Anno 2023 dürften die Begriffe „toxische Beziehung“ und vor allem „toxische Männlichkeit“ vielen Menschen zum Halse heraushängen, dennoch sind die von physischer aber psychischer Gewalt geprägten Partnerschaften keine Seltenheit in unserer Gesellschaft. Doch beginnt missbräuchliches Verhalten erst dann, wenn man dem Partner oder der Partnerin körperliche Schmerzen zufügt? Ganz im Gegenteil! ALICE, DARLING (2022), das Regiedebüt von Mary Nighy, erzählt behutsam eine Geschichte von toxischer Liebe und psychischem Verfall, in der PITCH-PERFECT-Star Anna Kendrick vermutlich die beste Leistung ihrer Karriere abliefert. Leonine veröffentlicht das Independentdrama nun auch hierzulande im Heimkino. Wir verraten euch, ob sich der Kauf lohnt.

Originaltitel: Alice, Darling

Drehbuch: Alanna Francis

Regie: Mary Nighy

Darsteller: Anna Kendrick, Kaniethiio Horn, Wunmi Mosaku, Charlie Carrick…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Alice (Anna Kendrick), die sich in letzter Zeit häufig seltsam und distanziert verhält, ist mit dem erfolgreichen Maler Simon (Charlie Carrick) zusammen. Ihre beiden Kindheitsfreundinnen Tess (Kaniethiio Horn) und Sophie (Wunmi Mosaku) überreden sie zu einer Woche Urlaub in einer entlegenen Hütte. Die Freundschaft hat allerdings schon bessere Zeiten gesehen, was vor allem an Alices Beziehung zu Simon liegt, der sie fortwährend kontrolliert. Langsam beginnt sich Alice aus der emotionalen Abhängigkeit zu lösen und wieder zu sich selbst zu finden. Doch da steht Simon unerwartet vor der Hütte und seine Rache ist unvermeidbar und erschütternd – er stellt Alices Stärke, ihren Mut und die tiefe Verbundenheit zu ihren Freundinnen auf eine harte Probe.

Von ALICE, DARLING (2022) wusste ich Nichts, bis mir Kollege Christian den Film zur Rezension weiterreichte. Weder Inhalt, noch Trailer waren mir geläufig und ausnahmsweise verzichtete ich darauf, mir im Vorfeld irgendetwas über dieses Debütwerk durchzulesen oder anzusehen. Geht man gänzlich unvoreingenommen an das Erstlingswerk von Mary Nighy heran, ist das Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil man angesichts der Stimmung etwas anderes erwartet, als das, was der Film letztendlich präsentiert und Segen, weil es dafür sorgt, dass man von der Thematik kalt erwischt wird. Tatsächlich könnte ALICE, DARLING so ziemlich jedes Genre bedienen, wenn man die ersten 20 Minuten betrachtet. Ein Psychothriller oder ein reines Drama, vielleicht auch ein Mix im Stil von PROMISING YOUNG WOMEN (2020) oder einer von diesen Geschichten, bei denen einer Gruppe von Freunden in einem Haus am See etwas fürchterliches widerfährt. Wo die Reise schlussendlich hingeht, lässt das Drehbuch lange offen und spielt dabei merklich mit den Erwartungen des Zuschauers.

Tatsächlich entpuppt sich der Film weder als Nägelkauer, noch als stupider Ausflugshorror, sondern als klassisches Drama über ein aktuelles Thema, das spätestens seit der MeToo-Debatte immer wieder den Weg ins Bewusstsein der Menschen findet, nämlich „abusive relationships“ oder besser gesagt „toxische Beziehungen“. Dabei geht es aber ausnahmsweise mal nicht um Missbrauch auf sexueller, sondern auf psychischer Ebene. Die Geschichte handelt von der titelgebenden „Alice“, die seit einiger Zeit in einer Liebesbeziehung mit dem Maler „Simon“ lebt, die stark beängstigende Züge hat. Nicht, weil der Lover ein gewalttätiges, frauenverachtendes Arschloch ist, sondern seine Partnerin auf manipulative Art und Weise in eine emotionale Abhängigkeit manövriert hat, die dazu führt, dass „Alice“ ein emotionales Wrack darstellt, die ständig panische Angst vor Fehlern ihrerseits oder Enttäuschungen seitens ihres Lebensgefährten hat. „Alice“ steckt in einer toxischen Beziehung, die mittlerweile dazu führt, dass sie Angstzustände hat, krampfhaft um die Gunst Simons buhlt und sich selbst maßregelt, weil sie in einem Traum mit einem anderen Mann kopuliert. Diese Züge des emotionalen Verfalls werden zu Beginn subtil beleuchtet, kommen aber erst dann zum Tragen, sobald die Hauptfigur mit ihren Freundinnen eher widerwillig zu einem Kurzurlaub aufbricht.

Erst im weiteren Verlauf werden die psychischen Belastungen immer gravierender und gipfeln sogar in Selbstverletzung. ALICE, DARLING ist im Grunde ein Psychogramm, eine Veranschaulichung einer völlig desillusionierten Frau, die ihrem Partner hörig ist. Das ist sehr behutsam erzählt und inszeniert und als Zuschauer muss man sich auf das gemächliche Erzähltempo einlassen können, denn der Film bietet keinerlei Schauwerte, bis auf Anna Kendrick. Die Schauspielerin, allen voran aus PITCH PERFECT (2012) und dessen Sequels bekannt sein dürfte, brilliert in der Rolle einer psychisch malträtierten Frau. Kendrick spielt sich hier wahrlich einen Wolf und überzeugt vor allem durch viele kleine Nuancen, die sich in Gestik und Mimik abzeichnen.

Darüber hinaus bietet das Drama nicht allzu viel und das ist der größte Schwachpunkt. Ein Sub-Plot um eine vermisste Frau, an deren Suchaktion sich „Alice“ beteiligt, läuft ins Nichts und auch ihre Freundinnen, mit denen sie die Woche im Haus am See verbringt, bleiben überraschend blass und bilden eigentlich nur simple Gegenpole, die schlussendlich die Wahrheit hinter Alice‘ Verhalten erkennen. Und steht der manipulative „Simon“ irgendwann persönlich vor der Tür, um seine Liebste abzuholen, holt der Film zu wenig aus der Situation heraus und liefert keinen befriedigenden Pay-Off. Die Emanzipation wird im Vorbeigehen vollzogen und auch der Unhold bekommt viel zu wenig Raum, um das Thema tiefer zu ergründen. Mary Nighy, die übrigens die Tochter von Schauspieler Bill Nighy ist, fokussiert sich mehr darauf, ihre Hauptdarstellerin in schwelgerischen Bildern einzufangen, mal beim Joggen, dann beim Schwimmen und schließlich beim verschüchterten Cocktail mit den Freundinnen. Nighy arbeitet hier viel mit bildlichen Metaphern, was das Thema zwar stärker betont aber auch dafür sorgt, dass sich schnell Langeweile breit macht.

Zur Sichtung lag uns die Blu-ray aus dem Hause Leonine vor. Bild- und Tonqualität sind sehr gut, als Bonus gibt es den Trailer.

Fazit:

ALICE, DARLING (2022) behandelt behutsam und glaubwürdig das Thema „toxische Beziehungen“ und punktet vor allem mit einer starken Anna Kendrick, die hier Talent vollends ausspielen kann. Abseits davon bleiben die Nebenfiguren allerdings etwas blass und auch sonst ist das Drama mehr ein Show-Reel für die Hauptdarstellerin, denn allzu viel erzählerisches bietet der Film leider nicht.

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