Geht es Euch auch so? Sobald ich den Titel zu Kenneth Branaghs Semi-Autobiographischem Film lese, habe ich sofort die Melodie des gleichnamigen Boney M. Songs im Kopf und in den Beinen. Doch mit der von Frank Farian produzierten Fake-Combo hat dieser Film so gar nichts zu tun, obwohl er optisch wie ein Musical daher kommt und immer wieder Musik, meist von Van Morrison, über die Lautsprecher ertönt. Stattdessen geht es um das positive Lebensgefühl, welches die Bewohner, trotz des eskalierenden Konflikts zwischen Protestanten und Katholiken, anno 1969 in ihrer Stadt erlebten. UNIVERSAL PICTURES HOME ENTERTAINMENT haben den siebenfach oscarnominierten Streifen jetzt im Heimkino veröffentlicht.

Drehbuch und Regie: Kenneth Branagh

Darsteller: Jude Hill, Caitríona Balfe, Jamie Dornan, Judi Dench, Ciarán Hinds

Artikel von Christian Jürs

Ende der Sechziger in Belfast, der Hauptstadt Nordirlands: Der neunjährige Buddy (Jude Hill) wächst, zusammen mit seiner Familie, bestehend aus seinem älteren Bruder Will (Lewis McAskie), seiner Mutter (Caitriona Balfe) und seinem Vater (Jamie Dornan), im Arbeitervietel der Stadt auf. Papa ist allerdings nur selten daheim, denn um den Lebensunterhalt der Familie zu finanzieren, arbeitet er in England, wo die Bezahlung deutlich besser ist. Auch Buddys Großeltern (Judi Dench und Ciarán Hinds) wohnen in unmittelbarer Nähe. Zu ihnen pflegt der Junge ein sehr enges Verhältnis.

Buddy verbringt eine äußerst glückliche Kindheit, in der er auf den Straßen mit seinen zahlreichen Freunden spielt, sich erstmals zu einem Mädchen hingezogen fühlt oder einfach die Zeit mit seiner Familie im Kino, seiner großen Leidenschaft, verbringt. Doch dann wird der Junge plötzlich Zeuge, wie Protestanten, zu denen auch seine Familie gehört, in den Straßen randalieren und gewaltsam gegen die katholischen Bewohner vorgehen. Für den Neunjährigen ein Schock, ist er doch nicht mehr sicher, ob er noch mit den andersgläubigen Kindern spielen darf. Noch schlimmer trifft ihn allerdings, dass sein Vater ein festes Jobangebot in England erhält und nun die Frage im Raum steht, ob die Familie ihr geliebtes Viertel in der vertrauten Heimat, in der sie ihr ganzes Leben verbrachten, hinter sich lassen sollen.

Kenneth Branagh ist fraglos ein Multitalent. Ob als Schauspieler, Drehbuchautor oder Regisseur, von Hamlet über Mary Shelleys Frankenstein bis hin zu Harry Potter oder Marvels Thor (der hier in Comicform einen Cameoauftritt hinlegt) – alles scheint ihm zu gelingen. Alles? Naja, fast. Denn erst kürzlich ging sein zweiter Auftritt als Kultdetektiv Hercule Poirot in der von ihm inszenierten Neuverfilmung des Klassikers Tod auf dem Nil an der Kinokasse baden. Mehr Glück hatte er hingegen mit diesem höchstpersönlichen Streifen, der lose auf seinen eigenen Kindheitserinnerungen basiert. Belfast geriet an der Kinokasse zwar nicht zum Blockbuster, die kleine Coronaproduktion konnte dafür aber eine Menge Preise einheimsen und bekam ganze sieben Oscarnominierungen, von denen der Filmemacher immerhin den Preis für das beste Originaldrehbuch mit nach Hause nehmen konnte. Doch wie gut ist Belfast denn nun eigentlich wirklich?

Nun, es kommt darauf an, was man erwartet. Wer aufgrund des Titels eine Aufarbeitung der damaligen Ereignisse erwartet, der wird zwangsläufig enttäuscht werden. Nein, Kenneth Branagh ging es hier um das Lebensgefühl, welches er selbst als Kind in den Arbeiterstraßen seiner Heimatstadt erlebt hat, nicht um Politik. Und dieses Lebensgefühl vermittelt er seinem Publikum nahezu perfekt. Man spürt quasi in jeder Einstellung, in jedem Blick der Protagonisten und vor allem in den Szenen, in denen die Bewohner gemeinsam auf den Straßen feiern, die Liebe, die Kenneth Branagh für seine Heimat verspürt und die er mit uns teilen möchte. In wunderschönen Schwarzweißbildern werden wir von ihm zum Träumen eingeladen. Doch hier und da blitzt auch mal Farbe durch. Am Anfang und am Ende beispielsweise, wenn Bilder aus der Gegenwart eingefangen werden. Oder aber im Kino, wo sich die Familie Tschitti Tschitti Bäng Bäng gemeinsam anschaut und den Film quasi lebt. Auch eine Theateraufführung der Charles Dickens Weihnachtsgeschichte erstrahlt in goldenen Farben, während das Publikum farblos bleibt. In jeder Faser versprüht der Filmemacher hier die kindliche Begeisterung, die er einst für Kino und Theater empfand (und wohl auch immer noch empfindet).

Der Film entstand während der Blütezeit der Coronapandemie und geriet deutlich kleiner als eigentlich für einen Kenneth Branagh üblich. Dafür aber mit einem phänomenalen Cast, der weitestgehend tatsächlich aus Belfast stammt. Lediglich die Optik der digital eingefangenen Bilder wirkt ein wenig fehl am Platze. Der gestochenscharfe Digitallook, bei dem jede Kamerfahrt und jeder Drohnenflug irgendwie künstlich wirkt, verdrängt den Filmlook, den ich mir hier eigentlich gewünscht hätte. Dies ist und bleibt aber natürlich Geschmackssache. Insgesamt wirkt der Film aber hier und da durch seinen Look und die einfachen Kulissen mehr wie ein Theaterstück und nicht wie ein Kinofilm.

Für den ganz großen Oscarsegen hat es am Ende nicht gereicht. Dabei ist die Idee, die damaligen Ereignisse aus unschuldiger Kindersicht zu erzählen, ein ganz toller Ansatz. Doch hin und wieder verlässt der Film diese Erzählweise und schildert uns das Dilemma der Eltern, die mit sich hadern, die Gegend zu verlassen oder wechselt auf die Großeltern, die mit Alter und Krankheiten klarkommen müssen. Diese Szenen sind zwar ebenfalls toll gespielt und inszeniert, doch gelingt es leider nur allzu selten, echte Bindung mit den Charakteren aufzubauen. Die Szenen mit dem kleinen Jude Hill sind aber wirklich phantastisch und wirken authentisch, auch weil Branagh die Kamera laufen ließ, wenn der Junge gar nichts davon wusste.

Technisch gibt es an der Veröffentlichung seitens Universal Pictures nichts auszusetzen. Mir lag die Blu-ray vor und diese besticht durch sauberes Bild (1,85:1 / 1080p) und glasklaren Ton (Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch in DTS-HD 7.1). Das Bonusmaterial ist recht zahlreich und liebevoll zusammengestellt. So gibt es geschnittene Szenen, wie etwa die eigentliche Endzene, in der Kenneth Branagh himself als erwachsener Buddy in der Gegenwart durch die Straßen seiner Kindheit schlendert. Weitere Featurettes über die Stadt und die Entstehung des Films, sowie ein Audiokommentar vom Regisseur selbst, runden das Bild ab.

Belfast ist nicht das erhoffte Meisterwerk, aber ein schöner, melancholischer Blick auf längst vergangene Tage. Dass dabei die Unruhen beinahe verharmlost daherkommen, liegt an der Erzählperspektive. Sehenswert ist der Film allemal.

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