Was Dario Argento für den italienischen Thriller ist, ist Brian De Palma für den amerikanischen Thriller. Dies trifft zumindest für die Werke aus den 70er – 80er-Jahren zu, wo beide Filmemacher ihre Glanzzeit hatten. Beide verbindet die Leidenschaft für Altmeister Alfred Hitchcock, technische Extravaganzen und ein außergewöhnliches Gespür für Stil und Ästhetik. Vor allem aber haben beide ihre ganz eigene Handschrift, die ihre Werke einzigartig macht. Schon Brian De Palmas Frühwerk „Die Schwestern des Bösen“ (1973) verblüfft mit raffinierten Bildkompositionen, wobei auch hier schon die Split-Screen zum Einsatz kam, ein Stilmittel, das De Palma so effektiv und kunstvoll einzusetzen versteht, wie kein anderer (zumindest fällt mir keiner ein). Ob dieses Frühwerk über 45 Jahre nach seiner Entstehung immer noch so frisch und verblüffend wirkt, kann man sich nun auch hierzulande dank KOCH FILMS in HD-Qualität ansehen. Und tatsächlich – nicht nur das Bild sieht frisch aus, sondern auch der Film weiß immer noch zu fesseln, zu faszinieren und sogar zu hypnotisieren.

Originaltitel: Sisters

Regie: Brian De Palma

Darsteller: Margot Kidder, Jennifer Salt, Charles Durning, William Finley, Lisle Wilson

Artikel von Holger Braasch

ACHTUNG: DIE FOLGENDE INHALTSANGABE ENTHÄLT SPOILER!

Dass ein scheinbar harmloses Date schnell zum totalen Horror werden kann, wissen wir nicht erst seit Takashi Miikes Audition (1999), wo sich eine reizende junge Frau plötzlich als echter Albtraum für einen ahnungslosen Mann entpuppt. Ähnlich ergeht es auch dem jungen Farbigen Phillip Woode (Lisle Wilson), der sich in der Fernsehsendung „Peeping Toms“ mit versteckter Kamera filmen lässt. Seine Partnerin Daniele (Margot Kidder) spielt eine scheinbar blinde Frau, die direkt vor seinen Augen damit beginnt, sich auszuziehen. Da Phillip ein Gentleman ist, zieht er es vor, den Raum zu verlassen, anstatt die Situation auszunutzen. Das imponiert der charmanten Daniele, die ihn zu einem Abend zu zweit einlädt. Für Phillip beginnt damit ein lebensgefährlicher Alptraum. Aus heiterem Himmel taucht plötzlich Danieles Ex-Mann (William Finley) auf und versucht die Romanze zu stören. In Danieles Apartment wohnt außerdem noch Danieles Schwester Dominique, die Phillip jedoch nicht zu Gesicht bekommt. Ungewollt hört Phillip aber ein Gespräch zwischen den beiden Schwestern mit, die sich auf französisch streiten. Offensichtlich ist Dominique psychisch nicht ganz auf dem Damm und muss von Daniele betreut werden. Jedenfalls keine sehr schöne Situation für Phillip, doch er möchte Daniele helfen, da er glaubt, dass sie von ihrem Ex-Mann belästigt wird. Also täuscht er seine Abreise vor, um durch die Hintertür wieder in Danieles Apartment zu gelangen. Dadurch sind die beiden Turteltäubchen erst einmal ungestört und Schwester Dominique scheint nebenan zu schlafen. Nun erfährt er von Danieles tragischer Familiengeschichte. Dominique und Daniele wurden als siamesische Zwillinge geboren und später voneinander getrennt, wobei Dominique die Trennung nicht gut verkraftet hat. Außerdem haben beide heute Geburtstag. Phillip hält es für eine gute Idee, die Schwestern mit einer Torte zu überraschen, doch als er wieder ins Apartment kommt, liegt Daniele apathisch auf dem Bett. Als Phillip ihr das Messer gibt, um die Torte (für Daniele & Dominique) anzuschneiden, verwandelt sie sich plötzlich in eine rasende Furie und sticht Phillip das Messer in den Schritt – Autsch!

Das war es jedenfalls für Phillip, doch die Reporterin Grace (Jennifer Salt) beobachtet den blutigen Mord vom gegenüber liegendem Apartment und benachrichtigt sofort die Polizei. Während die Polizei eintrifft, taucht auch Danieles Ex-Mann wieder auf, realisiert das Desaster und versteckt die Leiche in der aufklappbaren Couch. Als Grace zusammen mit der Polizei die Wohnung begutachtet, streitet Daniele alles ab – auch, dass ihre Schwester Dominique noch lebt. Sehr seltsam… Jedenfalls steht Grace nun ziemlich dumm da, denn keiner glaubt ihr die Geschichte. Daher engagiert sie den Privatdetektiv Joseph Larch (Charles Durning), der schon bald auf die Couch aufmerksam wird, die von Daniele und ihrem Ex-Mann an ein Transportunternehmen übergeben wird. Während der Detektiv die Verfolgung aufnimmt, macht Grace das Haus des mysteriösen Ex-Mannes ausfindig. Dieser entpuppt sich als Dr. Emil Breton, der vor Jahren die beiden siamesischen Zwillinge Daniele und Dominique getrennt hatte. Letztere starb bei dem Eingriff und der Arzt verliebte sich in Daniele, die er seitdem betreut. Doch ist Dominique wirklich tot? Alles deutet daraufhin, dass sie noch lebt und ihrer Schwester das Leben zur Hölle machen will. Als Grace von Emil Breton überwältigt und gewaltsam einer Art Gehirnwäsche unterzogen wird, beginnt auch für sie ein albtraumhafter Psycho-Trip.

SPOILER ENDE!

Brian De Palma drehte bereits 1960 seine ersten Kurzfilme. Nach ersten Erfahrungen in Hollywood, zog es De Palma jedoch vor, mit einer Studententheatergruppe in New York Avantgarde-Kino nach seinen Vorstellungen zu machen. Zu dieser Gruppe gehörten auch William Finley, Jennifer Salt und Margot Kidder. Es entstanden Filme, wie „Grüße“ (1968) und „Hi, Mom!“ (1970), die auch hierzulande auf DVD erschienen sind. De Palma zeigte hier schon seine Vorliebe für Regiemeister Alfred Hitchcock, doch erst mit „Schwestern des Bösen“ (1973) sollte er auch einem größeren Publikum bekannt werden, denn der Film wurde zu einem Überraschungserfolg. Der junge Produzent Edward Pressman hatte mit Terrence Malicks „Badlands“ (1973) und Brian De Palmas „Die Schwestern des Bösen“ gleich zwei außergewöhnliche Filmprojekte unter seine Fittiche genommen, ohne sich in die kreative Arbeit einzumischen. Dies ermöglichte den Filmemachern nicht nur die Realisierung ihrer Visionen, sondern zahlte sich letztendlich auch für alle aus, denn für talentierte Filmemacher und besondere Stoffe hatte Edward Pressmann ein gutes Gespür. Er unterstützte Brian De Palma auch bei seinem nachfolgenden Projekt „Phantom im Paradies“ (1974). Darstellerin Margot Kidder wurde später in „Superman – Der Film“ (1978) an der Seite von Christopher Reeve weltbekannt, als Lois Lane. Mir wird sie jedoch durch ihre Rollen in den 70er-Jahre Psycho-Schockern „Jessy – Treppe in den Tod“ (1974), „Die Re–Inkarnation des Peter Proud“ (1975) und vor allem „Die Schwestern des Bösen“ in Erinnerung bleiben. Margot Kidder litt seit ihrer Kindheit an Depressionen und wurde 2018 in ihrem Haus tot aufgefunden. Todesursache war ein Cocktail aus Alkohol und Medikamenten. Sie war auch politisch engagiert und nahm an Protestaktionen gegen den Golfkrieg und gegen den Bau der Keystone-Pipeline teil.

Schon in diesem Frühwerk bedient sich De Palma technischer Extravaganzen, die er in seinen späteren Filmen noch perfektionieren wird. Stilistisch stark vom europäischen Kino geprägt, liefert Brian De Palma mit „Die Schwestern des Bösen“ ein echtes Sahnestück des amerikanischen Psychothrillers ab, der vor allem auch Giallo-Freunden gefallen dürfte. Margot Kidder lässt einem kalte Schauer über den Rücken laufen, wenn sie in die Rolle der mörderischen Schwester schlüpft und völlig entrückt auf der Bettkante sitzt, während der arme Phillip blutend über den Boden kriecht. Großartig! Durch das raffinierte Zusammenspiel von Kameraperspektiven und Schnitt entsteht ein traumartiger und hypnotischer Horror-Trip, aus dem es kein Erwachen zu geben scheint. Auch wenn sich die Wahrheit Stück für Stück offenbart, zieht Brian De Palma seinem Publikum immer wieder den Boden unter den Füßen weg, um noch weiter an der Spannungs-Schraube zu drehen und den Zuschauer böse zu überraschen. Bei der letzten Szene gibt es dann noch einen schönen Schmunzler, denn der Zuschauer weiß bereits mehr, als der Protagonist dieser Szene. Mehr wird nicht verraten.

Für Cutter Paul Hirsch wurde der Schnitt zur echten Herausforderung, denn De Palma drehte auf unterschiedlichem Filmmaterial. So musste bei der Bearbeitung ständig zwischen 35mm und 16mm gewechselt werden. Paul Hirsch hatte damals noch wenig Erfahrung und musste ein eigenes System entwickeln, um den komplizierten Schnittvorgang bewältigen zu können. Er arbeitete auch später mit Brian De Palma zusammen, mit dem er sich gut verstand und zählt heute zu den Meistern seines Fachs. Paul Hirsch war es auch, der Alfred Hitchcocks Stamm-Komponisten Bernard Herrmann ins Spiel brachte. De Palma war begeistert und konnte gar nicht glauben, dass Herrmann sofort zusagte, nachdem er das Drehbuch zu „Die Schwestern des Bösen“ gelesen hatte. Allerdings war Herrmann kein einfacher Zeitgenosse, galt als launisch und wirkte mitunter recht einschüchternd auf die jungen wilden Avantgarde-Filmer. Aber er komponierte nicht nur einen hervorragenden Soundtrack, der unverwechselbar seine Handschrift trägt, sondern konnte auch beim Schnitt wertvolle Ratschläge geben, denn Bernard Herrmann war nicht nur ein brillianter Komponist, sondern hatte auch ein gutes Gespür für Dramaturgie. Die Filmmusik für „Die Schwestern des Bösen“ zählte zu seinen letzten Werken, gefolgt von „Die Wiege des Bösen“ (1974), „Schwarzer Engel“ (1975) und „Taxi Driver“ (1975). Bernard Herrmann starb 1975 im Alter von 64 Jahren im Schlaf, an Heiligabend – einen Tag, nachdem er die Musikaufnahmen für „Taxi Driver“ beendet hatte.

Aus seiner Bewunderung für Hitchcock machte Brian De Palma nie einen Hehl und baute immer wieder Anspielungen in seine Filme ein. Das brachte ihm schnell den Ruf des Plagiateurs. Dabei wird jedoch übersehen, dass Brian De Palma keineswegs versucht Hitchcock zu kopieren, sondern dessen Stil weiter zu entwickeln. Hitchcock hatte z. B. nie mit Split-Screen gearbeitet. Ein Stilmittel, das De Palma perfekt beherrscht und schon in „Die Schwestern des Bösen“ sehr eindrucksvoll einsetzt. So erlebt der Zuschauer zeitgleich die Ankunft der Polizei, während Daniele und Dr. Breton die Leiche in der Couch verstecken und alle Spuren verwischen. Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz, z. B. wenn Dr. Breton hinfällt, während er Beweismaterial durch die Wohnung schleppt und sich dabei den Kopf stößt. Solche schwarzhumorige Momente hält der Film immer wieder bereit, manche Details offenbaren sich möglicherweise erst nach nochmaligem Ansehen.

Dies ist einer dieser Filme, die mich immer wieder in ihren Bann ziehen und nicht an Faszination verlieren. Zu VHS-Zeiten gehörte er noch zu den jugendgefährdenden Videofilmen und war fast 20 Jahre auf dem Index. Ein Schicksal, das De Palmas lustvoll gewalttätigem „Dressed To Kill“ (1980) bemerkenswerterweise erspart blieb. Dafür landete seine Neuinterpretation von „Scarface“ (1983) auf dem Index (von dem er aber bereits 2011 gestrichen wurde). Aus heutiger Sicht ist die Indizierung von „Sisters“ jedenfalls kaum noch nachzuvollziehen, auch wenn es mitunter schon etwas ruppig zugeht. Wenn das Brotmesser in Großaufnahme direkt zwischen die Beine sticht, bekommt man(n) schon ein sehr unbehagliches Gefühl.

Im Bonusmaterial des Mediabooks finden sich der englische Trailer, Radio Spots und eine Bildergalerie mit rund 100 Bildern (Produktionsfotos und internationale Artworks). Auf der Bonus-DVD gibt es Interviews mit den Darstellern Jennifer Salt und William Finley, Produzent Edward Pressman, Drehbuchautorin Louisa Rose, Produktionsmanager Jeffrey Heyes und Cutter Paul Hirsch. Außerdem noch die beiden Features „Sisters – Die Autopsie“ und „Brian De Palma – The Final Cut„. Bei einigen Interviews sind feste französische Untertitel im Bild, die durch die (optionalen) deutschen Untertitel nicht vollständig verdeckt werden. Sie sind dennoch gut zu lesen.

Trailer:

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