Er gilt gemeinhin als einer der schlechtesten Regisseure aller Zeiten und wahrscheinlich würde er mir für das Widerkäuen dieser Bezeichnung direkt eine aufs Fressbrett hauen. Ja, richtig gelesen, Uwe Boll meldet sich zurück in der Filmwelt und versucht an seine letzten durchaus politischen Werke anzuknüpfen. HANAU (2022) portraitiert den Amoklauf des rechtsextremen Tobias Rathjen, der am 19. Februar 2020 zehn Menschen und anschließend sich selbst erschoss. Tiberius Film veröffentlicht das filmische Psychogramm hierzulande im Heimkino und ob Boll mit dem Werk tatsächlich ein fulminantes Comeback feiern kann, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Hanau

Drehbuch: Uwe Boll, Steffen Mennekes

Regie: Uwe Boll

Darsteller: Steffen Mennekes, Radost Bokel, Imad Mardnli, Tito Uysal…

Artikel von Christopher Feldmann

Uwe Boll ist eine durchaus streitbare Persönlichkeit. Man muss ihm zugestehen, dass er es mit eisernem Willen und exorbitanten Durchhaltevermögen zu einem produktiven Filmemacher gebracht hat, der internationale Kino-Produktionen stemmen konnte und dabei sogar mir reihenweise namenhaften Darstellern zusammenarbeitete. Die Qualität seiner Werke ist aber durchaus umstritten, die zahlreichen und ziemlich unterirdischen Videospiel-Verfilmungen wie ALONE IN THE DARK (2005), BLOODRAYNE (2005), DUNGEON SIEGE (2007) oder dem kaum zu ertragenden Anarcho-Klamauk POSTAL (2007) riefen sogar Petitionen ins Leben, mit denen man Boll daran hindern wollte, weiterhin Spielfilme zu drehen. Allerdings bewegte sich der gebürtige Wemelskirchener Ende der 2000er Jahre auf ein deutlich politischeres und gesellschaftskritischeres Terrain und packte seine ganze Wut zu den unterschiedlichsten Themen in Low-Budget-Filme wie ASSAULT ON WALL STREET (2013), DAFUR (2009) oder die RAMPAGE-Trilogie (2009-2016). Zwar zeigte Boll bei diesen deutlich reiferen Arbeiten ehrliche Absichten und den Willen zu mehr Substanz, die Kritiker hämmerten aber weiterhin auf seine handwerklich und künstlerische Limitierung ein. Nach fünf Jahren Pause meldet sich Provokateur Boll zurück, mit einem Film über einen erschütternden Amoklauf, der gerade einmal zwei Jahre auf den Buckel hat. HANAU (2022) reiht sich sehr gut in die bisherigen Boll-Produktionen ein und lässt Ambitionen erkennen, allerdings bedeutet das noch lange keinen guten Film.

Handlung:
Während eines rassistisch motivierten Amoklaufs im hessischen Hanau tötet Tobias R. (Steffen Mennekes) am 19. Februar 2020 neun Bürger, seine Mutter und dann sich selbst. Die eigenen Worte seines Manifestes deuten auf schwere psychische Probleme hin. Dieses Psychogramm eines Massenmörders zeigt, wie der zurückgezogene Tobias R. sich durch Fake News und Verblendung jahrelang radikalisierte, bevor es zur Katastrophe kam.

Als sich die Neuigkeit verbreitete, dass ausgerechnet Uwe Boll die Todesnacht von Hanau als Film umsetzen würde, sorgte dies für erhitzte Gemüter. Opfer und Hinterbliebene fühlten sich vor den Kopf gestoßen, viele Kritiker empfanden es als geschmacklos und unterstellten dem Filmemacher, das noch relativ frische Leid anderer zu missbrauchen, um bewusst zu provozieren, immerhin sei er ja Uwe Boll. Wie die Produktion schlussendlich abgelaufen ist, ob sich Boll selbst mit den entsprechenden Stellen ausgetauscht hat oder zumindest den Willen hatte, dies zu tun (was ja für weiteren Pressewirbel sorgte), sei mal dahingestellt. Unterm Strich attestiere ich ihm guten Gewissens einen gewissen künstlerischen Anspruch und den Versuch ein Mahnmal zu kreieren, dass auf entsprechende Entwicklungen eindringlich hinweist und Menschen sensibilisieren soll, Warnhinweise zukünftig früher wahr und ernst zunehmen.

HANAU ist schwierig, da sich der Film voll und ganz dem Täter Tobias Rathjen widmet und das Psychogramm eines Mannes sein will, der sich durch eigene Wahnvorstellungen und wilde Verschwörungstheorien radikalisieren ließ, bevor er in der schicksalshaften Nacht damit begann, Menschen mit Migrationshintergrund zu erschießen. Dabei folgt die Kamera sklavisch dem von Steffen Mennekes gespielten Antagonisten. Zwar werden dessen Selbstgespräche und kruden Monologe kühl und ausführlich gezeigt, wirklich viel Fleisch enthält das Ganze aber nicht. Wie Rathjen überhaupt diese Form von Wahnsinn entwickeln konnte, erzählt HANAU nicht, was bedeutet, dass persönliche Hintergründe und nachvollziehbare Entwicklungen vollkommen unklar bleiben. Man sieht lediglich einem verwirrten und in meinen Augen vollkommen kranken Menschen zu, der die ganze Zeit redet. Natürlich will der Film die Persönlichkeit des Täters greifbar machen, es bleibt trotzdem nur schemenhaft.

Wenn es dann irgendwann zum Amoklauf kommt, dann liefert Boll kühl und direkt ab, ungeschönt eben, emotionslos. Zwar bekommen die Opfer Rathjens ebenfalls keinen Raum und bleiben lediglich Statisten aber das macht die Tat auch irgendwie umso krasser. Insgesamt verweigert sich der Regisseur und Co-Autor sowieso einer wirklichen Haltung entzieht sich jeglicher Form von Pathos, was die Darstellung schlussendlich effektiv macht. Das und die Tatsache, dass man hier wirklich versucht vor ähnlichen Verbrechen zu warnen, machen den Film zumindest nicht ganz so ärgerlich wie sonstige Stammtischparolenfilme alá ASSAULT ON WALL STREET. Nach guten 60 Minuten ist die Chose dann auch vorbei, es folgen relativ willkürlich eingestreute Aufnahmen von Trump, Höcke, Hildmann und Konsorten, bevor dann der Meister selbst vor die Kamera tritt und in schluderig runtergefilmten Aufnahmen Tatort-Sightseeing betreibt. Gerade diese letzten Minuten sind vollkommen unnütz und bilden auch keinen Mehrwert für den Zuschauer, vor allem weil es wirkt, als hätte Boll diese Idee spontan umgesetzt, ohne sich einen wirklichen Text zurechtzulegen und ein inszenatorisches Konzept zu haben.

Die Inszenierung ist dann auch so ein Problem. Boll war noch nie ein guter Regisseur, sondern eher jemand mit teilweise interessanten Ideen aber nicht wirklichem handwerklichen Geschick. Das merkt man auch im Fall von HANAU relativ schnell. Natürlich war hier kaum Budget vorhanden, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass Boll in Deutschland einfach zu viel verbrannte Erde hinterlassen hat, als das ihm jemand freiwillig Geld für ein Filmprojekt gibt und auch schon gar nicht für eines wie dies hier. Die Fokussierung auf den Täter könnte daher auch den begrenzten Mitteln geschuldet sein, die Boll selbst aufbringen musste. Es ist schade, dass andere Aspekte wie die Tatsache, dass Rathjen vorher durchaus auffällig geworden war, einen Waffenschein hatte und die Polizei wie auch das ganze System versagte, eigentlich komplett unter den Tisch fallen. So wirkt HANAU wie ein Zusammenschnitt von schnell geschossenem Amateur-Material, mit wenig Professionalität angefertigt, obwohl es solch ein Thema eigentlich verdient hätte. Auch die Rolle des Tobias Rathjen hätte man mit einem richtig guten Schauspieler besetzen müssen, Mennekes gibt sich zwar sichtlich Mühe seine Zeilen mit viel Disziplin aufzusagen, wirklich überzeugen kann er nicht. Andere Leistungen lassen sich kaum beurteilen, muss Mennekes das Ganze alleine tragen.

HANAU erscheint über Tiberius Film im Heimkino. Uns lag ein Pressescreener vor, Bild- und Tonqualität waren solide, die Blu-ray beinhaltet als Extras einen Audiokommentar von Boll persönlich, ein Making-Of und den Trailer.

Fazit:

HANAU (2022) ist Uwe Bolls Comeback in der Filmwelt und lässt zumindest die Ambitionen erkennen, etwas nachhaltiges auf die Beine zu stellen, dass nicht nur warnend an eine schreckliche Tat erinnern soll, sondern auch als filmisches Mahnmal fungiert. Allerdings ist das Ganze im Endeffekt auch nur eine Nachstellung der Blutnacht, die zwar direkt und kühl die Ereignisse schildert, aber schlussendlich auch keinen wirklichen Mehrwert bietet. Man kann sich auch eigentlich einen ausführlichen, schildernden Artikel durchlesen und muss nicht zwingend diesen Film sehen. Gut gemeint ist eben nicht gut gekonnt und vielleicht hätte Boll diesen Film einfach nicht machen sollen, wird er der Tragweite doch einfach nicht gerecht.

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