Im Jahr 1989 hatte das letzte Stündlein für Cannon Films geschlagen. Die allseits beliebte Produktionsschmiede der beiden Israelis Menahem Golan und Yoram Globus brach nach einigen hochbudgetierten Flops schließlich unter der finanziellen Last zusammen. CYBORG (1989) war der letzte Film, der unter dem Golan/Globus-Banner in die Kinos kam und erwies sich als moderater Erfolg und das obwohl der Endzeit-Actioner mit Jean-Claude van Damme eine ziemlich wilde Entstehungsgeschichte hinter sich hatte. Mit dem fertigen Produkt war vor allem eine Person nicht zufrieden, nämlich Regisseur Albert Pyun persönlich, dessen ursprüngliche Version weniger ein straighter Actionfilm war, sondern ein fast schon ambitionierter Endzeit-Western. Vor einigen Jahren begann Pyun, die von ihm intendierte Fassung als Director’s Cut unter dem ursprünglichen Titel SLINGER zu vertreiben. Schlussendlich ist es DigiDreams Studios zu verdanken, dass wir zumindest hierzulande in den Genuss einer restaurierten Fassung kamen, inklusive Neusynchro. Sedna Medien & Distribution GmbH hat nun eine Neuauflage im Keep-Case veröffentlicht. Ob sich diese Version des Streifens lohnt, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Slinger/Cyborg

Drehbuch & Regie: Albert Pyun

Darsteller: Jean-Claude van Damme, Vincent Klyn, Deborah Richter, Dayle Haddon, Alex Daniels, Ralf Möller…

Artikel von Christopher Feldmann

Auch Actionstar Jean-Claude van Damme fing, wie so viele seiner Zunft, einmal klein an. Der drahtige Belgier suchte schon früh den Weg ins Filmgeschäft und nach kleinen Engagements als Statist im Tanzfilm BREAKIN‘ (1984) und als Stuntman im Chuck-Norris-Vehikel MISSING IN ACTION (1984) ergatterte er schließlich die Rolle des Antagonisten in KARATE TIGER (1986). Trotzdem musste der Spagat-Künstler weiter Klinken putzen und wurde schnell bei Cannon Films vorstellig, in dem er regelmäßig in der Lobby des Bürogebäudes auf Firmen-Chef Menahem Golan wartete und ihm seine imposanten Kicks vorführte, in der Hoffnung, die Hauptrolle in einem der von ihm produzierten Actionreißer zu bekommen, die insbesondere auf dem Videomarkt ordentliche Profite einfuhren. Schließlich machte sich die Hartnäckigkeit van Dammes bezahlt und er wurde für den Martial-Arts-Streifen BLOODSPORT (1988) engagiert, der nach desaströsen Test-Screenings und einem vom Hauptdarsteller persönlich übernommenen neuen Schnitt zum Hit und mittlerweile zum Kultfilm wurde. Nur ein Jahr später sollte sich mit CYBORG (1989) ein weiterer Cannon-Kracher in der Vita des Blutsportlers manifestieren. Und auch wenn der moderate Erfolg des dystopischen Endzeit-Reißers nicht den Untergang Cannons abwenden konnte, so erfreut sich die günstig zusammengeklöppelte Produktion nicht weniger großer Beliebtheit bei eingefleischten van-Damme-Fans. Und trotzdem steckt hinter dem Streifen weit mehr als man ahnen könnte, denn ursprünglich hatte Albert Pyun etwas ganz anderes im Sinn, als der Film, den die Kinogänger 89′ serviert bekamen. Nach mehreren Auflagen, unter anderem im Mediabook und in der Hartbox, hat nun Sedna Median & Distribution GmbH eine Keep-Case-Variante springen lassen, die die ursprünglich intendierte Fassung des Regisseurs beinhaltet und die sich doch erheblich von der bekannten Kinofassung unterscheidet. Allerdings, und so ehrlich muss man bei allem Wohlwollen auch sein, wer sich hier noch mehr Action im Stil einer Unrated-Version erhofft, dürfte schwer enttäuscht werden, handelt es sich bei SLINGER doch eher um einen düsteren, philosophisch angehauchten Endzeit-Western.

Handlung:

In völliger Anarchie versunken und von einer tödlichen Seuche bedroht, hat sich das Amerika von morgen in einen barbarischen Alptraum verwandelt. Einzig die schöne Pearl Prophet (Dayle Haddon) – ein Wesen halb Mensch, halb Roboter – hat das nötige Wissen um einen Impfstoff zu entwickeln. Doch während sie noch verzweifelt Daten sammelt, um das Heilmittel herstellen zu können, wird Pearl von den kannibalischen Fleisch-Piraten entführt. Sie wollen das Medikament für sich allein – um dann die Welt zu beherrschen!
Jetzt kann nur noch die furchterregende Kampfkunst des Schwertkämpfers Gibson Rickenbacker (Jean-Claude van Damme) Pearl retten – und mit ihr das, was von der Zivilisation noch übrig ist.

Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Films, neigt man schnell dazu sich ungläubig an die Stirn zu fassen. Ursprünglich wollten Golan und Globus nämlich eine Fortsetzung ihres gefloppten Fantasy-Krachers MASTERS OF THE UNIVERSE (1987) drehen, parallel dazu auch eine SPIDER-MAN-Verfilmung, quasi Back-to-Back unter der Regie von Albert Pyun. Als Cannon jedoch finanziell dermaßen in Schieflage geriet, keine Zahlungen an Mattel und Marvel mehr geleistet werden konnten und daraufhin die Lizenzverträge aufgelöst wurden, stand man vor einem Problem, schließlich hatte man schon über zwei Millionen US-Dollar in Sets und Kostüme investiert, konnte die beiden Projekte aber nicht mehr realisieren. So beauftragte man Pyun mit den bereits vorhandenen Materialien und einem zusätzlichen Budget von rund 500.000 US-Dollar einen Film abzuliefern. Der schusterte schließlich eine Rahmenhandlung zusammen, hatte aber wahrlich große Ambitionen. Eine dystopische, in schwarz-weiß gefilmte, dialogfreie Endzeit-Rock-Oper sollte es werden, doch die israelischen Produzenten waren damit so gar nicht einverstanden, benötigten sie doch Kapital, weshalb sie auf Nummer sicher gehen wollten und einen straighten Actionfilm verlangten, den man gewinnbringend verkaufen konnte. Pyun wollte Chuck Norris, die Firmen-Chefs bestanden auf Jean-Claude van Damme.

Schlussendlich lieferte der Regisseur einen Film ab, der zwar konventioneller geraten war aber zu großen Teilen seine Ideen beinhaltete. Golan und Globus waren mittelschwer entsetzt und auch van Damme selbst war von dem Ergebnis eher weniger begeistert, so dass er das Ganze wie einst bei BLOODSPORT (1988) nochmal durch den Schneideraum prügelte, unnötigen Ballast entfernte und mit einer deutlich knackigeren und mehr dem Mainstream angepassten Fassung herauskam, die unter dem Titel CYBORG vermarktet wurde. Es dauerte über zwanzig Jahre bis die ursprüngliche Schnittfassung als VHS-Master auftauchte und von Pyun persönlich digitalisiert und vertrieben wurde, womit Fans nun die Möglichkeit bekamen, den Film in der Version zu sehen, in der eigentlich vorgesehen war. Vergleicht man den Director’s Cut mit der bekannten Kinofassung, stellt man schnell gravierende Unterschiede fest, die dafür sorgen, dass es sich bei SLINGER wirklich um einen Mehrwert, wenn auch nur unter filmhistorischen Gesichtspunkten, handelt. Tatsächlich ist die deutlich künstlerische Vision Pyuns ein ziemlicher Flickenteppich aus teils netten Einfällen, die aber nie ein stimmiges Ganzes ergeben.

Inhaltlich vermittelt SLINGER eine ganz andere Hintergrundgeschichte. Dreht sich die Kinofassung im Kern um ein potentielles Heilmittel gegen die herrschende Pest, findet dies im Director’s Cut keinen Platz. Stattdessen soll der dargestellten postapokalyptischen Welt wieder Strom und Technologie zugeführt werden, um die fast schon steinzeitlichen Zustände zu beenden. Welche Technologie das sein soll und wofür diese genutzt werden soll, wird indes nie wirklich klar. An dieser Stelle muss man der Kinofassung zugestehen, dass diese dem ohnehin dünnen Plot wenigstens einen akzeptablen Sinn hinzufügen konnte. Auch die philosophischen und religiösen Elemente sind hier deutlich stärker vertreten. Während diese in der bekannten Version am ehesten noch in der berühmten Kreuzigungsszene zu finden waren, haben sie in der SLINGER-Version einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Tonalität und Atmosphäre des Films, immerhin betet Fende hier regelmäßig zu Satan persönlich. Man spürt deutlich, dass der Regisseur hier etwas ganz anderes im Sinn hatte, als das was schlussendlich in die Kinos kam. Auch sind Dialoge deutlich rarer gesät, Off-Kommentare kommen verstärkt zum Einsatz und auch die Stimmung ist wesentlich ruhiger, da Pyun hier mehr auf seine eigenen künstlerischen Visionen setzt, denn auf straighte Action-Kost. Das sorgt dafür, dass die vorhandenen Kämpfe und Feuergefechte wesentlich stümperhafter wirken. Sollte es sich hierbei wirklich um die finale Schnittfassung des Regisseurs handeln, die er Cannon präsentierte (normalerweise könnte man das hier höchstens als Rohschnitt durchgehen lassen), kann man Jean-Claude van Damme wirklich dankbar sein, dass er die Zügel selbst in die Hand nahm. Übergänge wirken sprunghaft und mehrere Szenen willkürlich aneinandergereiht, als wäre Pyun an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert, was umso mehr Sinn machen würde, da der produktive B- und C-Filmer schon immer dazu neigte, seine Kompetenzen und Möglichkeiten zu überschätzen. Im Grunde ist SLINGER ein wirklich schwer zugängliches Produkt, dass einem zusätzlich den Schauer über den Rücken jagt, wenn man bedenkt, dass man mit diesem Interieur ursprünglich einen SPIDER-MAN-Film und MASTERS OF THE UNIVERSE 2 drehen wollte.

Allerdings muss man auch hinzufügen, dass der Score hier weitaus mehr zu gefallen weiß, als das stereotype Synthie-Gedudel in der Kinofassung. Satte Rock-Sounds und kantige Arrangements werten den Film deutlich auf, warum man sich bei der Überarbeitung für eine andere Musik entschieden hat, ist mir Schleierhaft.

Insgesamt ist die Blu-ray eher etwas für Fans und Komplettisten, dürfte die schwankende Bildqualität Otto-Normal-Gucker wahrscheinlich abschrecken. Für die restaurierte Fassung des Director’s Cuts hat man nämlich die fehlenden Frames vom VHS-Master mit den bereits in HD verfügbaren Passagen aus der Kinofassung verschnitten, so dass all die Bilder, die in besserer Qualität verfügbar waren, auch in der SLINGER-Version enthalten sind. Das sorgt nun mal dafür, dass das Bild gefühlt im Sekundentakt schwere Schwankungen aufweist. Selbst als passionierter Filmfan kommt man da schon mal an seine Grenzen und auch wenn es sicher nicht anders möglich war, gemessen an dem Vorhaben, die bestmögliche Qualität zu liefern, es nervt tierisch immer wieder von HD- auf VHS-Qualität zu wechseln. Eine nette Zugabe ist die Neusynchro, die von Oliver Krekel angefertigt wurde. Ist in der bekannten Kinofassung noch Mathias Einert auf Jean-Claude van Damme zu hören, hat man für die Synchronisation des Director’s Cuts dessen Stammsprecher Charles Rettinghaus hinzugezogen, der dem Actionstar seine bewährte Stimme leihen durfte. Gar nicht auszudenken wie das Ganze gewirkt hätte, wenn man es noch mit einer „Mischsynchro“ versehen hätte.

Lohnenswert ist die Veröffentlichung aber vor allem wegen der Bonus-DVD, die SLINGER in der Originalfassung enthält, inklusive Audiokommentar von Albert Pyun, der von den wilden Dreharbeiten berichtet und das ganze Dilemma der Produktion unterhaltsam aufarbeitet. Alleine hierfür ist der Kauf gerechtfertigt.

Fazit:

Insgesamt ist SLINGER eine nette Zugabe für Filmfans, die besonders dem B-Actionkino der 1980er Jahre verfallen sind, stellt Pyuns Director’s Cut doch offensichtlich zur Schau, welches Chaos sich hinter den Kulissen ereignet hat. Trotzdem muss man sich eingestehen, dass die Ambitionen zwar ehrbar sein mögen, die neu geschnittene Kinofassung allerdings deutlich besser geraten ist. CYBORG ist somit zwar wesentlich konventioneller geraten, als Film aber unterhaltsamer, sinniger und besser geschnitten als dieses ziemlich rough wirkende Potpourri aus Rock-Musik, religiösen Einflüssen und zusammenhanglosen Ideen.

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