Gerade in Anbetracht des allgegenwärtigen Katholizismus ist es fast schon paradox, dass Sex im italienischen Kino seit Jahrzehnten derart präsent ist. Man nehme nur den freizügigen Genrefilm der 1970er und 1980er Jahre, in dem nackte Tatsachen immer zum guten Ton gehörten und auch selbst Hardcore-Elemente finden sich in kommerziellen Produktionen wieder. Da liegt es auf der Hand, dass auch die Pornofilmbranche zum italienischen Allgemeingut gehört, gerade wenn man an den Bekanntheitsgrad von Mimen wie u.a. Rocco Siffredi denkt. DIVA FUTURA (2025), den Busch Media Group nun in die deutschen Kinos bringt, widmet sich ausführlich dem Sexfilm aus Bella Italia und dessen Stars der goldenen Ära in den 1980er Jahren. Bereits nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig war die Rede von der europäischen Antwort auf BOOGIE NIGHTS (1997). Ob das Biopic es mit dem Klassiker von Paul Thomas Anderson aufnehmen kann, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Diva Futura
Drehbuch: Giulia Louise Steigerwalt; nach dem Buch „Non dite alla mamma che faccio la segretaria“ von Debora Attanasio
Regie: Giulia Louise Steigerwalt
Darsteller: Pietro Castellitto, Barbara Ronchi, Denise Capezza, Tesa Litvan, Lidija Kordic…
Artikel von Christopher Feldmann
Handlung:
Italien in den 1980er- und 1990er-Jahren: Riccardo Schicchi (Pietro Castellitto) gründet die Agentur „Diva Futura“ und prägt damit ein neues Kapitel der italienischen Popkultur. Aus dem Geist der freien Liebe entsteht ein professionell organisierter Wirtschaftszweig, der Pornografie ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit rückt. Mit dem Aufkommen von Privatfernsehen und Heimvideorekordern erreichen Gesichter wie Ilona Staller (Lidija Kordic), Moana Pozzi (Denise Capezza) und Eva Henger (Tesa Litvan) eine beispiellose Bekanntheit. Das Phänomen bleibt nicht auf die Bildschirme beschränkt: Staller zieht als „Cicciolina“ ins Parlament ein, eine neue Partei entsteht, und Pozzi tritt zur Bürgermeisterwahl in Rom an. Im Zentrum dieser Entwicklungen steht ein Netzwerk, das sich selbst als große Familie versteht – jedoch nicht frei von Spannungen, Konflikten und persönlichen Zerreißproben.

Um es schon mal vorwegzunehmen, DIVA FUTURA (2025) kann BOOGIE NIGHTS (1997) nicht das Wasser reichen, was aber weniger mit der filmischen Qualität und den Schauspielleistungen zu tun hat aber dazu später mehr. Ich persönlich hege ja eine große Zuneigung zum italienischen Film, waren die guten alten Streifen aus dem Italo-Western, dem Giallo oder dem reinen Exploitationfilm Bestandteil meiner cineastischen Sozialisation. Wer das Kino aus dem Land der Pizza und Pasta kennt weiß, dass dieses schon seit jeher freizügig und wild war. Mit der reinen Pornoindustrie hatte ich bisher allerdings keine Berührungspunkte, auch wenn die Werke von Schmutzfinken wie beispielsweise Joe D’Amato nicht wirklich weit davon entfernt sind. Pornos übten, mit Ausnahme als Anregung zum schnellen Druckablassen, nie eine große Faszination auf mich aus, viel faszinierender waren immer die Geschichten dahinter. Filme wie eben BOOGIE NIGHTS erzählten auch über das Filmemachen, die Mechanismen der Industrie und über technische Aspekte, eingebettet in eine emotionale Geschichte.
Bei DIVA FUTURA ist das allerdings etwas anders, behandelt das Biopic, welches auf dem Buch von Riccardo Schicchis Sekretärin basiert, doch eher die persönlichen Geschichten der einzelnen Figuren. So stehen neben dem Träumer und Frauenliebhaber Schicchi auch dessen Darstellerinnen im Fokus des Geschehens, die weniger klassische Sexarbeiterinnen von der Kamera waren, sondern freiheitsliebende, durchaus intelligente Frauen, die Pornos als Ausdruck ihrer Überzeugung drehten. So ist Moana Pozzi fast schon die schillerndste Persönlichkeit des Films. Die charismatische, belesene und intelligente Frau ließ sich 1993 sogar zur Bürgermeisterwahl in Rom aufstellen und galt als ausgesprochen beliebt. Jedoch traute man ihr nie Größeres zu. Wunderbar gespielt von Denise Capezza, sind ihre Szenen die stärksten in einem sonst eher faden und arg fragmentarischen Film.

Andere Figuren bekommen weitaus weniger zu tun und auch der eigentliche Leading-Charakter Riccardo Schicchi wird vom Drehbuch größtenteils hängen gelassen. Und gerade weil DIVA FUTURA ziemlich zerfasert und aufgrund seiner Zeitsprünge auch etwas konfus erzählt ist, entwickelt sich nie die Sogwirkung wie eben in Andersons BOOGIE NIGHTS. In diesem hat man heute noch jede Figur bildlich vor Augen, das italienische Pendent bleibt da schon weit weniger haften, weil man als Zuschauer auch kaum eine Bindung zu den Figuren aufbauen kann. Auch die Tatsache, dass das eigentliche Business, nämlich die Produktion von Sexfilmen, nur stiefmütterlich behandelt wird und lediglich zwischen Tür und Angel stattfindet, schmälert etwas den Sehgenuss. Denn seiner Zeit entstanden diese Streifen noch mit wirklichem Aufwand, teilweise gedreht auf 35mm, was man sich heutzutage eigentlich kaum noch vorstellen kann. Ich hätte mir einen etwas tieferen Einblick gewünscht anstatt einer sprunghaften Geschichte über persönliche Konflikte.
Das soll nicht heißen, dass DIVA FUTURA ein schlechter Film ist. Das Ganze ist schwungvoll inszeniert und sieht auch durch die Bank gut aus, jedoch bleibt das Ganze hinter seinen Möglichkeiten zurück, weil man eben nur einen sehr zaghaften Einblick bekommt.

Fazit:
Für Fans europäischer, insbesondere italienischer Popkultur ist DIVA FUTURA (2025) sicher einen Blick wert, man sollte aber entgegen des Marketings keinen zweiten BOOGIE NIGHT (1997) erwarten. Dazu ist die Geschichte zu zerfasert und sprunghaft, viele Dialoge zu soapy und einen Einblick in das Filmemachen sucht man auch größtenteils vergebens. Schade, denn bei den guten Darstellern und der talentierten Regie wäre mehr möglich gewesen.
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