Nach einem kurzen Kinogastspiel im Sommer erscheint die morbide Erwachsenenvariante des berühmten Grimmschen Märchens jetzt, passend zur dunklen und  tristen Jahreszeit, im Heimkino. Im Fokus steht dabei ES-Darstellerin Sophia Lillis, die als ältere Schwester versucht, den kleinen Hänsel zu beschützen. Diese Aufgabe erschweren eine böse Hexe und ein Vampir, der jedoch nur kurz vorbei schaut. Klingt ungewöhnlich, was uns CAPELIGHT PICTURES hier präsentiert und entpuppt sich in der Tat als beklemmender Erwachsenenhorror, der unter der Regie von Anthony Perkins´ Sohn Osgood Perkins entstand.

Originaltitel: Gretel & Hansel

Regie: Osgood Perkins (aka Oz Perkins)

Darsteller: Sophia Lillis, Samuel J. Leakey, Alice Krige, Jessica De Gouw, Charles Babalola

Artikel von Christian Jürs

„Ich hab´eine kleine Nichte, wenn ich für die singe ‚Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald…‘, dann sagt die ’sag mal, spinnst Du?‘.

Für sie muss sich Hänsel und Gretel in etwa so anhören…“

– Otto Waalkes (1983)

Treffender als der ostfriesische Blödelbarde hätte man die Kritik zu Gretel & Hänsel nicht einleiten können. Doch was Osgood Perkins hier auf die Leinwand gebannt hat, hätte Ottos Nichte, zumindest damals, mit Sicherheit um den Schlaf gebracht.

Diesmal gibt es nämlich keinen lieben Papi, der sich von seiner neuen Flamme überreden lässt, die Kids im Wald auszusetzen, wo sie sich von Bambi und Klopfer ernähren können (oder die von ihnen, wer weiß dass schon so genau?) und der sich nach dem Tod der Ollen doch als ganz dufter Daddy herausstellt, der sich nur des Beischlafs wegen bequatschen ließ. Sorry Kids, aber Papi ist hier zu Beginn bereits Wurmfutter. Dafür hat die alleinerziehende Mami (Fiona O´Shaughnessy) nicht mehr alle Latten am Zaun. Außer sich vor Hunger und Verzweiflung, scheucht sie die Kinder mit der Axt aus dem Haus. Für die pubertierende Gretel (Sophia Lillis) wäre dies kein allzu großes Problem, könnte sie doch notfalls in einem Frauenhaus unterkommen. Doch ihr kleinerer Bruder Hänsel (Samuel J. Leakey) bliebe auf der Strecke. Ihren Schwester- und Mutterinstinkten folgend, kümmert sich Gretel fortan um den Jungen, mit dem sie sich hinaus in den Wald begibt, um irgendwo Nahrung und eine Unterkunft zu bekommen. Doch bereits in der ersten Nacht soll sich dies als gar nicht so einfach entpuppen, machen die Geschwister doch unliebsame Bekanntschaft mit einem abgemagerten Vampir (Jonathan Gunning). Zwar weiss sich Gretel zu wehren, doch benötigt sie die Hilfe eines Jägers (Charles Babalola), um das Leben ihres Bruders vor der Kreatur zu retten.

Aus Verzweiflung und aus unmenschlichem Hunger, laben sich die Kids an vermeintlich harmlosen Pilzen, die mit ihrem roten Hut und den weißen Punkten verdächtig ausschauen. Während des folgenden, intensiven Trips, erblickt Gretel eine düstere Gestalt in den Wäldern, die sie zu rufen scheint. Was zunächst wie eine Halluzination wirkt, entpuppt sich als höchst real, als die Geschwister auf einer Lichtung ein düsteres Haus erblicken. Darin sind so viele Leckereien aufgebahrt, als würde der Vorstand des Volkswagenkonzerns den Überschuss an staatlichen Fördermitteln feiern. Doch es lebt nur eine einsame, ältere Dame (Alice Krige) in dem Waldhaus, die nur allzu gerne die Kinder bei sich aufnimmt und behütet…

Oz Perkins (Die Tochter des Teufels) ist ganz wie der Papa und widmet sich, neben der Schauspielerei, dem Drehen von Horrorfilmen. Seine Interpretation des bekannten Märchens der Gebrüder Grimm ist aber kein Abstecher in den Splatterhorror, sondern eine feinfühlig erzählte Coming-of-Age-Geschichte in beklemmender, trister Umgebung. Im Wald ist es kalt, schmutzig und trist, genau wie das Leben der beiden Geschwister. Die herbstlichen Bilder des scheinbar endlosen Waldes werden stimmungsvoll eingefangen und der wummernde Soundtrack von Robin Coudert (Alexandre Ajas Maniac) unterstreicht die Atmosphäre wunderbar. Insbesondere der Pilztrip wirkt, dank Musik und leicht verfremdeter Bilder, höchst real. Im Inneren des Hexenhauses dagegen bekommen wir ein Gemisch aus warmem Orange und eiskaltem Blau, was den Wechsel zwischen Geborgenheit und tödlicher Gefahr gekonnt verdeutlicht.

Apropos Hexe, die wird, in ihrer alten Form von Alice Krige verkörpert, der Borg-Königin aus dem Star Trek Universum. Eine bessere Wahl hätte man nicht treffen können. Der größte Besetzungscoup ist aber Sophia Lillis, die, nach dem leider verfrühten Absetzen der Netflix-Serie I Am Not Okay with This, erneut beweist, dass sie eine Produktion mit ihrem Schauspiel locker alleine stemmen kann. Muss sie aber nicht, ihre Co-Stars unterstützen sie bestens.

Wer offen ist für einen ruhig erzählten, herbstlichen Gruselfilm mit guten Darstellern, der ist dürfte, wie ich, Gefallen finden an Gretel & Hänsel, der in verschiedenen Editionen im Handel erschienen ist. Bild- und Tonqualität der zum Test vorliegenden Blu-ray und DVD sind phantastisch. Die Synchronisation ist gut, auch wenn Sophia Lillis immer noch keine feste Synchronstimme hat, was aber zu verschmerzen ist, da sich ihre Sprecherin Stella Sommerfeld als passend herausstellt. Als Bonus gibt es lediglich den Trailer, sowie, in den Mediabookvarianten ein ausführliches Booklet von Marco Heiter, dass, wie immer im Hause Capelight Pictures, mit äußerst stabilem Papier daher kommt.

Insgesamt eine Veröffentlichung, mit der Ottos Nichte durchaus zufrieden sein dürfte.

Trailer:

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