Gute und effektive Western sind heutzutage eher Mangelware. Können Genre-Vertreter nicht mit prominenten Gesichtern aufwarten oder mit ebenso bekannten Persönlichkeiten hinter der Kamera, finden solche Filme eher in den hinteren Ecken der Streaminganbieter oder der DVD-Regale statt. Doch auch unter diesen kleinen, mit wenig Budget realisierten Werken findet sich manchmal eine Perle. OLD HENRY (2021) ist gewissermaßen ein Musterbeispiel und präsentiert sich als rauer, simpel konzipierter und überraschend packender Spätwestern, der sogar mit einem überraschenden Twist aufwartet. Plaion Pictures (ehemals Koch Films) veröffentlichte den Film bereits vor Monaten im Heimkino, nun erscheint aber zusätzlich eine exklusive Mediabook-Edition, inklusive 4K-Scheibe. Wir verraten euch, warum sich OLD HENRY auf jeden Fall lohnt.

Originaltitel: Old Henry

Drehbuch & Regie: Potsy Ponciroli

Darsteller: Tim Blake Nelson, Scott Haze, Gavin Lewis, Stephen Dorff, Trace Adkins…

Artikel von Christopher Feldmann

Es ist einer dieser seltenen Fälle. Da surft man nichts ahnend durch die sozialen Netzwerke und stößt auf einen kleinen, mir bis Dato völlig unbekannten Western, der ausgesprochen positiv besprochen wird. Ein kleiner Blick in den eigenen Letterboxd-Account und man stellt Fans, dass auch einige Personen aus dem eigenen Dunstkreis, den Film durch die Bank mit mindestens 3,5 von 5 Sternen adeln. Also denkt sich der Autor dieser Zeilen, dass an ihm wohl ein kleines Must-See vorbeigegangen sein muss. Als Fan ruppig-dreckiger Italo-Western machen die Beschreibungen um einen kleinen, rauen Spätwestern durchaus Lust auf relativ schlanke 99 Minuten Spielzeit, es müssen ja nicht immer die großen Epen sein. Gut, dass sich ein versiertes Label wie Plaion Pictures (zu diesem Zeitpunkt noch unter Koch Films geläufig) diesem Film angenommen hat. Durchaus beseelt wurde ich aus dem Streifen entlassen, denn OLD HENRY (2021) erfindet das Genre natürlich in keinster Weise neu oder wartet mit einem ganz besonderen, frischen Ansatz auf, sondern kommt als straighter, kurzweiliger Reißer daher, der in seiner simplen Geschichte den maximalen Effekt erzielt.

Handlung:

Als Henry McCarty (Tim Blake Nelson) und sein Sohn (Scott Haze) einen geheimnisvollen Fremden bei sich aufnehmen, bricht Wildwest-Chaos über ihr verschlafenes Bauernhaus herein. Der Schwerverletzte hat nämlich eine Tasche voller Geld dabei, die der zwielichtige Sam Ketchum (Stephen Dorff) und seine Bande einfordern. Als sich Henry gegen die Belagerung seines Gehöfts verteidigt, zeigt der Farmer ein ausgeprägtes Talent für den Umgang mit Schusswaffen. Wer verbirgt sich hinter dem Revolverhelden?

Normalerweise ist es schwierig, gute Old-School-Western zwischen all dem Wust an Billig-Produktionen herauszufiltern, gehen diese in der Regel preiswert produzierten Filme immer wieder unter, wird der Zuschauer doch auf den hiesigen Streamingdiensten immer mehr von schnöder Wegguckware geflutet. OLD HENRY gehört zu den seltenen Fällen, die eigentlich kaum mehr möglich erscheinen. Mit überschaubaren Mitteln und nicht allzu üppigem Produktionsvolumen gedreht, macht auch dieser Western den zuerst den Eindruck, lediglich neue Dutzendware zu sein. Jedoch feierte er im vergangenen Jahr Premiere bei den internationalen Festspielen von Venedig und wurde dort mit positiven Rezensionen bedacht. Das erscheint auf den ersten Blick überraschend, immerhin sorgt Regisseur und Drehbuchautor Potsy Ponciroli, der zuvor überwiegend im TV- und Kurzfilm-Bereich tätig war, für schnörkellose Old-School-Unterhaltung, ohne dem Genre irgendeine Neuerung hinzuzufügen.

Der Film punktet in erster Linie mit seiner rauen, ungemütlichen und trostlos wirkenden Atmosphäre und etabliert den in die Jahre gekommenen Farmer Henry als eigenbrötlerischen, pazifistischen Mann, der seinen Teenager-Sohn streng von Gewalt und damit von dem Gebrauch von Schusswaffen fernhält, was komisch wirkt, immerhin gehören die Revolver zum Western-Leben wie der Kaffee zum Morgenritual. Die Geschichte zeichnet behutsam aber aussagekräftig ein Bild von einem Mann, der der Gewalt abgeschworen hat, der viel zu viel Leid gesehen oder gar selbst verursacht hat, weswegen er seinem Filius ein Leben ohne Tod und Verderben schenken möchte. Auf welchen Gräueltaten diese Motive basieren bleibt lange unklar aber spätestens wenn sich zwielichtige Gestalten wie der verwundete Fremde Curry und natürlich die gewaltbereite Bande um den „Sherriff“ Sam Ketchum in der Szenerie tummeln, beginnt die Fassade langsam zu bröckeln und Henrys Moralkodex wird auf die Probe gestellt. Daraus entspinnt sich eine Art Kammerspiel, welches sich größtenteils im und um das Bauernhaus abspielt, das sich in Richtung Gewalteskalation entwickelt. OLD HENRY atmet den Geist von Meisterwerken wie ERBARMUNGSLOS (1992) und erinnert mit seinem Set-Up um eine Belagerung an Howard Hawks‚ zeitlosen Western-Klassiker RIO BRAVO (1959), kommt aber weitaus düsterer und ungemütlicher daher.

Das liegt in erster Linie an der Inszenierung, die die Figur des Henry bildlich widerspiegelt. So wirken Kulissen und das Drumherum kalt, abgenutzt und verkommen, geradezu zerstört. OLD HENRY spart positive Gefühle und frohe Farben komplett aus und erstrahlt in einem müden Grau-Braun-Ton. Dies mag vielleicht auch dem überschaubaren Budget geschuldet sein, dennoch wirkt der Film nie „billig“ im klassischen Sinne. Viel mehr trägt die leichte Schäbigkeit des Gezeigten viel zur Atmosphäre bei. Ponciroli setzt derweil auf Geradlinigkeit und inszeniert seinen Film ohne wirkliche neue Ideen. OLD HENRY ist klassisch im besten Sinne und bietet im Finale auch einen knackigen und blutigen Shootout. Der große Kniff des Films ist ein ganz besonderer Twist, denn der pazifistische Henry ist selbstverständlich kein einfacher Farmer, sondern besitzt eine ausgesprochen dunkle Vergangenheit. Diese Wendung möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten, sie wurde aber gekonnt und überraschend platziert, was ein kleines feines Extra darstellt.

Wie schon beschrieben, ist vor allem die Figur des Henry der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Tim Blake Nelson, der vor allem durch Nebenrollen bekannt wurde, liefert hier eine wirklich großartige Performance ab und verleiht dem Charakter die nötige Authentizität. Auch die restliche Besetzung weiß zu überzeugen, wie etwa Scott Haze, der den frustrierten Sohn verkörpert aber dabei nie in Versuchung kommt, dem Publikum auf die Nerven zu gehen. Auch B-Recke Stephen Dorff, der nach seiner Schurken-Rolle im Vampir-Actioner BLADE (1998) wenig gerissen hat, macht als Fiesling eine erstaunlich gute Figur.

Plaion Pictures veröffentlichte den Western noch zu Koch-Zeiten als Blu-ray und DVD im einfachen Keep-Case. Nun legt das Label noch einmal nach und bringt im Oktober eine exklusive Mediabook-Edition auf den Markt, die neben dem Blauling auch eine 4K-Scheibe enthält. Als Extras sind Behind-the-Scenes-Clips und der Trailer enthalten, das Mediabook an sich wartet zudem natürlich noch mit einem Booklet auf. Zur Bild- und Tonqualität der UHD-Version kann ich nicht viel sagen, da aber die Blu-ray schon restlos überzeugen konnte, dürfte man hier nicht danebengreifen.

Fazit:

Fans klassischer und rauer Western-Kost sollten sich OLD HENRY (2021) auf keinen Fall entgehen lassen. Der Film erfindet das Genre nicht neu, liefert aber gut inszenierte und gut gespielte Old-School-Unterhaltung ab. Und von dieser gibt es heutzutage einfach viel zu wenig.

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