Wir alle kennen Filme, die die Lebensumstände in Problembezirken abbilden und egal ob es sich dabei um Klassiker wie MENACE II SOCIETY (1993) oder eher auf Hollywood getrimmte Dramen wie DANGEROUS MINDS (1995) handelt, das Eintauchen in eine Welt voller Gewalt und Armut lässt selten jemanden unberührt, vorausgesetzt die Macher haben das richtige Händchen für die Geschichte und die dazugehörigen Figuren. Wie man es tatsächlich richtig macht, zeigt die deutsche Romanverfilmung SONNE UND BETON (2023), die auf dem gleichnamigen Bestseller von Felix Lobrecht fußt. Nach erfolgreichem Kinoeinsatz ist das Coming-of-Age-Drama nun dank Constantin Film auch für Zuhause erhältlich. Warum es sich hier vielleicht um den besten deutschen Film des Jahres handelt, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Sonne und Beton

Drehbuch: Felix Lobrecht, David Wnendt; nach dem gleichnamigen Roman von Felix Lobrecht

Regie: David Wnendt

Darsteller: Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Rafael Luis Klein-Heßling, Aaron Maldonado-Morales, Lucio101, Luvre47, Leon Ullrich…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Berlin-Gropiusstadt im Rekordsommer 2003. In den Parks stinkt es nach Hundescheiße, überall Scherben, in den Ecken stehen Dealer. Wer hier lebt, ist Gangster oder Opfer. Lukas (Levy Rico Arcos), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und Julius (Vincent Wiemer) sind solche Opfer. Kein Geld fürs Schwimmbad, kein Glück in der Liebe und nur Stress zu Hause. Als sie im Park Gras kaufen wollen, geraten sie zwischen rivalisierende Dealer. Die verprügeln Lukas und wollen 500 Euro Schutzgeld. Wie soll Lukas das Geld auftreiben? Sein neuer Klassenkamerad Sanchez (Aaron Maldonado-Morales) hat eine Idee: Einfach in die Schule einbrechen, die neuen Computer aus dem Lager schleppen und verkaufen. Dann sind sie alle Geldsorgen los. Der Plan gelingt. Fast.

Wie man der Inhaltsangabe entnehmen kann, ist SONNE UND BETON im Jahr 2003 angesiedelt, im Umfeld der damaligen Hartz-Reformen, einer Zeit in der Deutschland fast vier Millionen Arbeitslose zu verzeichnen hatte. Eine Zeit, in der noch unser „GasGerd“ (der hier auch kurz im Fernsehen zu erblicken ist) am Drücker saß, die Temperaturen Höchstwerte erreichten und der Party-Gassenhauer „Ab in den Süden“ der Hit der Saison war. Vor dieser Kulisse begleiten wir die Protagonisten im Alltag in der „Gropiusstadt“, einem Ortsteil Neukölns, der als sozialer Brennpunkt bekannt ist. Die Geschichte ist relativ simpel gestrickt und generell hält sich die Verfilmung eng an den Roman Lobrechts, der gemeinsam mit Regisseur David Wnendt das Drehbuch schrieb. Wie auch in der Vorlage ist die Story um eine Gruppe Jugendlicher, die schnell an Geld zu kommen versuchen, lediglich zweckmäßig und dient dazu ein gesellschaftliches Portrait der damaligen Umstände zu zeigen.

Das gelingt dem Werk übrigens ausgesprochen gut, denn SONNE UND BETON lebt von seinen ambivalenten Figuren, die nie nur gut sind, sondern auch ihre negativen Eigenschaften haben und sich mit dem Leben zwischen Straßenkriminalität, überforderten Lehrkörpern und häuslicher Gewalt abgefunden haben und versuchen, aus ihrer Situation das Besten zu machen. Da spielt es keine Rolle, dass beispielsweise Lukas‘ Vater, der selbst nie den Absprung geschafft hat, Gewaltverzicht predigt oder der Lehrer, der sich auch noch als Rassist herausstellt, seinem Schüler größeres Potenzial attestiert. Es geht um den harten Alltag von Menschen, die sich abgehängt fühlen. Es gibt zudem auch keine Sicht von Außen wie beispielsweise im französischen Film DIE WÜTENDEN (2019), in dem man durch die Augen eines Polizisten in das Geschehen eintaucht. In SONNE UND BETON bleiben die Figuren unter sich und der Film lässt sie wirken, was für wesentlich mehr Authentizität sorgt, zumal man deutlich spürt, dass Co-Autor Lobrecht dort selbst aufgewachsen ist und eigene Lebenserfahrungen in sein Buch hat mit einfließen lassen. Es finden somit auch die typischen Coming-of-Age-Elemente wie Freundschaft, Loyalität, Liebe und das Erwachsenwerden ihren Platz. Doch der Film ist immer dann am stärksten, wenn er die Figuren einfach machen lässt, wenn man sie beim Streifzug durch die Straßen, beim Kiffen oder beim Diskutieren verschiedenster Probleme beobachten kann. Dass der Film auch die in den Augen der Figuren schillernden Vorbilder wie Lukas‘ vermeintlich allseits respektierter Bruder bloßstellt, in dem man als Zuschauer erfährt, dass auch dieser ein ziemlicher Versager ist, macht das Ganze nur noch ehrlicher. Hier geht es niemandem gut, jeder macht nur eben das Beste aus seinem Elend.

Allerdings kann SONNE UND BETON schon anstrengend werden, gerade aufgrund seiner lauten, stellenweise aggressiven Art. Es wird viel geschrien, geflucht und sich in der damaligen Jugendsprache unterhalten. Das kann aus heutiger Sicht manchmal etwas cringe und sehr klischeehaft klingen, spiegelt aber den damaligen Zeitgeist wieder. Ich selbst war 2003 zehn Jahre alt und kenne die Umgangsformen aus meiner Schulzeit. Ich bin zwar nicht im Problembezirk aufgewachsen, an meiner Schule war der Ausländeranteil aber auch relativ hoch wie auch der Anteil von Schülern aus niedrigeren sozialen Schichten, weshalb mich manche Redewendungen haben zurückdenken lassen. Dennoch muss man sich auf den Tonfall einlassen können und wenn man das schafft, bekommt man einen authentischen, zum Ende hin auch spannenden Film geboten, der sämtliche Emotionen bedient.

Dazu kommt noch die Tatsache, dass Regisseur David Wnendt ein gutes Gespür beweist und seine Figuren tatsächlich wie Menschen aus Fleisch und Blut inszeniert. Darüber hinaus gibt es starke Bilder, die das Zeitkolorit inkusive der flirrenden Hitze perfekt einfangen und auch Ausstattung, Outfits wie auch der Soundtrack (natürlich viel „Aggro Berlin„, in deren Tracks oft das Lebensgefühl in der Unterschicht thematisiert wurde) spiegeln perfekt das Jahr 2003 wieder. Würde man über die kinotauglichen Thrillerelemente hinwegsehen, könnte SONNE UND BETON fast schon als dokumentarische Milieustudie durchgehen. Dafür sorgen auch die Darsteller, die hierfür sorgsam gecastet wurden. Die vier Hauptakteure mussten sich gegen rund 5000 Konkurrenten durchsetzen und machen einen hervorragenden und für deren Alter höchst respektablen Job, geben ihren zudem Figuren das nötige Herz. Und am Ende, in einer berührenden Szene im Krankenhaus, wenn der Film plötzlich STAND-BY-ME-Vibes an Tag legt und die Charaktere merken, worauf es wirklich ankommt, wünscht man sich fast noch ein bisschen mehr von ihnen zu sehen, zu erfahren wie ihre Geschichte weitergeht.

Constantin Film veröffentlichte den Film kürzlich im Heimkino. Uns lag zur Ansicht die Blu-ray vor, die für einen wahren Seh- und Hörgenuss sorgt. Der Ton ist wuchtig und das Bild hervorragend, als Extras gibt es Featurettes, ein Behind-the-Scenes-Video und mehrere Musikclips.

Fazit:

Mit SONNE UND BETON (2023) beweist Regisseur David Wnendt ein gutes Händchen für gesellschaftspolitisch aufgeladenes Genrekino und zaubert auf Basis von Felix Lobrechts Bestseller einen beeindruckenden Mix aus Milieustudie, Brennpunktthriller und Coming-Of-Age-Drama. Der bisher beste deutsche Film des Jahres, der er vermutlich auch bleiben wird.

Amazon-Links:

Blu-ray

DVD

Prime Video

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

Zurück zur Startseite