Rian Johnson hat sich bei vielen Fans mit seinem Beitrag zum STAR WARS-Kosmos nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Dass der ambitionierte Regisseur sein Handwerk aber voll und ganz beherrscht, beweist er nun mit dem famosen Krimi KNIVES OUT – MORD IST FAMILIENSACHE (2019), in dem er auf den Spuren Arthur Conan Doyles und Agatha Christes wandelt. Nach dem großen Kinoerfolg erscheint der witzige und stylische Whodunit nun endlich im hiesigen Heimkino. Warum der Film ein absolutes Must-See ist, könnt ihr nochmal in unserer ausführlichen Kritik nachlesen! 

Originaltitel: Knives Out

Drehbuch & Regie: Rian Johnson

Darsteller: Daniel Craig, Chris Evans, Ana de Armas, Jamie Lee Curtis, Don Johnson, Michael Shannon, Toni Collette, LaKeith Stanfield, Katherine Langford, Christopher Plummer…

Artikel von Christopher Feldmann

Ich bin seit jeher ein großer Fan klassischer Whodunits. Ich würde sogar behaupten, dass das dieses Genre meine liebste Spielart des klassischen Kriminalfilms darstellt. Schon als Kind habe ich die zahlreichen deutschen Edgar Wallace-Verfilmungen verschlungen, die mich mit ihren verwobenen Murder Myterys zum miträtseln und mitfiebern angeregt haben. Auch die zahlreichen Geschichten Agatha Christies haben es mir mit ihren Leinwandadaptionen angetan. Von Hercule Poirot über Miss Marple, bis hin zu prominenten Detektiv-Figuren wie Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes, Columbo und Jessica Fletcher aus MORD IST IHR HOBBY (1984-1996), sie alle waren fester Bestandteil meiner Kindheit und filmischer Sozialisation. Mittlerweile ist der klassische Whondunit eher im herkömmlichen Fernsehen zu sehen, wie zum Beispiel die großartige Serie POIROT (1989-2013). 2017 sorgte Kenneth Branagh mit seiner Neuverfilmung des Christie-Klassikers MORD IM ORIENT-EXPRESS für ein kleines Revival des traditionellen Kriminalfilms, wenn auch ohne an die Qualität von damals zu heranzureichen. Drehbuchautor und Regisseur Rian Johnson hat nun, zu meiner persönlichen Freude, dem Genre eine angenehme Frischzellenkur verpasst, denn sein meisterlicher Film KNIVES OUT – MORD IST FAMILIENSACHE (2019) besinnt sich nicht nur auf die etablierten Tugenden des Whodunits, sondern reichert das Ganze mit einer gehörigen Portion Humor und bitterböser Gesellschaftskritik an, was aus dem Krimi nicht nur eine einfache Hommage macht, sondern eine konsequente Modernisierung, die sich auf der Höhe der Zeit bewegt.

Handlung:
Am Morgen nach der Feier seines 85. Geburtstags wird der reiche Bestseller-Autor Harlan Thrombey (Christopher Plummer) mit durchgeschnittener Kehle in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Alles deutet auf einen Selbstmord ohne Fremdeinwirkung hin, bis am Tag der Beerdigung plötzlich der Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) auf den Plan tritt, der von einem anonymen Auftraggeber mit einer genaueren Untersuchung der Todesumstände betraut wurde. Nach dem Verhör der einzelnen Familienmitglieder, die ihm bewusst Lügen über das persönliche Verhältnis zu dem Patriarchen auftischen, begibt sich Blanc gemeinsam mit Harlans Pflegerin und Vertrauter Marta (Ana de Armas) auf Spurensuche und es dauert nicht lange, bis der gerissene Schnüffler Zweifel an der Selbstmord-Theorie bekommt. Doch wer könnte etwas mit dem Tod des alten Familienoberhaupts zu tun haben?

KNIVES OUT (2019) ist einer der Filme, die mich mit dem ersten Trailer sofort angesprochen haben, weshalb der Kinobesuch unausweichlich war. Und wenn schon mal ein Whodunit mit einer derartig illustren Besetzung den Weg in die Lichtspielhäuser findet, sollte man als Krimi-Fan die Chance wahrnehmen. Aber nicht nur die Liebhaber sollten eine Eintrittskarte lösen, auch alle anderen affinen Filmfans ist ein Platz vor der großen Leinwand wärmstens empfohlen, denn KNIVES OUT ist nicht nur ein großartiger Krimi, sondern auch ein allgemein verdammt guter Film!

Schon die Art, wie Johnson die einzelnen Verhör-Momente zu einer pointierten Montage zusammenbaut, ist wahrlich meisterlich. Das Drehbuch verteilt hier die ersten Knochen an die Zuschauer, die langsam aber sicher in die Geschichte gesogen werden, die auffallend clever konstruiert ist. Das typische „Jeder ist verdächtig“-Motiv wird auf traditionelle Weise etabliert, um den geneigten Krimi-Freund zum fröhlichen miträtseln anzustacheln, bevor man den bekannten Weg verlässt und die gängigen Tropen auf wundersame Weise aufbricht. KNIVES OUT frönt seinen Whodunit-Wurzeln nämlich nur im ersten und dritten Akt. Dazwischen inszeniert der Regisseur von großartigen Filmen wie BRICK (2005) und LOOPER (2012) einen klassischen Suspense-Thriller, der mit mit Alfred Hitchcock gemeinsam hat als mit klassischer Agatha Christie-Literatur. Auch die Tatsache, dass dem Zuschauer schon vor der Mitte des Films der wahre Ablauf der Ereignisse offenbart wird, zeugt von einem interessanten Ansatz. Denn natürlich ist dieser Schritt nur ein Teil des Puzzles oder, um es mit den Worten Blancs zu beschreiben, ein Loch im Donut, dass sich in einem größeren Donut befindet.

Johnson spielt gekonnt mit den Erwartungen und führt sein Publikum mehrmals an der Nase herum, bevor dass Rätsel in einem klassischen Monolog, wie ihn ein Hercule Poirot in seinen Fällen immer wieder zelebriert, aufgelöst wird. Dabei spielen viele Details eine nicht unerhebliche Rolle, denn das Skript ist bis zum Schlussbild hervorragend geschrieben und clever erdacht. Der Film hat sichtlich Spaß an seinen Motiven und ist weniger eine klassische, sich an Vorbilder anbiedernde Hommage, sondern ein eigenständiges Werk.

Johnson fügt seinem charmanten und intelligentem Kammerspiel, neben all den falschen Fährten und überraschenden Wendungen, eine gehörige Portion Humor zu, der von saukomisch bis bitterböse reicht. Wenn Benoit Blanc für recht dramatische Auftritte sorgt, sich aber in manchen Situationen wie ein überforderter Amateur verhält, ist schallendes Gelächter garantiert. Auch die Seitenhiebe in Richtung illegale Einwanderung, Fremdenfeindlichkeit und Wertschätzung von Frauen haben eine gewisse Durchschlagskraft. Der Film behandelt sensible Themen, rückt sie aber nie in den Vordergrund, sondern widmet sich immer seinen unterhaltsamen Elementen. Running Gags, wie die Tatsache, dass Pflegerin Marta nicht lügen kann ohne zu erbrechen, werden nicht grenzenlos ausgeschlachtet, sondern bewusst dosiert und on Point eingesetzt. Dazu bekommt der Zuschauer die dämlichste und wahrscheinlich auch lustigste Verfolgungsjagd der jüngeren Vergangenheit geboten. KNIVES OUT ist saukomisch und überaus spaßig, verkommt aber nie zur platten Comedy oder gar zur einfachen Parodie. Johnson dekonstruiert auch nicht die Mechanismen des Whodunits, sondern findet lediglich einen frischen Ansatz, entwickelt sie weiter und unterzieht das Genre einer erfrischenden Modernisierung.

Auch inszenatorisch hat der Krimi viel fürs Auge zu bieten. Schon das Herrenhaus, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, wirkt wie ein Best Of klassischer Kulissen aus zahlreichen Geschichten, die immer mit Vorliebe in der Oberschicht angesiedelt waren. Das Setting strotzt nur so vor Details, vor Stil und Charme. Nicht umsonst bezeichnet, der von LaKeith Stanfield gespielte, Lieutenant Elliot das Anwesen als leibhaftiges CLUEDO-Spielfeld. Selbst die Kostüme bedienen die ganze Farbpalette und KNIVES OUT strotzt nur so vor optischer Stilsicherheit. Hier ist alles auf höchstem Niveau. Musik, Schnitt, Schauspielführung, Gestaltung, Kamera und Drehbuch sind nahezu perfekt

Den einzigen Kritikpunkt, den man anbringen könnte (und wenn ist es reine subjektive Wahrnehmung), sind kleine Längen im zweiten Akt und der Wunsch nach mehr Screentime für einzelne Schauspieler. Das Ensemble ist nämlich durch die Bank fantastisch und man ist fast schon traurig, dass nicht alle eine Hauptrolle inne haben.

Eine adäquate Besetzung ist nämlich das zweite wichtige Element eines guten Krimis im Stil von KNIVES OUT. Man braucht nicht nur eine gute Geschichte und ein gutes Drehbuch, sondern auch eine Riege an guten Darstellern, die einen solch dialoglastigen Film auch tragen können. Nicht umsonst vereinen zahlreiche Kriminalfilme eine Besetzung voller hochkarätiger Hollywood-Stars. Egal ob MORD IM ORIENT-EXPRESS (1974), TOD AUF DEM NIL (1978) oder MORD IM SPIEGEL (1980), in diesen Werken, die auf Agatha Christie-Romanen basieren, tummeln sich die größten Stars ihrer Zeit. Whodunits sind auch klassisches Schauspiel-Kino. Das weiß auch Rian Johnson, weshalb er für sein kleines Meisterwerk zahlreiche Schwergewichte vor die Kamera geholt hat. James Bond-Darsteller Daniel Craig agiert dabei als ermittelnder Detektiv in bester Spiellaune und vereint dabei die besten Charakterzüge seiner Bond-Figur, Hercule Poirot und seines tollpatschigen Bombenbauers Joe Bang aus LOGAN LUCKY (2017). Shootingstar Ana de Armas bekommt überraschenderweise eine Hauptrolle zugeschustert, die sie hervorragend meistert. Auch MARVEL-Star Chris Evans gibt mit Freude den hassenswerten Arschloch-Schnösel. Abseits dieser drei punktet KNIVES OUT mit zahlreichen hochtalentierten Veteranen, bestehend aus der fast immer großartigen Jamie Lee Curtis, die als hart gesottene Geschäftsfrau für tolle Momente sorgt. Auch ihr Leinwand-Partner, MIAMI VICE-Legende Don Johnson verbucht einige witzige Szenen für sich. Etwas unterfordert aber dadurch nicht weniger großartig, ist Toni Collette als Lifestyle-Influencerin mit chronischen Geldsorgen und Esoterik-Tick. Darüber hinaus brillieren noch Michael Shannon als rechts positionierter Verleger, der seinen Sohn, gespielt von Jaeden Martell, zum Alt-Right-Nazi erzogen hat, sowie natürlich Hollywood-Legende Christopher Plummer als Familienoberhaupt und Opfer, der einige grandiose Szenen sein Eigen nennen kann. Als Gäste treten unter anderem Frank „Yoda“ Oz, sowie M. Emmet Walsh auf.

Die Blu-Ray aus dem Hause Universum Film/Leonine hat neben dem Hauptfilm auch einiges an Bonusmaterial im Gepäck. Neben zwei Audiokommentaren, können sich Fans auf zahlreiche Featurettes, Deleted Scenes und ein Q&A mit den Darstellern und dem Regisseur freuen.

Fazit:
Nach seinem umstrittenen Ausflug in eine weit, weit entfernte Galaxie, meldet sich Rian Johnson mit einem wahren Paukenschlag zurück. KNIVES OUT – MORD IST FAMILIENSACHE (2019) ist ein cleverer, mitreißender, hervorragend gespielter und saukomischer Whodunit-Krimi, der die besten Elemente von Agatha Christie und Co. vereint, sie einer frischen Modernisierung unterzieht und zu einem schwer unterhaltsamen Krimi-Cocktail mixt, der für 130 Minuten Spaß sorgt. Absolut empfehlenswertes Kino-Highlight, nicht nur für Fans vom filmischen Rätselraten.

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