Mit der nunmehr achten Episode unserer Retrospektive beenden wir so langsam die Anfangsphase der „Edgar Wallace“-Reihe und kommen zu den wahren Klassikern des deutschen Pulp/Krimi-Universums. DIE SELTSAME GRÄFIN (1961) gehört zweifellos zu den bekanntesten Titeln, wenn auch nicht unbedingt zu den besten. Warum der Film trotzdem einen außergewöhnlichen Platz in der Wallace-Historie einnimmt, erfahrt ihr im Artikel!

„Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“

Drehbuch: Robert A. Stemmle, Curt Hanno Gutbrod
Regie: Josef von Báky

Darsteller: Joachim Fuchsberger, Brigitte Grothum, Marianne Hoppe, Lil Dagover, Rudolf Fernau, Richard Häussler, Klaus Kinski, Edith Hancke, Fritz Rasp, Eddi Arent…

Artikel von Christopher Feldmann

Nachdem DER FÄLSCHER VON LONDON (1961) hinter den Erwartungen von Rialto-Film und Produzent Horst Wendlandt blieb, versuchte man wieder auf bewährte Elemente zurückzugreifen. Obwohl der Film durchaus sehenswert geraten war, machte sich schnell bemerkbar, dass man auf gewisse Zutaten nicht verzichten sollte. Obwohl die Idee, mit Hellmut Lange ein unverbrauchtes Gesicht in der männlichen Hauptrolle zu besetzen eigentlich ganz vernünftig war, um die Spannung anzuheizen, fehlte es dem gemütlichen Krimi an einem echten Leading-Man. So lag es auf der Hand, für den bereits geplanten Wallace-Film DIE SELTSAME GRÄFIN (1961) wieder Joachim Fuchsberger ins Boot zu holen, hatte er doch schon in vier Filmen mit Bravour den Helden gespielt. Für die Umsetzung der mittlerweile achten Adaption eines Romans von Edgar Wallace, wählte Wendlandt einen ganz eigenen Weg und erfüllte sich damit einen großen Traum. Als Fan und Liebhaber des deutschen Vorkriegskinos und dem damit verbundenen, altehrwürdigen Stummfilm, inklusive seiner Stars, wollte Wendlandt diese vergangene Zeit wieder aufleben lassen und quasi eine Reminiszenz erschaffen, die den großen Klassikern Tribut zollt. DIE SELTSAME GRÄFIN erwies sich als wie geschaffen für dieses Projekt. Dabei ist ein durchaus sehenswerter Krimi entstanden, der aber tatsächlich schon damals wie von vorgestern gewirkt haben muss. Ein antiquiertes Erlebnis!

Handlung:
Die junge Sekretärin Margaret Reedle (Brigitte Grothum) nimmt eine neue Stelle auf dem Schloss der Gräfin Eleanora Moron (Lil Dagover) an. Dort erhofft sich die junge Dame nicht nur einen besseren Lohn, sondern auch mehr Sicherheit, wird sie doch schon seit einiger Zeit am Telefon von einem Unbekannten (Klaus Kinski) bedroht, der ihr nach dem Leben zu trachten scheint. Und tatsächlich werden kurz vor dem Antritt ihrer neuen Beschäftigung diverse Mordanschläge auf sie verübt, denen sie jeweils nur durch das Eingreifen des Yard-Ermittlers Mike Dorn (Joachim Fuchsberger) knapp entrinnt. Trotz aller Warnungen Dorns, der von Margarets Arbeitgeber Shaddle (Fritz Rasp) mit dem Schutz der Sekretärin beauftragt wurde, siedelt die Verfolgte ins Schloss über, welches so manch dunkles Geheimnis birgt und in dem sich zwielichtige Gestalten wie der Irrenarzt Dr. Tappat (Rudolf Fernau) und der „Finanzberater“ Chesney Praye (Richard Häussler) herumtreiben. Und was hat die verurteilte Giftmörderin Mary Pinder (Marianne Hoppe) mit den Vorgängen zu tun?

Für DIE SELTSAME GRÄFIN ließ Wendlandt ein Drehbuch von Curt Hanno Gutbrod, der bereits als Co-Autor bei DAS WIRTSHAUS VOM SPESSAT (1958) mitwirkte, schreiben, welches auf wenig Gegenliebe bei Rialto stieß, weshalb sie Gutbrod mehrere Fassungen anfertigen ließen. Nach der dritten grundlegenden Überarbeitungen verließ der renommierte Theaterautor entnervt das Projekt, eine weitere Überarbeitung wurde von Robert A. Stemmle übernommen, der bereits in den 1930er Jahren Erfolge feiern und schon als Regisseur von EMIL UND DIE DETEKTIVE (1954) einen Kino-Hit vorweisen konnte. Er gab dem Skript den finalen Schliff und konnte damit die Produzenten überzeugen.

DIE SELTSAME GRÄFIN gehört zu den Wallace-Beiträgen, die mich als Kind äußerst geprägt haben. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher aber der achte Film der Reihe könnte unter Umständen sogar der erste gewesen sein, den ich einst im Fernsehen sah und der mein zehnjähriges Ich ziemlich verängstigt hat. Die Szenen, in denen Klaus Kinski nächtliche Drohanrufe macht und mit seinem ausdrucksstarken Habitus die weibliche Protagonistin in Angst und Schrecken versetzt, haben mich ordentlich gepackt. So sehr, dass ich irgendwann abschaltete und mich unter die Bettdecke verkroch. Erst einige Zeit später sah ich den Film in Gänze, wohl wissend was auf mich zukommen würde. Heute war es nun ganz interessant zu sehen, wie ich den Krimi mit vielen Jahren Abstand goutieren würde. Das Ergebnis war ein wenig ernüchternd, denn obwohl hier ganz klare Stärken vorhanden sind, die man nicht unter den Tisch fallen lassen sollte, hat der Streifen vor allem stilistische und inhaltliche Probleme.

Die Geschichte ist leider relativ vorhersehbar. Was letztendlich der Grund allen Übels ist und wie die Fäden zusammenlaufen, kann sich der Zuschauer recht einfach denken. Viele Wallace-Verfilmungen überzeugen auch heute noch durch eine gute Dramaturgie, DIE SELTSAME GRÄFIN gehört leider nicht dazu. Nach einem guten und stimmungsvollen Auftakt verfällt der Plot immer wieder in Wiederholungen und gestaltet sich mit fortschreitender Laufzeit äußerst zäh und auch langweilig. Es wird nie wirklich Tempo aufgebaut und die Spannung konzentriert sich nur auf einzelne Szenen, während viele Momente schließlich nur noch blass wirken. Handfeste Action wie Schlägereien, Verfolgungsjagden und Schießereien fehlte hier komplett, DIE SELTSAME GRÄFIN mutet mehr wie ein altbackenes Kammerspiel an, zumindest in der Mitte des Films. Auch wenn das Finale durchaus etwas her macht, die Vorgänger hatten in dieser Hinsicht einfach mehr Drive.

Die Gründe sind vermutlich in Wendlandts Bestreben nach klassischer Unterhaltung in Anlehnung an die UFA-Zeit. Auch wenn seine Verneigung vor dem großen Kino der 1920er und 1930er Jahre durchaus ehrbar ist, sie passt einfach nicht ins Konzept. Der Film wirkt altbacken, stellenweise wie von Vorgestern und macht den Eindruck, bei Erscheinen schon mindestens 25 Jahre zu spät zu sein. Die Regie übernahm der gebürtige Ungar Josef von Báky, ebenfalls ein versierter Handwerker aus der Vorkriegszeit. Seine Regie lässt moderne Impulse vermissen und trägt viel zu dem „staubigen“ Charakter des Films bei. Wo ein Alfred Vohrer mit knackigen Schnitten und Zooms für Spannung gesorgt oder ein Harald Reinl auf große Kamerafahrten gesetzt hätte, verblasst von Bákys Inszenierung und wirkt arg bieder. Es war übrigens sein letztes Projekt, bevor er 1966 schließlich dem Krebs erlag, welches er nicht einmal vollständig beenden konnte. Da Wendlandt mit den Terminen in Verzug war kam es am Set wiederholt zu lautstarken Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Regisseur und dem Produzenten, der sich immer wieder einmischte. Von Báky, der eher ein ruhiger Zeitgenosse war, verfiel in einen Tobsuchtsanfall, der, den Berichten zufolge, eine Bauchspeicheldrüsenkrankheit auslöste. Zuerst übernahm Regie-Assistent Ottokar Kunze, bevor er durch Jürgen Roland ersetz wurde, der für Rialto bereits DER ROTE KREIS (1960) und DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE (1960) gedreht hatte und auf Bitten von Constantin-Chef Gerhard F. Hummel den Film fertigstellte.

Auch wenn der Film inhaltlich und inszenatorisch etwas zu wünschen übrig lässt, sind es die Darsteller, die den Krimi ein ganzes Stück aufwerten. Joachim „Blacky“ Fuchsberger ist wieder ausgezeichnet als heldenhafter Inspektor von Scotland Yard, der die verfolgte Unschuld vor den Bösen schützen muss. Fuchsberger spielt seine Rolle mit so viel Elan und Esprit, dass sein Status als Aushängeschild der Serie nicht verwundert. Erstmals ist Brigitte Grothum in Sachen Edgar Wallace unterwegs, ihre Rolle ist die, wie eben schon erwähnte, verfolgte Unschuld. Diese spielt die attraktive Darstellerin überzeugend, weswegen wir sie in DAS GASTHAUS AN DER THEMSE (1962) wiedersehen werden. Auch Eddi Arent ist nach seinem kurzen Auftritt im Vorgänger wieder in einer größeren Rolle zu sehen, als Sohn der Gräfin. Das Prunkstück ist allerdings die alte Garde, angeführt von Lil Dagover, selbst großer Star der Stummfilmzeit, die hier als Gräfin Moron einen Haufen Präsenz und Anmut mitbringt und den Film veredelt. Mit jeder Zeile zieht die Schauspielerin die ganze Aufmerksamkeit auf sich und meistert ihre Rolle mit Bravour. Sie war übrigend Wendlandts Wunschkandidatin für den Part. Fritz Rasp hat in seinem vierten Wallace-Film leider wenig zu tun, dafür glänzen Rudolf Fernau (in seiner einzigen Wallace-Rolle) und Richard Häussler, der noch zwei weitere Filme drehen sollte bevor er 1964 verstarb, als schurkische Verbrecher. Auch Gründgens-Witwe Marianne Hoppe legt als Mary Pinder eine gute Performance aufs Parkett, während Klaus Kinski als manischer Irrer seine Paradedisziplin absolviert. Kinski gibt hier wieder hundert Prozent, wie in den meisten seiner Filme. Als Gefängnisdirektor ist übrigens Albert Bessler zu sehen, der in der Reihe noch das ein oder andere Mal als Butler auftreten sollte.

Die Dreharbeiten fanden vom 28. August bis zum 29. September 1961 statt. Es war der fünfte Wallace-Film in nur einem Jahr, eine Schlagzahl von der man in den nachfolgenden Jahren Abstand nahm. Gedreht wurde überwiegend in Berlin, in den UFA-Studios in Tempelhof. Die Außenaufnahmen fanden in West-Berlin und in Schleswig-Holstein statt, wo das Schloss Ahrensburg als Kulisse für das Schloss der Gräfin diente. Dieses verwendete man bereits in DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE, für den hier vorliegenden Film wurde einfach aus einem anderen Blickwinkel gefilmt. Wie üblich, stammten die London-Aufnahmen aus dem Archiv. Erstmals wurde ein Wallace-Film von Peter Thomas vertont, der danach noch 17 weitere Male für die Musik verantwortlich sein sollte. Sein jazziger und experimenteller Stil wurden zum Markenzeichen der Reihe. Seine erste Arbeit ist aber noch merklich zurückhaltend aber trotzdem ein positives Qualitätsmerkmal. Die Uraufführung fand am 08. November in Trier statt, von der FSK gab es das 16er-Siegel. Ursprünglich läuft der Film nach dem Schlussbild noch einen Moment weiter, in dem Eddi Arent mit „Ende gut, Alles gut“ abschließt, was jedoch noch vor Kinostart gekürzt wurde. Im Kino lief es für DIE SELTSAME GRÄFIN wieder besser. Der Krimi lockte 2,6 Millionen Zuschauer in die Lichtspielhäuser.

Fazit:
DIE SELTSAME GRÄFIN (1961) ist leider nur ein mittelprächtiger Film, was der schleppenden und zähen Handlung und dem biederen, altbackenen Stil zuzuschreiben ist. Die wirklich herausragende Besetzung macht einiges wett aber letztendlich ist der achte Wallace-Film eher im unteren Mittelfeld anzusiedeln.

2,5 von 5 vergifteten Pralinen 

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