129 Minuten?! Disney, Franchise-Fortsetzungs-Gelddruckmaschine mit Diplom, genehmigte 129 Minuten für ein Prequel-Spin-Off von 101 Dalmatiner und befahl Regisseur Craig Gillespie (Tonya, 2017), ein buntes Filmwerk für die ganze Familie zu inszenieren. Dafür standen ihm Emma Stone und Emma Thompson, sowie weitere, talentierte Filmkollegen zur Verfügung. Und Craig nahm das Geld und machte daraus dass, was Hollywood ziemlich gut kann. Sich selber nicht ganz ernst nehmend, entsteht plötzlich Big-Budget-Punk, ein angenehmer Tanz zwischen Kommerz und Eigenständigkeit…und schon machen die 129 Minuten wieder einen Sinn. DISNEY bringt den kantigen Familienfilm nun auch als physisches Medium auf den Markt und schaltet ihn ebenfalls auf seinem Streamingdienst ohne Zusatzkosten frei.

© 2021 Disney

Regie: Craig Gillespie

Darsteller: Emma Stone, Emma Thompson, Joel Fry, Paul Walter Hauser, Mark Strong, Tipper Seifert-Cleveland

Artikel von Kai Kinnert

Die clevere Trickbetrügerin Estella (Emma Stone) ist fest entschlossen, eine erfolgreiche Modedesignerin zu werden. Als ihr Gespür für Mode das Interesse der legendären Designerin Borness von Hellman (Emma Thompson) weckt, verwandelt sich Estella in die gefürchtete „Cruella“, der im Konkurrenzkampf um das perfekte Design alle Mittel recht sind.

So richtig Bock hatte ich eigentlich nicht auf den Film. Bunte Konzeptware für Jung und Alt finde ich langweilig. Da muss schon ein gewisser Drive aufkommen, um bei so einer Vorstellung wach zu werden. Und Cruella fängt nicht zum Wachwerden an, obwohl sich der Streifen Mühe gibt, um mit einem kleinem Mädchen, einem Hund und einer traurigen Mutter-Stirbt-Geschichte die Aufmerksamkeit des Publikums zu erreichen. Ein Mädchen mit merkwürdigen Haaren begegnet als Waise zwei gaunerhaften Straßenjungs und eine Bande wird gegründet. Obwohl die ersten Minuten kompatibel und flott erzählt werden (wir erleben, wie die kleine Estella ihre Mutter verliert und als Waise mit Hund an einem Brunnen kampiert), springt kein rechter Funke über, die Welt der Estella bleibt künstlich, was auch daran liegt, das vieles in diesem Streifen aus dem Computer kommt und die ewig gleiche Disney-Dramaturgie in den ersten 14 Minuten langweiligen Muff verbreitet.

Kamerafahrten, Landschaft, Autos und Hunde…kaum eine Einstellung wurde unter natürlichen Umständen gedreht. Und nicht immer spielt die Nummer ganz oben mit, da wäre im Millionen-Dollar-Bereich noch Luft nach oben gewesen. Aber das sind nur Sekunden, die Momente sind schnell vorbei, denn Cruella vermag es tatsächlich durch einen Kniff, ob gewollt oder nicht, die Nummer in ein schmissiges Gleichgewicht zu bringen.

Das Gleichgewicht beginnt bei Minute 14:21 (DVD), als die junge Estella (Tipper Seifert-Cleveland) mit großen Augen in die Kamera blickt und sich schwarze Farbe auf ihr Haar gießt. Der Blick von Tipper Seifert-Cleveland ist gekonntes Neo-Pippi-Langstrumpf-Kino, die Musik passt und mit einem flüssigem Schnitt wird aus der jungen Estella Emma Stone. Estella und ihre Freunde sind nun erwachsen geworden und noch immer als Trickbetrüger unterwegs, Hund inklusive. Plötzlich funktioniert hier etwas, plötzlich ist die Sympathie da, denn Tipper Seifert-Cleveland und Emma Stone finden den richtigen Blick für den Übergang, plötzlich ist die künstlich angelegte Psychose der Figur im Rahmen ihrer filmischen Welt glaubwürdig. Estella ist ein typisches Disney-Girl und sie verbringt in dieser Rolle gut 60 Minuten, was, dank einer gut aufgelegten Emma Stone, tatsächlich kurzweilig funktioniert.

Und das funktioniert deshalb so gut, weil nun Emma Thompson ins Spiel kommt, die hier bestes Schauspiel zeigt. Minimalistisch, mit wenigen Bewegungen und dennoch voll da…Emma Thompson hatte sichtlich Freude an ihrer Rolle, sie spielt elegant und britisch unterkühlt zugleich. Thompson ist die Baroness, die Top-Designerin, bei der Estella arbeitet… und sie wird die Rache Cruellas erfahren, der schizophrenen Seite Estellas. Ein Fashion-Krieg entfesselt sich, die böse Hexe wird herausgefordert und sie greift am Ende zu wenig zimperlichen Mitteln. Hier kämpfen Psychopathen gegeneinander, die Story macht keinen Hehl daraus und lässt in der zweiten Hälfte Cruella auf die Baroness los.

Die Story schnurrt genaustens getaktet und schaltet also ab Mitte auf Cruella um, ohne dabei die üblichen Zutaten eines Disney-Dramas zu vergessen. Sitchwort Enttäuschte Freunde und Familiengeheimnis. Dennoch funktioniert die Figur Cruellas, Emma Stone füllt ihre Rolle aus, es macht Spaß, Cruella bei ihrem Comic-Abenteuer zuzusehen. Dazu gesellt sich der eine oder andere gelungene Gag, da flutscht es gut vorbereitet durch die Szene und die Musik tut ein übriges, um den Zuschauer im richtigen Beat zu halten. Gefühlt 30 Songs der 1960er rutschen so durch den Streifen, da reiht sich eine Nummer an die nächste und genauso dicht erzählt sich auch der Film. Eine künstliche Fashion-Welt, ein Comic-Zeitgeist, der jedoch durch seine beiden Hauptdarstellerinnen und den Blick der jungen Estella so gut funktioniert. Aber auch sonst ist der Film gelungen besetzt worden, Stichwort hier: Der Diener und Der Anwalt.

Cruella hat tatsächlich Spaß gemacht. Die Nummer ist natürlich ein Disney-Film, jedoch hält Craig Gillespie seinen Streifen dabei straff an der Leine und das Drehbuch lässt sich genügend einfallen, um Estella/Cruella mit ihren Freunden in ein unterhaltsames Abenteuer um ein Schmuckstück zu stürzen. Action und Spannung kommen nicht zu kurz und dank des Duos Stone/Thompson und der guten Regie durch Craig Gillespiet springt der Funke über. So sorgt dann auch Cruellas punkiger Fashion-Krieg für einen unterhaltsamen Videoabend.

Das Bild der, zur Rezension vorliegenden, DVD ist gut, der Ton ebenso.

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