Ursprünglich wollte Filmkollege Holger Braasch nicht für DIE MEDIENHUREN schreiben. Egal, wie oft ich ihn darum bat, er winkte immer ab. Doch Ende letzten Jahres knickte er für einen Gastbeitrag letztlich ein, was vom Timing her nicht besser hätte passen können, da Kollege Victor ins Autorenzöllibat wechselte. Auf einem Bein kann man bekanntlich nicht stehen und so kehrt Holger nun für eine XXL-Rezi zu einem Klassiker des phantastischen Films zurück, der von Koch Films neu aufgelegt und endlich in HD veröffentlicht wird. Viel Spaß bei einem ausführlichen Artikel, der auch den Vergleich zu den bisherigen Veröffentlichungen von DER SCHRECKEN DER MEDUSA zieht.

Originaltitel: The Medusa Touch

Alternativer Deutscher Titel: Die Schrecken der Medusa

Regie: Jack Gold

Darsteller: Richard Burton, Lino Ventura, Lee Remick, Harry Andrews

Artikel von Holger Braasch

Der Buchautor John Morlar (Richard Burton) fiel einem Mordversuch zum Opfer. Sein Schädel wurde mit einer Statue beinahe vollständig zertrümmert. Jetzt liegt er im Londoner Krankenhaus in Koma, wobei sein Gehirn weiterhin auf Hochtouren arbeitet. Die Ärzte sind ratlos, denn eigentlich müsste Morlar tot sein. Der französische Kommissar Brunel (Lino Ventura) wird auf den Tatort angesetzt. Zwar ist er nur vorübergehend im Austausch mit einem britischen Kollegen in London, doch nun riecht es nach „einem dieser verdammten Fälle“. Bei Nachforschungen im Umfeld des eigenbrödlerischen Schriftstellers lernt der Kommissar die Psychiaterin Dr. Zonfeld (Lee Remick) kennen, die von Morlar eigenartiges zu berichten weiß: Er glaubte, dass er mit seinen Gedanken Katastrophen auslösen konnte. Eine Kraft, die im Laufe der Jahre immer stärker wurde. Diverse mysteriöse Todesfälle in seinem Umfeld bestärkten Morlar in seinem Glauben. Kommissar Brunel glaubt zunächst nicht an übersinnliche Kräfte, doch je mehr er über den Schriftsteller erfährt, desto mehr wird ihm klar, dass es Dinge gibt, die man nicht rational erklären kann. Gibt es womöglich einen Zusammenhang mit dem schrecklichen Flugzeugabsturz, der sich vor wenigen Tagen in London ereignet hat? Eine weitere Katastrophe kündigt sich an und Brunel entdeckt immer mehr Hinweise, dass an der unheimlichen Geschichte, die ihm Dr. Zonfeld erzählt hat, mehr dran ist, als er zunächst glaubte. Doch hat Dr. Zonfeld ihm wirklich alles erzählt, was sie über Morlar weiß?

„Sucht den Mann, der die Macht besitzt Katastrophen herauf zu beschwören!“

Es muss Ende der 80er-Jahre gewesen sein, als ich diesen Film im Fernsehen sah (müsste Sat 1 gewesen sein). Damals hat er mich ziemlich umgehauen und beschäftigte mich noch tagelang. Hinter dem mysteriösen Nervenkitzel steckt nämlich eine geballte Ladung Gesellschaftskritik, die auch über 40 Jahre nach Veröffentlichung des Films aufwühlend wirkt und nachdenklich macht. Psychologische Abgründe, die in jedem Menschen lauern können, werden hier auf höchst effektive Weise mit den ganz realen Schrecken der Gegenwart verknüpft und zu einer beunruhigenden Horrorvision verdichtet, die damals wie heute sehr aktuell erscheint. Flugzeugabstürze, Atomkatastrophen, Raumfahrtunfälle, etc. – da ist seit 1978 einiges zusammengekommen und ein Ende ist nicht abzusehen. Es ist also wieder Zeit für Der Schrecken der Medusa.

Der Name Jack Gold blieb mir schon Mitte der 80er im Gedächtnis, als der NDR in seiner legendären „Gruselkabinett“-Reihe den Film Der Mann aus Metall (1973) [Videotitel auch: Das Phantom mit der Stahlmaske] zeigte. Ein Polit-Thriller, den ich sehr empfehlen kann und der leider ziemlich untergegangen ist. Sehr viel bekannter ist da schon Jack Golds Verfilmung von Der kleine Lord (1980). Auch ein schöner Film. Mein Favorit bleibt jedoch Der Schrecken der Medusa. Der Film beginnt als Krimi, entwickelt sich dann aber immer mehr zu einem Mystery-Thriller, der Elemente des zeitgenössischen Horrorfilms (Carrie, Das Omen, Patrick) und Katastrophenfilms aufgreift und diese sehr geschickt einsetzt. Wer jedoch ein spektakuläres Katastrophen-Szenario erwartet, ist hier an der falschen Adresse. Die Katastrophen passieren nämlich überwiegend im Off und werden nur kurz angerissen. Der Crash einer Boing in ein Hochhaus ist aber schon eindrucksvoll anzusehen und sieht nicht unbedingt wie eine Miniatur-Trickaufnahme aus. Der Schrecken dieser Ereignisse ist stets präsent und sorgt für eine wirklich beunruhigende, regelrecht apokalyptische Atmosphäre, die sich durch den ganzen Film zieht und bis zum Ende immer beklemmender wird. Gleichzeitig funktioniert der Film auch hervorragend als Charakterstudie. Mit Richard Burton und Lino Ventura stellt Jack Gold zwei große Schauspiel-Legenden mit enormer Präsenz und Ausdruckskraft gegenüber. Und beide sind hier in ihrem Element.

Richard Burton brilliert als verbitterter Außenseiter, der mit messerscharfem Zynismus seine Mitmenschen analysiert und dabei so manchen peinlich entlarvt. Eine tragische Figur, die im Grunde nur die Ungerechtigkeit und das Elend in der Welt bekämpfen will und für ihre gnadenlose Ehrlichkeit von ihren Mitmenschen geächtet wird. Die Heuchelei und Ignoranz der Gesellschaft ist ihm zuwider. Die Menschheit steuert unaufhaltsam auf den Abgrund zu. Da Morlar seine Kräfte scheinbar nur destruktiv einsetzen kann, sieht er sich berufen den Untergang der Menschheit zu beschleunigen und „Gott die Drecksarbeit abzunehmen“. Mit Richard Burton ist diese Rolle perfekt besetzt und er spielt sie mit einer mitreißenden Intensität. Ebenfalls brilliant ist Lino Ventura in seiner Paraderolle als kühler Kommissar, der mit Scharfsinn und Blick für Details immer tiefer in das Zentrum der mysteriösen Geschehnisse vordringt und zunehmend an seinem Weltbild zweifelt. Auch wenn es im Film nie angesprochen wird, aber im Grunde sind sich Brunel und Morlar durchaus ähnlich. Brunel ist ein reservierter Charakter, der sich lieber auf sein Bauchgefühl verlässt und seinen Mitmenschen mit Skepsis begegnet. Auch er hat gerne mal eine zynische Bemerkung auf Lager, um sein Gegenüber aus der Reserve zu locken. Lino Ventura verkörpert hier die Ratio, den Kommissar der alten Schule, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht und sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Ihm gegenüber steht Richard Burton für das nicht Greifbare und Unerklärliche. Morlar lässt sich von seinen Emotionen leiten und verteidigt seinen Standpunkt mit Leidenschaft. Enttäuscht von seinen Mitmenschen wird Morlar immer mehr zu einem verbitterten Misanthropen und somit zu einer Gefahr für die Welt.

Zwischen beiden steht Lee Remick, als Morlars Psychologin Zonfeld, die sich insgeheim mitschuldig für all das Unglück fühlt, obwohl es für dieses eigentlich keine rationale Erklärung gibt. Kurz zuvor spielte sie in Richard Donners Das Omen (1976) die geplagte Mutter, die an der Seite von Gregory Peck einschlägige Erfahrungen mit Unheil bringenden Kräften macht. Auch in Der Schrecken der Medusa gibt Lee Remick eine sehr überzeugende Vorstellung ab. Zonfeld erscheint zunächst kühl und selbstbewusst, doch mehr und mehr wird ihre Verzweiflung deutlich. In Inspektor Brunel findet sie einen geduldigen und einfühlsamen Gesprächspartner, der hoffentlich Licht in das Dunkel bringen kann. Beide entwickeln mehr und mehr Vertrauen zueinander und je mehr Details über Morlar an die Oberfläche kommen, desto mehr rückt die Frage, wer den Mordversuch verübt hat, in den Hintergrund.

Erzählerisch meisterhaft werden die Story-Elemente Stück für Stück zusammengeführt und die Spannung stetig gesteigert. Obwohl die Erzählstruktur recht verschachtelt ist und viel mit Rückblenden gearbeitet wird, die sich in unterschiedlichen Zeitebenen abspielen, wirkt die Geschichte zu keinem Zeitpunkt verwirrend oder gar zerfahren, sondern zeichnet allmählich ein immer klareres und stimmiges Gesamtbild, bis zum nervenaufreibenden Finale, welches den Zuschauer mit einem eiskalten Gänsehaut-Schauer entlässt. Hier sei der hervorragende und einprägsame Soundtrack des britischen Komponisten Michael J. Lewis erwähnt, der auch die Musik für Theater des Grauens (1973) und Sprengkommando Atlantik (1979) machte. In Theater des Grauens war auch Harry Andrews zu sehen, der dort von Vincent Price eine Lektion in Sachen Shakespeare bekommt. In Der Schrecken der Medusa spielt er den Polizeipräsidenten, den Brunel von den unheimlichen Vorgängen überzeugen muss. In der Rolle des Chefarztes Barrister ist Alan Badel zu sehen. Er spielte in Stanley Donens Arabeske (1966) den charismatischen Schurken Nejim Beshraavi.

Das Phänomen Telekinese wurde immer wieder wissenschaftlich untersucht. Die Dokumentaraufnahmen, die sich Inspektor Brunel in einer Szene ansieht, sind zum Teil sogar echt. So finden sich darin Aufnahmen von Nina Kulagina, die in den 60er-Jahren von Professor Leonid Wassiliew gemacht wurden. Die telekinetischen Kräfte der Russin sorgten damals für großes Aufsehen und konnten bis heute nicht erklärt (also auch nicht widerlegt) werden. Auf jeden Fall inspirierte dieses Phänomen eine Menge Filmemacher, u. A. auch Andrei Tarkowski, der das Thema in Stalker (1979) aufgreift. Ein unheimlich starker Film, den ich auch sehr empfehlen kann. In George Lucas‘ Krieg der Sterne (1977) verhalf DIE MACHT zu übernatürlichen Fähigkeiten und nach Carrie (1976) nahm sich auch Brian De Palma noch einmal dem Telekinese-Motiv an: In Teufelskreis Alpha (1978) lassen zwei telekinetisch begabte Jugendliche buchstäblich die Fetzen fliegen. David Cronenberg legte 1980 mit Scanners seine ganz eigene Interpretation des Themas vor. Das Phänomen der Telekinese war zu jener Zeit also ein sehr beliebtes Motiv und brachte innerhalb weniger Jahre viele der mMn sehenswertesten Werke dieser Art hervor. Dazu gehören die genannten Filme und natürlich auch Der Schrecken der Medusa. Weniger bekannt ist Teuflische Signale (1982) von Roger Christian, der hoffentlich auch bald mal eine schöne VÖ auf BD/DVD bekommt. Ein echter Geheimtipp!

Mein Fazit lautet: Spannung und Nervenkitzel auf höchstem Niveau. Ein Meisterstück des Genres!

Dank Koch Media kann man den Film nun auch hierzulande in HD-Qualität genießen, wobei offenbar dasselbe Master zum Einsatz kam, das 2006 für Die DVD von Concorde verwendet wurde. Helligkeit und Farbgebung deuten jedenfalls daraufhin, auch zeigt die Kaschierung denselben Bildausschnitt. Im Vergleich mit der DVD(!) aus dem Koch Media-Mediabook stinkt die DVD von Concorde aber deutlich ab, was die Schärfe angeht. Die BD lässt den Film tatsächlich in neuem Glanz erscheinen, denn neben Farbgebung und Helligkeit ist nun endlich auch die Schärfe optimal. Die beiden (identischen) DVD-Auflagen von VCL/Warner zeigen noch das unkaschierte Bildformat (Open Matte) und haben nur die deutsche Tonspur zu bieten. Auch hier lässt die Schärfe (für DVD-Verhältnisse) etwas zu wünschen übrig, im Vergleich mit der DVD von Concorde schlagen sich die Scheiben jedoch nicht schlecht. Wie schon die VHS von VCL sind die DVD-Auflagen von VCL/Warner an manchen Stellen abgedunkelt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Szene, wenn Brunel an der Kathedrale entlanggeht und ihm Gesteinsbrocken vor die Füße fallen. Die VHS-Fassungen (Select Video und VCL) zeigen ebenfalls das unkaschierte Bild, haben allerdings alle einen leichten Rotstich. Die ersten VHS-Auflagen von Select Video haben noch den alten Kinotitel „Die Schrecken der Medusa“ in der Titelsequenz. Seit der VHS von VCL (also seit 1992) wurde die Titeleinblendung in „Der Schrecken der Medusa“ geändert. Auch die späteren DVD-Fassungen haben den geänderten deutschen Titel in der Titelsequenz, wobei sich die Schriftart von Label zu Label unterscheidet und die restlichen Credits stets im Original gelassen wurden (wie es auch schon bei den VHS-Fassungen der Fall war).

Frühere deutsche Veröffentlichungen

Das Bonusmaterial wurde von der britischen BD (Network) übernommen. Es gibt einen kurzen Einblick in die Dreharbeiten zur Kathedralen-Szene, eine Bildergalerie mit diversen Plakatmotiven, Covern, Kinoaushang und Produktionsfotos, den Originaltrailer und der Audiokommentar mit Regisseur Jack Gold, Filmkritiker Kim Newmann und Schriftsteller Stephen Jones ist auch dabei, allerdings ohne Untertitel. Als besonderes Extra ist noch die deutsche Super 8-Fassung enthalten, die den Film in knapp 20 Minuten zusammenfasst – ordentlich abgedunkelt und mit starkem Rotstich. Diese Kurzfassung ist sogar noch durchaus schlüssig, aber Spannung und Dramaturgie bleiben da natürlich auf der Strecke. Dennoch ein sehr schönes Retro-Feature. Dem Mediabook liegt noch ein 16-seitiges Booklet von Oliver Nöding bei, welches uns leider nicht vorlag.

Trailer:

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