Lesbische Nonnen im 17. Jahrhundert! Das klingt nach einer Alt-Herren-Fantasie, die hier Paul Verhoeven hätte locker bedienen können, ist er doch ein Enfant terrible mit Hang zu drastischen Bildern und B-Movie-Plots. Und natürlich ist auf Paul Verhoeven Verlass, der hier in besserer Regie-Form ist, als bei seinem letztem Film Elle (2016). Benedetta basiert auf einen realen Gerichtsprozess, der gegen die Nonne Benedetta geführt wurde. Grund war anfangs nicht ihre Sexualität, sondern der Verdacht auf selbst zugefügte Wundmale Christi, die ihr eine Sonderstellung im Kloster ermöglichten. Macht, Sexualität und Gewalt waren schon immer Thema im Portfolio Verhoevens, der sich hier, erneut und beinahe raffiniert, einen Tanz mit dem Exploitation-Kino leistet. CAPELIGHT PICTURES bringt den kantigen Streifen nun unter anderem als 2-Disc Limited Collector’s Edition im UHD-Mediabook (4K Ultra HD + Blu-ray) in zwei Covervarianten heraus.

Regie: Paul Verhoeven

Darsteller: Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patakia, Lambert Wilson, Oliver Rabourdin, Louise Chevillotte

Artikel von Kai Kinnert

Italien im 17. Jahrhundert: Hinter den Mauern des Klosters von Pescia versetzt die Novizin Benedetta Carlini (Virginie Efira) die Oberhäupter der katholischen Kirche in Aufregung, als die Wundmale Christi an ihrem Körper auftreten. Trotz anfänglicher Zweifel an der Echtheit der Stigmata steigt Benedetta als „Auserwählte Gottes“ zur Äbtissin auf. Von nun an genießt sie Privilegien in der Ordensgemeinschaft, die ihr ein geheimes Doppelleben erleichtern: Sie lässt sich von der Nonnenschülerin Bartolomea (Daphné Patakia) in die Geheimnisse körperlicher Lust einführen. Doch die ehemalige Klostervorsteherin Felicita (Charlotte Rampling) kommt dem verbotenen Treiben auf die Spur.

In diesem Streifen geht es um Sexualität und Macht, Paul Verhoeven interessierte sich für die Betrachtung eines lesbischen Verhältnisses im 17. Jahrhundert, gerade weil es der Nonne Benedetta gelang, Äbtissin eines Klosters zu werden. Kein leichter Karrieresprung, denn dieser Posten war einst eine Männerdomäne. Dabei drückt Verhoeven seinen Finger ins Machtgefüge von Religion und Kirche, ohne jedoch den Glauben an sich vorzuführen. Der Kern des Klosters ist nicht der Glaube, sondern das Geschäft – das Geld, die Macht und der Status. Die Nonnen haben allesamt eine kräftige Mitgift an die Klostervorsteherin gezahlt und der Ort ist, wie bei vielen anderen Klostern damaliger Zeit auch, ein Zufluchtsort zahlungskräftiger Randfiguren. Wer dort den Aufstieg schaffte, bekam plötzlich einen Status. Und Benedetta gibt in der Sache Vollgas.

Als Kind schon von Jesus-Visionen heimgesucht, wird die kleine Benedetta von ihren privilegierten Eltern ins Kloster geschickt und erweist sich dort schon nach kurzer Zeit als schlau und mit einem starken Charakter gesegnet. 18 Jahre später flüchtet sich die mittellose Bartolomea vor dem Missbrauch ihres Vaters ins Kloster und bittet um Aufnahme als Nonne. Kaum machbar, verkündet da die Klostervorsteherin Felicita, denn ein Kloster ist kein Heim für Menschen in Not, sondern ein Geschäftsmodel und Bartolomea hat kein Geld für die Aufnahme. Doch Benedetta erkennt etwas in Bartolomea und kommt für sie auf. Zwischen den beiden Frauen wird sich ein Liebesverhältnis ergeben, ein Spiel aus Hingabe, Macht und wechselseitiger Abhängigkeit.

Die Sache hätte vielleicht noch keinen Prozess ergeben, würden Benedetta nicht die Wundmale Christi widerfahren und ihre Jesus-Visionen nicht an Intensität zunehmen. Die Szenen, in denen Benedetta Jesus begegnet haben es in sich, hier verdichtet Verhoeven zunehmend eine spannende Ebene in der Psyche der außergewöhnlichen Nonne und lässt dabei noch das Blut spritzen. Jesus als vernarbter Retter auf einem Schimmel reitend, eine Art Pale Rider des Glaubens, der mit dem Schwert die Halunken splattert. In einer weiteren Sequenz klettert sie zu Jesus ans Kreuz, dabei nimmt sie ihm das Tuch ab und wir sehen Jesus nackt, geschlechtslos, er könnte Mann und Frau zugleich sein. An diesem Punkt beginnt der Film in seiner Unbestimmtheit zu reifen, Verhoeven schafft es, seinen Film ab Mitte in eine Dichte zu führen, die über das oberflächliche Anliegen, die Erzählung eines lesbischen Verhältnisses, weit hinaus geht. Die Unbestimmtheit des Films, der viele Ansätze eröffnet und anfangs kein erkennbares, dramaturgisches Ziel hat, beginnt ab Mitte wunderbar zu funktionieren, denn Verhoeven schwingt augenzwinkernd das Schwert filmischen Könnens. Fleisch & Blut (1985) liegt in der Luft, denn neben Sexualität, Macht und etwas Splatter, kommt noch die Pest ins Spiel, ein Prozess und ein Scheiterhaufen. Die Sache mit dem Scheiterhaufen ist spannend und verläuft anders als gedacht, eine Überraschung mehr in diesem Film, der raffiniert gesetzte Ecken und Kanten hat und so gekonnt künstlerischen Anspruch und Entertainment vereinen kann.

Angenehm abenteuerlich ist dieses Drama; Paul Verhoeven liefert hier einen guten Film ab, der seine Merkmale hat. Gefilmt im Stil der Renaissance, schrammt Verhoeven alles, was ein konzentriertes Machtspiel mit Kloster und Kirche beinhalten muss. Sex und Gewalt sind wohl dosiert, der Humor ebenso, die Besetzung passt und der Streifen wurde gelungen gefilmt. Benedetta ist Paul Verhoevens bester Film seit Jahren.

Das Bild ist kräftig, satt und klar, der Ton ebenso. Licht und Farben sind schön gesetzt. Als Extras gibt es neben einem informativen 24-seitigen Booklet noch Kinotrailer, ein Interview mit Paul Verhoeven und „Der Weg ins Kloster“ – Paul Verhoeven über die Entstehung von Benedetta.

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