Was für ein Film! Der Streifen ist 92 Jahre alt und dennoch modern, ein zeitloses Beispiel filmischen Könnens. Nicht nur, dass dieser Film das Genre des Antikriegsfilm begründete, er ist zugleich auch noch der erste und einzige echte Antikriegsfilm, der überhaupt gedreht wurde. Drehbuch und Inszenierung sind der Masterplan für alle späteren Antikriegsfilme, die da noch kommen sollten. Im Westen nichts Neues gibt alle Eckdaten für ein Drehbuch vor, er setzt den Maßstab in der Darstellung vom Sterben im Krieg, er zeigt die richtige Herangehensweise, bleibt völlig fokussiert, ist technisch ein Kinnhaken vollendeter Filmkunst und fotografisch ein Meisterwerk. Und das bei einem Film aus dem Jahre 1930. Die Sprache ist modern, technisch wie auch in den Dialogen, dieser Film ist nicht gealtert. Ein absolutes A-Movie und Filmgeschichte pur. Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit dem Film ergeht, aber ich zähle ihn zu meinen absoluten Favoriten. CAPELIGHT PICTURES liebt diesen Film scheinbar auch sehr und gab sich Mühe bei der Rekonstruktion des Filmklassikers. Acht Minuten länger als die internationale Standardfassung ist der Film nun geworden – und die Minuten passen. Der Verleiher spendierte dem Film vor allem mit der streng limitierten 6-Disc Ultimate Edition einen angemessenen Background für Sammler, sowie ein schickes Mediabook und eine Single DVD, die allerdings nur die Langfassung an Bord hat.

Originaltitel: All Quiet on the Western Front

Regie: Lewis Milestone

Darsteller: Lew Ayres, Louis Wolheim, John Wray, Arnold Lucy, Ben Alexander, Walter Rogers, Scott Kolk, Owen Davis Jr.

Artikel von Kai Kinnert

Der Erste Weltkrieg hat begonnen, das Deutsche Reich befindet sich im Rausch. Angestachelt von ihrem nationalchauvinistischen Lehrer beschließen Paul Bäumer und seine Mitschüler, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Doch der Idealismus verfliegt schnell im Angesicht der harten Realität an der Westfront: ein zermürbender Stellungskrieg in den Schützengräben, permanentes Trommelfeuer und Maschinengewehrsalven. Statt Ruhm und Ehre wartet auf die jungen Kameraden ein dreckiges, sinnloses Sterben in einem mechanisierten Krieg.

Krieg ist das große Sterben und Im Westen nichts Neues begleitet seine Protagonisten in den Tod. Aufgestachelt vom Professor, der vor einer Schulklasse große Töne über Eiserne Männer faselt und den Kampf fürs Vaterland als den größten aller Zukunftspläne für Jugendliche ausgibt, meldet sich eine Schulklasse geschlossen für die Front. Draußen auf der Straße marschiert schon das Schlachtvieh in Reih und Glied an der jubelnden Menge vorbei, und die Schüler wollen auch. Endlich eine Uniform, endlich den Stolz des Vaters erleben, endlich mit Herz und Hand fürs Vaterland – in den Tod. Die Worte des Professors sind zeitloser Nationalismus, die Formeln werden auch heute wieder gesprochen, und führten zum Elend quer durch Nationen.

Lewis Milestone inszenierte seinen Film literarisch, das Drehbuch ist deutlich und gut sortiert. Eben noch in der Schule, schon auf dem Exerzierplatz und mit voller Deckung in den Schlamm geworfen. So hat sich Paul Bäumer den Dienst an der Fahne nicht vorgestellt, und bevor er sich versieht, ist er gleich nach der Ausbildung an der Front gelandet, die, schlecht versorgt, im Schützengraben lebt und Trommelfeuer abbekommt. Auf dem Schlachtfeld, das seinem Namen alle Ehre macht, rennen die Soldaten erst von Rechts nach Links, und dann wieder von Links nach Rechts durch die Kraterlandschaft. Raus aus dem Schützengraben, Draht ziehen, rein in den Schützengraben, ab in den Unterstand, Trommelfeuer, Durchdrehen, Angriff auf die Gräben, Maschinengewehre mähen Soldaten nieder, dann Kampf im Graben, Mann gegen Mann. Jahrelanges Sterben. Dazwischen ein kurzes Tête-à-Tête mit französischen Damen, dazu Urlaub in der Heimat und dann zurück an die Front. Das Drehbuch klammert den Film geschickt mit dem Anfang, gibt dem Film eine klare Aussage.

Doch der Film wäre nicht rund, wäre kein glaubwürdiger Antikriegsfilm, gäbe es da nicht die Action und die enorme filmische Kreativität, die diesen Film auszeichnet. Regisseur Milestone hat wahrlich einen technischen Meilenstein inszeniert und dabei die Grundlage der Filmsprache im Allgemeinen geschaffen.

Die Action muss damals ein Faustschlag ins Gesicht des Zuschauers gewesen sein, so etwas hatte man bis dato noch nicht gesehen. Unvergessen ist das Mähen der Maschinengewehre durch die Reihen der heranstürmenden Franzosen, ein minutenlanges Dauerfeuer in geschickter Bildmontage, ohne Musik, ohne Helden, nur Dauerfeuer und die Kamerafahrt über den Schützengraben, die Explosionen der Artillerie, hier noch mit echtem Sprengstoff von den Tricktechnikern geleistet. Die abgerissenen Hände im Stacheldraht, ein Schockeffekt, der auch heute noch funktioniert. Die Franzosen stürzen in die deutschen Schützengräben, ein Kampf Mann gegen Mann entbrennt, es wird mit dem Bajonett erstochen, Männer schlagen und töten sich, die Kamera zeigt es in einer langen Szene. Trotz Zeitraffer hat die Sequenz in ihrer Authentizität noch immer Wirkung. Und so wogt der Krieg hin und her, als nächstes wird die französische Stellung genommen. Der Film schont seinen Zuschauer nicht.

Dazu die Low Key Aufnahmen in der Nacht. Die Szenen auf dem Schlachtfeld wurden knapp 30 Meilen von den Universal Studios auf einer Ranch gedreht und sind fotografisch gekonnt in Szene gesetzt worden. Die Nachtaufnahmen des Schlachtfelds wurden tatsächlich bei Nacht gedreht, damals keine Selbstverständlichkeit, denn Kameratechnik und Filmmaterial waren noch nicht so lichtstark entwickelt. Das Schwarz der Nacht verschluckt das Schlachtfeld, in der Ferne steigt eine Leuchtrakete auf, die Schemen der Soldaten gegen das blitzende Licht. Krater sind zu erkennen. Hier will man nicht sein.

Die Kameraarbeit von Arthur Edeson (Casablanca, Die Spur des Falken) und Karl Freund (Metropolis) schafft beeindruckende Bilder, hier entwickelt sich das moderne Actionkino. Bildgestaltung, Kamerafahrten und Schnitt sind Weltklasse. Dazu hatte man einen 27 Tonnen schweren Kamerakran auf Ballonreifen zur Verfügung, den Prototyp aller zukünftiger Kamerakräne, der hier den Schützengraben entlangfährt.

Obwohl der Film 92 Jahre alt ist, stört das Alter nur wenig die heutigen Sehgewohnheiten. Schauspiel, Action und Dialoge sind von überraschender Zeitlosigkeit, das Drehbuch hat allen sentimentalen Ballast abgeworfen und zeigt als erster Spielfilm die seelischen Verletzungen und die Traumata des Krieges. Ein unbequemer Film, denn er unterläuft die aufhetzenden Worte der Propagandisten, reißt ihnen die Maske herunter. Paul Bäumer trifft am Ende, gezeichnet von den Erlebnissen des Krieges, wieder auf seinen Professor. Die Heimat wird ihn ernüchtern. Bäumer kehrt lieber zurück in den Schützengraben. An dem Tag seiner Rückkehr ist es still an der Westfront. Aber das Sterben geht weiter. Im Westen also nichts Neues.

Im Westen nichts Neues ist ein packender Antikriegsfilm, technisch weitsichtig inszeniert und mit viel Aufwand meisterlich in Szene gesetzt. Die zusätzlichen acht Minuten verändern den Film nicht in seiner Aussage, erweitern jedoch hier und da einige markante Momente, wie zB. die Ansprache des Professors, die Ausbildung und auch Momente an der Front. Die zusätzlichen Szenen fügen sich rund ein. Dieser Film hat es verdient, komplett gesehen zu werden.

Die 6-Disc Ultimate Edition bietet das volle Pfund für Filmsammler. Der Box liegt ein nummeriertes Zertifikat bei, acht Kinoaushangfotos (Nachdruck), Illustrierter Film-Kurier (Nachdruck). In der einfachen Mediabookvariante befindet sich die Langfassung (HD, 141min), die Internationale Standartfassung (HD, 133min) und die Langfassung als DVD. Als Extras gibt es die Dokumentation „Geschundenes Zelluloid – Das Schicksal des Kinoklassikers Im Westen nichts Neues“, Deutscher Kinotrailer, Originalkinotrailer, eine Einführung von Robert Osborne. In der Ultimate Edition befindet sich zudem ein zweites Mediabook, in dem exklusiv die 1930er-Fassung (HD, 103min), die 1952er-Fassung (HD,127min), die Stummfilm-Fassung (HD, 135min) und die Originale ZDF-Fassung (SD, 135min) enthalten sind. Außerdem findet man dort als Bonus „Das Profil: Erich Maria Remarque zu Gast bei Friedrich Luft“. Beide Mediabooks einhalten jeweils ein 46-seitiges Booklet. Es sind die Essays „Im Westen nichts Neues – Ein Film und sein wechselvolles Schicksal“ und „Was macht einen Kriegsfilm zum Atikriegsfilm? – Eine filmische Feindbildanalyse“ von Professor Hans Beller, sowie „Im Labyrinth der deutschen Fassungen von Im Westen nichts Neues“ von Ludger Holmenkamm.

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