Freddie Mercury, Ray Charles, Johnny Cash, Elton John und zuletzt Bob Marley und Amy Winehouse – sie alle haben in den vergangenen Jahren ihre Biopics spendiert bekommen und diese liefen allesamt ziemlich erfolgreich in den Kinos. Auch wir Deutschen haben unseren Beitrag hierzu beigetragen und einem der populärsten, hiesigen Musik-Acts eine filmische Ehrung spendiert. Doch LEONINE STUDIOS gab nicht etwa die Lebensgeschichte von Heino, Helene Fischer oder die der Wildecker Herzbuben in Auftrag. Stattdessen traf es die Discopopband Milli Vanilli, die Ende der Achtziger die Chars stürmten und nach kurzem, internationalem Siegeszug mit einem skandalösen Paukenschlag für Ärger und Entsetzen bei ihren Fans sorgten. Ob dieser deutsche Musikfilmbeitrag wohl mit seinen internationalen Vorbildern mithalten kann? Und wie schlägt sich Matthias Schweighöfer in der Rolle des kürzlich verstorbenen Musikproduzenten Frank Farian?

Regie: Simon Verhoeven

Darsteller: Tijan Njie, Elan Ben Ali, Matthias Schweighöfer, Bella Dayne, Graham Rogers, Natasha Loring

Artikel von Christian Jürs

Die turbulente Geschichte rund um die beiden Tänzer Robert Pilatus (Tijan Njie) und Fabrice Morvan (Elan Ben Ali) schwirrte schon länger in den Köpfen der Verantwortlichen der Filmindustrie herum. 2007 erteilte Universal Pictures dem Drehbuchautoren Jeff Nathanson (Terminal / Catch me if you can) den Auftrag, ihre Story zu Papier zu bringen. Doch aus dem Projekt wurde nichts. Danach sollte sich Brett Ratner (Rush Hour) daran versuchen, doch nachdem er 2017 von mehreren Schauspielerinnen wegen sexueller Belästigung beschuldigt wurde, starb auch dieses Projekt.

Den Zuschlag sollte schließlich der deutsche Regisseur Simon Verhoeven bekommen, der mit Willkommen bei den Hartmanns eine recht erfolgreiche, aber auch biedere Komödie vorlegte, sowie den mittelprächtigen Horrorfilm Unfriend, der weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Ist er der richtige Mann für so eine große Aufgabe? Nun, ich war mir mehr als unsicher, kann aber, nach Sichtung von Girl You Know It´s True, zu dem er auch das Drehbuch verfasste, erstaunt verkünden, dass Verhoeven nicht nur der richtige Mann für den Job war, er drehte auch gleich noch einen der besten, deutschen Filme der letzten Kinojahre! Doch der Reihe nach…

Girl You Know It´s True wird uns von den bekannten Gesichtern des Popduos Milli Vanilli in Rückblicken erzählt. Ein schöner, fiktiver Bogen, der uns in die Kindheitsjahre von Robert ´Rob´ (hier: Romeo Guy Da Silva), der von dem biederen Münchener Ehepaar Pilatus (Ulrike Arnold & Thomas Bading) adoptiert wurde, führt. Wie ein Außerirdischer wird der kleine, dunkelhäutige Junge von den Nachbarn beäugt. Früh entdeckt er seine Leidenschaft zum Tanzen und vor allem den Break Dance. Etwas, dass er zu seinem Beruf machen möchte. Sehr zum Ärger seines Vaters, der ihn daraufhin vor die Tür setzt. Bei einem Vortanzen trifft Rob schließlich auf den gleichgesinnten Franzosen Fabrice Morvan, mit dem er eine kleine Karriere als Backgroundtänzer in Musikshows und Discotheken startet. Beide ziehen in eine kleine Behausung, bis sie von Ingrid Segieth (Bella Dayne), genannt ´Milli´ entdeckt werden.

Die ist die rechte Hand und Liebhaberin des erfolgreichen Musikproduzenten Frank Farian (Matthias Schweighöfer), der sich gerade auf der Suche nach zwei passenden Gesichtern für sein neuestes Popmusikprojekt befindet. Denn, wie wir heute wissen, nahm Farian bereits bei seiner Erfolgskombo Boney M fotogenere Gesichter für seine Plattencover und Liveauftritte, da er die eigentlichen, talentierten Musiker (teilweise sang Farian auch selbst ein) für optisch nicht Massentauglich hielt. Und so unterbreitet der Erfolgsproduzent den beiden Tänzern ein lukratives Angebot. Sie sollen zum Playback seiner neuesten, bereits aufgezeichneten Popsongs die Lippen und Hüften bewegen – sowohl in den Musikvideos als auch bei Playback-Liveauftritten. Außerdem würden sich die durchtrainierten Tänzer besser auf den Schallplattencovern machen als die durchschnittlich aussehenden, echten Musiker.

Der Rest ist Geschichte, die jüngeren Lesern vermutlich fremd ist, den alten Hasen unter Euch aber nur allzu bekannt sein dürfte. Milli Vanilli, wie das Duo, basierend auf Musikproduzentin Ingrids Spitznamen, hieß, stürmten mit Hits wie „Baby, Don´t Forget My Number„, „Blame it on the Rain“ oder dem titelgebenden Track die Hitparaden, auch international. Selbst in den USA, wo sie für ihre Rap-Einlagen und den albernen Bandnamen von den Kollegen belächelt wurden, landeten Milli Vanilli mehrere Nummer eins Hits. Doch der Erfolg hielt nur kurz an. Drogen, Arroganz und Pannen beim Playback sollten das falsche Spiel schließlich aufklären, den Fake-Ballon platzen lassen. Es folgte der Absturz, der einem der beiden schließlich das Leben kostete, während der andere sich wieder nach oben kämpfen konnte (wenn auch im kleineren Umfang).

Mit geringen Erwartungen ging ich an dieses deutsche Biopic heran. Milli Vanilli – ernsthaft? Die Antwort lautet: Ja, auf jeden Fall. Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven erfüllte sich hier ein Herzensprojekt und legte einen in allen Punkten gelungenen Film ab. Tijan Njie und Elan Ben Ali sehen ihren Vorbildern nicht nur wie aus dem Gesicht geschnitten aus, sie überzeugen auch, trotz geringer Schauspielerfahrung, mit lebendigem Spiel. Gleiches gilt für Bella Dayne und Matthias Schweighöfer als Produzentenpärchen. Insbesondere Letzterer überrascht als gewissenloser Produzent, der sich zu keiner Zeit irgendeiner Schuld bewusst ist. Filmisch macht Regisseur Verhoeven auch alles richtig. Sehen die (gut ausgestatteten) Szenen aus Robs Kindheit in der spießigen Münchener Wohnsiedlung noch typisch deutsch aus, wirkt der Film, sobald sich Reichtum und Ruhm einstellen, wie eine große Hollywoodproduktion.

Girl You Know It´s True kann ich durch und durch empfehlen. Die gut zwei Stunden Laufzeit vergehen wie im Flug. Ich empfehle aber, den Film im Original zu schauen. Darin wird ein Mix aus englischer und deutscher Sprache gesprochen, was wesentlich zur Authentizität beiträgt. Die Blu-ray, die mir zur Besprechung vorliegt, bietet selbstverständlich eine tolle Bild- und Tonqualität. Als Bonus gibt es eine Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte, elf Interviews mit Cast und Crew, Musikvideos und Trailer.

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