Der Sommer ist vorbei und die gemütliche Jahreszeit beginnt. Zeit mal wieder ein paar Lieblingsfilme aus dem Regal zu ziehen, mit denen man sich vor den Bildschirm murmeln kann. Der letzte Classics-Beitrag hat schon ein paar Monde auf dem Buckel, weshalb ich mich dazu genötigt sehe, Abhilfe zu schaffen. Paul Thomas Andersons BOOGIE NIGHTS (1997) entführt uns in die Schmuddelfilm-Szene der späten 1970er Jahre und hat nicht nur jede Menge großartiges Zeitkolorit und berührendes Drama zu bieten, sondern zeigt auch die ersten Gehversuche Mark Wahlbergs im ernsten Schauspielfach und war seinerzeit der Beweis dafür, dass in Burt Reynolds noch eine gute Performance steckt. 

Originaltitel: Boogie Nights

Drehbuch & Regie: Paul Thomas Anderson

Darsteller: Mark Wahlberg, Burt Reynolds, Julianne Moore, John C. Reilly, Heather Graham, Don Cheadle, William H. Macy, Philip Seymour Hoffman…

Artikel von Christopher Feldmann

Ich war gerade einmal 17 Jahre alt, als ich in meiner „anspruchsvolle Filme“-Phase steckte. Eine Phase, in der ich mich vermehrt auf Klassiker stürzte und die Filmographien gefeierter Regisseure durchforstete. Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Sergio Leone, Sidney Lumet und viele weitere hatten es mir angetan. Ich legte mein Augenmerk auf Werke, die von Kritikern mindestens als „herausragend“ klassifiziert wurden und sog so viele Stunden Bewegtbilder auf, was damals auch recht kostspielig war, immerhin hatte ich zu dieser Zeit noch keinen Zugriff auf Netflix, Amazon und Co.

Irgendwann stieß ich auf BOOGIE NIGHTS (1997) von Paul Thomas Anderson. Ich habe seit jeher ein Faible für „Aufstieg und Fall“-Geschichten, immerhin gehörten schon damals GOODFELLAS (1990) und CASINO (1995) zu meinen Lieblingsfilmen und Andersons Pornofilm-Studie traf genau meinen Nerv, immerhin ist sie im Filmbusiness angesiedelt und es geht um Filmproduktion, wenn auch im Schmuddel-Segment. Eine hochkarätige Besetzung, die 1970er Jahre, ein Soundtrack voller zeitloser Hits und die ungeschönte, gleichzeitig aber auch stylische Inszenierung taten ihr übriges und BOOGIE NIGHTS (1997) wanderte direkt in meine Liste von lieb gewonnenen Filmen, auf der er heute noch sein gerechtfertigtes Plätzchen hat.

Handlung:
Eddie Adams (Mark Wahlberg) ist fest davon überzeugt, dass jeder Mensch mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet ist. In seinem Fall ist das ein großer Penis, der regen Anklang beim weiblichen Geschlecht findet. Nachdem er sein Elternhaus verlassen hat, begegnet er, bei seiner Arbeit als Tellerwäscher, in einem Nachtclub im San Fernando Valley dem überambitionierten Sexfilm-Regisseur Jack Horner (Burt Reynolds), der in Eddie einen neuen Star am Porno-Himmel sieht, der sich nicht nur durch ein enormes Gemächt auszeichnet, sondern auch durch starke Ausdauer. Schnell findet er unter dem Künstlernamen Dirk Diggler einen Platz in Horners „Familie“, zu der auch die Darsteller Amber (Julianne Moore), Rollergirl (Heather Graham), Buck (Don Cheadle) und Reed (John C. Reilly) gehören. Benebelt von Glitzer, guter Laune, Drogen und Erfolg, verliert Eddie immer mehr die Bodenhaftung. Als schließlich die 1980er Jahre mit ihren Hardcore-Hommade-Filmen und dem Video-Markt den klassischen Schmuddelkinos den Rang ablaufen, geht es auch mit Eddie abwärts.

Schon die Eröffnungsszene stößt den Zuschauer in die absolute Reizüberflutung. Nach einem Schwarzbild ertönt die Musik von THE EMOTIONS aus den Lautsprechern und der Filmtitel prangt als Leuchtreklame, bevor uns der Film mit einem langen One-Shot mitten in das Getümmel wirft. BOOGIE NIGHTS ist grell und gerade deshalb so faszinierend, weil er die 1970er Jahre kongenial einfängt.  Die Ausstattung ist schlicht fabelhaft und projiziert ein natürliches Abbild einer Dekade, ohne sich dabei in Klischees zu suhlen. Die Story ist eine klassische „Aufstieg und Fall“-Geschichte. Eddie/Dirk wird zum Star, verdient viel Geld und kann sich mit zahlreichen Lorbeeren schmücken, bevor die Reise abwärts geht. Durch besondere Umstände und den Wandel des Zeitgeistes, ist der Fall ziemlich tief. Die Dramaturgie sitzt und die Dialoge sind humorvoll, traurig aber auch natürlich.

Gerade Letzteres ist das große Plus des Films. Wie schon Scorsese bei GOODFELLAS (1990), gelingt es Anderson ein bestimmtes Milieu, welches uns erstmal fremd ist, natürlich und human zu zeichnen. BOOGIE NIGHTS bewegt sich in einer Welt, in der Sex als Produkt absolut normal ist und die Charaktere mit absoluter Gelassenheit zu Werke gehen. Dabei bietet der Film nahbare Charaktere, die alle ihre eigenen Sehnsüchte und Defizite haben, was sie recht authentisch macht. Eddie will hoch hinaus, Horner sehnt sich nach künstlerischem Anspruch im Porno-Geschäft, Amber leidet darunter, dass ihr Ex-Mann ihr den Kontakt zum gemeinsamen Sohn verbietet, Rollergirl wird in der Schule aufgrund ihrer Tätigkeiten angefeindet und Buck wünscht sich eine eigene Familie. Hier hat jeder sein Päckchen zu tragen, alle flüchten sich in die glitzernde Welt voller Partys, Drogen und gute Laune, in der Horner wie eine Art Vaterfigur seine gebrochenen Mitmenschen zusammenhält. Zwischen privater Sexualität und dem „Geschäft“ wird kein Unterschied mehr gemacht. Anderson präsentiert uns die Strukturen und Regeln dieser Gesellschaft als Normalität, als würde man einer Familie beim Alltag zusehen.

In diesen Momenten hat BOOGIE NIGHTS immer wieder Humor und Esprit. Man kann sich im Zeitkolorit verlieren, mit den Figuren lachen, weinen und leiden. Zwischen den heiteren Passagen blickt Anderson immer wieder hinter die Fassade, in die Abgründe des Business, welches der Regisseur als gebrochene Welt entlarvt, in der letztendlich alle scheitern. Die Pornoindustrie wird nicht glorifiziert und auch nicht diskreditiert, sondern als übliche Branche gezeigt, die damals allgegenwärtig war. Besonders interessant ist der Verfall, wenn etwa der Videomarkt Einzug hält und jeder seine eigenen Pornos auf VHS drehen kann. Es nur noch um schnellen, harten Sex. Der Anspruch an Erotik und eine gewisse filmische Magie geht verloren. Die Figuren befinden sich im Wandel und müssen versuchen weiter zu existieren.

Anderson trifft so viele wunderschöne Zwischentöne und inszeniert großartige Charaktermomente, die allesamt durch den großartigen Cast getragen werden. „Marky Mark“ Wahlberg beweist hier, dass er durchaus ein ernst zunehmender Schauspieler ist, der seiner Figur, die im übrigen auf dem realen Pornodarsteller John Holmes basiert, viel Energie verleiht und als eine Art Getriebenen darstellt. Auch die restliche Besetzung ist ganz hervorragend. Burt Reynolds holt auf seine älteren Tage nochmal alles aus sich heraus und wurde völlig zurecht für zahlreiche Preise nominiert. Schade, dass er den OSCAR nicht gewonnen hat, ich hätte es ihm gegönnt. Julianne Moore brilliert als einsame Mutter, die sich nach Liebe sehnt und in Eddie einen Art Sohn-Ersatz findet. Desweiteren ist BOOGIE NIGHTS mit Don Cheadle, John C. Reilly, Philip Seymour Hoffman, Heather Graham und William H. Macy in Nebenrollen hochkarätig besetzt. Es macht Spaß, den Figuren beizuwohnen und mit ihnen Höhen und Tiefen zu erleben. Besonders versöhnlich ist dabei, dass Anderson gegen Ende nicht nur negativ ins Gericht geht, sondern einige auf anderem Weg eine neue Perspektive finden.

Inszenatorisch erzeugt der Film eine absolute Sogwirkung. Man kann sich förmlich im Zeitgeist suhlen und Anderson schafft es, den Spagat zwischen den 1970ern und 1980ern wunderbar zu meistern. BOOGIE NIGHTS wirkt nie zu überkandidelt, nie zu grell und nie zu aufgesetzt. Wie bei seinem Ensemble setzt der Regisseur auf eine Natürlichkeit, mit der der Zuschauer abgeholt wird. Dazu gelingen Anderson viele starke Bilder, die er mit seiner mitreißenden Inszenierung erzeugt. Man hat stets das Gefühl nicht nur Zaungast zu sein, sondern diese „Welt“ hautnah mitzuerleben. Und wenn auf der Tonspur zahlreiche Hits abgefeuert werden, kann man ein leichtes Wippen mit dem Bein nicht verhindern. Auf dem Soundtracks tummeln sich illustre Künstler wie The Emotions, KC & The Sunshine Band, Boney M., Hot Chocolate, Rick Springfield, The Beach Boys und Marvin Gaye. Ein Fest für jeden Nostalgiker und Musikliebhaber.

Wer in den Genuss des Films kommen möchte, muss nicht lange suchen, ist BOOGIE NIGHTS doch günstig auf Blu-Ray zu bekommen.

Fazit:
Paul Thomas Andersons BOOGIE NIGHTS (1997) entführt den Zuschauer in die Welt des Pornofilms der 1970er Jahre. In einer klassischen „Aufstieg und Fall“-Geschichte kreiert der Star-Regisseur eine greifbare Welt, die mit ihrer Natürlichkeit an Scorsese-Klassiker erinnert und eine Reihe toller Figuren etabliert, die den Zuschauer für zweieinhalb Stunden auf eine spannende, fesselnde, tragische und humorvolle Reise in eine Epoche entführen, die so manche Überraschungen parat hat. Ein Meisterwerk, welches nie langweilig wird!

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