Das ist mal ein Multiversum! HK-Ikone Michelle Yeoh und Jamie Lee Curtis sind in bester Spielfreude und geben in diesem irren Spektakel so Vollgas. Himmel, was für ein von der Leine gelassener Film, der sich heftig am kreativen Wahnwitz der Stephen Chow-HK-Komödien orientiert und so zugeballert mit irren Gags und absurden Sequenzen ist, dass man in den Sitz genagelt wird. Danach muss man erst mal Duschen und an die frische Luft. Everything Everywhere All at Once ist ein launig enthemmtes Spiel mit dem Medium Film und souverän genug, selbst in den dämlichsten Momenten gekonnten Witz zu inszenieren. Im Multiversum ist die Hölle los und nur Michelle Yeoh kann es retten. Das habe ich so auch noch nicht gesehen. LEONINE STUDIOS bringt den Indie-Überraschungshit nun für das Heimkino heraus. 

Regie: Daniels [Dan Kwan, Daniel Scheinert]

Darsteller: Michelle Yeoh, Stephanie Hsu, Ke Huy Quan, Jamie Lee Curtis, James Hong, Randy Newman, Brian Le, Andy Le

Artikel von Kai Kinnert

Waschsalonbesitzerin Evelyn Wang (Michelle Yeoh) geht im Chaos ihres Alltags unter: Der bevorstehende Besuch ihres Vaters überfordert sie, die Wünsche der Kunden bringen sie an ihre Grenzen und die anstehende Steuererklärung wächst ihr komplett über den Kopf. Der Gang zum Finanzamt ist unausweichlich, doch während sie mit ihrer Familie bei der Steuerprüferin (Jamie Lee Curtis) vorspricht, wird ihr Universum komplett durcheinandergewirbelt. Raum und Zeit lösen sich auf, und die Menschen um sie herumhaben, ebenso wie sie selbst, plötzlich weitere Leben in Parallelwelten. Sie entdeckt, dass das Multiversum real ist und sie auf die Fähigkeiten und das Leben anderer Versionen ihrer selbst zugreifen kann. Das ist auch bitter nötig, denn sie wird mit einer großen, wenn nicht der größtmöglichen Mission betraut: Der Rettung der Alpha-Welt vor dem unbekannten Bösen.

Das ergibt keinen Sinn!“ flüstert Yeoh in Panik, als sie über Kopfhörer Anweisungen für einen Weltensprung bekommt. Sie ist im Finanzamt, in größter Gefahr und benötigt nun Skills in Martial Arts, um gegen die irre Steuerprüferin bestehen zu können. Jamie Lee Curtis hat sich die Stirn getackert und will Yeoh töten. Evelyn Wang muss sich schnell mit dem Kung-Fu-Universum verbinden, denn dort ist sie ein Filmstar, doch der Sprung kann nur durch eine völlig beknackte Handlung ausgeführt werden. „Sehr richtig,“ antwortet die Stimme in ihr Ohr. „Je sinnloser, desto besser! Der stochastische Wegfindungs- Algorithmus steckt voller Zufallsaktionen. Sag ihr, dass du sie liebst. Und mein es auch so!“ Evelyn braucht daraufhin einige schmerzhafte Versuche, der Beamtin glaubwürdig ihre Liebe zu gestehen.

Unsere Realität ist die Alpha-Welt. Alles was wir hier machen hat eine Interaktion mit den mannigfaltigen Multiversen, in denen wir mit anderen Entscheidungen – und damit Möglichkeiten – eine andere Variante unseres Lebens führen. Nur wissen wir im Alpha-Alltag nichts von der unterbewussten Verbindung ins Multiversum. So wie Evelyn Wang, die mit Ehemann und Tochter irgendwo in den USA lebt und einen alten Waschsalon betreibt. Der Laden geht nicht so gut und Evelyn steht eine Steuerprüfung bevor, außerdem will ihr seniler Vater bekocht werden, ihr dödeliger Ehemann will die Scheidung und die Tochter hat eine neue Freundin. Beruflich wie privat ist der Teufel los, Evelyn steht unter Dauerdruck.

Und Druck ist das Motto von Everything Everywhere All at Once. Hier geht jede Szene nach vorne los, alles bringt die Sache voran, die Regisseure werden 134 Minuten lang mit dem Medium Film spielen, als gäbe es einen Sonderpreis  für kreativen Irrsinn. Mögen die ersten 15 Minuten auch „nur“ den Alltag Evelyns exponieren, so will doch immer irgendwer irgendetwas von ihr. Egal was passiert, der Film wird nie zum Stillstand kommen. Familie, Kunden und das Finanzamt sitzen Evelyn im Nacken. Sie ist gestresst und wird im Fahrstuhl des Finanzamtes, auf dem Weg zum wichtigen Termin mit Jamie Lee Curtis, plötzlich, und herrlich dämlich, Kontakt mit dem Multiversum bekommen.

Michelle Yeoh spielt gut, sie packt ihre energetische Rolle, sie ist sympathisch und man sieht ihr gerne zu, wie sie sich dem Wahnsinn der Multiversum-Action ergeben muss. Wie es sich für einen Independent-Film gehört, gibt es nur wenige, aber wohl dosierte CGI, hier mischt sich der einfache, analoge Trick durch Licht, gekonnte Kameraschwenks und Cuts mit digitale Tricktechnik. Organisch ist auch das Drehbuch, das im 15-Minuten-Takt die Story in die nächste Drehschraube aufwärts treibt, was in Minute 73 zu einer weiteren Kampfszene führt, die man so auch noch nicht gesehen hat. Gekämpft wird mit einem, an der Leine geschleuderten kleinen Hund, ein Anal-Plug spielt auch noch eine Rolle, ebenso ein Fight mit einem Hammer im Arsch. Dinge, die die Figuren machen müssen, um Fähigkeiten aus anderen Universen abrufen zu können. Yeoh tritt in der außergewöhnlichen Actionsequenz auch gegen den Glatzkopf Brian Le aus The Paper Tigers an, der einen Wachmann spielt.

Der Humor Everything Everywhere All at Once ist durchaus schräg und wird durch einige Pippi- und Anal-Gags begleitet, hier weht der Wind knalliger HK-Komödien der frühen 1990er und erinnert oft an die Eskapaden eines Stephen Chows. Obwohl in den USA gedreht, ist der Streifen ein reinrassiger HK-Film und eine Hommage an die wilden HK-Filme damaliger Tage. Sobald Evelyn das Multiversum eröffnet wurde, hört der Film nicht mehr auf, Tempo vorzulegen.

Das könnte anstrengend werden, doch das Regie-Duo Daniels ist ein gutes Team. Die Typen wissen, was sie tun. Sie haben ihren Film voll im Griff und haben Bock aufs Filmemachen an sich. Da kommen gute, trockene Gags zur richtigen Zeit, da gibt es Action, die Spaß macht, einen geschmeidigen Filmschnitt und Michelle Yeoh. Sie spielt nahbar, dank ihr hat der Film die richtige Note. Everything Everywhere All at Once ist endlich mal wieder ein richtiger Michelle-Yeoh-Film und ein origineller noch dazu.

Und wie steht es um Jamie Lee Curtis? Fantastisch. Sie spielt die olle Steuerprüferin mit selbstironischer Freude und schließt sich selbstlos dem Film an. Jamie Lee Curtis sitzt mit Plautze und Topfrisur am Schreibtisch und spielt dabei eigentlich die beste Rolle ihrer Karriere. Evelyn und die Steuerprüferin werden ihre Auseinandersetzungen haben. Es ist einfach komisch, wenn sich Curtis später wie ein Zombie in irgendeinem Universum die Stirn tackert und hinter Yeoh her ist. Beide Schauspielerinnen sind die richtige Wahl, der Film ist gut besetzt.

Everything Everywhere All at Once ist ein enthemmter, gekonnter und sympathischer Multiversum-Filmspaß im Gewand eines HK-Films. Sobald Evelyn um das Multiversum weiß, legt das Drehbuch los und stürzt alle Beteiligten in ein wildes Abenteuer, bei dem die Regie den Wahnsinn voll ausreizt. Der launige Unsinn hätte sicherlich gekürzt werden können, aber dann würde man den einen oder anderen trockenen Gag verpassen. Wer Lust auf einen Independent-Film mit originellen Einfällen und hohem Tempo hat, darf sich hier anschnallen. Everything Everywhere All at Once, der Name ist Programm. 

Das Bild der gesichteten DVD ist sauber, satt und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es die Featurette Putting everythin on the Bagel, sowie Deleted Scenes mit Audiokommentar von Daniel Kwan & Daniel Scheinert. Auf Blu-ray und 4K UHD ist zusätzliches Bonusmaterial vorhanden.

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