Saufen, feiern, vögeln! Nicht selten verschlägt es nach Freiheit und Exzess dürstende Teenager in die Partydomizile dieser Welt, in denen der eigentliche „Urlaub“ schnell zur körperlichen Belastungsprobe wird. Regiedebütantin Molly Manning Walker hat sich eine dieser Hochburgen, in denen man so richtig die Sau rauslassen kann, ausgesucht, um zwischen Trinkgelagen und verkaterten Nachmittagen am Pool eine Geschichte über Gruppendynamiken und sexuellen Übergriff. Richtig gelesen, HOW TO HAVE SEX (2023) ist mitnichten eine filmische Anleitung für den Beischlaf, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit unserer sexualisierten Gesellschaft. Capelight Pictures hat den Gewinner des „Un Certrain Regard„-Preises bei den letztjährigen Filmfestspielen in Cannes kürzlich im Heimkino veröffentlicht. Unsere Kritik findet ihr im Artikel.

Originaltitel: How to Have Sex

Drehbuch & Regie: Molly Manning Walker

Darsteller: Mia McKenna-Bruce, Lara Peake, Enva Lewis, Samuel Bottomley, Shaun Thomas…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Sonne, Party und Sex: Mehr interessiert die Teenagerinnen Tara (Mia McKenna-Bruce), Em (Enva Lewis) und Skye (Lara Peake) während ihres ersten Mädelstrips nicht. Mit wilden Clubnächten, jeder Menge Drinks und heißen Partyspielen soll ihr gemeinsamer Sommerurlaub auf Kreta der beste ihres Lebens werden. Vor allem die 16-jährige Tara hat sich vorgenommen, die Zeit in vollen Zügen zu genießen. Sie ist als einzige der drei Freundinnen noch Jungfrau – und das möchte sie unbedingt noch in diesem Sommer ändern.

Was an HOW TO HAVE SEX besonders zur Geltung kommt, ist die Authentizität, mit der Drehbuchautorin und Regisseurin Molly Manning-Walker das wilde Treiben auf Kreta inszeniert. Als jemand, der zünftigen Partys nicht abgeneigt ist und der auch selbst schon am Ballermann gefeiert hat (der Film könnte genauso gut dort, auf Ibiza oder am bulgarischen Goldstrand verortet sein), fühlen sich die eingefangenen Bilder und auch die Figuren sehr lebensnah an. Solche „Urlaube“ tritt man stets mit hohen Erwartungen an, denn sie müssen auf jeden Fall richtig krass werden und am Ende genug denkwürdiges Material hergeben, damit man zuhause etwas zu erzählen hat, so ist man schließlich immer gewillt, die Party am Laufen zu halten, egal ob der Körper will oder nicht. Gleichzeitig kommen bei den Kontrasten, bestehend aus grellen Nachtclubs, ranzigen Bars und diesigen Ausnüchterungsprozessen im Hotelzimmer, gewisse Déjà-vus hoch. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, den billigen Fusel schmecken, die klebrigen Tanzflächen spüren und die muffigen Hotelbetten riechen zu können.

Trotz dieser Eigenschaften handelt es sich bei HOW TO HAVE SEX mitnichten um einen Partyfilm oder eines dieser typischen Girls-Trip-Vehikel, in denen junge Mädchen mal so richtig freidrehen. Stattdessen erzählt der Film eine gut beobachtete Coming-of-Age-Geschichte über toxische Gruppendynamiken, sexuelle Übergriffigkeiten und die Billigung sexueller Gewalt durch unsere Gesellschaft. Das Alles spiegelt sich hauptsächlich in der Figur der „Tara“ wieder, die den Urlaub mit ihren Freundinnen als Jungfrau ausgibt und auch noch gar nicht weiß, ob sie zurückliegende Abschlussprüfung überhaupt bestanden hat. Das oberste Gebot ist: Spaß haben, ohne Rücksicht auf Verluste. Es wird geprahlt, man wolle wilden Sex haben, die Nacht zum Tag machen und so viele Drinks kippen, bis man schließlich die Toilettenschüssel umarmt. Doch in vielen Momenten wirkt „Tara“ unsicher, von der Reizüberflutung durch die grellen Lichter der Diskotheken, die wilden Partyspiele und die wummernden Technobeats fast schon eingeschüchtert. Und doch geht sie stets mit, auch um mit ihren Freundinnen mithalten zu können. Beide haben schon sexuelle Erfahrungen gemacht und halten sich mit Sticheleien nicht zurück.

Es kommt wie es kommen muss, schnell sind zwei durchaus potente Jungs am Start, ein Flirt hier, eine Avance da, drei Drinks und fünf Shots dazu und schon befinden wir uns mit „Tara“ und einem der beiden am Strand und es passiert das, von dem man in genau diesem Moment nicht hofft, dass es passiert. Es ist jener Moment, der den Partytrip mit all seinen Klischees und dem zur Schau stellen gesellschaftlicher Missstände zum Charakterdrama über sexuelle Gewalt mutieren lässt. Dabei stellt Molly Manning-Walker immer wieder die Frage, ob solche Übergriffigkeiten nicht auch von unserer Gesellschaft begünstigt werden und ob der Druck unter Jugendlichen sich negativ auf die Erwartungshaltung an das erste Mal auswirkt. Wenn sie leise, fast schon flüsternd ein „Ja“ stammelt, ist es dann wirklich ein „Ja“. Manning-Walker wirft Fragen auf, zu denen sie aber kaum Antworten liefert, das muss sie auch gar nicht, es genügt einfach Dinge zu zeigen und wirken zu lassen.

Allein deswegen hat mir HOW TO HAVE SEX besonders gut gefallen, weil er angenehm ambivalent inszeniert ist, ohne jegliche Effekthascherei und die Figuren sich authentisch und „echt“ verhalten. Mia McKenna-Bruce spielt ihre Rolle fantastisch, allein schon da sie viel mit Ausdruck arbeitet. Es ist einer dieser Filme, die größtenteils auf große Gesten verzichten und nicht jede Emotion ausformulieren müssen, sondern die man sehr gut zwischen den Zeilen lesen kann. Schnell waren 90 Minuten vorbei, die mich zum einen berührt und zum anderen mich nachdenklich gestimmt haben und das kommt selten vor.

Die Blu-ray aus dem Hause Capelight Pictures verfügt über exzellente Bild- und Tonqualität, was besonders in den Clubszenen hervorsticht. Als Extra gibt es lediglich den Trailer.

Fazit:

HOW TO HAVE SEX (2023) ist thematisch und erzählerisch sicher eher ein Film für die Arthouse-Fraktion, punktet aber mit aktuellen Themen, starken Darstellern und authentischen Beobachtungen, die in der knalligen, eskapistischen Inszenierung ihre Wirkung entfalten. Gutes Ding.

Amazon-Partner-Links:

Blu-ray

DVD

Prime Video

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

Zurück zur Startseite