 2.0) ist glasklar, hier wurde alles richtig gemacht. Doch noch beeindruckender ist das Bonusmaterial mit einer Laufzeit von ca. 3 Stunden. Da gibt es sowohl neue Interviews mit Produzenten, Kameramann, Komponist und Casting Director, sowie alte Interviews mit Cast und Crew, die zum Kinostart entstanden. Außerdem gibt es einen Talk mit Cronenberg und seinem Lieblingsdarsteller Viggo Mortensen (Tödliche Versprechen), verschiedene Trailervarianten, ein Blick hinter die Kulissen und drei Kurzfilme des Meisters. Abgerundet wird das optisch ansprechende Mediabook mit einem 40-seitigen Booklet, verfasst von Stefan Jung und „Mr. Booklet“ Christoph N. Kellerbach. Mehr geht nicht.

Trailer:

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