Die Babygangs von Neapel sind ein reales Problem. Das durfte auch der Schauspieler Artem Tkachuk erfahren, der den „Tyson“ im Film spielt und dafür im Frühjahr 2019 eines Nachts am Hauptbahnhof von Neapel von einer Babygang zusammengeschlagen und mit dem Messer verletzt wurde. Diese Gangs gehören keiner Familie an und sorgen immer wieder mal für Schlagzeilen in Neapel. Die Verfilmung des Romans von Roberto Saviano („Gomorrha“) erhielt den Silbernen Bären für das „Beste Drehbuch“ auf der Berlinale, was jedoch nicht der Grund für den Überfall auf den Schauspieler sein kann. Vielmehr ist es die Authentizität des Dargestellten. PROKINO bringt den Film nun frisch auf den Markt.

Originaltitel: La paranza dei bambini („Piranhas“)

Regie: Claudio Giovannesi

Darsteller: Francesco Di Napoli, Viviana Aprea, Artem Tkachuk, Mattia Piano Del Balzo

Artikel von Kai Kinnert

Sie wollen Markenschuhe, Motorroller und das schnelle Geld: In ihrer Heimatstadt Neapel, wo die Mafia-Bosse der Camorra umgebracht oder verhaftet wurden, haben Nicola und die Jungs aus seiner Clique das Regiment übernommen. Die 15-jährigen haben weder Angst vor dem Gefängnis, noch vor dem Tod. Denn für sie gibt es kein Morgen, keine Perspektive, keine Hoffnung. Sie dealen mit Drogen und begehen Morde, während sie nachts bei ihren Eltern schlafen und ihre ersten Erfahrungen in Sachen Liebe machen. Die „Paranzas“, wie sie sich selbst nennen, wollen alles – und das am besten sofort. Im Zentrum der Geschichte steht Nicola (Francesco Di Napoli), der den Krieg zwischen den verfeindeten Clans gekonnt für seine Geldgeschäfte nutzt. Mehr als diesen Krieg liebt er nur seinen jüngeren Bruder und die schöne Letizia (Viviana Aprea), mit der er sich sogar einen Neuanfang außerhalb der verschworenen Gemeinschaft vorstellen kann.

Der Abstieg in die Spirale des Abgrunds ist voll von ruhiger Poesie. Die Jungs sind 15 und jünger und voll von Narzissmus, Pubertät und Naivität. Klamotten, Mädchen und Geld treibt die Bande auf die Straße und so rutschen die Teenies, unter der Leitung von Nicola, in einen Krieg, der ihr junges Leben beenden wird. Regisseur Claudio Giovannesi klebt in langen Einstellung an den Gesichtern seiner jungen Schauspieler, die mit diesem Film zugleich auch ihr Debut gaben. Neapel ist fast ausgeblendet, die Stadt spielt keine Rolle, man schlängelt sich auf Motorrollern durch die Viertel. Die Jugendlichen sind das Spannende an dem Film, wie sie einfach und ohne zu Fragen zu Schwerverbrechern und Mördern werden und sich somit alle dem Tod ausliefern. Der Tod ist cool, wer nicht jung stirbt, hat keine Eier in der Hose. Mit dem Tod kommt die Macht und mit der Macht das Geld, was wieder zurück in den Tod führt. „In Neapel gehörst du zu den Gefickten oder zu den Fickern. Nichts weiter.“ heißt es in der Romanvorlage. Wenn die Familien nur zusehen, verschwinden die Kinder im System der Gomorrha und so geschieht es auch mit Nicola. Die überforderte Mutter ahnt böses, lässt ihren Sohn aber gewähren, denn immerhin partizipiert sie von dem Geld, das Nicola bündelweise nach Hause bringt. Die Teenies haben sich Knarren besorgt und mischen nun im Drogenhandel mit. Dabei ist ihr Machtstreben und ihre Gier skrupellos, denn nur mit Gewalt können sich die Kinder Respekt verschaffen und sie setzen sie ein. Schon bald wird Nicola seinen ersten Mord begehen und sich so an die Spitze der Paranza setzen. Wer am meisten tötet ist der Chef und Nicola folgt dieser absurden Logik wie ein Kind, das nicht mehr weiß was es tut. Es wird nicht sein einziger Mord bleiben.

Doch auch Soziopathen haben Gefühle und so liebt Nicola zwar seinen kleinen Bruder, kann es sich jedoch nicht verkneifen, mit seiner neuen Pistole vor dem Kleinen anzugeben. Auch der Achtjährige möchte eben cool sein. Und da gibt es noch die schöne Letizia, die es Nicola angetan hat und nur kurz weht die Unschuld jugendlicher Verliebtheit durch die Szenerie. Was hätte aus dem Paar werden können, wäre da nicht der Anspruch immer mehr Geld zu generieren und die eigene Macht auszubauen. Kindliche Unbekümmertheit erfasst die Gruppe nur kurz, schon bald sind alle wieder unter Koks und es wird mit AK 47, Uzis und H&K MP5 auf den Dächern von Neapel das Schießen geübt und dann ein konkurrierender Clan angegriffen. Derweil findet der kleine Bruder mit seinen Freunden das Waffenarsenal von Nicola und gibt den großen Angeber. Wer den Tod in die Familie holt, darf sich nicht wundern, wenn er von allem Besitz ergreift. Nicolas Paranza eröffnet sich am Ende das Tor zum Abgrund und sie alle fahren mit ihren Motorrollern hindurch.

PARANZA – DER CLAN DER KINDER ist ein ruhiges, unspektakulär erzähltes Drama, ein harter Mafiafilm, ganz dicht an der Realität Neapels und fernab von den Mafia-Albernheiten Hollywoods. Wenig Musik, wenig Action, geschossen wird fast nebenher und am Bildrand, dafür lange Einstellungen und viele Gesichter. Die jungen, frischen Schauspieler sind eine Wucht und tragen allein durch ihre unschuldige Ausdruckslosigkeit den gesamten Film. Wer schon den Film GOMORRHA- REISE INS REICH DER CAMORRA (2008) und die gleichnamige TV Serie gut fand, wird mit PARANZA  – DER CLAN DER KINDER einen guten Anschluss finden. Ein Tipp für jeden Freund des ernsthaften Dramas.

Das Bild der BD ist sauber und satt, der Ton gut. Als Extras gibt es Interviews, ein Making Of und 7 zusätzliche und erweiterte Szenen.

Trailer:

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