Zu Beginn des neuen Jahrtausends wollte Deutschland vom Horrorboom, den Wes Craven ein paar Jahre zuvor mit seinen Scream Filmen auslöste, ein Scheibchen abhaben. Dadurch entstanden ein paar kurzweilige No-Brainer wie Flashback – Mörderische Ferien oder auch Swimming Pool – Der Tod feiert mit. Mehr als feiernde, dumpfe Teenies, die beim Korpulieren abgeschlachtet wurden, hatten diese Filme allerdings nicht zu bieten. Der in Wien geborene Regisseur und Drehbuchautor Stefan Ruzowitzky besaß da ein glücklicheres Händchen und konnte mit seiner deutschen Horrorproduktion Anatomie, die durch Geldgeber Columbia TriStar internationalen Flair an Bord hatte, sowohl bei Kritikern-, als auch beim Publikum punkten. Einen wesentlichen Anteil daran hatten natürlich die talentierten Jungdarsteller, deren Karrieren danach erst so richtig Fahrt aufnahmen. So kam es, dass Ruzowitzky drei Jahre später eine Fortsetzung drehen durfte, die entgegen genreüblicher Regeln, komplett neue Wege beschritt. Doch der Film, der mit Schauspielern wie Heike Makatsch und August Diehl ebenfalls prominent besetzt war, scheiterte beim Publikum. Wie sich die beiden Filme heute schlagen, könnt Ihr jetzt in der Double-Feature Veröffentlichung von JUSTBRIDGE ENTERTAINMENT austesten. Wir haben uns für Euch auf den OP-Tisch gelegt.

Anatomie

Regie: Stefan Ruzowitzky

Darsteller: Franka Potente, Benno Fürmann, Anna Loos, Sebastian Blomberg, Oliver Wnuk

Anatomie 2

Regie: Stefan Ruzowitzky

Darsteller: Barnaby Metschurat, Herbert Knaup, Heike Makatsch, Rosie Alvarez, August Diehl, Franka Potente

Artikel von Christian Jürs

Paula Henning (Franka Potente) kommt aus einer Ärztefamilie. Doch anstatt ihrem Vater (Rüdiger Vogler) in der kleinen Münchener Praxis unter die Arme zu greifen, hegt die ergeizige, junge Frau höhere Ziele. Es zieht sie an die Uni in Heidelberg, wo sie an einem Anatomie-Kurs unter der Leitung des angesehenen Professor Grombek (Traugott Buhre) teilnehmen möchte.

Auf der Bahnfahrt zur neuen Lebensaufgabe lernt sie die lebensfrohe Gretchen (Anna Loos) kennen, die ebenfalls zu den Kursteilnehmern gehört und ihre Zeit in Heidelberg weniger zum Lernen, denn zum Kennenlernen gutaussehender, junger Ärzte nutzen möchte. Im Zug befindet sich außerdem der schwer herzkranke David (Arndt Schwering-Sohnrey), dem Selbiges noch vor Ort versagt und der nur durch das beherzte Eingreifen von Paula wohlauf den Bahnhof in Heidelberg erreicht.

Die ersten Tage an der Uni verlaufen, abgesehen von den üblichen Scherzen, die die angehenden Ärzte mit den Neuankömmlingen treiben, relativ ereignislos. Doch dann liegt David plötzlich vor Paula auf dem Obduktionstisch. Geschockt muss die junge Studentin feststellen, dass der plötzliche Tod des jungen Mannes scheinbar nicht natürlichen Ursprungs herbei kam, da sich in dessen Venen ein Mittel befindet, welches normalerweise zum Austrocknen der Blutbahnen von Tierpräparaten genutzt wird. Ihre darauffolgende Recherche führt Paula auf die Spur der sogenannten Antihippokraten, einem Geheimbund von Ärzten, die sich dem Ärztegelöbnis widersetzen und auf illegalem, in diesem Fall mörderischem Weg ihrer Forschung nachgehen. Doch diese Erkenntnisse birgen höchte Gefahren für sie und ihre Freundin Gretchen, da deren Neubekanntschaft Hein (Benno Fürmann) ebenfalls dem Geheimbund zugehörig zu sein scheint…

Anatomie traf vor 21 Jahren genau den Zahn der Zeit beim jungen Publikum und konnte über 2 Mio Kinobesucher in die Lichtspielhäuser locken. Tatsächlich völlig zu Recht, wie ich gut zwanzig Jahre nach meiner Erstsichtung nun erneut feststellen konnte. Die Geschichte ist über weite Strecken immer noch packend, die Kameraführung ist erstaunlich wertig und die Jungschauspieler wissen allesamt zu überzeugen. Für Franka Potente öffnete der Film das Tor nach Hollywood, wo sie in den Folgejahren mit Blow und Die Bourne Identität einem internationalen Publikum bekannt wurde. Anna Loos passt mit ihrem leicht verruchten Blick hervorragend als männermordender Vamp. Die spätere Ehefrau von Jan Josef Liefers war nie besser. Schauspielerisches Highlight ist aber der junge Benno Fürmann, der emotional am stärksten aufspielen darf und hier eindrucksvoll beweist, warum er auch heute noch dick im Geschäft ist.

Die Effekte sind, obwohl niemals selbstzweckhaft eingesetzt, erstaunlich widerlich. Die menschlichen Präparate waren von der damals noch von vielen als skandalös eingestuften Körperweltenausstellung inspiriert und gleichen diesen haargenau, obwohl es sich hier um Effektarbeit handelt.

Die mir vorliegende Blu-ray-Version punktet mit gestochen scharfer Bildqualität (1,85:1 / 1080p) und sauberem Ton (Deutsch und Englisch in DTS-HS Audio Master 5.1). Untertitel sind in beiden Sprachen vorhanden. Im Bonusbereich befinden sich Interviews mit den Stars und dem Regisseur, ein Making Of, zwei entfallene Szenen mit Kommentar des Regisseurs, ein Storyboardvergleich, Trailer und eine Featurette zu den Special Effects. Hier bleiben keine Wünsche offen. Ach ja, wer sich übrigens richtig gruseln möchte, der lässt einfach den Abspann laufen, denn da säuselt einem Oberschwurbler Xavier Naidoo ins Ohr, der zusammen mit der mittlerweile in Vergessenheit geratenen Sabrina Setlur den schmalzigen Song „Alles“ zum Besten gibt.

Insgesamt eine erfreuliche Wiederentdeckung, doch befindet sich in diesem Double-Feature ja auch noch Anatomie 2, bei dem Regisseur Stefan Ruzowitzky, aufgrund seines erfolgreichen Erstlings, relativ freie Hand gelassen wurde. Ich hatte den Film erfolgreich verdrängt, lediglich eine blondierte Heike Makatsch als Femme Fatale mit Harley Quinn Make Up blieb mir im Gedächtnis, jedoch nicht unbedingt im positiven Sinne. Also auf, auf, zur Auffrischung.

Diesmal führt uns die Geschichte an ein Krankenhaus in Berlin. Dort absolviert der junge Neurochirurg Jo (Barnaby Metschurat) ein Praktikum. Er hegt große Ziele, da sein jüngerer Bruder (Hanno Koffler) aufgrund einer bislang unheilbaren Muskelschwunderkrankung an den Rollstuhl gefesselt ist. Um ein mögliches Heilmittel zu finden, bemüht sich Jo, in die Forschungsgruppe des erfolgreichen Professors Müller-LaRousse (Herbert Knaup) zu gelangen. Dieses Ziel scheint jedoch in weite Ferne zu rücken, als der gutherzige, junge Mann von der philippinischen Krankenschwester Lee (Rosie Alvarez) gebeten wird, nachts eine illegale Operation an einem kleinen Mädchen durchzuführen, da diese ansonsten sterben würde. Good Guy-Jo kann natürlich nicht nein sagen und wird prompt von Müller-LaRousse (was für ein Name) erwischt. Doch statt ihn zu melden, nimmt der, vom selbstlosen Einsatz des Jungmediziners beeindruckte, Professor den jungen Arzt in seine Gilde auf. Welch Glück, dass dessen Forschungsgruppe gerade im Geheimen an künstlichen Muskeln arbeiten, mit deren Hilfe sie sich selbst modifizieren. So bekommt einer der Kollegen dank eines Implantats einen Popeye-starken Arm, ein anderer einen stählernen Penis (ha ha ha, wie lustig) und der fussballbegeisterte Jo einen neuen Wadenmuskel, mit dem er seinen Amateurverein problemlos zum 12:0 schießen kann (hätte Jogi Löw mal davon gewusst). Doch die Hoffnung auf Heilung des eigenen Bruders schmälert sich, als Teammitglied Sven (Frank Giering) den Neuzugang Jo ängstlich vor den Antihippokraten warnt. Doch der nimmt die Warnung auf die leichte Schulter. Als plötzlich Sven bei einem uminösen Sturz vom Krankenhausdach verstirbt, sieht die Sache jedoch anders aus. Ein Fall für die nun erfolgreich für das BKA arbeitende Paula Hennig (Franka Potente)…

In technischer Hinsicht kann sich Anatomie 2 ebenfalls sehen lassen. Auch hier gibt es eine saubere Kameraarbeit, aufwendige Settings und einen namhaften Cast. Die Idee, diesmal die Antihippokraten aus dem Inneren heraus zu zeigen, ist originell. Doch damit haben wir auch schon die positiven Aspekte dieser lauen Fortsetzung aufgezählt. Ein großes Problem ist die klischeehafte Erzählweise, die jeglichen Thrill vermissen lässt und dafür hier und da auf albernen Humor setzt und zu keiner Zeit wirklich überrascht. Die Effekte sind diesmal kaum vorhanden und im Falle des künstlich eingesetzten Muskels geradezu lächerlich. Wer sich solch fette Schläuche in den Körper und einen riesigen Sender in sein Rückenmark setzen lässt, der dürfte durchgehend vor Schmerzen jammern. Doch darüber könnte man ja noch hinwegsehen, wenn wenigstens die Darsteller überzeugen könnten.

Tun sie aber nicht. Barnaby Metschurat bemüht sich zwar redlich, die Gunst des Publikums auf seine Seite zu ziehen, kommt gegen das schwache Drehbuch jedoch nicht an. Seine Gegenspieler haben es da nicht besser. Herbert Knaup spielt zwar herrlich ekelhaft, seine Dialoge klingen jedoch allesamt gestelzt und Heike Makatsch als Femme Fatale ist ein Fall für die Goldene Himbeere. Diesen Rollentyp konnte sie im selben Jahr im Weihnachtsklassiker Tatsächlich…Liebe wesentlich überzeugender verkörpern. Wer auf den im Cast gelisteten August Diehl gehofft hat, dem kann ich ebenfalls den Wind aus den Segeln nehmen. Sein Auftritt beschränkt sich auf die kurze Eröffnungssequenz und eine kurze Rückblickmontage, wodurch er keinen Platz zum Entfalten erhielt. Und Franka Potente? Die wirkt mit ihren drei Szenen wie nachträglich ins Drehbuch geschrieben, um irgendwie den Bogen zum Erstling zu schaffen. Ihr Karrieresprung von Medizinerin zu Antihippokratenjägerin wirkt aber ebenfalls unglaubwürdig. Insgesamt leider ein wirklich schwacher Film, der in dieser schönen Veröffentlichung immerhin als Bonusmaterial durchgeht.

Apropos Bonusmaterial: Auch hier sieht man deutlich, dass Teil 2 nicht den erwarteten Erfolg des Erstlings erfüllen konnte. Lediglich ein Making Of und der Trailer sind hier vorhanden. In Sachen Bild und Ton steht aber auch dieser Film seinem Vorgänger in nichts nach.

Wer zur Mediabook-Variante greift, bekommt noch ein 19 seitiges Booklet, welches von Kollege Christoph N. Kellerbach verfasst wurde, oben drauf.

Insgesamt eine schöne Box, die immerhin einen deutschen Horrorklassiker zu bieten hat. Wer sich unschlüssig ist, greift zur ziemlich günstigen DVD-Version, Sammler kommen am Mediabook natürlich nicht vorbei. Wie immer eine schöne Veröffentlichung von Justbridge Entertainment.

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