Der erste Film von Pete Walker, den ich im Alter von 14 Jahren gesehen habe, war „Das Haus der langen Schatten“ (1983). Dieser lief 1990 im Nachtprogramm des ZDF und ich war zunächst erstaunt über manch blutige Szene. Doch das Ende hat mich damals (im Gegensatz zu heute) nicht überzeugt. Dann fiel mir die VHS von „Frightmare – Alptraum“ (1974) in die Hände – und der hat mich regelrecht von den Socken gehauen. Ein vergleichbares Horror-Feeling kannte ich damals nur von Tobes Hoopers „Blutgericht in Texas“ (1974). „Frightmare“ ist sicherlich der bekannteste Horrorstreifen von Pete Walker und wurde nach über 35 Jahren endlich vom Index entlassen. Am 26. Juni 2020 veröffentlichte WICKED VISION den Film als Nr. 4 der Pete Walker Collection. Und diesmal ist auch die FSK 16-Freigabe ohne Einschränkung gültig.

Originaltitel: Frightmare

Regie: Pete Walker

Darsteller: Rupert Davies, Sheila Keith, Deborah Fairfax, Paul Greenwood

Artikel von Holger Braasch

Das schrullige Pärchen Edmund (Rupert Davies) und Dorothy (Sheila Keith) lebt in einem alten Bauernhaus. Die letzten 18 Jahre haben beide jedoch in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie verbracht, da Dorothy eine kulinarische Vorliebe für Menschenfleisch entwickelt hatte. Jetzt gilt die Kannibalin als geheilt, was vor allem auch ihrem treuen Ehemann Edmund zu verdanken ist, der sie damals ins Irrenhaus begleitete. Die beiden haben zwei Töchter. Jackie (Deborah Fairfax), Edmunds Tochter aus erster Ehe, besucht Dorothy gelegentlich, um ihr mysteriöse Pakete vorbeizubringen, die Dorothy offenbar Freude bereiten. Debbie (Kim Butcher) ist Jackies jüngere Stiefschwester, die ihre Eltern nie kennengelernt hat, da sie in einem Waisenhaus aufgewachsen ist. Nun kümmert sich Jackie um die aufmüpfige Debbie, die mit ihren Rocker-Kumpels herumzieht und den Ärger regelrecht anzieht. In einer Kneipe kommt es schließlich zu einer handfesten Auseinandersetzung, weil der Barkeeper sich weigert, die minderjährige Debbie zu bedienen. Nach einer kurzen Schlägerei liegt der Barkeeper blutend am Boden. Als gerade niemand hinsieht, geht Debbie zu dem verletzten Mann und meuchelt ihn dahin.

Die Rocker ahnen zunächst nicht, dass sie mit einer Mörderin herumziehen, doch als die Polizei auf die Gruppe aufmerksam wird, will Debbie den Verdacht auf ihre Kumpels lenken. Na so ein Früchtchen. Jackie ahnt von der ganzen Sache nichts und hält die Zeit für gekommen, um Debbie mit ihrer leiblichen Mutter bekannt zu machen, die inzwischen wieder in ihrem früheren Job als Kartenlegerin und Wahrsagerin aktiv ist. Und siehe da – zwischen den beiden entwickelt sich schnell eine Art Seelenverwandtschaft. Wie die Mutter, so die Tochter. Es stellt sich bald heraus, dass Dorothy ihren kannibalischen Vorlieben keineswegs abgeschworen hat. So verschwinden immer mehr Leute auf rätselhafte Weise, doch es scheint keine Spur zu geben, die auf Dorothy hindeutet – noch nicht. Bevor Jackie und ihr Freund Graham (Paul Greenwood) dem mörderischen Treiben auf die Schliche kommen, befinden sie sich schon mittendrin in einem blutigen Alptraum.

Den Einfluss von Psycho (1960) und Blutgericht in Texas (1974) verhehlt Pete Walker in seinem Psycho-Schocker nicht, dennoch gelingt es ihm mit Leichtigkeit, sich von seinen Vorbildern abzuheben und eigene Akzente zu setzen. Nach Das Haus der Peitschen (1974) war Frightmare der zweite Film, den Pete Walker mit Sheila Keith gemacht hat. Zuvor hatte die Schauspielerin keine vergleichbaren Rollen verkörpert, fand aber schnell Gefallen daran, mal so richtig böse sein zu dürfen. Zuvor kannte man die Darstellerin vor allem aus britischen Serien, wie Sherlock Holmes (1965), Crossroads (1967) oder Simon Templar (1968). Mit Pete Walker verstand sie sich gut und so wirkte sie in insgesamt 5 Filmen von Walker mit. Dass Frightmare von der Kritik verhältnismäßig gute Stimmen bekam, dürfte vor allem Sheila Keiths überzeugendem Schauspiel zu verdanken sein.

Auch Rupert Davies gibt eine glaubhafte Vorstellung als Ehemann ab, der seiner bösartigen Frau treu ergeben ist. Er wirkte zuvor in diversen britischen TV-Produktionen mit, aber auch im Horror-Genre war er kein Unbekannter. So spielte er in Michael Reeves‚ Kult-Klassiker Der Hexenjäger (1968) mit. Weitere einschlägige Werke waren Die 13 Sklavinnen des Dr. Fu Man Chu (1966), „Draculas Rückkehr“ (1968), Die Hexe des Grafen Dracula (1968) und Im Todesgriff der roten Maske (1969). Außerdem war er auch in Der Spion, der aus der Kälte kam (1965) zu sehen und in dem Thriller Jagd durchs Feuer (1971). Bei letzterem warte ich schon lange auf eine Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray. In den 80ern lief er ein paar Mal im TV, mittlerweile ist dieser Film leider in der Versenkung verschwunden – wie so einige tolle Filme.

Dass es alte Leute manchmal faustdick hinter den Ohren haben, zeigte Pete Walker schon in Im Rampenlicht des Bösen (1972). Und nach dem Motto „Blut ist dicker als Wasser„, entpuppte sich am Ende auch dort eine Familiengeschichte als Ursprung des Grauens. Dieses Motiv prägte auch die folgenden Psycho-Horror-Filme von Pete Walker. Um sich von seinen Kollegen im Horrorgenre abzuheben, pflegte er seine Werke als Terror-Filme zu bezeichnen. Und makabren Terror bekommt man in diesen Filmen auch geboten, jedoch immer mit einem Augenzwinkern und einer gehörigen Portion schwarzen Humors. In ihren Gewaltdarstellungen wirken Werke, wie Das Haus der Peitschen, Das Haus der Todsünden (1975) und Frightmare allerdings immer noch recht unangenehm und schmutzig. Pete Walker versteht es, den Zuschauer zu fesseln und so leidet man förmlich mit, wenn eine der Figuren plötzlich brutal niedergemetzelt wird. Man leidet aber auch mit Dorothy, wenn sie versucht ihrem mörderischen Drang zu widerstehen und schließlich zur rasenden Furie wird. Am Ende übernimmt buchstäblich der Wahnsinn die Regie – und das ist verstörend und komisch zugleich.

Bei der Bohrmaschinen-Szene kam mir unweigerlich Bloodsucking Freaks (1976) in den Sinn, der ca. zwei Jahre später mit seinen Gore- und Splatter-Darbietungen für Aufsehen sorgte. Für seine Entstehungszeit hat Frightmare also durchaus ein paar recht garstige Gore-Momente zu bieten, allerdings sind diese nur kurz zu sehen und werden wohldosiert eingesetzt. Der Film lebt jedoch mehr von seiner morbiden Atmosphäre und seinen Darstellern. Wenn Dorothy in ihren Karten liest, weiß sie oft verblüffend viel über ihre Kundschaft. Mitunter hat man gar den Eindruck, dass sie wirklich übersinnliche Kräfte hat. Dies wirkt jedoch keineswegs an den Haaren herbeigezogen, sondern bringt eine interessante phantastische Note mit in den Film und steigert noch die unheimliche Ausstrahlung, die Sheila Keith ihrer Rolle verleiht. Weniger überzeugend ist meiner Meinung nach die Sache mit den mysteriösen Paketen, die Jackie ihrer Stiefmutter vorbeibringt. Was es damit auf sich hat, will ich zwar nicht verraten, doch der genrekundige Zuschauer dürfte schon früh ahnen, dass da etwas nicht stimmt. Am Ende hält der Film dann auch einen ganz besonders fiesen Schocker für den Zuschauer bereit, der allerdings weniger mit den geheimnisvollen Paketen zu tun hat – soviel darf verraten werden.

Damals kam der Film offensichtlich unzensiert mit einem R-Rating durch. Dennoch wurde die amerikanische Videoveröffentlichung von Prism Video leicht gekürzt und kurioserweise als Frightmare II vermarktet. In Deutschland kam der Film ungekürzt von VMP unter dem Titel Frightmare – Alptraum auf Video heraus und landete recht schnell auf dem Index. Obwohl Koch Films bereits 2004 eine ungekürzte DVD-Veröffentlichung mit einer (tatsächlich erhaltenen) FSK 16-Freigabe herausgebracht hat, wurde die Indizierung erst 2020 aufgehoben. Die DVD wurde zwar damals zurückgezogen, doch da waren bereits etliche Exemplare über den Ladentisch gegangen. Konsequenzen gab es deswegen offenbar keine und so konnte man diesen Streifen damals schon in sehr guter DVD-Qualität genießen. Die DVD von Koch Films schlägt sich immer noch gut und zeigt den Film im unmaskierten Bildformat (1,33:1). Leider enthält sie keinerlei Extras.

In drei limitierten Mediabooks brachte Wicked Vision den Film letztes Jahr als neue HD-Abtastung auf Blu-ray und DVD heraus. Cover A ist limitiert auf 444 Stück, Cover B und C sind jeweils limitert auf 222 Stück. Im Bonusmaterial sind enthalten: Audiokommentar von Lars Dreyer-Winkelmann, Audiokommentar mit Regisseur Pete Walker und Kameramann Peter Jessop, Dokumentation: „Frightful Thoughts“ (Im Gespräch mit Pete Walker), Dokumentation: „For the Sake of Cannibalism“ (Die Herausforderungen von Frightmare), Featurette: „Sheila Keith: A Nice Old Lady?“ (Sheila Keith: Eine nette alte Frau?), Originaltrailer und eine Bildergalerie (mit 18 Bildern). Die Extras sind optional deutsch untertitelt. Außerdem gibt es noch ein 24-seitiges Booklet mit einem Text von David Renske.

Trailer:

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