Das Kino der „New Hollywood“-Ära hat einige Perlen hervorgebracht, die heute zurecht als Klassiker des modernen Kinos bezeichnet werden. Besonders politik- und systemkritische Filme zeichnen diese bedeutende Epoche aus. Sidney Lumets unbequemes Cop-Drama SERPICO (1973) darf zu Recht zu den großen Meilensteinen der 1970er Jahre gezählt werden. Studiocanal hat den Film kürzlich in einer aufwendig restaurierten Fassung veröffentlicht, ein Grund, ihn nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen!

Originaltitel: Serpico

Drehbuch: Waldo Salt, Norman Wexler; nach dem gleichnamigen Buch von Peter Maas
Regie: Sidney Lumet

Darsteller: Al Pacino, John Randolph, Jack Kehoe, Biff McGuire, Barbara Eda-Young, Cornelia Sharpe…

Artikel von Christopher Feldmann

Sidney Lumet zählte seiner Zeit zu den ganz großen Regisseuren, der die Erwartungen immer auf ganz eigenen Wegen umging und sich den Konventionen des Publikums nie beugen wollte. So legte er seit dem Anfang seiner Karriere immer wieder den Finger in die Wunde und behandelte Missstände in der Gesellschaft auf seine ganz eigene Weise. Man nehme zum Beispiel seinen Debütfilm, das Gerichtsdrama DIE ZWÖLF GESCHWORENEN (1957), in dem Lumet mit der Gleichgültigkeit des Schuldspruchs im Geschworenenzimmer abrechnet und zu mehr Respekt vor dem menschlichen Leben aufruft. Ein Film, der mit Fug und Recht heute noch als zeitloses Meisterwerk gilt und ein Referenzbeispiel für Seminare über Gruppendynamiken darstellt. Aber auch in den Folgejahren wurde der 2011 verstorbene Filmemacher nicht sanftmütiger und beackerte unterschiedliche Themengebiete. In NETWORK (1976) ging er mit dem Medium Fernsehen ins Gericht und in der Agatha-Christie-Verfilmung MORD IM ORIENT-EXPRESS (1974) wird das Thema Selbstjustiz und die Frage nach Gerechtigkeit zum Kern der Geschichte. Für großen Wirbel sorgte er allerdings mit dem Cop-Drama SERPICO (1973), mit dem er nicht nur den Polizeiapparat zerpflückte, sondern auch gleich einen ganzen Rechtsstaat in Misskredit brachte. Das zeugt nicht nur von Größe, sondern sorgte auch dafür, dass die, auf wahren Ereignissen fußende Geschichte zu den ganz großen Klassikern der „New Hollywood“-Bewegung gezählt wird.

Handlung:
Frank Serpico (Al Pacino) träumte schon immer davon, einmal Polizist zu werden. Als er nach jahrelanger Ausbildung sein Ziel endlich erreicht hat, muss er erkennen, dass die edle und für ihn unantastbare Polizei ebenso verkommen ist wie das Verbrechen, dass er eigentlich bekämpfen möchte. Korruption ist hier an der Tagesordnung und entsetzt muss Serpico feststellen, dass nicht nur kriminelle Aktivitäten für ein paar schnelle Dollar gedeckt, sondern auch Verdächtige misshandelt werden. Mit seinem Gerechtigkeitssinn macht sich der andersdenkende Cop auf, dies zu unterbinden, was ihn allerdings bei Kollegen und Vorgesetzten wenig beliebt macht.

SERPICO basiert auf den realen Ereignissen. Der echte Frank Serpico erlebte das Meiste so wie im Film dargestellt und schied 1972 aus dem aktiven Dienst der Polizei aus, nachdem er, als erster Polizist überhaupt, vor einem Untersuchungsausschuss gegen die systematische Korruption in der Behörde aussagte. Gemäß dem biografisch aufgezogenen Buch von Peter Maas, erzählt Lumet des steinigen Weg Serpicos recht fragmentarisch. So erhält der Zuschauer Einblick in die verschiedenen Lebensabschnitte des Protagonisten, von der Vereidigung über die erste Dienstzeit, bis hin zu den letzten Jahren als Gesetzeshüter. Dabei zeichnet der Film ein düsteres und pessimistisches Bild der sonst so edel stilisierten Polizei. Vom erhabenen Glanz des uniformierten Gesetzeshüters, der sich mit Leib und Seele der Bekämpfung von Verbrechen verschrieben hat, ist in SERPICO nichts mehr übrig. Stattdessen bekommt es Frank mit faulen Kollegen zu tun, die eine ruhige Kugel schieben und es mit Moral und Berufsethos nicht ganz so ernst nehmen. Dabei wirkt die Hauptfigur selbst auf mehreren Ebenen entrückt. So ist Frank eher ein Querdenker mit eigenen Methoden, die sich erheblich vom altgedienten Konzept der Ermittlungsarbeit abgrenzen und auch optisch passt er immer weniger in das Bild des traditionellen Polizisten. Mit wuschigem Bart und langen Haaren transformiert der Italo-Amerikaner immer mehr zum hippiesken Idealisten, zu einem Fremdkörper im System, der sich nicht nur vom moralischen Standpunkt, sondern auch vom Aussehen her abgrenzt.

Aber auch er selbst wird nicht als schillernde Persönlichkeit dargestellt, denn das Drehbuch macht sich auch die Mühe, Serpico als desillusionierten Menschen zu zeigen, der langsam aber sicher an seinen Wertevorstellungen und seinem Idealismus zerbricht. Es ist das Portrait eines seelischen Verfalls und die Dekonstruktion einer ansonsten unantastbaren Institution, die ganz „New Hollywood“-Like alles andere als frohlocken lässt. Den einzigen Kritikpunkt, den man anbringen könnte, wäre das Fehlen von guten Nebenfiguren. Der Film ist gänzlich auf seinen Protagonisten zugeschnitten und lässt nicht viel Platz für weitere Charaktere. Natürlich war es Lumets Ziel, keine großen Sympathieträger zuzulassen, dennoch wäre eine etwas differenziertere Betrachtungsweise der korrupten Cops interessant gewesen.

So liegt es gänzlich an Schauspiel-Ikone Al Pacino, den Film zu tragen. Und das meistert der Oscar-Preisträger mit absoluter Bravour. Pacino, der zuvor mit DER PATE (1972) erstmals auf sich aufmerksam machte, liefert hier eine brillante Performance ab, bevor er mit DER PATE 2 (1974) so richtig durchstarten sollte. Noch weit entfernt von seinem „Hoo Haa“-Image späterer Jahre, verkörpert Pacino den Archetypen des „New Hollywood“-Kinos. Der andersartige, gegen die Konventionen agierende Außenseiter, der Missstände anprangert und dem „alten“ System auf die Finger klopft. Wahrscheinlich repräsentiert keine Figur diese Strömung so passend wie Frank Serpico. Die restlichen Figuren sind indes lediglich Stichwortgeber und dienen dazu, den Motor am laufen zu halten.

Auch inszenatorisch präsentiert Sidney Lumet ein düsteres, sowie dreckiges Bild New Yorks. Dunkle Gassen, schäbige Hinterhöfe, Raub, Mord und Vergewaltigungen an jeder Straßenecke. Die Metropole ist ein Sumpf, das Ergebnis der Korruption, durch die Gesetz und Verbrechen Hand in Hand gehen. Lumets zynisches Bild reiht sich problemlos in die ebenfalls ungeschönten Betrachtungen von Filmen wie FRENCH CONNECTION (1971), HEXENKESSEL (1973) oder TAXI DRIVER (1976) ein.

Studiocanal hat jüngst über ihr Sub-Label Arthaus den Cop-Klassiker in einer restaurierten Fassung veröffentlicht. So ist Lumets Thriller von nun an auch als 4K-Variante erhältlich, im schicken Steelbook, der auch eine normale Blu-ray beiliegt. Uns lag dankenswerterweise BD vor, die den Film in noch nie dagewesener Bild- und Tonqualität anbietet. SERPICO sieht verdammt gut aus, verfügt über eine detailreiche Schärfe und besitzt immer noch genug Filmkorn, um seine raue Authenzität zu bewahren. Einzig der leichte Blaustich könnte manche Filmfreunde etwas stören, für mich hat er allerdings perfekt zum Film gepasst. Der Ton klingt ebenfalls knackig, was die Restaurierung perfekt abrundet. Auch das Bonusmaterial kann überzeugen, denn neben dem Trailer und zwei Featurettes, bekommt der Zuschauer eine neue Dokumentation über den echten Frank Serpico.

Fazit:
Sidney Lumets SERPICO (1973) ist einer der großen „New Hollywood“-Klassiker, der dem Polizeiapparat gehörig an den Kragen geht. Die ungeschönte Darstellung von Korruption und Machtmissbrauch wird von einer rauen, dreckigen Inszenierung unterstützt, der ein großartig aufspielender Al Pacino den letzten Schliff verpasst. Ein Meisterwerk, das in jede gute Filmsammlung gehört.

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