„Als ich hörte, dass der Film in Deutschland ein Erfolg war, da wusste ich: der Film ist schlecht geworden!“, erzählt ein schmunzelnder Billy Wilder im Interview mit Hellmuth Karasek und schiebt gleich die Erkenntnis hinterher: „Die Deutschen lieben Klamauk!“. Der klamottige Schwank basiert auf ein Musical, das auf einer Keller-Bühne in Paris recht große Erfolge feiern konnte und wurde von Billy Wilder komplett entkernt und neu zusammengesetzt. Billy Wilder fand die Songs „fürchterlich“ und verzichtete, bis auf drei kleine Slots mit Musik, gänzlich auf die Musical-Nummern und verlegte kurzerhand die Bühnenhandlung vom Keller hinauf auf die Straße und ins Café. Das Mädchen Irma La Douce trug fortan nur noch den Namen des Musicals und fand, dank der Schulzeit von Billy Wilder und eines kranken Kollegen, so eine unterhaltsame Neuinterpretation ohne alberne Tanzeinlagen. PLAION PICTURES bringt den Film nun im Mediabook heraus.

Regie: Billy Wilder
Darsteller: Jack Lemmon, Shirley MacLaine, Bruce Yarnell, Lou Jacobi
Artikel von Kai Kinnert
Eigentlich kneift die Polizei im Pariser Rotlichtviertel beide Augen zu. Nur der übereifrige Streifenpolizist Nestor (Jack Lemmon) möchte im Viertel aufräumen – und wird prompt suspendiert. Niedergeschlagen trifft er in einer verruchten Bar auf das Straßenmädchen Irma la Douce (Shirley MacLaine), in das er sich unsterblich verliebt. Als er ihre Ehre verteidigt, ist es wie selbstverständlich, dass Nestor nun Irmas Zuhälter wird und sie beschützen muss. Das macht er einfach, in dem er, verkleidet als mysteriöser Lord X, zu Irmas Stammkunden wird.

Im zarten Alten von acht Jahren, hatte der kleine Billy Wilder in seiner Schulklasse einen Fensterplatz und konnte rätselhaftes auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachten. Da war nämlich ein Hotel, ein Stundenhotel, um genauer zu sein. Billy hatte keine Ahnung, was das ist, wunderte sich allerdings, warum dort stets Pärchen einkehrten und nach kurzer Zeit wieder herauskamen. Und das alles ohne Gepäck! Was machen die Paare da bloß? Billy schwor sich, dass er, sobald er eine Freundin hätte, auch mit ihr in dieses Hotel gehen würde. Unbedingt! Diese Beobachtung in frühen Schultagen war einer der Gründe, warum Billy Wilder Das Mädchen Irma La Douce drehen wollte. Ein anderer Grund war ein krebskranker Schauspieler, der unbedingt in diesem Film mitspielen wollte und so unfreiwillig für die Kernidee der Umsetzung sorgte. Um seine körperliche Fitness Billy Wilder vorzuführen, lud er ihn zu sich nach Hause ein. Als Wilder bei dem Schauspieler ankam, lag der auf einer Sonnenliege am Pool und demonstrierte Wilder mit einem Gang um den Swimmingpool herum seine zurückkehrende Gesundheit. Wilder sah sich das Schauspiel an und wunderte sich über die zwei Typen, die an einem Tisch saßen. Der Schauspieler ließ sich nach der Umrundung des Pools schwerst erschöpft wieder auf der Liege nieder – und bekam die Rolle nicht. Wie sich herausstellte, waren die beiden Fremden zwei Maskenbildner, die den Schauspieler mit Haarteilen, Rouge und weiteren Maskentricks zu einer „gesunden Frische“ verholfen hatten. Die Idee für „Lord X“ war geboren worden. Lord X ist der Grund für die Verfilmung des Musicals.
„Die Musik fand ich schlimm, das waren einfach keine guten Lieder! Und ich habe das Stück aus dem Keller geholt und nach draußen auf die Straße verlegt, dafür musste alles umgeschrieben werden, ich wollte einfach keinen Musical-Film drehen!“ amüsiert sich Wilder in den Extras im Interview mit Hellmuth Karasek. Stattdessen gibt es diesen riesigen Mittelteil mit Lord X, einer aberwitzigen Verrenkung Jack Lemmons, der gewaltigen Stress auf sich nimmt, nur um Irma „von der Straße zu holen“ und ihr zeitgleich Freund und Freier vorzuspielen. Während Irma schläft, stiehlt sich Lemmon aus dem Bett und geht im Schlachthof arbeiten. Er braucht das Geld für die Rolle des „Lord X“, in die er sich aufwändig verkleidet und so das Geld an Irma weitergeben kann. Die gibt es dann am Abend ihrem Freund Nestor zurück, der so jeden Tag das doppelte Spiel wiederholt. Das stresst extrem und saugt an der Konzentration Nestors.

Doch auch der beste Plan gerät irgendwann ins Rutschen, nämlich dann, als Nestor in den Verdacht gerät, Lord X umgebracht zu haben! Wie ist das möglich? Es wird Zeit für Nestor, Ordnung ins Chaos zu bringen, was am Ende quasi in einer charakterlichen Abspaltung mündet. „Aber das ist eine andere Geschichte!“ sagt uns der Café-Besitzer Moustache (Lou Jacobi) am Ende des Films. Die Rolle des „Moustache“ ist für mich das witzige Highlight des Films. Moustache ist der Besitzer des Cafés in der Straße gegenüber dem Stundenhotel und perfekt besetzt. Der Kerl ist eine Art Running Gag im Film, denn Moustache kann alles, studiert und bis zur Perfektion! Der Mann führt nicht nur ein Café, er ist auch noch erfahrener Staatsanwalt, jahrelang Maskenbildner gewesen und war über 10 Jahre lang Geburtshelfer in einer Klinik, wo er auch noch den Doktor machte! Übrigens alles Berufe, auf die Nestor zurückgreifen muss und froh sein kann, so einen kompetenten Kerl wie Moustache an seiner Seite zu haben. Der famose Lou Jacobi ist als Moustache der passende Sidekick für Nestors Plan, als Lord X ein doppeltes Spiel zu spielen.
Muss man erwähnen, dass das Duo Jack Lemmon/Shirley MacLaine bestens eingespielt ist und die Chemie zwischen den beiden (wie immer) stimmt. MacLaine fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle einer Frau mit Brüchen im Charakter und im Kampf gegen Typen, die brutal zu ihr sind. Sie spielt frisch, authentisch, mit viel Freude und voller Facetten – MacLaine ist ein Naturtalent. Jack Lemmon ist die sichere Bank, er ist der stets präzise Schauspielpartner für Shirley MacLaines Auftritt. Doch neben dem Schauspiel ist auch das Bühnenbild des Films ganz ansehnlich geworden. Billy Wilder drehte nur wenige Außenaufnahmen in Paris (einem morgendlichen Paris mit leeren Straßen! Solche Aufnahmen kann man heute nur noch digital erstellen) und den Rest im Studio. Dafür baute man die kleine Gasse aus dem Pariser Rotlichtviertel nach, inklusive dem Café von Moustache und morgendlichem Straßenverkehr im Hintergrund. Die Studiokulisse sieht toll aus, sie ist detailliert ausgestattet und in Sachen Tiefe, Farben, Licht und Regen ist das ein sehr gelungener Nachbau der echten Gasse in Paris geworden.

Das Mädchen Irma La Douce ist ein etwas untypischer Billy Wilder–Film. Durch Lord X bekommt der Film seinen dramaturgischen Motor verpasst, der dem Zuschauer eine ansehnliche Verkleidungs-Farce liefert, die irgendwann natürlich in die Hose geht. Richtige Gags gibt es in dem Film nicht, wohl aber das Gefühl der angenehmen Unterhaltung, getragen durch gutes Schauspiel, einer runden Inszenierung und einem gelungenen Bühnenbild. Ich mag Billy Wilder!
Das Bild der gesichteten Blu-ray war gut, sauber und satt in den Farben, der Ton war gut. Als Extras gibt es ein Interview mit Billy Wilder (Ein Ausschnitt aus „Berliner Lektionen: Billy Wilder im Gespräch mit Hellmuth Karasek“, 1987), Dokumentationen, Bildergalerie, Trailer und ein Booklet mit einem Text von Bianca Jasmina Rauch.
Amazon Partner Links: