Das Jahr 2020 war für die Filmindustrie vor allem wirtschaftlich ein Totalausfall. Nicht nur, dass Kinobetreiber nach wie vor ums Überleben kämpfen, auch die großen Studios blieben auf ihren Blockbustern sitzen, denn die Aussicht auf ein finanziell lukratives Geschäft war schlicht nicht gegeben. Da kommt es schon mal vor, dass ein Film, den wohl niemand auf dem Zettel hatte, plötzlich als der erfolgreichste seines Erscheinungsjahres gilt. Die Rede ist von dem chinesischen Kriegsdrama THE 800 (2020), das aufgrund seiner Performance in Fernost plötzlich hohe Wellen schlug. So hoch, dass sich Koch Films fix die Verleihrechte gesichert haben und das knüppelharte Schlachtgemälde hierzulande zuerst Digital und jetzt auch physisch auswerten haben. Pünktlich zum DVD- und Blu-ray-Release gibt’s unsere Kritik nochmal zum nachlesen!

Originaltitel: Ba Bai/The Eight Hundred

Drehbuch: Hu Guan, Rui Ge, Huang Dongbin, Kun Hu

Regie: Hu Guan

Darsteller: Zhi-zhong Huang, Zhang Junyi, Hao Ou, Xiaoguang Hu, Wu Jiang, Yi Zhang…

Artikel von Christopher Feldmann

Wir leben in einer Zeit, in der Kino auf wankenden Füßen steht. Die weltweit grassierende Corona-Pandemie sorgte dafür, dass viele Lichtspieltempel schließen mussten und es teilweise immer noch sind. Hollywood musste reagieren und disponierte zahlreiche große Blockbuster um. Egal ob James Bond, das Marvel Cinematic Universe oder weitere große Marken, die wirklichen Leinwand-Highlights, die normalerweise für klingelnde Kassen sorgen, blieben im Jahr 2020 aus. Das hat aber auch einen positiven Effekt, zumindest in meiner bescheidenen Blase, denn durch den aufgezwungenen Verzicht auf massenkompatibles Spektakel richtet sich der Blick eher auf das Kino aus der zweiten Reihe und damit sind nicht unbedingt die schmal budgetierten B-Movies gemeint, sondern die Sorte Kino, die man sonst nicht so wirklich auf dem Zettel hat und die schnell in der Versenkung verschwindet, es sei denn, die Oscars greifen das ein oder andere Werk auf. Ganz vorne mit dabei ist das asiatische Kino, das sich mehr und mehr aus der Nische, in der es hierzulande vertrieben und gesehen wird herausarbeitet. Spätestens PARASITE (2019) machte Unterhaltungsware aus Fernost wieder im Mainstream sexy, weshalb der rege Output mancher Labels um den ein oder anderen interessanten Titel ergänzt wird. THE 800 (2020) ist da schon ein besonderer Vertreter. Unter normalen Umständen wäre der Kriegsfilm von Hu Guan ein typischer Fall von „pack‘ ich mal auf die Watchlist“ geworden. Die Tatsache, dass das zweieinhalbstündige Schlachtgemälde aus China mit knapp einer halben Milliarde US-Dollar (umgerechnet wohlgemerkt) zum größten Box-Office-Hit des vergangenen Jahres avanciert ist, sorgte doch für eine rege Berichterstattung und die daraus resultierende Aufmerksamkeit in den einschlägigen Medien. Die Zahlen kann man dem Film dabei nicht verübeln, bekommt man als Zuschauer hier doch höchst kompetentes Kino, dass gerade Fans groß aufgefahrener Actionkost glücklich machen dürfte.

Handlung:

1937 stellen sich chinesische Soldaten in der Schlacht um Shanghai der japanischen Übermacht: Ihr Anführer beziffert sie auf 800. Tagelang kämpfen die Männer – eine Ansammlung aus Deserteuren, einfachen Bauern und Kriminellen – ein erbittertes Rückzugsgefecht gegen die Invasoren, bei dem sie sich in einem alten Lagerhaus verschanzen. Sie haben nur ein Ziel: Die chinesische Metropole vor der Übernahme durch den Feind zu beschützen.

Kriegskino aus Fernost, im Besonderen aus China, ist immer so eine Sache für sich. Keine andere Weltmacht, neben den USA, gibt sich mit so viel Verve dem Pathos hin und betont in ihren Produktion gut und gerne die Heiligkeit der eigenen Nation. Auch THE 800 bildet da keine Ausnahme aber das muss der geneigte Zuschauer nun mal hinnehmen, immerhin zimmert sich der Ottonormalverbraucher auch die „Hurra, Amerika“-Verbildlichungen eines Michael Bay auf die Netzhaut, warum sollte man da bei den Kollegen der Volksrepublik also kritisch sein.

Naja, so ganz ohne Kritik geht es eben nicht, wenn man die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet. Jedenfalls spart Hua Guans Schlachtepos auch Patriotismus-Keule nicht aus. Gestorben wird hier ausschließlich für das Vaterland und wenn sich eine Reihe Soldaten mit Sprengstoff gespickt aus dem Fenster in die feindlichen Truppen werfen, dann geschieht das nicht ohne das nötige Anpreisen der eigenen Nation und die unverzichtbare pathetische Musik. Trotzdem schlägt der Film auch andere Töne an, etwa wenn es um Kriegsverweigerer geht oder die Sinnlosigkeit des Tötens und der Schlacht im allgemeinen angesprochen wird. Ursprünglich hätte das Ganze noch viel tiefschürfender und eben kritischer sein sollen aber wie das nun mal so ist in good, old China, wurde vor nochmal die Schere angesetzt, um die nicht ganz so schmeichelhaften Stimmen auszumerzen, Don’t Fuck the System!

Rein auf die narrative Ebene heruntergebrochen, funktioniert THE 800 dennoch als mitreißendes Kriegsspektakel, welches sich einer ganz besonderen Schlacht bedient, nämlich der um das Sihang Lagerhaus in Shanghai 1937, welches als letzte Bastion vor der Zivilbevölkerung der Region galt und vier Tage lang gegen japanische Invasoren verteidigt werden musste. Zwar schlägt das Drama einige leise und bedachte Töne an, jedoch gehen diese im großen Spektakel oftmals unter. Immer wieder werden dem Zuschauer Figuren vor die Nase gesetzt, deren Schicksale und Hintergründe aber im Eilverfahren abgefrühstückt werden, um sie wieder in das blutigen Gewusel zu entlassen. Das hat zur Folge, dass kaum ein Charakter wirklich im Gedächtnis bleibt und auch die Frage nach der tragenden Hauptfigur ist schwer zu beantworten. Tatsächlich habe ich mittlerweile keine Ahnung mehr, wer jetzt genau was gemacht hat, woher er kommt und wohin er geht. Dieses Manko ist dabei aber auch den nachträglichen Schnitten anzulasten, die so manchen Dialog und tiefere Charakterisierung fallen ließen. Den rund 20 Minuten längeren, ursprünglichen Cut würde ich als Vergleich gerne sehen.

Die Vorzüge an THE 800 liegen aber zweifellos in der Action und ihrer Inszenierung. Auf IMAX-Format gedreht (als erster chinesischer Film überhaupt) und mit einem Budget von umgerechnet rund 80 Millionen US-Dollar ausgestattet, lässt es Regisseur Hu Guan ordentlich krachen. Mit unzählbaren Statisten im Schlepptau wird aus dem historischen Kriegsfilm ein intensives, dreckiges und spektakuläres Action-Brett, das einmal mehr beweist, dass das asiatische Kino dem westlichen in vielerlei Hinsicht einen Schritt voraus ist. In Hollywood würde man sich öfters dem Greenscreen bemächtigen und die Massenszenen per Rechner generieren, hier wuseln tatsächlich echte Menschen umher, logistisch wahrscheinlich eine echte Herausforderung, filmisch ein Triumpf. So entsteht nie das Gefühl einem seelenlosen CGI-Gewitter beizuwohnen, sondern einem echten, haptischen Spektakel, in dem echte Menschen agieren, es echte Explosionen gibt und echte Blood Squibs platzen. Gerade diese werden zuhauf eingesetzt und THE 800 macht auch keine zahmen Beobachtungen. Hier schleppen sich zerschossene Soldaten mit letzter Kraft über den Boden und das Kunstblut wird rege auf dem grauen Grund der Lagerhalle verteilt. Ein knüppelhartes Schlachtgemälde eben, das mit neueren Kriegsfilmen wie DUNKIRK (2017) und 1917 (2020) mal eben den Boden aufwischt. Scheiss auf Plansequenzen und weitere technische Gimmicks, THE 800 ist noch Krieg der alten Schule und tut weh. So muss das sein!

Koch Films veröffentlichte den erfolgreichsten Film des letzten Jahres erst einmal Digital, als Video on Demand am 11. Februar. Alle Fans physischer Medien können ab sofort zuschlagen und das Epos als Blu-ray, Blu-ray-Steelbook oder DVD für das heimische Kino erwerben. Neben dem Trailer enthält die Scheibe ein Musikvideo und mehrere Featurettes. Corona ist echt ein Arschloch, denn diesen Film hätte ich zu gerne auf einer riesigen Leinwand gesehen!

Fazit:

THE 800 (2020) mauserte sich pandemiebedingt zum größten Blockbuster des ramponierten Kinojahres. Das gibt dem Film zumindest die nötige Aufmerksamkeit, denn Fans ausufernder Schlachtepen werden hier neues Futter find. Hu Guans historische Aufarbeitung des berühmten Kampfes ist ein spektakulärer Rausch, der einmal mehr zeigt wie gut Regisseure in Fernost arbeiten können. Wer kein Problem mit Pathos hat, kommt hier auf seine Kosten. Ein echter Tipp!

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