Von außen betrachtet könnte 28 Years Later eigentlich ein Pilotfilm für ein kommendes Serien-Franchise sein; oder einfach nur eine Doppelfolge aus The Walking Dead, nur mit etwas mehr Aufwand verfilmt. Und beinahe hätte ich den Film deswegen auch in den falschen Hals bekommen, denn Danny Boyle bedient sich in den ersten 45 Minuten an der billigsten Drehbuchschule überhaupt: Ein Junge, unfähig auch nur irgendwie mit Pfeil und Bogen zu treffen, stets am Hinfallen und „Dad, ich kann nicht!“ rufend, zerrt mit diesen günstig inszenierten Spannungsmomenten ganz gewaltig an den Nerven des Zuschauers. Es ist so klar wie Kloßbrühe, dass der Junge nach diesem erbärmlichen Auftritt während einer „Infizierten-Jagd“ mit seinem Vater anschließend eine Wandlung durchlaufen wird, nur um dann gestärkt und eigenverantwortlich seine schwerkranke Mutter durchs Festland zu schleifen. Und auch das passiert genauso, wie man es erwartet. Doch Boyle wäre aber kein guter Filmemacher, würde er sich mit dieser Oberfläche zufrieden geben. Gott sei Dank findet Boyle dann im Laufe der Spielzeit einen doppelten Boden und nutzt seinen Film auch für eine bitterböse und erstaunlich klarsichtige Diagnose des gegenwärtigen Englands – und darüber hinaus auch als eine schneidende Kritik an patriarchalen Machtstrukturen und dem Gift einer Maskulinität, die sich nur noch über Dominanz und Gewalt zu definieren weiß. Die Pubs, traditionell Orte des britischen Gemeinschaftslebens, wirken im Film wie Brutstätten toxischer Energie – Orte, an denen Männlichkeit nicht gefeiert, sondern erzwungen wird. Trinkgelage, Fremdgehen und grölendes Feiern im Suff am Ende der Jagd: Das, was Boyle zeigt, ist kein Ausnahmezustand, sondern eine Verlängerung des britischen Alltags. Der Ausnahmezustand der Seuche hat lediglich die Masken fallen lassen. Was bleibt, ist ein raues, bitteres England, das sich selbst zur Seuche machte. SONY PICTURES im Vertrieb von PLAION PICTURES brachten den dritten Teil der Reihe nun auf diversen Medien heraus.

Regie: Danny Boyle
Drehbuch: Alex Garland
Darsteller: Aaron Taylor-Johnson, Alfie Williams, Ralph Fiennes, Jodie Comer, Edvin Ryding
Artikel von Kai Kinnert
Es ist fast drei Jahrzehnte her, dass das Rage-Virus aus einem biologischen Waffenlabor entkommen ist, und noch immer gilt eine strikt verordnete Quarantäne. Einige Menschen haben Wege gefunden, inmitten der Infizierten zu existieren. Eine solche Gruppe von Überlebenden lebt auf einer kleinen Insel, die durch einen einzigen, stark verteidigten Damm mit dem Festland verbunden ist. Als einer der Bewohner die Insel verlässt, um in das dunkle Innere des Festlandes vorzudringen, entdeckt er Geheimnisse, Wunder und Schrecken und dass nicht nur die Infizierten, sondern auch die Überlebenden mutiert sind.

Der Vater (Aaron Taylor-Johnson) von Spike (Alfie Williams) entblättert seinen verrohten Kern erst nach 45 Minuten und zeigt seinem Jungen damit, was für ein Arschloch er in Wahrheit eigentlich ist. Spike erkennt dies schmerzhaft am Ende des Tages, nach seiner ersten Jagd auf Infizierte, auf die sein Vater ihn mit aufs Festland genommen hatte. 28 Jahre nach Beginn der Infektion hat sich eine Gemeinschaft von Überlebenden auf die kleine Gezeiten-Insel Lindisfarne vor der nordostenglischen Küste zurückgezogen und wohnt dort autonom in einer Art neuer Gesellschaftsform zusammen, die aber eigentlich die alte ist. Da man nur über einen schmalen Deich mit dem Festland verbunden ist, der bei Flut eben im Wasser verschwindet, ist man relativ sicher vor den Infizierten, gegen die man sich mit Befestigungsanlagen, Pfeil und Bogen, Harpunen und Schleudern zur Wehr setzen könnte. „History Is Repeating“ dachte sich Danny Boyle, und nutzt diesen historischen Ort (im Jahre 793 wurde die Insel von den Wikingern überfallen und markiert damit den Beginn der Wikingerzeit in England) als Ausgangspunkt für die Spikes Reise durchs Festland, dass durch seine unnatürlich saftigen Farben nur auf den ersten Blick hin idyllisch aussieht. Wenn man länger über diese Farbintensität nachdenkt, bekommt man unweigerlich das Gefühl, dass auch dies ein Symbol für ein erkranktes England ist. Das Grün der Wiesen und Wälder schmerzt fast in den Augen, alle Farben sind so „übersaftet“ in der Intensität, dass die vermeintliche Idylle dann doch zu einem unangenehm künstlich-bedrohlichen Ort wird, aus dem ständig die Gefahr gekrochen kommt. Doch nicht alles kriecht, es gibt auch besondere Infizierte: Die Alphas. Groß, männlich, markant, sehr schnell, sehr körperlich, mit großem Schwanz und einer unbändigen Gewalt inne. Hobby: Köpfe samt der Wirbelsäule aus den Opfern reißen und als Reviermarkierung an einen Baum klemmen. Mit den Jungs ist nicht zu spaßen, da benötigt man schon einiges, um die Alphas zu stoppen. Spike trifft auf einige Alphas, dummerweise mit seiner kranken Mutter im Schlepptau, die er durchs Festland zu einem Arzt (Ralph Fiennes) schleppen will, was naturgemäß immer wieder zu spannenden Situationen führen wird. Doch Spike trifft nicht nur auf Infizierte, sondern auch auf den schwedischen Marineinfanteristen Erik (Edvin Ryding), dem letzten Überlebenden seiner Einheit, die eben erst vor der Küste Schiffsbruch erlitten hatte und dann von den Infizierten aufgerieben wurde. Erik wird Spike und seiner Mutter beim Kampf gegen die Infizierten helfen und trifft mit ihnen kurz darauf auf eine Infizierte, die gerade dabei ist, ein Kind zu gebären. Das Baby überlebt, scheint nicht infiziert zu sein, die Mutter wird jedoch erschossen und man kann endlich den Arzt in seinem Knochenhain erreichen. Es wird der Punkt werden, an dem Spike endgültig erwachsen und am Ende auf Sir Jimmy treffen wird, dem Kind aus dem Prolog des Films. Der Schluss des Films ist dann auch irgendwie ein schräges Zitat aus Clockwork Orange und The Riffs und bildet den Beginn der Fortsetzung(en).

28 Years Later wäre ein Mistfilm geworden, hätte Danny Boyle nicht diesen Bogen ins Innere gefunden. Das Spike vom Loser zum Survivor wird, ist ganz klar und keine Überraschung. Wohl aber diese eingestreuten Details und Feinheiten über den Zustand der britischen Gesellschaft und der „toxischen Männlichkeit“ insgesamt, retten diesen Film aus dem Konzept der Schablone, die diesen Film trotz allem umgibt. Die Effekte in 28 Years Later sind gut – und in der Art der Inszenierung gänzlich Selbstzweckhaft. Es gibt keinen dramaturgischen Grund für die doppelt und dreifach gezeigten Splatter-Einschläge aus verschiedenen Kameraperspektiven und obwohl Boyle sich hier einfach dem Effekt um des Effektes-willen ergibt, schreckt er gleichzeitig in anderen Szenen wieder davor zurück, länger „drauf zuhalten“. Manchmal wirkt der Film so, als wäre Danny Boyle selber überrascht davon, wie gut und realistisch sich heute Splatter am Computer inszenieren lässt und schneidet weg. Die große Stärke des Films ist also sein Zwischenton und die Symbolik der Umgebung, aber nicht die Oberfläche des Horrorfilms, denn da erlebt man, bis auf die Alphas, nichts Neues. Mir hat die Reise gereicht, ich bräuchte keine Fortsetzungen mehr, denn es ist zu befürchten, dass auch die zu nichts führen werden. Es kann ja keine Heilung geben, jeder weitere Film und jede weitere Serie kann immer nur das Überleben ihres Protagonisten in den Handlungsmittelpunkt stellen, stets umringt von Infizierten, die einfach immer da sein werden. Das kann ewig so weiter gehen und auch nach 11 Staffeln, sechs Kinofilmen, drei Spin-Offs und dem Prequel zum Sequel wird es keine Erlösung geben. Danny Boyle macht also weiter. Da hoffe ich sehr, dass ihm auch in den Fortsetzungen stets der Blick ins Innere gelingen wird. Wenn es da denn noch was zu erzählen gibt.

Das Bild der gesichteten Blu-ray war gut, sauber und satt, der Ton ebenso. Als Extras gibt es einen Audiokommentar, Featurettes über die Effekte und die Entstehung des Films, sowie geschnittene Szenen.
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