NAMELESS MEDIA hat es wieder geschafft, einen der schrecklichsten Filme aller Zeiten von der Liste der jugendgefährdenden Filme zu holen. Das ließ mir keine Ruhe und so juckte es mich wieder in den Fingern, etwas zu schreiben. In letzter Zeit scheint es Schlag auf Schlag zu gehen, was die Aufhebung von Beschlagnahmen und Indizierungen angeht. Nun hat es also auch den berüchtigten Man-Eater – Der Menschenfresser (1980) erwischt und ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Wer wird der Nächste sein? Sado? Lebendig gefressen??  Oder womöglich gar der ultraharte und übelst derbe Tanz der Dämonen??? In Zeiten, wo man sich sogar über die Freigabe gewisser Substanzen ernsthaft Gedanken macht, scheint nichts mehr heilig – glauben jedenfalls (immer noch) viele. Aber wir leben schließlich auch in einer Zeit, wo so einiges auf den Prüfstand gestellt wird. Und das ist (bei allem Irrsinn, der gerade auf der Welt so passiert) auf jeden Fall spannend und macht Hoffnung auf positive Entwicklungen.

Originaltitel: Antropophagus

Regie: Joe D’Amato

Darsteller: Tisa Farrow, George Eastman, Saverio Vallone, Vanessa Steiger (aka Serena Grandi)

Artikel von Holger Braasch

Als Tobe Hoopers Blutgericht in Texas (1974) im Jahr 2011 von der bösen §131-Liste gestrichen wurde, sorgte das noch für großes Aufsehen und ungläubiges Staunen bei den Filmfans. Seitdem sind schon über 20 Filme von dieser Liste gestrichen worden (von den aufgehobenen Indizierungen ganz zu schweigen) – und allmählich verliere ich wirklich den Überblick. Aber das ist gut so. Es ist genau das, was ich mir eigentlich schon in den 90er-Jahren gewünscht habe. Und dennoch hatten gerade beschlagnahmte Filme einen besonderen Reiz, gar keine Frage. Es war der Reiz des Verbotenen, der mich schon mit 12-13 Jahren überhaupt erst dazu verleitet hat, gewisse Filme unbedingt sehen zu wollen. So hatte ich vor meinem 14. Lebensjahr schon eine beträchtliche Menge an Filmen gesehen, die (nach damaligem Stand) noch nicht einmal an Erwachsene veräußert werden durften. Doch der Reiz des Verbotenen nutzte sich bei mir sehr schnell ab und wich einer echten Begeisterung für ungewöhnliche und (nicht unbedingt im Sinne von Zensur) unterschlagene Filme abseits des Mainstreams. Dabei hatten es mir vor allem die Filme angetan, die schon etwas betagt waren und nicht mehr so populär. Nach und nach entdeckte ich so immer mehr Filme, die heute gerne unter Begriffen wie „Euro-Kult“ oder „Bahnhofskino“ zusammengefasst werden. Joe D’Amatos Man-Eater ist hierfür ein Parade-Beispiel.

Die Handlung ist schnell erzählt: Eine Gruppe junger Leute verschlägt es auf eine griechische Insel und sie hätten besser auf die Esoterik-Tante mit den Karten gehört. Die hat nämlich gesagt, dass die Karten ganz schlecht aussehen. Der schwarze Peter ist in diesem Fall ein durchgedrehter Millionär, der durch einen Akt von Kannibalismus zum blutgierigen Monster mutiert ist und inzwischen (fast) die ganze Bevölkerung der Insel verfrühstückt hat – und er ist immer noch auf der Suche nach frischem Menschenfleisch.

Mit diesem schnell heruntergekurbelten Exploitation-Streifen schrieb Joe D’Amato (bürgerlich: Aristide Massaccesi) sowohl ein Stück Film- als auch Zensurgeschichte. Nicht nur hierzulande gab es einige strafrechtliche Komplikationen um dieses Werk. Das ist nun alles Geschichte und seien wir mal ehrlich – der große Reiz des Verbotenen ging spätestens um 2000 verloren, als Labels wie ASTRO und Konsorten die alten Schinken neu auflegten und wieder unters Volk brachten (mehr oder weniger legal). Zwar wurden immer noch Filme (auch aktuelle) beschlagnahmt, aber die große Hexenjagd war schon vorbei und die aktuellen Mainstream-Filme zeigten schon damals immer deutlicher, wohin die Reise gehen wird. Auch die Sichtweise auf die berüchtigten „Video-Nasties“ änderte sich und plötzlich waren diese Filme nicht mehr nur Thema in Dokus über Filmzensur und Jugendverrohung durch Medien, sondern wurden endlich auch mal von Filmgelehrten angemessen gewürdigt. Das Internet krempelte dann sowieso alles um, denn es war inzwischen für jeden zugänglich, besondere Computer-Kenntnisse waren dafür nicht mehr nötig. Plattformen wie Youtube waren ruckzuck voll mit allen möglichen (und unmöglichen) Inhalten, die in den 80er-Jahren noch für Schnappatmung und sofortigem Herzstillstand bei den Moralhütern gesorgt hätten. Auch der gute alte Man-Eater tauchte bald dort auf und konnte ungehindert sein Unwesen weitertreiben.

Doch wird der Film seinem Ruf eigentlich noch gerecht, den er durch die Zensur erlangt hatte? Noch interessanter die Frage: Wäre der Film auch zum Kult geworden, wenn er nicht zu den „Video-Nasties“ gehört hätte? Ich würde behaupten: Ja, auf jeden Fall! Andere Filme dieses Kalibers haben das schließlich auch ohne den Beschlagnahme-Bonus geschafft. In der Gewalt der Zombies (1980) wurde zum Beispiel nie beschlagnahmt (wieso eigentlich nicht?) – seinen Kultstatus hat er trotzdem erlangt.

Man-Eater umweht diese raue und ungeschminkte, zugleich jedoch filmisch der banalen Realität wundervoll entrückte Terror-Atmosphäre, die man nur in einschlägigen Filmen aus jener Zeit findet. Das Spannende bei den Italo-Schockern war auch, dass man nie wusste, wie weit die Filmemacher gehen würden. In einer Szene hat sich Joe D’Amato dann auch selbst übertroffen – na dann mal Mahlzeit! Spricht man den Man-Eater“ George Eastman (bürgerlich: Luigi Montefiori) heute auf diese Produktionen an, schämt er sich sogar für einige Filme. (Lass gut sein, George. Heute weiß man diese Filme besser zu schätzen als damals – zumindest in Experten-Kreisen. So etwas könnte bald in der Arte-Trash-Reihe laufen.) Auf der DVD von Horror-Sex im Nachtexpress (1980), die 2009 von Camera Obscura veröffentlicht wurde, gibt es zum Beispiel ein informatives Interview mit George Eastman, der bei Horror-Sex im Nachtexpress auch das Drehbuch schrieb. Bei Man-Eater war er ebenfalls am Drehbuch beteiligt, zusammen mit Joe D’Amato.

Zunächst mal muss man Joe D’Amato zugutehalten, dass er es verstanden hat, sehr stimmungsvolle und intensive Momente zu kreieren, die man nicht so schnell wieder vergisst. Bereits bei der Anfahrt zur Insel baut der Filme eine wirklich beunruhigende und geradezu mystische Atmosphäre auf, die er auch bis zum Schluss aufrecht hält. Gedreht wurde größtenteils in Italien – aus Kostengründen, versteht sich. Warum auch nicht, denn die Location ist wirklich passend und ein weiterer Pluspunkt für den Film. Die Kameraarbeit übernahm Joe D’Amato (als erfahrener Kameramann) gleich selbst (unter seinem richtigen Namen). Gespart wurde auch beim Filmmaterial, so kam hier grobkörniges 16mm-Material zum Einsatz. Joe D’Amato bezeichnete Man-Eater mal als einen seiner billigsten Produktionen – und das soll bei ihm schon etwas heißen. Zugleich war dieser Film auch die erste Produktion seiner eigenen Produktionsfirma Filmirage (hier noch in Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma P.C.M.), die Joe D’Amato 1980 gegründet hatte. Obwohl Joe D’Amato schon eine stattliche Filmografie als Regisseur und Kameramann vorweisen konnte, wirkt Man-Eater wie das Debüt eines jungen wilden Filmemachers. Alles ziemlich roh und ungeschliffen – und gewagt. In Italien und den USA war dem Streifen, der unter den Titeln Antropophagus (Originaltitel) und The Grim Reaper (US-Titel) veröffentlicht wurde, kein großer Erfolg vergönnt. Dagegen lief er in den deutschen Kinos wohl sehr gut. Dass der Film kurze Zeit später auf Video die Aufmerksamkeit der Moralwächter auf sich zog, war sicherlich das Beste, was Joe D’Amato passieren konnte. Eine bessere Werbung kann es für einen Exploitation-Streifen, wie Man-Eater, gar nicht geben.

Als ich den Film nun (nach längerer Zeit) mal wieder gesehen habe, war ich doch etwas erstaunt, wie wenig explizite Gewalt-Momente der Film eigentlich enthält. Man-Eater lebt hauptsächlich von seiner Atmosphäre, die von Marcello Giombinis stimmungsvollem Electronic-Score hervorragend untermalt wird. Marcello Giombini experimentierte schon früh mit elektronischer Musik und galt in Italien als ein Vorreiter für Italo-Disco und Synthie-Pop. In der Anfangsszene, wo der junge Mann am Strand liegt und Musik über Kopfhörer hört, sind schon richtige Acid-Sounds zu hören – das Musikstück selbst klingt aber noch ziemlich nach Avantgarde. So ist es auch keine Überraschung, dass der Soundtrack von Man-Eater eine Variation der Titelmelodie von Uhrwerk Orange (1971) enthält. Eine Hommage an Wendy Carlos, ebenfalls eine Pionierin auf dem Gebiet der elektronischen Musik.

Und wo ich gerade bei der Anfangsszene bin – die muss man sich unbedingt mal im O-Ton anschauen. Da redet das Paar nämlich auch deutsch – aber was für welches! Sowohl in der englischen als auch in der italienischen Sprachfassung wurde die Anfangsszene nicht synchronisiert. In der deutschen Fassung wurde sie nachsynchronisiert – verständlicherweise.

Doch noch einmal zurück zu den expliziten Gewaltdarstellungen – diese kommen alle erst im letzten Drittel des Films (vom Hackebeilchen in der Anfangsszene einmal abgesehen) und werden sehr effektiv eingesetzt. Der Moment des Todes wird richtig zelebriert, ganz in der Tradition des „Grand Guignol“. Schauspielerisch intensiv dargestellt und maskenbildnerisch dick aufgetragen. Die Gedärme sind echt und das Theaterblut leuchtet in knalligen Zelluloid-Farben. Auch wenn viele dieser Effekte recht durchschaubar und billig ausgeführt wurden, so wirken sie mMn viel überzeugender und „echter“ als heutige CGI-Effekte, die bloß noch auf Effizienz ausgelegt sind, aber es fehlt die Magie handgemachter Tricks. Bei einem Film wie Man-Eater spielt sich alles vor der Kamera ab, der Schnitt muss dann die Illusion entstehen lassen. Das wirkt mitunter holprig und ist alles andere als perfekt, aber nicht zuletzt auch deswegen ist das Ganze filmisch reizvoll und interessant. Vergleichbare Filme aus der heutigen Zeit wirken mir dagegen meist viel zu glatt, dabei aber auch zu abgefuckt, kalt und zynisch – da kommt so ein Film wie Man-Eater mittlerweile schon fast knuffig, auf jeden Fall aber sehr charmant daher.

Inhaltlich bleibt so manches im Dunkeln und allzu sehr hinterfragen sollte man die Ereignisse, die sich da abspielen, sicherlich nicht. Dennoch wird das Wesentliche durchaus schlüssig erklärt. Die mystisch angehauchte Atmosphäre tut ihr Übriges, um dieser haarsträubenden Geschichte genügend Glaubhaftigkeit zu verleihen. Mir hat es jedenfalls wieder großen Spaß gemacht, mich von der speziellen Albtraum-Stimmung des Films einfangen zu lassen. Man-Eater bietet atmosphärisch dichten Gänsehaut-Grusel mit einem saftigen Gore-Finale. Die Schluss-Szene wurde immer wieder gerne als Kapitalismus-Kritik interpretiert – und das ergibt auch durchaus Sinn. „Der Raubtier-Kapitalismus frisst sich am Ende selbst!“ – Mir gefällt diese Interpretation und die Schluss-Szene liefert auch ein vortreffliches Sinnbild dazu, das es in seiner Direktheit voll auf den Punkt bringt (ob nun beabsichtigt oder nicht) – so richtig voll auf die Zwölf. Dies dürften die Macher aber eher unbewusst in ihren Film eingebaut haben. Sinn und Zweck des Ganzen war es schließlich, die Leute ordentlich zu schocken und zu unterhalten, wie Joe D’Amato in Interviews gerne zugab.

Darstellerin Tisa Farrow schipperte bereits kurz zuvor in Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies (1979) unter der Leitung von Lucio Fulci nach Matool, wo einem Wissenschaftler seine Experimente mit toten Kadavern aus dem Ruder gelaufen sind. Zora Kerova ist in der Rolle der Kartenlegerin Carol zu sehen. Auch sie hatte zuvor in Horror-Sex im Nachtexpress schon einiges durchgemacht (naja, der Titel spricht schon Bände), doch die wohl schmerzvollste Film-Rolle stand ihr in Umberto Lenzis Die Rache der Kannibalen (1981) noch bevor. Auch hier verweise ich gerne noch einmal auf die Camera Obscura-DVD von Horror-Sex im Nachtexpress, wo Zora Kerova im Bonusmaterial, neben George Eastman und Carlo de Mejo zu Wort kommt. George Eastman spielt die Rolle des blutrünstigen Menschenfressers (die er sich selbst auf den Leib schrieb) absolut überzeugend und sieht mit seinem Make-up wirklich furchterregend aus. So sieht man aus, wenn man völlig verwahrlost zu lange in der prallen Sonne herumläuft. In den Katakomben stößt er noch kondensierte Atemluft aus (beim Dreh dieser Szene dürfte es also recht kalt gewesen sein), was ihn gleich noch etwas bedrohlicher erscheinen lässt – großartig!

Fazit: Beschlagnahmt oder nicht – Man-Eater ist und bleibt ein Euro-Kult-Klassiker – ein wahres Juwel des Exploitation-Films, meiner Meinung nach.

Von Man-Eater gibt es inzwischen unzählige DVD- und Blu-ray-Auflagen. Auf Blu-ray liegt mir der Film (noch) nicht vor, aber bei den DVD-Veröffentlichungen kann ich sagen, dass die älteren (Astro, Nocturne Cinema, Daniel Ortolan) nicht wirklich zu empfehlen sind. Erst mit dem Steelbook von NSM Records kam 2005 eine wirklich hervorragende Veröffentlichung des Films auf dem deutschsprachigen Markt heraus. Die 2008 erschienene DVD-Auflage von XT Video ist bildtechnisch genauso gut, hat aber leider keine Untertitel bei den Handlungsszenen, die in der deutschen Fassung fehlten.

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