Eben schrieb ich noch über die Veröffentlichung von The Killer auf Blu-ray – und nun folgt schon die aktuelle Listung im Portfolio John Woos. Zwischen beiden Filmen liegen locker 34 Jahre kreativer Schaffenskraft, wobei John Woos Gegenwartskino sehr vom legendären Status seiner früheren Filme zehrt. Die Qualität der inneren Geschlossenheit eines The Killer oder eines Hard Boiled erreichte John Woo nie wieder. Muss er auch nicht, denn der Name John Woo ist gesetzt und längst zur Marke geworden. Es war des Meisters Wunsch, nach langer Zeit mal wieder für das US-Kino zu drehen und so wurde ihm das Drehbuch von Silent Night zugesteckt, das dem schlecht Englisch sprechenden John Woo entgegenkam: Es gibt keine Dialoge in der Story. Die Rache geschieht hier (endlich mal) ohne Text und wird nur durch Bilder erzählt. Kino also, wie es ursprünglich einst gedacht war.  Ein Idealfall für John Woo und die ganz große Gelegenheit, dem düsteren Kosmos der Revenge-Thriller sein stummes I-Tüpfelchen aufzusetzen. Dazu die große Hoffnung, dass sich John Woo zur großen Altersform aufschwingt und sein marmornes Denkmal verdient aktualisieren kann. Ganz so kam es dann doch nicht, der Film fiel auf breiter Front beim Publikum und bei seinen Kritikern durch. Ein Film der vertanen Chancen, so der Tenor. Das stimmt im gewissen Sinne sogar, aber nur deshalb, weil John Woo keine Lust darauf hatte, seine altbekannte Action-Signatur zu wiederholen. Mir gefiel der Film trotzdem. Minimalismus ist hier der Schlüssel. LEONINE STUDIOS bringen den Revenge-Thriller nun im Heimkino heraus.

Regie: John Woo

Darsteller: Joel Kinnaman, Kid Cudi, Harold Torres, Catalina Sandino Moreno

Artikel von Kai Kinnert

Brian Godlock (Joel Kinnaman) muss mitansehen, wie sein kleiner Sohn an Heiligabend in das Kreuzfeuer einer Gang gerät und stirbt. Dabei wird er selbst schwer verletzt und seiner Stimme beraubt. Rache wird nun zu seiner einzigen Mission und er beginnt dafür ein hartes Training. Godlock ist bereit, alles zu riskieren, um den Tod seines Sohnes zu vergelten.

Kleines und übersichtliches Kino, gänzlich reduziert auf eine einzige Emotion der Vorwärtsbewegung: Rache. Welcher Information benötigt schon der Zuschauer, wenn es um Rache geht? Die Frau wird getötet, die Tochter vergewaltigt, ein Kind wird ermordet – und schon greift der Hauptdarsteller zur Waffe. Erst die Trauer durchleben, Wunden lecken, dann die Waffe besorgen, trainieren, anschließend den Aufenthaltsort der Täter aufspüren und abschließend alle umlegen. Der eigene Tod geht durch den Rachefeldzug mit der inneren Vernichtung einher, wie es einst James Wan schon 2007 mit Death Sentence düster demonstrierte. Für die stumme Inszenierung musste John Woo nicht tief in die inszenatorische Trickkiste greifen, macht es doch das Drehbuch dem Zuschauer leicht, der Handlung durch seine schlichten Eckpunkte stets folgen zu können. Die optische Information im Bild erklärt im Bruchteil von Sekunden, was gerade Sache ist. So beginnt der Film dann auch mit einem blutverschmierten, abgehetzten Joel Kinnaman, der im grottenhäßlichen Weihnachtspulli einige Gangster verfolgt. Das Bild beschreibt auch hier sofort, worum es gerade geht: Der hässliche Pulli weist Kinnaman als eigentlich harmlosen Familienvater aus, dem gerade bei einem Drive-by-Shooting der Sohn getötet wurde. Der Vater hetzt also den flüchtigen Tätern hinterher und bekommt dafür einen Schuss durch den Hals verpasst. Wie praktisch, denn jetzt hat das Drehbuch seinen Grund gefunden, Kinnaman für den Rest des Films schweigen zu lassen.

Die beste und auch einfachste Idee des Films ist der Verzicht auf Text. Hier und da sind Stimmen aus Lautsprechern zu hören, oder Stimmen auf dem Polizeirevier zu vernehmen, aber niemals wird Kinnaman – oder irgendein anderer Schauspieler – seinen Mund öffnen, um Worte auszusprechen. Ein Umstand, den ich völlig spannend fand. Man muss kein Genie sein, um den Film ohne Dialoge zu inszenieren, die Dramaturgie des Films ist eine simple Gerade zwischen A und B, wobei die Charaktere auch aus dem Yps-Heft stammen könnten. Ganz einfache Schule also und damit keine extrovertierte Filmkunst. Muss es auch nicht, denn es bleibt trotzdem spannend. Permanent glaubt man, Kinnaman würde gleich was sagen, gleich ist es so weit! Irgendwer spricht gleich, da wird schon der Mund geöffnet und Luft geholt – aber denkste. Der Überfall zu Anfang, der Schuss durch den Hals mit anschließendem Krankenhausaufenthalt, Diagnose und stummer Genesung, die Entfremdung von der Ehefrau, die Trauer um den Sohn, der Kauf der Waffe, das Trainieren mit Schusswaffen und Combat-Messer, das Beschaffen der Täter-Adressen und ausspionieren der Umgebung – all´ das findet stumm statt und erklärt sich mit simplen Einstellungen von selbst. John Woo betrachtet die Vorbereitung zur Rache völlig minimalistisch, diese Szenen stellen den größten Teil des Films dar. Es sind auch die besten Momente in Silent Night, denn Kinnaman macht seine Sache gut. Sein hageres, kantiges Gesicht ist vor Entschlossenheit verzerrt, seine Wut spürbar und im Combat-Training bleibt der Schauspieler glaubwürdig. John Woo filmt hier düster, übersichtlich und ohne Firlefanz, baut dabei aber eine enorme Erwartung für das Finale auf. Der Bruch des Filmes kommt dann auch im Finale und hier enttäuschte John Woo seine Fans, die auf ein großes Baller-Spektakel hofften. Der Kerl verweigert schlichtweg seine John-Woo-Action-Signatur, die im gesamten Film nur in drei oder vier (vielleicht auch fünf) kurzen Einstellungen aufblitzt und nicht ansatzweise an die Action seiner alten HK-Kracher herankommt. Die Shoot-Outs in Face/Off (1997) waren besser, wogegen es hier eher konventionell über die Bühne gebracht wird. Natürlich gibt es Action, aber es fehlen die langen Einstellungen im Kampf, die raue Energie, der bodenständige Fight um Leben und Tod. Der archaischen Stimmung der wortlosen Rache und ihrer Vorbereitung fehlt der grobe, brutale Kampf des Aufreibens als Gegenüberstellung.

Die beste Szene des Films ist für mich dann auch eine kurze Szene, wobei Kinnaman seine Bereitschaft zum aggressiven Messerkampf für Sekunden demonstriert. Auf einem Parkplatz gibt es Stress, der Kinnaman hellhörig werden lässt und ihn auf den Plan ruft. Automatisch nimmt er eine Messerkampfposition ein und greift, leicht seitlich weggedreht, unter seine Lederjacke zum Kampfmesser, das groß und lang und mit dem Griff nach unten im Holster steckt. Ein Husten von falscher Stelle und Kinnaman hätte alle getötet. Die Situation entspannt sich dann allerdings. Die Szene ist nichts Besonderes, lebt aber durch die spürbare Ernsthaftigkeit von Kinnaman und John Woo, hier großes Potential an explodierender Gewalt anzukündigen. Es sind dann auch dieser Art Momente, die den Film stimmungsvoll halten.

Silent Night – Stumme Rache schöpft sein Potential nicht aus, da John Woo einfach mal was anderes machen wollte. Der Film kündigt ein hartes Finale an und erfüllt dies „nur“ mit gebremstem Schaum. Wer Action wie zu alten Zeiten erwartet, wird enttäuscht werden. Für mich ging das aber völlig in Ordnung, denn eine Wiederholung alter John-Woo-Momente wäre auch langweilig gewesen. Der Meister hatte eben einen anderen Ansatz, als es die Welt von ihm erwartete. Joel Kinnaman macht seine Sache gut und es machte Spaß, nach so langer Zeit mal wieder einen John Woo-Film zu sehen. Mit Sicherheit nicht sein bester Film, aber definitiv auch nicht sein schlechtester.

Das Bild der vorliegenden Rezensions-DVD war gut, sauber und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es den Beitrag Action Speaks Louder Than Words.

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