Anfang der 2000er etablierte sich ein neues Genre in den Ohren der Jugend. Amerikanischer Punk-Rock, fröhlich gespielt in C-Dur und von der breiten Masse abfällig als „Pop-Punk“ bezeichnet. Viele Bands kamen und gingen, doch eine Band aus San Diego war es, die mich im zarten Alter von 15 Jahren nicht mehr losließ. Als ich neulich in einem Karton kramte, und dabei auf ein altes blink-182 Album stieß, kreiste eine Frage in meinem Kopf… What’s my age again?
Erinnerungen von Victor Grytzka
„I’m never gonna act my age…“
Die Jugend macht es einem nicht leicht. Die Pubertät klopft an, Mädchen werden von „Igitt“ zu „Halloooo, Süße“, die Eltern gehen einem auf den Geist und irgendwie hat man das Bedürfnis, zu einer Subkultur gehören zu wollen, bloß um nicht wie jeder andere Mensch auf dieser Welt zu sein – auch musikalisch. Es war um 1999 rum, ich hörte entweder das, was meine Verwandtschaft anschleppte (Rock, Metal). oder das, was in den Charts rumhüpfte. Aber etwas mit dem ich mich identifizieren konnte, das gab es nicht so wirklich.
„Don’t leave me all alone….“
Da kam mir meine Sony Playstation zur Hilfe. Es war früh im Jahr 2000, und Funsport-Games waren auf der Höhe der Zeit. So kam es, dass eines Tages eine (ganz legale *hust*) CD mit der Aufschrift „MTV Sports Snowboarding“ in meinem Laufwerk landete. Konsole einschalten, Playstation Logo und… Intro! Abgedrehte Snowboard Tricks, untermalt von dieser wundersam fröhlichen Punkmusik, die sich wie ein wohlig-flauschiger Teppich in meine Ohren legte. Im Hauptmenü also gleich mal die Tracklist abgecheckt. So, so „blink-182“, nie davon gehört. Klingt aber verdammt gut. Und dann waren auch noch ganze zwei Tracks dieser Band vertreten. „Don’t leave me“ und „Wendy Clear“, die beide vom „Enema of the State“ Album stammten, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. So verging das Jahr, und ich schmiss regelmäßig dieses eine Spiel in meine Playsi, auch wenn es nur aus dem Grund war, mir diese beiden Songs anzuhören… aber das Spiel war auch verflucht cool.
„So here’s your holiday…“
Jetzt wird der ein oder andere sicherlich denken: „Moooment, aber was ist mit MTV, VIVA, CDs…. es gab doch so viel“. Sicherlich, allerdings gab es in unserem Haushalt nur einen TV mit Fernsehempfang, und der stand im Wohnzimmer. Also kam ich eher selten dazu, mal in die aktuellen Musikvideos reinzusehen. Denn es mussten ja auch noch Schule, Freunde und meine Playstation unter einen Hut gebracht werden. Als Teenie hat man eben keine Zeit. Und Geld hat man auch nie, weshalb CD-Käufe bei mir eher selten vorkamen. Das was ich hörte, das bekam ich von Freunden zugesteckt. Und da hörte nun mal keiner blink-182. Im Sommer des Jahres 2000 kam mir dann Italien zur Hilfe. Meine Eltern hatten ein Ferienhaus gebucht, und so ging es – statt nach Südfrankreich, wie es sonst der Fall war – zum ersten mal in das Land von Pizza, Pasta und Berlusconi. Bei einem Ausflug in eine nahegelegene Stadt (fragt mich nicht welche es war, ich weiß es nicht mehr) stolperte ich in einen kleinen unaufgeräumten Laden, der DVDs und CDs anbot. Zunächst sackte ich „DellaMorte DellAmore“ und „Opera“ auf DVD ein, als mein Blick an einem CD-Cover kleben blieb. Da stand es – „Enema of the State“. Da wurde nicht lange überlegt. Ab zur Kasse, in meinen Discman damit – (Ein tragbarer CD-Player – Anm. für die Jugend.) – und die nächsten 14 Tage spielte mein „Akai Portable Compact Disc Player“ blink-182 in Dauerschleife.
„Let’s make this last forever…“
Nun ich hatte ich etwas gefunden, das genau mein Ding war. Diese fröhliche Punk-Variante mit den Texten über Mädels, Liebe, Probleme mit Eltern – garniert mit Anzüglichkeiten und einer F-Bomb hier und da. Natürlich hatte ich die Band zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als sie bereits ein Massenphänomen wurden. Und dennoch – zwar hörten viele die Songs, die auf den Radio- und TV-Stationen hoch und runter gespielt wurden, aber die wahren Perlen des Band-Repertoires waren uns – den wahren Fans – vorbehalten. Also besorgte ich mir schnell die Frühwerke „Buddha“, „Cheshire Cat und „Dude Ranch“, die noch unter Mitwirkung des Drummers Scott Raynor entstanden waren, und konnte so die Anfänge der Band in vollen Zügen genießen. Allerdings muss ich gestehen, dass der unverwechselbare Sound von Tom Delonge und Mark Hoppus erst perfektioniert wurde, als Travis Barker zu den Aufnahmen des „Enema of the State“ Albums die Drums übernahm. Und da stand ich nun, die Haare hochgegelt, blondierte Spitzen, Nerdbrille… So war das halt, das war mein Punk. Irgendwie war das schon doll. Klar, ich kannte zwar schon Bands wie Green Day, NOFX und Offspring, aber irgendwie waren Blink anders. Ein Trupp junger Leute, musikalisch eher simpel aber dafür mit Spaß bei der Sache. Genau mein Ding! Sollte das nun also mein Lebensgefühl sein? Für immer und immer?
„If we’re fucked up you’re to blame…“
Sommer 2001 – „Take off your pants and jacket“ landete in den Regalen, und stellt das Karrierehighlight des Trios dar (meine Meinung). Unsere Sommer waren geprägt von Wein, Weib und Gesang. Okay, der Gesang war schräg, statt Wein gab es billiges Bier aus der Dose und der Erfolg beim Weib war eher von vielen Rückschlägen geprägt, aber dafür hatten wir ja die Musik. Die zog uns immer ganz gut mit und behandelte eben genau die Themen, die uns freuten oder auf den Sack gingen. Diese Zeit war sehr sorglos für meine Freunde und mich. Die Welt stand uns offen, die Hose auch. Und irgendwie war ich angekommen. Ich habe mich sogar ein wenig im Skateboard fahren versucht. Und es ging ganz gut. Allerdings war ich dabei auf die Boards anderer Leute angewiesen, denn ihr wisst ja – Schüler, wenig Geld und so. Wie dem auch sei – Songs wie „First Date“, „The Rock Show“, „Stay together for the Kids“…. Da steigt ein wohlig-warmes Gefühl unbeschwerter Nostalgie in mir hoch. Ich vermisse diese Zeiten. Es war ja klar, dass das nicht ewig so weitergehen kann…
„…your hands they shake with Good-Byes….“
2003 – blink-182 veröffentlichen das Album „blink-182“. Herausgekommen war eine gesunde Mischung aus poppigem Punk und ernsten Rock-Songs, die zwar ein wenig aus den Bandkonventionen ausbrachen, aber zugleich verhinderten dass man immer dieselbe Schiene fuhr. Hätte ich damals nur gewusst, dass dies für lange Zeit das letzte Lebenszeichen der Band sein sollte, ich hätte dem Album mehr Wertschätzung entgegen gebracht. Mittlerweile kann ich das und sehe diese CD in meinem persönlichen Ranking sehr weit oben. Vielleicht waren ja die Projekte „Box Car Racer“ (Tom Delonge, Travis Barker) und kurze Zeit später „+44“ (Mark Hoppus, Travis Barker) schon vorboten dessen, was der Band zustoßen sollte. Zunächst sprach man von einer kreativen Pause, dann hieß es, dass es interne Spannungen geben sollte und sich Delonge von der Band getrennt hätte. Dies wurde dann wieder dementiert und hin und her… Und was habe ich in der Zeit gemacht. Derweil war ich auf dem Weg zum Abitur, und habe leider den Untergang des Pop-Punk verfolgt. Eine neue Rasse übernahm den Musiksektor, und ließ meine Musik, die mich gute 5 Jahre über Wasser gehalten hatte, wie ein Relikt aus vergangenen Tagen wirken. Die Emos waren da, und sie waren nicht meine Welt…
„Stay together for the Kids…“
2005 ließ die Band ihre „Greatest Hits“ auf die Menschheit los, eine Ansammlung der größten Erfolge, einiger Frühwerke und B-Seiten. Auch diese Platte lief bei mir in Endlosschleife. Zwar hatte ich sämtliche EPs, Alben und Singles im Regal, dennoch war es schön, die letzten Jahre auf nur einem Album noch einmal Revue passieren zu lassen. Und irgendwie war diese Sammlung für mich eine Art Schlussstrich. Die Szene starb allmählich, die Leute wurden erwachsen und gingen ihrer Wege. Der „Nachwuchs“ war eher der Emoszene zugetan, es kamen neue Bands, ein neuer Stil, eine neue Zeit… Ich schrieb mir so langsam den Metal auf die Kappe, der Bart wurde dichter, die Haare länger und irgendwann schloss ich dieses Kapitel. Die Platten wurden eingemottet, das Skateboard wurde durch ein Rennrad ersetzt. Eine erschreckende Parallele zu den Jungs von blink-182 – wir waren erwachsen geworden. Auch wenn ich mir geschworen hatte dass ich diese Zeit niemals vergessen werden, so tat ich es dennoch. Als „böser“ Metaller, der vorzugsweise Sodom, Cannibal Corpse und Cradle of Filth hörte, passte die Erinnerung an blondiertes Haar, FILA-Pullover und Nike-Sneaker nicht mehr wirklich in meine Welt. Irgendwie traurig….
„I miss you…“
So war es nun einfach. Blink waren von meinem Radar verschwunden und die Jahre zogen ins Land. Mark hatte „+44“ gegründet, Tom entwickelte mit „Angels and Airwaves“ ein ambitioniertes und ernsteres Projekt, jagte Aliens und… ach, lassen wir das. Aber was war das? 2011 erschien mit „Neighborhoods“ ein frisches Album. Alte Besetzung, neuer Sound. Auch wenn der Pop-Punk noch zu spüren war, so war der Grundton doch deutlich anderes und reifer. Weg von den Titties and Girls Texten, hin zu durchdachtem Punk mit Prog-Rock Elementen. Ich muss gestehen, dass dieses Album bis 2017 komplett an mir vorbei gegangen war, und ich dieses per Zufall bei einem Streamingdienst entdeckte. Meine Reaktion war: „Ach, die gibt’s noch?“. Gehört, für „okayish“ befunden, eine Entscheidung, die ich mittlerweile revidiert habe. Der erwachsene Sound war ein logischer Schritt, war nötig und genau das, was die Fanbase der Band wiederspiegelt. Aus Kids wurden Männer und Frauen, die sich entwickelt hatten. Tolles Album, auch wenn es bei vielen Leuten unter dem Radar läuft. Das letzte Lebenszeichen in der Ur-Besetzung war dann 2012 die EP „Dogs Eating Dogs“, die allerdings rein digital veröffentlicht wurde, und so nicht von der breiten Masse wahrgenommen wurde.
„No Future…?“
Und als ich schon dachte: „Der Drops ist gelutscht“ – Boom. 2016 kündigt die Band ein neues Album an. Allerdings nicht ganz so, wie man es sich vielleicht gewünscht hätte. Es schien doch was dran zu sein, an den getrennten Wegen der quasi Frontmänner Tom und Mark. „Angels and Airwaves“ läuft mittlerweile wie geschmiert, und bietet neben Musik u.a. auch Bücher und Filmprojekte an. Und Blink? Die sind nun das Baby von Mark und Travis, die sich zur Verstärkung Matt Skiba („Alkaline Trio“) mit an Bord geholt haben. „California“, so der Titel des Albums, erscheint. Ich habe damals sogar eine sehr positive Rezension dazu geschrieben, vor meiner Medienhuren-Zeit, die mittlerweile in den Weiten des WWW verschollen sein dürfte. Progressiv-Poppig, eine konsequente Weiterentwicklung des „Neighborhoods“-Albums. Nicht für den Geschmack der breiten Masse gemacht, aber dennoch ein hervorragendes Album, wenn man sich damit anfreunden mag. Der Sound erinnert streckenweise an die gute alte Zeit, das Fehlen von Delonge macht sich allerdings doch im Grundton bemerkbar. Und nun? Tom sagte unlängst, dass die Streitigkeiten wohl der Vergangenheit angehören, und die Möglichkeit einer gemeinsamen Tour bestünde. Ein Hinweis auf ein neues Album in Urbesetzung? Wir werden sehen, ich wäre auf jeden Fall dabei!
„What’s my age again…?“
Zum Abschluss möchte ich auch diese Frage beantworten, und somit die musikalische Zeitreise abschließen. Als ich die ollen CDs in einer Kiste fand, und sie nach und nach wieder anhörte, da dachte ich an den bzw. die Sommer, in denen ich mich erstmals einer Gruppierung zugehörig fühlte. Und ich dachte an die „gute alte Zeit“. Plötzlich wurde es mir klar. Ich bin alt! Die Kids von heute kennen blink-182 womöglich nicht mehr, sie werden ihre Hits nicht singen, sich nicht damit identifizieren. Oder vielleicht gar doch? Wichtig ist am Ende nur, dass ich immer noch meine wahre Freude an der Musik habe, und sie viele schöne Erinnerungen in mir wieder aufleben lässt. Die besten 5 Jahre meiner Jugend! Ich lege jetzt eines der alten Alben ein, und bin wieder 15 / 16 Jahre alt. Zumindest für rund 40 Minuten!