So mancher Trickfilm für die ganze Familie wird von Kindern schlechter aufgenommen, als erwartet. Bei meiner Tochter war es beispielsweise ausgerechnet der harmlose Ice Age, den sie gar nicht verknusen konnte, weil die Mami am Anfang das Zeitliche segnete (keine Seltenheit in Kinderfilmen). Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte ich ihr damals bereits Die letzten Glühwürmchen oder gar Watership Down vorgeführt. Gegen beide Filme wirkt dieser, von TURBINE MEDIEN nun als Einzel-Blu-ray veröffentlichte, Zeichentrickklassiker um ein naives Rentnerpärchen, das nach einem Atomschlag langsam zu Grunde geht, fast wie ein fröhliches Happening. Doch auch wenn es dieser Klassiker nur auf Platz drei der deprimierendsten Zeichentrickfilme des 20. Jahrhunderts schafft, gerät der Film mit zunehmender Laufzeit immer bedrückender und dürfte auch heute noch für so manchen Albtraum in den Kinderzimmern sorgen. Dabei ist das Thema wichtig, mehr denn je.

Originaltitel: When the Wind Blows

Regie: Jimmy T. Murakami

Sprecher (englisch): John Mills, Peggy Ashcroft

Sprecher (deutsch): Peter Schiff, Brigitte Mira

Artikel von Christian Jürs

Was tun, wenn der Russe angreift? Den McDonalds schließen? Kein Gas mehr kaufen? Oder nochmal Die rote Flut schauen, um vorbereitet zu sein? Der Rentner Jim Bloggs hat da so einige Ideen, auf die ihn die britische Regierung durch ein paar Flugblätter brachte. Diese existierten Anfang der Achtziger in England übrigens tatsächlich, boten jedoch nur lächerliche und gefährlich-falsche Hilfestellungen und sorgten für ein ängstliches Aufstöhnen der Bevölkerung.

Mitgebracht hat Jim die Broschüre aus London, wo der rüstige Rentner immer wieder hinfährt, um Besorgungen zu machen. Aus dem Großstadtgetümmel hat er sich allerdings vor Jahren schon weitestgehend verabschiedet und zog mit seiner lieben Frau Hilda aufs Land. Diesmal bringt er allerdings noch weitere, schlechte Nachrichten mit nach Hause, denn in den Nachrichten wird immer wieder vor einem möglicherweise in Kürze ausbrechenden, neuen Krieg gewarnt. Und während seine Frau sich um Haushalt und Mittagessen kümmert, zimmert Jim deshalb, nach den Anweisungen der mitgebrachten Broschüre, einen Luftschutzraum, der jedoch nur aus zwei schräg an die Wand gelehnten Türen besteht und daher keinen wirklichen Schutz bietet.

Kurz darauf tritt der Ernstfall ein. Die befürchtete, russische Atombombe (es war die Zeit, des kalten Krieges, die leider wieder zurückkehrt) findet ihren Weg auf die Insel und verwüstet Haus und Land der Bloggs. Da der sogenannte Luftschutzraum den Angriff jedoch übersteht, glauben die Beiden sich in Sicherheit. Nach kurzer Zeit aber reicht es Hilda. Sie muss mal auf die Toilette und außerdem sieht die Wohnung aus wie Sau und muss wieder auf Vordermann gebracht werden. Es dauert daher nicht lange und die ersten Anzeichen einer radioaktiven Vergiftung treten bei den Rentnern zum Vorschein.

Es ist wirklich herzzerreißend, wie sich die beiden alten Leute der Realität versperren. Immer dann, wenn Hilda aufgrund ihres Gesundheitszustand Zweifel hegt, beruhigt Jim sie mit seinen realitätsfernen Worten. Nicht nur, um seine Frau zu beruhigen, auch, weil er es schlichtweg nicht besser weiss. So warten die immer kränker werdenden, alten Leute, inmitten einer verwüsteten, toten Landschaft auf den bestimmt bald eintreffenden Briefträger oder die Eingreiftruppen des Militärs. Doch niemand erscheint in der toten Gegend. Die Strom- und Wasserversorgung kommt außerdem zum Erliegen, doch niemals, auch nicht, als ihre Körper schwach vor Krankheit werden, verliert Jim seinen Optimismus, mit dem er Hilda immer wieder aus der Verzweiflung holt. Bis zum bitteren Ende.

Regisseur Jimmy T. Murakami verdiente sich erste Sporen unter der Fuchtel von Roger Corman, für den er einst u.a. die Nackt- und Splatterszenen für den Klassiker Das Grauen aus der Tiefe nachdrehte, von denen jedoch nur Bruchstücke Verwendung fanden. 1982 war er dann Co-Regisseur beim später oscarnominierten Trickfilm The Snowman von Raymond Briggs, der auch die Vorlage für diesen Zeichentrickklassiker lieferte und Murakami damit seinen wohl wichtigsten Film ermöglichte.

Hier und da fanden Realfilmaufnahmen Verwendung, was dem Film einen besonderen Look gibt. Der Titelsong stammt von David Bowie, der Soundtrack von Ex-Pink Floyd Sänger Roger Waters. Also von zwei Profis, die ihr Handwerk verstehen/verstanden. In der deutschen Version liehen Peter Schiff (später Stammsprecher von Louis de Funès) und die wunderbare Brigitte Mira ihre Stimmen, um den Figuren Leben einzuhauchen. Anfangs wirken sie dadurch ein wenig wie in einem Loriot-Sketch („Geh doch spazieren„), was, neben der einfältigen Naivität der Beiden, für ein paar echte Schmunzler sorgt. Sobald die Krankheitssymptome auftreten, ist es mit dem Lächeln aber vorbei und man möchte am liebsten helfend eingreifen.

Wenn der Wind weht ist ein ganz besonderer Film, der in viele Sammlerregale gehört, den man Sechsjährigen allerdings wirklich noch nicht vorführen sollte. Die Blu-ray von Turbine Medien verfügt über eine gute Bild- (1,78:1 / 1080p) und Tonqualität (Deutsch und Englisch wahlweise in DTS-HD Audio Master 2.0 oder 5.1). Die Extras bestehen aus der Dokumentation Jimmy Murakami: Non-Alien, der Making-of-Dokumentation The Wind and the Bomb – Interview mit Raymond Briggs, einem Audiokommentar mit First Assistant Editor Joe Fordham und Filmhistoriker Nick Redman sowie dem Trailer. Außerdem gibt es ein Wendecover ohne FSK-Flatschen.

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