Puuh, das war mal eine harte Packung! In unserer neuesten Kritik geht es zur Abwechslung mal in ganz andere Gefilde, denn mit NAILS (2003) von Filmemacher Andrey Iskanov flatterte uns russisches, experimentelles Amateurkino ins Haus, das nun über Digidreams Studios in HD erscheint. Ein genauer Termin für die Keep-Case-Variante, welche in der „Classic Cult Collection“ erscheint, ist noch nicht bekannt, ab Dezember werden aber zehn verschiedene Mediabook-Editionen erhältlich sein. Ob sich der Kauf dieses sechzigminütigen, surrealen Werks lohnt oder ob man hier wirklich Liebhaber sein muss, erfahrt ihr im Artikel.

Originaltitel: Gvozdi

Drehbuch & Regie: Andrey Iskanov

Darsteller: Svyatoslav Iliyasov, Alexandra Batrumova, Andrey Iskanov…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Der Hitman (Svyatoslav Iliyasov) hat gerade den Boss (Andrey Iskanov) und die Braut erledigt, als ihn daheim unerträgliche Kopfschmerzen befallen, gegen die kein Aspirin gewachsen scheint. In einem Magazin findet er einen Artikel über eine unorthodoxe Schmerztherapie und schlägt sich daraufhin mit dem Hammer einen Nagel in die Schädeldecke. Das bringt nicht nur vorübergehende Erleichterung, sondern öffnet auch ein Fenster zu bislang unerschlossenen Bewusstseinsregionen. Zur Beunruhigung des Hitgirls (Alexandra Batrumova) kommt der Hitman auf den Geschmack.

Eigentlich bin ich ein ziemlich pflegeleichter und umgänglicher Mensch, was sich auch auf den privaten Filmkonsum übertragen lässt. Gelegentlich werden Sichtungen gewagt, die nicht unbedingt immer in die eigene Komfortzone passen aber man sollte ja stets offen für Neues sein. Das dachte ich mir übrigens auch, als mir Kollege Christian den russischen Experimentalfilm NAILS (2003) schmackhaft zu machen versuchte. Meine Begeisterung hielt sich in deutlich messbaren Grenzen aber mein schlechtes Gewissen hätte mich mit Sicherheit geplagt, hätte ich die Chef-Hure auf der Scheibe sitzen lassen. Und bei einer Laufzeit von gerade einmal 60 Minuten war ich zuversichtlich, immerhin wäre das Ganze, sofern es mir nicht gefallen würde, schnell wieder vorbei. In der Annahme einen schnöden No-Budget-Splatterfilm geliefert zu bekommen, bei dem ich am Ende mit dem Satz „I’m too old for this Shit!“ um die Ecke komme, wurde ich tatsächlich von Andrey Iskanovs Debütwerk überrascht, denn NAILS ist ziemlich abgefahrener Tobak.

Dass der Regisseur, der übrigens auch für das Drehbuch verantwortlich ist, mit sehr bescheidenen Mitteln arbeiten musste, sieht man ab der ersten Sekunde. NAILS ist ein klassischer Amateurfilm und atmet in gewisser Weise den Geist der 1990er Jahre, auch wenn er seine Erstveröffentlichung im Jahr 2003 erfuhr. Denn in jenem Jahrzehnt waren es Helden wie Quentin Tarantino, Robert Rodriguez oder auch Kevin Smith, die junge, ambitionierte Filmnerds dazu ermutigten, die Kamera in die Hand zu nehmen und drauf los zu filmen. So wirkt auch dieses Werk aus Russland, nämlich wie ein wirklich ambitionierter Film mit klarem Konzept. Die Geschichte um einen Auftragskiller, der die Drecksarbeit für die staatlichen Obrigkeiten erledigt und, von mentalem wie auch moralischem Verfall geplagt, Nägel in den eigenen Kopf hämmert, um die Schmerzen zu lindern, ist schon mal irgendwie crazy aber auch Stoff für Interpretation. Dass Iskanov hier Kritik an der russischen Regierung übt liegt auf der Hand, immerhin ist der Hitman für diese Tätig und beseitigt vor allem „staatsfeindliche“ Personen. Im Vordergrund steht dabei aber dennoch der surreale und psychedelische Trip, den der Protagonist durchlebt, beginnt er doch mit jeder weiteren Kopfverletzung stärker zu halluzinieren.

Dabei kommt es zu bizarren Szenen, etwa wenn er Finger oder kleine Insekten in seinem Essen findet, seine Freundin für ein Monster hält. Immer von größeren und wilderen Halluzinationen geplagt, werden auch die Versuche, diese zu unterdrücken immer schmerzhafter. Man könnte behaupten, NAILS ist die russische, raue Amateur-Version eines Films von David Lynch. Zu Beginn ist das Ganze in Schwarz-Weiß gehalten, später dominieren die psychedelischen Farbpalletten. Iskanov legt einen wilden Stil an den Tag, benutzt viele dichte Close-Ups, schnelle Zooms und einen zügigen Schnitt. Stellenweise fühlte ich mich an Robert Rodriguez‚ Frühwerke BEDHEAD (1991) und EL MARIACHI (1992) erinnert, auch wenn der Film ein ganz anderes Publikum bedient.

Man muss schon einen Faible für eine solche Art von Kino haben. Ich konnte für NAILS wenig Begeisterung aufbringen, gerade weil es augenscheinlich mehr um das psychedelische Szenario geht, als um politische Motive oder überhaupt um eine stringente Handlung. Iskanovs Film ist etwas für Underground-Fans und für Liebhaber extremer Subkultur, nicht umsonst wurde der Streifen in den USA von Unearthed Films vertrieben, die auch die berüchtigte Guinea-Pig-Reihe im Programm haben. Für diesen Konsumentenkreis, zu dem ich einfach nicht gehöre, werden solche Filme gemacht und diese dürften auch Gefallen daran finden. Auch wenn ich einige visuelle Stilmittel ganz reizvoll finde, kann ich hiermit nichts anfangen, ebenso wenig wie mit dem furchtbaren Industrial-Score.

Für Dezember wurde von Digidreams Studios eine Mediabook-Edition des Films angkündigt, die in insgesamt zehn Cover-Varianten erscheinen soll. Neben dem vorliegenden Film, ist als Bonus auch der 80er-Streifen THE NAIL GUN MASSACRE (1985) auf einer seperaten Blu-ray enthalten. Zur Sichtung lag uns eine Keep-Case-Version aus der Classic Cult Collection vor, deren Erscheinungsdatum allerdings noch nicht bekannt ist. Diese bietet allerdings nur den Haupfilm. Bild- (4:3 – 1.33:1) und Tonqualität sind dem Material entsprechend solide, handelt es sich hier doch lediglich um einen Upscale. Im Bonusmaterial fanden sich einige Trailer, ein Making-Of, sowie ein Wendecover ohne FSK-Logo.

Fazit:

Achtung, Vorsicht! Bevor man blind zu NAILS (2003) greift, sollte man sich im Klaren darüber sein, dass es sich hier mitnichten um einen klassischen Horrorfilm, sondern um russisches Amateur-Experimentalkino handelt, für das man schon eine gewisse Zuneigung zum Undergroundfilm empfinden sollte. Alle anderen werden vermutlich wenig damit anfangen können, auch wenn hier mit geringen Mitteln kreativ gearbeitet wurde.

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

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