Es ist wieder Wallace-Zeit! Heute begutachten wir einen weiteren Vertreter der Kategorie von Filmen, die man nie so wirklich auf dem Zettel hat. Dabei gibt es in DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (1962) viel Schönes zu bewundern, und damit ist nicht nur das reizende Antlitz von Marisa Mell gemeint!
„Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“
Drehbuch: Trygve Larsen
Regie: Helmuth Ashley
Darsteller: Adrian Hoven, Christopher Lee, Marisa Mell, Pinkas Braun, Christiane Nielsen, Eric Pohlmann, Fritz Rasp, Klaus Kinski, Eddi Arent…
Artikel von Christopher Feldmann
Nach dem ordentlichen Geschäftsergebnis von DIE SELTSAME GRÄFIN (1961) arbeitete man bei Rialto-Film bereits an den nächsten potentiellen Kassenschlagern, die auf Romanen von Edgar Wallace basieren. Ursprünglich sollte DIE TÜR MIT DEN SIEBEN SCHLÖSSERN (1962) in Produktion geschickt werden, doch das Drehbuch, welches von Johannes Kai geschrieben wurde, erwies sich als zu umfangreich, weshalb der Dreh nicht in Angriff genommen werden konnte. Horst Wendlandt pochte aber auf einen Kinostart Ende Februar/Anfang März 1961, so dass man in der Chefetage von Rialto-Film unter Zugzwang war. Es begann die Suche nach einem verfilmbaren Stoff und nach einem runden Drehbuch, welches sich gut den Rahmenbedingungen einer Wallace-Verfilmung fügte. Doch weder Wiedmanns Skript zu DAS VERRÄTERTOR, noch die, zu dieser Zeit, existierende Fassung zu DAS GASTHAUS AN DER THEMSE von Stammautor Egon Eis (Trygve Larsen) waren „filmreif“, und zu den heute als Klassikern geltenden DER ZINKER und DER HEXER existierten lediglich erste Entwürfe. So grub man tief in der Schublade und beförderte GANGSTER IN LONDON ans Tageslicht, das Eis schrieb und bereits von Constantin-Chef Gerhard F. Hummel überarbeitet wurde. Das Projekt bekam grünes Licht und angelehnt an den Erfolg von DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN (1961), ging der Film unter dem Titel DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (1962) in Produktion. Unter der Regie des Österreichers Helmuth Ashley, avancierte der Krimi, der etwas mit den gängigen WhoDunIt-Konventionen der Reihe bricht zu einem weniger erfolgreichen Ergebnis für die Produzenten, und das obwohl der Streifen alles andere als schlecht geraten ist.
Handlung:
London steht Kopf. Zwei rivalisierende Gangsterbanden sorgen mit Erpresserbriefen, in denen reiche Bürger zu hohen finanziellen Abgaben gezwungen werden, für Angst und Schrecken. Wer nicht zahlt oder Scotland Yard informiert, stirbt. Schon mehrere Mitglieder der gehobenen Gesellschaft sind den ruchlosen Gangstern bereits zum Opfer gefallen, auch Elias Tanner (Fritz Rasp). Seine Sekretärin und Vertraute Lilian Ranger (Marisa Mell) staunt nicht schlecht, als sie erfährt, dass sie als Alleinerbin eingesetzt wurde, genauso wie Tanners Neffe Edwin (Pinkas Braun). Nun fürchtet Inspektor Weston (Adrian Hoven) um das Leben der schönen Dame und setzt alles daran, sie vor den Schurken zu schützen, doch die scheinen der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Weston zieht Captain Allerman (Christopher Lee) vom FBI zu Rate, der auch prompt die passenden Verdächtigen ausmacht. Die Methoden der Gangster gleichen sich mit denen, die einst in Chicago angewandt wurden, unter anderem von Kerkie Minelli (Eric Pohlmann) und seinem Konkurrenten O’Connor, dessen Organisation, nach dessem Ableben, vom „schönen“ Steve (Klaus Kinski) geleitet wird. Und zufälligerweise befinden sich die Beiden gerade in London.
Wie schon bereits besprochene Filme der frühen Phase an Wallace-Verfilmungen, genießt auch DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (1962) nicht gerade einen besonders prominenten Ruf, der Film wird gar immer als „der andere Blumen-Wallace“ bezeichnet. Dabei zeigt der Krimi auch schon recht schnell, dass hier mit vielen etablierten Mustern aus vorherigen Werken gebrochen wird. Zwar ist auch hier die Enttarnung des großen Unbekannten die finale Pointe, jedoch geht hier kein skurril maskierter Mörder um, nicht mal ein altes Herrenhaus mit Geheimgängen und knarzenden Türen steht hier im Mittelpunkt und auch halbseidene Figuren sind, bis auf wenige Ausnahme, eher nicht zu finden. Bei GANGSTER IN LONDON, so der ursprüngliche Titel, handelt es sich, wie schon zu erahnen, um einen klassischen Gangsterfilm, der sehr an amerikanische Vorbilder angelehnt ist. Horst Wendlandt war hier noch sehr darauf bedacht, die Zuschauer nicht zu übersättigen und ihnen auch nicht immer das Gleiche zu servieren.
Ich, für meinen Teil, konnte in jungen Jahren, als ich die Wallace-Filme entdeckte, auch recht wenig mit diesem Werk anfangen, eben weil es nicht den vertrauten Strukturen entsprach, die ich von DAS INDISCHE TUCH (1963) oder DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (1961) gewohnt war. Über die Jahre ist der Film gereift und gehört für mich zu den sehenswerten Wiederentdeckungen der Reihe, gerade weil er eine wohlige Abwechslung in das sonst so berechenbare Allerlei der deutschen Krimi-Welle bringt, die in den 1960ern über die Kinos hereinbrach.
Im Zentrum der Handlung stehen zum einen zwei rivalisierende Gangsterbanden aus Chicago, die London mit Erpresserbriefen unsicher machen, zum anderen die Sekretärin Lilian Ranger, die als Alleinerbin des reichen Mr. Tanner eingesetzt wurde. Das Drehbuch lässt sich erstaunlich Zeit, bis beide Handlungsstränge zusammenlaufen, in der Zwischenzeit nehmen Inspektor Weston und sein amerikanischer Partner Allerman die Ermittlungen auf. So kommt es immer wieder zum Schlagabtausch zwischen den Ermittlern und den Ganoven. Der Plot bietet angenehme Abwechslung und profitiert sogar vom Fehlen der klassischen Mystery-Elemente. Stattdessen ist DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE ein klassischer Gangsterkrimi, dem leider der letzte Biss fehlt, da die Geschichte doch etwas vorhersehbar geraten ist. Echte Überraschungen sollte man hier nicht erwarten. Der einzig vorhandene Whodunit-Aspekt, nämlich die Identität des tot geglaubten Schurken O’Connor, wurde hier leider mit Pauken und Trompeten versemmelt. So dürfte dem Zuschauer nach dem Prolog eigentlich schnell klar werden, wer hier die Fäden im Hintergrund zieht, ist der mysteriöse Unhold doch schon an der Stimme zu erkennen. Ein Fauxpas, der der Spannung etwas den Wind aus den Segeln nimmt, bei DER ROTE KREIS (1960) wurde dies eleganter gelöst.
Und trotzdem ist der Film als Gesamtwerk nicht zu verachten, denn nicht nur tonal bietet DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE einen ausgewogenen Mix aus Thriller-Elementen und grimmigem Humor. Auch inszenatorisch erweist sich Helmuth Ashley, der als Kameramann bekannt wurde und hier seine dritte Regie-Arbeit abgeliefert hat, als verlässlicher Handwerker. Der Film sieht durch die Bank hochwertig aus und wechselt ausgewogen zwischen stimmungsvollen Spannungsszenen und ordentlicher Action. Schießereien kommen hier nicht zu kurz und sind auch ansprechend in Szene gesetzt. Zwar fehlt dem Streifen ein gewisser eigenwilliger Stil, wie es beispielsweise bei Alfred Vohrer der Fall war, jedoch macht Ashley dieses Defizit mit schönen Spielereien und dem guten Umgang mit Licht und Schatten wieder wett. Visuell muss sich der zweite Blumen-Wallace nicht verstecken und hat sogar manchen Vertretern der Reihe einiges voraus.
Licht und Schatten sind aber auch in der Besetzung zu finden. Adrian Hoven ist einfach kein Fuchsberger und insgesamt der schlechteste Ermittler den die Edgar Wallace-Serie zu bieten hat. Ohne jegliches Charisma walzt Hoven seinen Part herunter, was deutlich macht, dass der Österreicher hinter der Kamera besser aufgehoben war als davor, immerhin inszenierte er zu großen Teilen Jahre später den Exploitation-Klassiker HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT (1970), zu dem er auch das Drehbuch schrieb. Dafür trumpft der Krimi wieder mit einem internationalen Schwergewicht auf. Nach seinem Auftritt in DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN (1961) gab sich Christopher Lee ein weiteres Mal die Ehre in Sachen Wallace, zudem der britische Schauspieler hier wieder mit seiner originalen Stimme zu hören ist. Die weibliche Hauptrolle übernahm Marisa Mell, ebenfalls Österreicherin. Somit ist DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE der einzige Rialto-Wallace, dessen Hauptdarsteller nicht aus Deutschland stammten. Die schöne Schauspielerin gehört für mich zu den attraktivsten Wallace-Girls, schade, dass sie nur zwei Filme der Reihe in ihrer Vita verbuchen kann. Pinkas Braun, der hier als Edwin Tanner zu sehen ist, gab hier sein Debüt in der Serie und stand danach noch drei weitere Male für Wendlandt vor der Kamera. Braun war die Idealbesetzung für halbseidene, mysteriös bedrohliche Charaktere. Auch hier glänzt der Schweizer mit einem erstaunlichen Charisma. Eric Pohlmann und Christiane Nielsen (als Ehepaar Minelli) legten einen einmaligen Gastauftritt hin, während der große Fritz Rasp nach insgesamt fünf Filmen seinen Abschied nahm. Seine Rolle als Mr. Tanner fällt hier schon sehr viel kleiner aus, als in vergangenen Wallace-Filmen aus. Abgerundet wird die Besetzung von den Veteranen Klaus Kinski und Eddi Arent, die hier wieder einmal glänzen können. Arent hat hier sogar mit dem Todesbutler Parker eine seiner besten Rollen inne.
Für den Score war zum zweiten Mal Peter Thomas verantwortlich, der hier unter anderem den Glockenschlag von Westminster verarbeitete. Wahrscheinlich eine von Thomas besten Arbeiten. Auch in Bezug auf Kulisse wird hier nicht gekleckert. Neben Hamburg und Cuxhaven, wurde erstmals seit DER FROSCH MIT DER MASKE (1959) wieder on Location in London gedreht. Die Innenaufnahmen fanden abermals in Hamburg-Wandsbek in den Realfilm-Studios statt. Die gesamten Dreharbeiten wurden in vier Wochen, nämlich vom 15. Dezember 1961 bis zum 15. Januar 1962, erledigt, so dass der Film am 01. März in den deutschen Kinos starten konnte. Nach Überarbeitung zweier Todesszenen gab es sogar eine Freigabe ab 12 Jahren von der FSK. Ein Umstand, der sich nicht positiv auf das Einspielergebnis auswirkte. Mit 1,5 Millionen Zuschauern war DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE der bis dato erfolgloseste Wallace-Film. Trotz guter Besetzung, taten sich die Zuschauer wohl schwer mit dem etwas anderen Stil. Auch der Titel ist eine Mogelpackung, denn mit Orchideen hat die Handlung ziemlich wenig zu tun, der Titel wurde nur gewählt, da DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN so erfolgreich war.
Fazit:
Zwar ist DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (1962) nicht ganz fehlerfrei in seiner Dramaturgie, jedoch bricht dieser Film auf schöne Art und Weise mit den gängigen Mustern der Wallace-Serie und präsentiert sich als klassischer Gangsterfilm, dem zwar der letzte Biss fehlt, jedoch mit einer guten Inszenierung und einem guten Christopher Lee punkten kann. Auf jeden Fall eine Neuentdeckung wert!
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