Es ist nun schon eine Weile her, seitdem wir uns das letzte Mal mit den Edgar-Wallace-Filmen aus dem Hause Rialto Film beschäftigt haben aber wir machen keine leeren Versprechungen (zumindest wenn es nicht gerade um Artikelserien zu irgendwelchen Retrospielen geht) und biegen nun endlich auf die Zielgeraden unserer Krimi-Werkschau ein, die uns abermals in die Welt des italienischen Giallos führt. DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (1972) war der erneute Versuch, der altgedienten Reihe eine Frischzellenkur zu verpassen und statt klamaukigem Rätselraten auf richtigen Thrill für ein internationales und somit auch erwachsenes Publikum zu setzten. Unter eingefleischten Wallace-Fans genießen die deutsch-italienischen Ko-Produktionen einen eher mäßigen Ruf, unter Fans des italienischen Genrekinos wird speziell der hier vorliegende Reißer allerdings als echte Perle der Giallo-Welle gehandelt. Warum, weshalb und wieso, erfahrt ihr im Artikel.
„Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“
Originaltitel: Cosa avete fatto a Solange?
Drehbuch: Bruno Di Geronimo, Massimo Dallamano
Regie: Massimo Dallamano
Darsteller: Fabio Testi, Karin Baal, Joachim Fuchsberger, Cristina Galbó, Günther Stoll, Claudia Butenuth, Camille Keaton…
Artikel von Christopher Feldmann
Nachdem der letzte Wallace-Krimi DIE TOTE AUS DER THEMSE (1971) für die Rialto Film, sowie den Verleih Constantin Film wieder ein zufriedenstellender Erfolg war, begannen weitere Planungen für zukünftige Projekte, die unter dem Label des berühmten Schriftstellers realisiert werden sollten. Zu dieser Zeit hatte Produzent Horst Wendlandt noch zwei Drehbücher in der Schublade, die noch auf eine Umsetzung warteten. Eines davon war DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL von Herbert Reinecker, der schon mehrere Wallace-Drehbücher geschrieben hatte. Im Zuge der Vorbereitung engagierte man den Autor Peter M. Thouet, um den Text zu überarbeiten und etwas mehr dem Zeitgeist anzupassen, denn schließlich verfolgte man erneut den Plan, mit Hilfe von italienischen Produktionspartnern einen Psychothriller für ein internationales Publikum auf die Beine zu stellen. Zwar erwies sich der erste Versuch DAS GESICHT IM DUNKELN (1969) künstlerisch wie kommerziell als Reinfall, dennoch war eine Zusammenarbeit ein lukratives Geschäft. Die Rialto Film musste lediglich 30% der Kosten stemmen, die man durch den deutschen Kinoeinsatz leicht wieder amortisieren konnte und durch die Weltrechte gab es noch einen ordentlichen Gewinn on Top. Zudem wurden solche Vorhaben durch das damals gültige FFA-Gesetz unterstützt. Man ging man eine Partnerschaft mit der Clodio Cinematografica S.P.A. und der Italian International Film S.R.L., beide in Rom ansässig, ein und die Dinge nahmen ihren Lauf. Bis heute zählt DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (1972) zu den umstrittensten Wallace-Filmen, gerade in Bezug auf die Darstellung von Sex und Gewalt, und wird von hartgesottenen Fans eher ablehnend betrachtet. Wer sich allerdings von den Gedanken an die bieder-trashigen Rätselkrimis der vorangegangenen Dekade frei machen kann, bekommt hier einen erstklassigen Giallo-Thriller serviert, der auch heute zu packen weiß.
Handlung:
An einem Ufer der Themse wird die verstümmelte Leiche eines Mädchens gefunden. Der einzige Hinweis am Tatort ist eine grüne Stecknadel. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um das Erkennungszeichen einer Mädchenclique am benachbarten College. Schnell gerät der Lehrer Enrico (Fabio Testi) unter Tatverdacht, immerhin pflegt er eine Beziehung zur Schülerin Elizabeth (Cristina Galbó), die mit dem Opfer befreundet war, und hielt sich zum Zeitpunkt des Mordes in der Nähe des Tatorts auf. Inspektor Barth (Joachim Fuchsberger) von Scotland Yard fühlt dem beliebten und gutaussehenden Pauker auf den Zahn und auch dessen Ehefrau Herta (Karin Baal) hegt großes Misstrauen. Als jedoch weitere Morde geschehen, denen Schülerinnen des Colleges zum Opfer fallen, beschließen Enrico und Herta auf eigene Faust zu ermitteln und stoßen dabei auf ein schreckliches Geheimnis.
Das war schon eine harte Packung als ich damals im Alter von gerade einmal zehn Jahren DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL bei einer TV-Ausstrahlung zu Gesicht bekam. Als junger Krimi-Fan, der jeden Film mitnahm, der sich mit dem Wallace-Label schmückte, war ich ganz heiß darauf, nach 22 Uhr einen Krimi mit Joachim Fuchsberger zu sehen, den ich bis Dato noch nicht kannte. Schnell machte sich Ernüchterung breit, denn mit einer derartigen Marschrichtung hatte ich nicht gerechnet und ziemlich genau nach dem Mord an „Janet“ schaltete ich den Fernseher ab, denn das war dann eindeutig zu viel für mein zartbesaitetes, zehnjähriges Ich. Und trotzdem ging mir dieser Streifen nie aus dem Kopf, nicht etwa, weil ich somit nicht wusste, wer jetzt am Ende als Mörder entlarvt wurde, sondern viel mehr aufgrund seines sehr düsteren Tonfalls, der so gar nicht zu dem passen wollte, was ich bisher als Edgar-Wallace-Film genießen durfte. Es dauerte ein paar Jahre, bis ich dann schließlich die DVD aus der Edgar-Wallace-Collection erwerben und dem Film eine neue Chance geben konnte. Mit einem etwas erwachseneren Blick und dem in dem Bewusstsein etwas völlig anderes präsentiert zu bekommen, lernte ich die Qualitäten dieses Giallos zu schätzen und heute zählt DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL zu meinen Lieblingsfilmen dieses Genres und auch zu meinen Wallace-Favoriten, auch wenn er mit der Reihe stilistisch so gar nichts gemein hat.
Betrachtet man den Umstand, dass zwei Jahre zuvor Wendlandts Konkurrent Arthur Brauner das Argento-Debüt DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE (1970) unter dem Label Bryan Edgar Wallace in die deutschen Kinos brachte und damit einen veritablen Erfolg feierte, ist die Ausrichtung der hier vorliegenden Produktion gar nicht mal so überraschend, immerhin wurde die klassische Murder-Mystery, ein elementarer Bestandteil vorheriger Wallace-Klassiker, hier erneut aufgegriffen und entsprechend modernisiert und dem damals aktuellen Publikumsgeschmack angepasst. Keine Altherrenwitze, keine Comic-Relief-Charaktere, keine skurrilen Plot-Twists mehr, sondern echter Nervenkitzel mit dem nötigen Maß an Realismus und dem wirksamen Einsatz von nackten Tatsachen und fiesen Gewaltspitzen. Edgar Wallace wurde erwachsen und auch wenn sich dieses Rezept nur für zwei Filme trug, ist die Schlussphase der Reihe ein ideales Spiegelbild des sich damals im Wandel befindenden Zeitgeists.
So verzichtete man für diesen Film erneut auf die typischen Tropes, die man noch wenige Jahre zuvor immer und immer wieder präsentiert bekam. Kein umstrittenes Erbe, keine alten englischen Schlösser und auch keine skurril maskierten Verbrecher, die im wabernden Nebel Londons ihr Unwesen trieben. Stattdessen bedient sich das Drehbuch, dass von Regisseur Massimo Dallamano und seinem Ko-Autor Bruno Di Geronimo für die italienische Version nochmals angepasst wurde, bei den damals gängigen Motiven des Giallos. Ein Genre, das auf die gelbeingebundenen Groschenromane (Giallo=Gelb) aus Italien zurückzuführen ist, die vor allem reißerische Geschichten beinhalteten, vornehmlich aus dem Horror- und Thrillerbereich. Aber auch klassische Krimikost von Arthur Conan Doyle über Agatha Christie bis hin zu eben jenem Edgar Wallace wurden im Rahmen dieser Sparte vertrieben. An dieser Stelle über den Giallo als Filmgenre zu referieren würde den Rahmen sprengen aber das könnte ihr gerne an anderer Stelle nachholen, zum Beispiel im Podcast von Edgar Wallace seine Nachbarn, in dem ich in einer Folge mit den Moderatoren über genau diesen Film reden durfte und auch ein wenig zum Giallo im Allgemeinen erläutere. Den Link findet ihr am Ende des Artikels.
Die Geschichte speist sich aus gängigen Motiven zusammen, die mittlerweile auch als Genreklischees anerkannt sind. Es geht um eine Mordserie, einen Killer, der gerne aus der Ego-Perspektive gezeigt wird und stilecht schwarze Handschuhe trägt und sich in dessen Fadenkreuz befindende junge, möglichst attraktive Mädchen. Dazu gesellt sich noch die Privatperson im Form des Lehrers „Enrico“, die durch Zufall in diesen Fall hineingerät und damit beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Im Zentrum steht dabei ein Ereignis aus der Vergangenheit, dass mit den gegenwärtigen Morden im Zusammenhang steht. Wie man sieht, ist DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL ein Giallo erster Güte, der seine Elemente perfekt vereint und eine spannende wie auch abgründige Geschichte erzählt. Das Drehbuch versteht es, den Zuschauer bei der Stange zu halten, ohne zu viel zu verraten. Auch auf die üblichen roten Heringe wird größtenteils verzichtet, der Film erzählt seine Geschichte straight und ohne allzu große Schlenker. Auch die Auflösung ist durchaus gelungen, denn anders als andere Genre-Vertreter, die wie schon einige Wallace-Filme der Vergangenheit völlig absurde Plot-Twists aus dem Hut zaubern, nur um dem Zuschauer eine überraschende Lösung zu präsentieren, ist der Reveal hier schlüssig geraten und sorgt gleichzeitig für einen Schlag in die Magengrube, denn wo es sich in anderen Filmen größtenteils um simple Psychopathen handelt, wird hier aus Rache gemordet und der Mörder selbst als eine Art tragische Figur geschildert. Gleichzeitig ist das Ganze schon eine Art Kommentar auf den damals lockeren Zeitgeist und die sexuelle Emanzipation, was sich auch in der ziemlich garstigen Mordmethode widerspiegelt.
Für die Regie verpflichtete man den Italiener Massimo Dallamano, seines Zeichens Chefkameramann von Sergio Leone bei FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) und FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR (1965). Vor DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL inszenierte er bereits den Italo-Western BANDIDOS (1967), VENUS IM PELZ (1969), sowie die Oscar-Wilde-Adaption DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY (1970). Insgesamt gelang Dallamano hier ein sauberer und hochwertig inszenierter Film, der zwar nicht so verspielt daherkommt wie die Filme von Mario Bava und Dario Argento aber in seiner um Realismus bemühten Gestaltung deutlich eindringlicher und unangenehmer wirkt. Ein Kunstgriff, der ihm beim geistigen Nachfolger DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER (1974) noch einmal gelingen sollte. Für die Kamera zeichnete sich indes ein echter Triebtäter des italienischen Schmuddelkinos verantwortlich. Aristide Massaccesi, besser bekannt als Joe D’Amato, war hier für die Cinematographie zuständig und betrachtet man dessen spätere Werke, die vor allem in den Bereichen Horror, sowie Soft- und Hardcore-Erotik angesiedelt sind, mag man diese Personalie kaum glauben.
Auf Seiten der Darsteller gibt ebenso wenig zu meckern. Zwar sucht man hier vergebens einen Eddi Arent, einen Siegfried Schürenberg oder einen anderen altgedienten Wallace-Veteranen, mit Joachim Fuchsberger konnte man aber dennoch ein Gesicht der ersten Stunde und den wohl beliebtesten Ermittler des deutschen Kinos in den 1960er Jahren gewinnen. Dieser war hier zum zwölften und letzten Mal in einem Wallace-Film der Rialto Film zu sehen und auch seine Darstellung ist ebenso auf der Höhe der Zeit. Statt dem Charmebolzen lässt „Blacky“ hier den objektiven und um Effizienz bemühten Inspektor raushängen, der weniger mit den Damen flirtet, sondern sich auf den Fall konzentriert. Fuchsberger selbst gefielen der Film an sich und die Dreharbeiten weniger gut, bis zu seinem Tod sprach er nur selten über seinen Italienausflug, zuletzt wollte er sich gar nicht mal mehr daran erinnern. Gleiches gilt für Karin Baal, die hier nach DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (1961) und DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE (1967) zum dritten und letzten Mal innerhalb der Reihe zu sehen ist. Auch sie ist nicht gut auf die Produktion zu sprechen und bezeichnete das Ganze in Interviews als geschmacklosen Porno. Trotzdem spielt sie ihre Figur hervorragend, auch wenn ihr Wandel von der rauen, zugeknöpften deutschen Lehrerin zur verschmusten, mit offenem Haar auftretenden Ehefrau etwas zu krass daherkommt. Die eigentliche Hauptrolle hat allerdings Fabio Testi inne, der hier den „Enrico“ mimt. Testi gehörte zu den großen Stars des italienischen Kinos und war in einigen Italo-Western, sowie in mehreren Polizioteschis der 1970er Jahre zu sehen. Mit Cristina Galbó und Günther Stoll (zum vierten und letzten Mal in einem Wallace-Film) hatte man ebenfalls gute Darsteller für gewichtige Nebenrollen. In der Rolle der „Solange“ ist übrigens Camille Keaton zu sehen, die später die Hauptrolle in dem berühmt-berüchtigten Exploitationfilm I SPIT ON YOUR GRAVE (1978) spielen sollte.
Für die Musik holte man sich einen echten Hochkaräter heran, denn niemand geringeres als Filmmusiklegende Ennio Morricone komponierte den malerischen Score für diesen Thriller. Morricone vertonte schon die beiden Bryan-Edgar-Wallace-Filme (zumindest wurden sie hierzulande als solche vermarktet) DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE (1970) und DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE (1971), beide von Dario Argento inszeniert und ebenfalls klassische Giallis.
Im Gegensatz zu den meisten der vorherigen Produktionen aus der Reihe, wurde DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL on Location in London gedreht. Sämtliche Außendrehs fanden in der britischen Metropole statt, lediglich für die Innenaufnahmen und die Friedhofsszene wurden die Kameras in Rom angeworfen. Die gesamten Dreharbeiten fanden vom 13. September 1971 bis zum 01. November 1971 statt. Etwa zeitgleich wurde zudem der letzte offizielle Wallace-Film DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS (1972) in Rom produziert, allerdings früher fertig gestellt, somit wurde mit der Duschszene im hier vorliegenden Film die letzte Szene für einen Wallace-Film überhaupt geschossen. Am 09. März 1972 startete der Thriller in den deutschen und in den italienischen Kinos. Die FSK vergab eine Freigabe ab 16 Jahren, allerdings musste die deutsche Fassung einiges an Federn lassen. Sämtliche Morde wurden geschnitten und auch viele Dialogszenen wurden gestrafft, gerade was Hauptdarsteller Fabio Testi angeht, vermutlich um die Screentime von Joachim Fuchsberger künstlich etwas erhöhen. Allerdings muss man betonen, dass die deutsche Fassung relativ sorgfältig geschnitten wurde und somit gut schaubar ist, auch wenn eine ganze Schlüsselszene im Park fehlt, die die Handlung etwas runder macht. Mittlerweile gibt es die internationale Langfassung auch hierzulande in einer schönen HD-Fassung über Plaion Pictures (ehemals Koch Films) im Mediabook zu erwerben, welches beide Versionen beinhaltet. Bei der Langfassung fehlt allerdings jeglicher Wallace-Bezug, denn das bekannte Intro mit der MG-Salve und der Stimme Alfred Vohrers wurde natürlich nur für die deutsche Fassung verwendet.
Für die Rialto Film war die Ko-Produktion ein Erfolg, auch wenn die Kritiken gemischt ausfielen. Bis heute gibt es zweierlei Lager, die einen bezeichnen den Film als Schund im Zuge der damaligen Sex-Welle, die anderen sehen ihn als hervorragenden Beitrag zum italienischen Giallo. Einig ist man sich über den Fakt, dass DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL inhaltlich überhaupt nichts mehr mit dem zu tun hat, was die Reihe einst auszeichnete und auch einzigartig machte.
Fazit:
Sicher ist DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (1972) kein Referenztitel für die Edgar-Wallace-Reihe an sich, dafür bietet der Film so gut wie gar keine Elemente, die die Marke eigentlich auszeichnen. Egal, ob man diesen deutlich abgründigeren und auch expliziteren Touch nun mag oder nicht, lässt sich nicht darüber streiten, dass es sich hier um einen wirklich gelungenen und handwerklich erstklassigen Thriller handelt, der auch heute noch zu packen weiß. Zwar werden Wallace-Fans auch noch in 20 Jahren über den „italienischen Schund“ wettern, trotzdem sollte man ihm eine Chance geben.
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