Für alldiejenigen, die den wilden Filmtrips nicht abgeneigt sind, erschien erst kürzlich eine ganz besondere Edition im Heimkino, denn hinter dem Titel NAKED LUNCH (1991) verbirgt sich mitnichten schmuddeliges Bumskino, sondern ein surrealer Drogenrausch, geschrieben und inszeniert von niemand geringerem als Body-Horror-König David Cronenberg, der mit seinem Werk Motive aus dem Schaffen des Kult-Schreibers William S. Burroughs aufgreift. Turbine Medien spendierte diesem filmischen Wahnsinn eine exquisite Mediabook-Edition mit zahlreichen Extras, wobei der Streifen selbst als frisch restaurierte 4K-Version enthalten ist. Ob das Ganze nur für Connoirsseure geeignet oder auch für den Mainstream-Gucker zugänglich ist, verraten wir euch in unserer Kritik.

Originaltitel: Naked Lunch

Drehbuch: David Cronenberg; nach dem gleichnamigen Roman von William S. Burroughs

Regie: David Cronenberg

Darsteller: Peter Weller, Judy David, Ian Holm, Roy Scheider, Julian Sands, Monique Mercure, Nichola Campbell…

Artikel von Christopher Feldmann

Dass David Cronenberg nachhaltig Spuren im modernen Horrorkino hinterlassen hat, muss man mittlerweile gar nicht mehr groß erwähnen. Nach ersten Achtungserfolgen wie PARASITEN-MÖRDER (1975) und DIE BRUT (1979), machte sich der Regisseur und Drehbuchautor vor allem mit seinen Body-Horror-Filmen der 1980er Jahre einen Namen unter Genrefans und Werke wie SCANNERS (1981), VIDEODROME (1983) und natürlich DIE FLIEGE (1986) gehören heutzutage in jede gut sortierte Filmsammlung, obendrein war Cronenberg mit DEAD ZONE (1983) sogar für eine der besten Stephen-King-Verfilmungen überhaupt verantwortlich. Das Brechen von Regeln und Ausloten der Grenzen ist seit jeher ein Markenzeichen des Filmemachers, der sich in seiner Karriere meist Themen wie Angst, Gesellschaftskritik und der Zerstörung des menschlichen Körpers verschrieb. Erst im vergangenen Jahr kehrte er beispielsweise mit CRIMES OF THE FUTURE (2022) zu seinen Wurzeln zurück. NAKED LUNCH (1991) sticht dabei ein wenig aus seinem Schaffen hervor, entstand der Film doch zu einer Zeit, in der Cronenberg für seine Body-Horror-Filme berühmt und berüchtigt war. Stattdessen widmet sich das nach Motiven von William S. Burroughs gestrickte Werk der Vermischung zwischen Realität und Wahnsinn und greift dabei Stilmittel des Film Noir auf. Und auch wenn NAKED LUNCH sicher kein Vergnügen für Jedermann darstellt, ist die surreale Kreativität dieses Films dennoch einen Blick wert.

Handlung:

New York 1953: Kammerjäger Bill Lee (Peter Weller) erschießt seine Ehefrau im Drogenrausch. Er nimmt sich eine Clark-Nova-Schreibmaschine und flieht in die nordafrikanische Interzone. Hier hausen Junkies, Dealer, Agenten und Kreaturen wie Insekten-Schreibmaschinen und die drogenspendenden „Mugwumps“. Bill stolpert in einen surrealen Albtraum, der alle Grenzen überschreitet, und hält gleichzeitig seine Erlebnisse in dem Roman „Naked Lunch“ fest.

Der 1997 im Alter von 83 Jahren verstorbene William S. Burroughs galt als Enfant Terrible der Literatur und war einer der wichtigsten Schriftsteller der sog. „Beat-Generation“, in dem er zu den ersten Autoren gehörte, die experimentelle Erzählweisen anwendeten und offen über Themen Drogensucht und Konsum, Gewalt und Homosexualität schrieben und diese auch privat lebten. Burroughs war selbst viele Jahre drogenabhängig, was zu teils surrealen und abseitigen Ergüssen führte. Sein Roman NAKED LUNCH, welches 1959 erschien und aufgrund seines Inhalts in mehreren US-Bundesstaaten verboten wurde. Dass sich viele Jahre später ausgerechnet Grenzgänger David Cronenberg an einer filmischen Adaption dieses als unverfilmbar geltenden Stoffs versuchte, passt eigentlich wie die Faust aufs Auge. Anscheinend war dem Regisseur bewusst, dass er keine werkgetreue Verfilmung inszenieren könne, weshalb er sich intelligenterweise mit der Entstehung jener Vorlage befasste und so einen autobiographisch gefärbten Trip inszenierte, der neben bewährten Stilmitteln vor allem Themen aus Burroughs Leben und Wirken aufgreift und somit einen schwer konsumierbaren aber hochinteressanten Bilderrausch erzeugt.

Persönlich zähle ich mich ja eher zu den Mainstream-Glotzern, die ab und an auch mal einen Blick in die tieferen Ecken des Genrekinos wagen. Dass soll jetzt nicht bedeuten, dass ich mich lediglich mit zeitgenössischen Comic-Verfilmungen und dem drölften Teil der FAST & FURIOUS-Serie begnüge, doch sobald es aktiv weird wird und Filme mehr eine Zustandsbeschreibung für exzessiven Realitätsverlust und Wahnvorstellungen sind, also quasi ein abgefilmter Drogenrausch, dann spüre ich schnell wie ich ein wenig die Lust verliere. Das ist vermutlich auch der Grund, warum ich bis auf wenige Ausnahmen auch nicht allzu viel mit David Lynch anfangen kann, da ich dessen surrealen Erzählkosmos ab einem gewissen Punkt als zu überfordernd empfinde, weshalb ich auch seit bestimmt zweieinhalb Jahren in der zweiten Staffel von TWIN PEAKS (1990-1991, 2017) feststecke. Cronenberg hingegen konnte mich vor allem mit seinen Werken aus den 1980er Jahren begeistern, weshalb ich natürlich auch bei der Vergabe des Rezensionsmusters von NAKED LUNCH (1991) laut „Hier“ gerufen habe, ohne mich jemals vorher mit diesem Film befasst zu haben. Nun sitze ich hier schweren Mutes und versuche eine adäquate Beschreibung meiner Seherfahrung zu verfassen.

Interessant ist zu aller Erst die Tatsache, dass sich Cronenberg für seine Adaption von Stationen aus Burroughs Leben inspirieren ließ. Etwa, die Szene, in der „Bill Lee“ seine Frau beim Nachspielen der Apfelszene aus Schillers WILHELM TELL erschießt, hat sich tatsächlich so abgespielt und Burroughs, der für den als Unfall gewerteten Vorfall nicht verurteilt wurde, reiste schließlich von Mexiko nach Europa, wo seine Arbeit an NAKED LUNCH begann. Auch „Bills“ Aufenthalt in der Grenzwelt Interzone ist an Burroughs Wirken in Marokko angelehnt. Die Verfilmung begleitet schließlich die Hauptfigur zwischen einer verworrenen und kaum zu durchschauenden Agentengeschichte und einem weirden Drogenrausch. Dabei sind auch weitere Figuren Anspielungen auf Personen aus Burroughs Leben, weshalb Cronenberg hier Biografie und Fiktion miteinander vermischt, dabei aber auch eigenen Elementen treu bleibt. Die hervorstechende Inszenierung der Schreibmaschine, an die sich „Bill“ klammert ist fast schon gleichzustellen mit dem Fernseher im Klassiker VIDEODROME (1983). Auch der Einsatz von Effekten und seltsamen Kreaturen (allen voran käferähnliche Wesen) erinnert an vergangene Filme des Regisseurs.

Was allerdings besonders auffällt, ist die Tatsache, dass Cronenberg wesentlich mehr an einer Zustandsbeschreibung interessiert zu sein scheint, als an einer klassischen Transformation von Körper uns Psyche, wie man es zu diesem Zeitpunkt eigentlich gewohnt war, was den Film eher in die Nähe späterer Werke wie EXISTENZ (1999) und SPIDER (2002) rückt. Zudem bleibt der Film konsequent in der subjektiven Perspektive und lässt dabei keine Sicht von Außen zu. Nicht nur aus diesem Grund ist NAKED LUNCH schwer zugänglich, sondern vor allem auch aufgrund seines Handlungsverlauf, denn den Plot in irgendeiner Form zu entschlüsseln dürfte ebenso aussichtslos sein wie Lynchs MULHOLLAND DRIVE (2001) richtig zu deuten. Am Ende bleibt ein interessantes, wenn auch durchwachsenes Seherlebnis, das aber immerhin von der Inszenierung und den guten Darstellern profitiert. Cronenberg selbst schafft den Spagat zwischen surrealem Horror und humoresken Tönen, während vor allem ROBOCOP-Star Peter Weller zwischen versuchter Kontrolle und dem Abgleiten in eine eigene Welt wechselt und irgendwann von einer Käfer-Schreibmaschine die zu schreibenden Sätze diktiert bekommt.

Wenig diskussionswürdig ist hingegen die Veröffentlichung von Turbine Medien, die hier wieder eine absolut gelungene Edition geschneidert haben, die in jedem Filmregal gut zur Geltung kommen dürfte und den Film hierzulande als HD- und vor allem UHD-Premiere serviert, wobei letzteres Format auch HDR und Dolby-Vision an Bord hat. Die Bildqualität ist daher erste Sahne und auch der 5.1-Ton ist hervorragend. Das Mediabook enthält satte vier Scheiben, denn neben 4K-Disc und Blu-ray gibt es noch zwei Bonus-Blu-rays mit vielen Extras obendrauf. Diese umfassen u.a. zahlreiche neu produzierte Interviews mit u.a. Peter Weller, Komponist Howard Shore, sowie Make-Up-Künstler Chris Walas, B-Roll, Making-Of, eine Dokumentation über William S. Burroughs, sowie zwei Audiokommentaren und Trailern. Ein 44-seitiges Booklet von Christoph N. Kellerbach rundet die ganze Nummer ab.

Fazit:

NAKED LUNCH (1991) ist mit Abstand der am schwierigsten zugängliche Film von David Cronenberg, den ich bis Dato gesehen habe. Ein surrealer Trip zwischen Realität und Wahnsinn, quasi ein abgefilmter, mal humorvoller und mal alptraumhafter Drogentrip, der Freunden jenes experimentellen Kinos sicher zusagen dürfte. Filmfans, die sich schon um David Lynch einen großen Bogen machen, werden auch mit diesem Werk ihre Probleme haben. Am Ende muss dies jeder für sich selbst entscheiden.

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