Das Kino des Nouvelle Vague war gegen die eingefahrene Bildsprache und den vorhersehbaren Erzählfluss bisheriger Filme und wurde von François Truffaut 1954 erstmals als theoretische Grundlage in einem Artikel definiert. Truffauts Forderung war, dass Regisseure und Autoren einen stetigen Bezug zum Kino haben müssen und sich nicht von Schriftstellern vorschreiben lassen sollten, was verfilmbar sei und was nicht. Nur so sei eine weitere Verbiederung des französischen Kinos zu unterlaufen. Truffaut schrieb später anhand eines Zeitungsartikels den ersten Entwurf zu Ausser Atem, welcher später von Jean-Luc Godard für seinen ersten Langfilm zu einem Drehbuch umgeschrieben wurde. Mit seinem Film begründete er das Kino des Nouvelle Vague und schuf damit einen zeitlosen Klassiker der Filmgeschichte, der nun vom STUDIOCANAL Unterlabel ARTHOUSE als restaurierte Fassung veröffentlicht wurde.

Originaltitel: À bout de souffle

Regie: Jean-Luc Godard

Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Jean Seberg,Jean-Pierre Melville, Jean-Luc Godard

Artikel von Kai Kinnert

Der Bonvivant Michel Poiccard – ein Gauner, Rebell, Draufgänger auf der Jagd nach seinem Vergnügen. In einer gestohlenen Luxuslimousine ist er auf dem Weg nach Paris. Doch er gerät in eine Geschwindigkeitskontrolle. Ein Polizist stellt ihn und wird von Michel kaltblütig erschossen. Auf der Flucht vor dem Gesetz taucht er bei Patricia, einer Zeitungsverkäuferin, die Journalistin werden will, unter. Er versucht Geld für die gemeinsame Flucht nach Italien zu beschaffen. Aber der Kreis der Polizei wird immer enger. Patricia wird verhört. Sie muss sich entscheiden: Karriere oder Liebhaber?

Paris in Schwarz/Weiß…Autos…Belmondo…Zigaretten…ein Mord und die Liebe. Avantgarde, wild und frei…Arroganz und Leidenschaft, technisch wie inhaltlich, das ist Ausser Atem. Diese Art von Kino mag man – oder man mag sie nicht. Dieser Film lässt wenig Platz für Grauzonen im Geschmack. Das Drehbuch liefert nur wenig Struktur und schafft Raum für das Charisma der Bilder und der beiden Schauspieler, die eine unmögliche Liebe frisch erscheinen lassen und den Spannungsbogen vergessen machen. Mögen auch die Dialoge heute nicht mehr zeitgemäß sein und der sommerliche Ganoven-Liebesreigen intellektuell ein wenig aufgesetzt wirken, so ist doch die Bildsprache bis heute zeitlos und die Inszenierung flott gestrafft.

Jean-Paul Belmondo quarzt ein filterlose Kippe nach der anderen und ist auch sonst mit einer angeborenen, cinematografischen Coolness gesegnet. Frisch und frech liefert Belmondo hier den Grundstein seiner Karriere ab, bestens flankiert von einer attraktiv-charmanten Jean Seberg, die wie ein junges, modernes Paris wirkt. Paris, überhaupt Paris. Ohne großen Aufwand und teils einfach so auf der Straße gedreht, flaniert das Paar durch die zeitlosen Stadt, liefert sich französische Beziehungsdialoge und ist umgeben von einer Menge Verkehr, Passanten und Straßenatmosphäre. Diese durchdacht hingeschmissenen Bilder sind streckenweise großartige Fotografie, ein Spiel mit dem Medium Kino, inszeniert durch eine gewagt wackeligen Kameraführung. Die Kamerafahrten schlingern gekonnt, Timing ist eben alles. Scheinbar aus dem Rollstuhl heraus gefilmt, besitzen die Fahrten bis heute eine zeitlose Moderne und geben dem Film eine durchdachte Eleganz, gerahmt von vielen weiteren, tollen Einstellungen lässig-arroganter Leichtigkeit.

Ausser Atem ist Filmkunst. Die Grundlage der Story ist ein Gefühl und genauso wird sie inszeniert. Belmondo und Seberg füllen den Film aus, Paris liefert den Zwischenton und Godard gelingt es, den intellektuellen Grundgedanken der Story in filmische Leichtigkeit zu transformieren. Freunde der Filmkunst und der schwarz/weiß-Fotografie bekommen hier fantastisches Kino voller moderner Einfälle. Hier siegt die Metaebene über Struktur und einer berechenbaren Dramaturgie. Die Spannung ergibt sich aus der Kamera, dem Schnitt und den Gesichtern der Schauspieler – das Geschehen tritt dabei fast in den Hintergrund. Eigentlich genial, wenn man so etwas mag. Ansonsten würde es langweilig werden.

Das Bild der Blu-ray ist satt und klar, die Körnung des Filmmaterials wurde nicht zu Tode gefiltert und der Ton ist gut. Als Extras gibt es die kleine Dokumentation „Immer noch nicht…Außer Atem„, eine Einführung von Colin Maccabe, die Doku „Zimmer 12, Hotel De Suede„, die TV Sendung „Tempo – Godard„, ein Interview mit Jefferson Hack und Trailer.

Trailer:

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