Nein, hierbei handelt es sich um keine Neuauflage der verkitschten Historienschnulze mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm, sondern um einen kleinen aber durchaus interessanten Genrefilm, der im vergangenen Jahr beim Fantasy Filmfest zu sehen war. SISSY (2022) rechnet nicht nur mit der Generation Z, insbesondere mit „Influencern“ ab, sondern ist zugleich auch noch ein sehr satirisch aufgeladener Slasherfilm, in dem es durchaus graphisch zur Sache geht. Plaion Pictures spendiert dem Streifen demnächst die deutschsprachige Heimkino-Premiere und ob sich die Sichtung lohnt, könnt ihr bereits bei den Huren eures Vertrauens nachlesen.

Originaltitel: Sissy

Drehbuch: Hannah Barlow, Kane Senes

Regie: Hannah Barlow, Kane Senes

Darsteller: Aisha Dee, Hannah Barlow, Emily De Margehriti, Daniel Monks, Yerin Ha, Lucy Barrett…

Artikel von Christopher Feldmann

„Influencer“ sind mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Täglich geben sie in den sozialen Medien Tipps für den persönlichen Alltag, preisen Produkte an, die sie vermutlich teilweise selbst gar nicht kaufen würden und leisten mentalen Beistand, für all diejenigen, die sich im Leben nicht verstanden fühlen. Eine gefährliche Entwicklung, denn oftmals projizieren „Influencer“ ein Bild, dem sie abseits der Kamera gar nicht wirklich entsprechen, lassen ihre Follower aber glauben, das was sie repräsentieren wäre real. Dass man viele dieser Menschen und ihre öffentliche Performance auch mal hinterfragen sollte, ist eines der zentralen Elemente in SISSY (2022), einem australischen Independentfilm, der nun im hiesigen Heimkino erscheint. Zwar geht das Regie-Duo Hannah Barlow und Kane Sense dabei nicht gerade sehr subtil zu Werke, ein unterhaltsamer, auf positive Weise überzogener und überraschend blutiger Spaß ist dennoch dabei herausgekommen.

Handlung:

Als Teenager noch als „Sissy” verspottet, zwölf Jahre später erfolgreiche Influencerin: Eben hat Cecilia (Aisha Dee) es auf 200.000 Follower geschafft, da wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Die hört auf den Namen Emma (Hannah Barlow) und lädt die ehemalige Schulfreundin zur Junggesellinnenparty ins australische Outback ein. Dort kommt es auch zu einem Wiedersehen mit Cecilias früherer Erzfeindin Alex (Emily De Margheriti). Aus alter Rivalität wird schnell ein aus dem Ruder laufender blutiger Kampf … und die Party hat gerade erst begonnen!

Um das gleich zu erklären, „Sissy“ ist im Film kein Spitzname und auch keine Kurzform von „Cecilia“, sondern eine umgangssprachliche Bezeichnung für einen weinerlichen Menschen. Dass dieses Wort durchaus Spuren bei unserer Protagonistin hinterlassen hat, wird immer wieder mittels Flashbacks erklärt. Der Film bringt das Thema Mobbing auf den Tisch und zeigt dessen Auswirkungen auf emotional instabile Menschen, was schließlich in einer Art Traumata mündet. Natürlich hätten Hannah Barlow und Kane Sense, die auch das Drehbuch zum Film schrieben, daraus ein ernstes Drama machen können, das die Zuschauer für diese Themen sensibilisieren soll. Haben sie aber nicht!

SISSY widmet sich Mobbing auf sehr satirische Weise, in dem aus der eigentlich ernsten Prämisse ein quietschbunter, überdrehter Slasher entwächst, der kräftig gegen den gegenwärtigen Zeitgeist austeilt. „Cecilia“ stetzt sich als Mental-Health-Coach in Szene, schwadroniert vor ihrer Zuschauerschaft über Selbstzufrieden- und Ausgeglichenheit, bevor sie durch ihre zugemüllte Wohnung schlurft und Pizza vom Vortag isst. Entgegen ihres Images ist „Cecilia“ selbst psychisch angeknackst und scheint fast schon in eine Parallelwelt abgedriftet zu sein. Immer dann, wenn die Situation unangenehm oder nicht zu ihren Gunsten ausfällt, flüchtet sie sich in die Kommentarsektion ihrer Social-Media-Präsenz, in der sie sich an den warmen Worten völlig unbekannter Menschen berauscht, die sie großartig finden. Der Film zeichnet das Bild einer gequälten Seele, die schüchtern und unsicher im Umgang mit anderen Menschen ist und sich ihr eigenes Refugium geschaffen hat, in der sie anderen etwas präsentiert, was sie gar nicht ist. Die Seitenhiebe sitzen dabei recht gut und es macht Spaß dabei zuzusehen wie aus einer Protagonistin, mit der man zu Beginn Mitleid hat, eine Antagonistin wird. Besonders das Ende hat es dann nochmal in sich und sorgt dafür, dass dem Zuschauer das Lachen etwas im Halse stecken bleibt. Dies sind kleine clevere Beobachtungen der Macher, die etwas darüber hinwegtrösten, dass die Messages nicht gerade besonders subtil sind. SISSY ist in seiner Aussage schon sehr auf die Fresse und abgesehen davon ziemlich konstruiert, so dass die „Suspension of disbelieve“ stellenweise arg strapaziert wird.

Man muss sich schon etwas auf den Film einlassen und eine leichte, vielleicht auch ironische Distanz aufbauen, denn für wirklich bare Münze kann man das Alles nicht nehmen. Besonders weil die Figuren so ziemlich jedes Generation-Z-Klischee bedienen, das man sich nur vorstellen kann. Somit trägt SISSY die gleiche Bürde wie der ebenfalls letztes Jahr erschienene BODIES BODIES BODIES (2022) und eigentlich gar keine Figur anzubieten, die wirklich sympathisch ist oder mit der man als Zuschauer mitfiebern kann, im Grunde genommen sind alle Charaktere ziemlich Kackbratzen, lediglich mit „Cecilia“ hat man stellenweise Mitleid, bis sie eben zur durchgeknallten Mörderin reift. Hauptdarstellerin Aisha Dee ist es aber zu verdanken, dass diese Plot-Entwicklung richtig Spaß macht, denn die australische Schauspielerin ist hervorragend in ihrer Rolle und spielt sich förmlich die Seele aus dem Leib. Der Rest der Besetzung kann da freilich nicht mithalten, passt aber in seinen überdrehten Rollentypen sehr gut zu der ohnehin überbordenden Inszenierung.

Das Regie-Duo (Co-Regisseurin Hannah Barlow spielt die Figur der „Emma“) setzt bewusst auf eine gewisse Künstlichkeit und taucht die Bilder in quietschbunte Farben, als wohne man einer mit tausend Filtern zugeklatschten Instagram-Story bei, die sich ab und an in derbe Gewaltspitzen ergibt. Ja, SISSY ist nicht gerade zimperlich in seiner Gewaltdarstellung, es werden Köpfe eingeschlagen und skalpiert, Gesichter zermatscht oder gar Körper mit dem Auto platt gefahren, dass eine Freigabe ab 18 Jahren durchaus gerechtfertigt wäre. Betrachtet man aber die überzogene Inszenierung, den schwarzen Humor und den satirischen Ansatz, hätte die FSK auch die gnädige 16er-Freigabe vergeben können. Dennoch ist SISSY kein Splatterfest, liefert aber punktuell ab und setzt dankenswerterweise auf handgemachte Effekte, die richtig gut aussehen.

Bild- und Tonqualität sind wie immer top. Als Bonusmaterial gibt es lediglich Trailer.

Fazit:

SISSY (2022) ist nicht gerade subtil in seiner Botschaft und stellenweise auch sehr konstruiert bis absurd. Trotzdem sitzen die Seitenhiebe gegen die Tücken des Influencer-Daseins und der satirische Unterton sorgt für kurzweilige Unterhaltung und einen etwas anderen Slasherfilm, der durchaus sein Publikum finden dürfte. Ich hatte eine gute Zeit.

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