Dass Nicolas Cage einst eine große Nummer im Filmbusiness war, wird angesichts seiner seit Jahren andauernden zweiten „Karriere“ als Werbegesicht für zahlreiche preiswert produzierte Grabbeltischheuler gerne mal vergessen. Doch bei all dem Trash und dem schamlosen Overacting, mit dem Cage quasi eine neue Anhängerschaft für sich gewonnen hat, gibt es hin und wieder Ausschläge nach Oben, die zeigen, warum dem einstigen Hollywood-Star mal ein Oscar als bester Hauptdarsteller verliehen wurde. PIG (2021) ist der eindrucksvolle Beweis, dass es der gute alte Nic noch drauf hat und auch ohne Grimassen und wildes Geschrei zu überzeugen weiß. Leonine haben das Drama kürzlich im Heimkino veröffentlicht und warum es sich hierbei um ein echtes Juwel handelt, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Pig

Drehbuch & Regie: Michael Sarnoski

Darsteller: Nicolas Cage, Alex Wolff, Darius Pierce, Adam Arkin, David Knell…

Artikel von Christopher Feldmann

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, in der Nicolas Cage eine große Nummer was? Diese Zeit liegt lange zurück und nicht selten kommt man als Filmliebhaber in Erklärungsnot, wenn man sich einen neuen Film mit dem einstigen Hollywood-Star ansieht, der sich seit ungefähr zehn Jahren durch so ziemlich jeden Direct-to-Video-Schund reichen lässt. Aus dem einst angesehenen Schauspieler, der in Filmen wie WILD AT HEART (1990), LEAVING LAS VEGAS (1995) und STADT DER ENGEL (1998) zu begeistern wusste und sich durch Großproduktionen wie THE ROCK – FELS DER ENTSCHEIDUNG (1996), CON AIR (1997) oder DAS VERMÄCHTNIS DES GEHEIMEN BUCHES (2007) auch als Zugpferd für Blockbuster-Unterhaltung beweisen konnte, ist Aushängeschild für Trash geworden. Gebeutelt durch Geldsorgen und einen exzentrischen, sowie verschwenderischen Lebensstil, einhergehend mit schwindender Popularität, nahm Cage so ziemlich jede Rolle an, die ihm angeboten wurde. Solange der Scheck gedeckt war, konnte man auf den Oscar-Preisträger zählen. Immerhin, und das unterscheidet Cage von zu Ramsch-Arbeitern verkommenen Darstellern wie Bruce Willis, hat er noch soviel Arbeitsmoral, die ihn dazu veranlasst, sich Mühe zu geben, egal wie gut oder schlecht das Endprodukt auch sein mag. Das sorgt schließlich dafür, dass bei der hohen Schlagzahl an B-Schlonz auch hin und wieder ein echter Leckerbissen entsteht, bei dem sich dann zumindest mir immer die Frage stellt, warum Cage nicht generell bessere Rollen spielt. PIG (2021) gehört mit zum Besten, was dieser leider etwas verkrachte Star in den letzten Jahren gedreht hat.

Handlung:

Rob (Nicolas Cage) lebt zurückgezogen in der einsamen Wildnis von Oregon – allein, bis auf seinen einzigen Freund. Ein Freund, der zufällig ein treues Trüffel jagendes Schwein ist. Die teuren Trüffel, die er sammelt, tauscht Rob mit einem jungen Geschäftsmann (Alex Wolff) gegen die mageren Vorräte, die ihn ernähren. Doch Robs friedliche Einsamkeit findet ein plötzliches Ende, als er von rivalisierenden Jägern verletzt und sein Schwein gestohlen wird. Um sein Schwein wiederzufinden ist Rob gezwungen, sich in die halsabschneiderische Restaurantszene von Portland zu begeben. Dort wird seine geheime Vergangenheit als kulinarische Legende aufgedeckt, sowie der tragische Verlust, der ihn ins Exil getrieben hat. Als sich die Rettungsmission auf einen dunklen und mysteriösen Pfad begibt, muss Rob beweisen, wie weit er zu gehen bereit ist, um das Letzte zu retten, was er liebt.

Im Vorfeld schlug die Prämisse zu PIG einige Wellen, vermuteten resolute Cage-Anhänger wie auch renommierte Filmkritiker einen weiteren Trash-Schinken, der versuchen würde sich an das erfolgreiche Action-Vehikel JOHN WICK (2014) anzubiedern. Eine diebische Vorfreude machte sich breit, hofften die Meisten doch auf einen wütenden Hauptdarsteller, der auf der Suche nach seinem geliebten Schwein den ein oder anderen Finsterling über den Jordan schickt. Der Film könnte allerdings nicht weiter weg davon sein, handelt es sich hier doch nicht um einen plumpen Rachestreifen, sondern um ein überraschend ruhig erzähltes Drama, in dem es weder Gewalt oder generell um blutige Katharsis geht, sondern viel mehr um Schmerz, Einsamkeit und Vergangenheitsbewältigung.

Die Figur „Rob“ ist hier ein einsamer Eremit, der sich von der Gesellschaft losgesagt hat und unter spärlichen Bedingungen in einer abgeschiedenen Waldhütte haust, mit einem Trüffelschwein als einzigen Freund, der ihm zur Seite steht. Schon nach wenigen Minuten wird ihm das geliebte Borstentier geraubt, was den einsiedlerischen Waldschrat einen unbändigen Willen verleiht, es zurückzuholen und wenn er dafür bis ans Ende der Welt wandern müsste. Regisseur und Autor Michael Sarnoski hätte es sich einfach machen und eine plumpe Rachestory erzählen können, ist aber mehr an einer tiefgreifenden Charakter- und Gesellschaftsstudie interessiert, die sich nicht nur mit „Rob“ als tieftraurigem, einsamen Outlaw auseinandersetzt, sondern die Themen „Schmerz“ und „Verlust“ auf mehreren Ebenen behandelt. So hat auch sein anfänglich widerwilliger Kompagnon „Amir“ sein Päckchen zu tragen und der Film enthüllt, dass hinter der Fassade des glatten, aufstrebenden Geschäftsmannes ebenfalls seelische Narben zu finden sind, die von einem ganz anderen Konflikt herrühren. Dabei verliert sich PIG nie in abgedroschenen Klischees oder langwierigen Dialogen, sondern gestaltet sich trotz seines langsamen Erzähltempos relativ kurzweilig, was der knackigen Laufzeit von gerade einmal 90 Minuten dankenswerterweise geschuldet ist. Dramen müssen nicht immer 120 bis 150 Minuten lang sein, sondern funktionieren eigentlich umso besser, wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert und nicht jede Information ausbuchstabiert. Dabei ist es auch egal, wie Robs Frau starb oder was es genau mit dem Schwein auf sich hat, es geht um den Menschen und die Auswirkungen der eigens erlebten Verluste. Viele Zwischentöne laufen einfach nebenher, wir begleiten beide Männer quasi bei einem Streifzug durch die Feinschmeckerszene Portlands, die Sarnoski als Vorlage dient, ein ganz eigenwilliges, kritisches Bild einer Kultur zu zeichnen.

PIG begibt sich in die Restaurantkultur, ein Metier, dass wahrscheinlich kaum ein Film auf diese Art und Weise präsentiert. So werden die kulinarischen Top-Adressen Portlands als überstilisierte Fresstempel gezeigt, in denen es nicht um die Liebe zum Produkt oder die Leidenschaft zum Kochen als Handwerk geht, sondern um gute Kritiken, die vordergründig edelsten Kreationen und die eigene Selbstbeweihräucherung als Star-Gastronom. Sarnoski entlarvt diese Szene als Fake, als Fassade, für die sogar Kellnerinnen auswendig gelernte Texte herunterbeten müssen, um ein Gericht anzupreisen, damit mit an es als Gast vermutlich dem eigenen Unverständnis für Kulinarik zuschiebt, wenn es nicht den Geschmack trifft. Eine Szene, die so ausbeuterisch ist, dass Angestellte ihrem Frust und ihren Aggressionen in einem geheimen Fight Club Luft machen. Das ist vorzügliches World Building ohne Zusammenhänge groß erklären zu müssen und sollte jemand daraus eine Mini-Serie konzipieren, bin ich als Zuschauer sofort im Boot. Die Szene, in der sich Cage einen Küchenchef zur Brust nimmt ist dabei nur eine von vielen herausragenden Momenten mit einem ganz eigenen Impact.

Diese zeigen einmal mehr wie gut Nicolas Cage sein kann, wenn man ihm das richtige Material vorlegt, das mehr verlangt, als nur lautes Overacting. Der Oscar-Preisträger zeigt, dass er auch ein Mann der leisen Töne sein kann, so präzise, so nuanciert und greifbar fühlt sich seine Darstellung an. Da kann natürlich niemand aus der Besetzung mithalten, wobei man sagen muss, dass PIG kaum wirkliche Nebencharaktere bietet. Der Einzige, der schon fast eine Hauptrolle inne hat ist Alex Wolff, von dem man Anfangs schnell genervt sein kann, der aber im Verlauf der Handlung einen nicht unwesentlichen charakterlichen Wandel vollzieht, good Job. Das Ganze unterfüttert der Regisseur mit schwelgerischen Bildern, einem subtilen Score und langen Einstellungen, was die dauerpräsente Melancholie perfekt unterstreicht. Ein Film, der mich wirklich berührt hat und mit zum Besten gehört, was ich dieses Jahre sehen konnte.

Leonine haben den Film im Heimkino veröffentlicht, sowohl physisch als Blu-ray und DVD wie auch digital. Uns lag eine DVD zur Sichtung vor, Bild- und Tonqualität sind gut, als Bonus gibt es den Trailer.

Fazit:

Eine echte Überraschung und eine uneingeschränkte Empfehlung. PIG (2021) ist der beste Nicolas-Cage-Film seit vielen Jahren, in dem der einstige Hollywood-Star nochmal sein ganzes Können präsentieren darf. Ein bewegendes, mitreißendes, gesellschaftskritisches Drama über Verlust, seelischen Schmerz und die Geister der Vergangenheit. Starkes Kino!

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

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