Zwischen flachen Komödien und biederen Historien-Schinken gibt es in puncto „deutsches Kino“ immer wieder einen Hoffnungsschimmer, der aber aus rein kommerzieller Sicht meist hinter den Erwartungen zurück bleibt. So erging es Anfang des Jahres Christian Alvarts Thriller FREIES LAND (2019), der hierzulande auf relativ wenig Publikumsinteresse stieß. Eurovideo hat sich dem recht düsteren Genre-Film nun für eine Veröffentlichung im Heimkino angenommen. Ob die schwache Performance an Kinokassen etwas mit der filmischen Qualität zu tun hat, erfahrt ihr in unserer Kritik! 

Originaltitel: Freies Land

Drehbuch: Siegfried Kamml, Christian Alvart
Regie: Christian Alvart

Darsteller: Trystan Pütter, Felix Kramer, Nora von Waldstätten, Ben Hartmann, Alva Schäfer, Ludwig Simon…

Artikel von Christopher Feldmann

Es ist ein wahres Trauerspiel. Während prominente Sunny-Boys wie Til Schweiger, Matthias Schweighöfer und Konsorten wahrscheinlich auch in Post-Corona-Zeiten Millionen von, nach leichter Unterhaltung gierenden, Zuschauern in die Kinos locken, um sich die immer gleichen romantischen Komödien einzuverleiben und die restlichen Gelder der Filmförderung weiterhin für versnobte Arthouse-Filmemacher ausgegeben werden, die schon viele Jahre am Zuschauergeschmack vorbei produzieren, hat es der Genre-Film in Deutschland weiterhin schwer. Horror, Action, Thriller oder Fantasy, geschweige denn Science Fiction, existieren größtenteils nur im Nischenprogramm, meist für wenig Geld abgedreht und ohne Chance auf ein breites Publikum. Eine der wenigen Ausnahmen ist der gute Christian Alvart, der sich seit Jahren dem gängigen Konventionell-Kino zu entziehen scheint und die Filme dreht, die, zumindest Ich, im Kino sehen möchte. Auch wenn seine auf Action getrimmten TATORT-Filme mit dem ollen Schweiger vielleicht nicht jedermanns Tasse Tee sind, hat Herr Alvart einige sehenswerte Filme gedreht, wie zum Beispiel STEIG NICHT AUS (2018) oder die Fitzek-Verfilmung ABGESCHNITTEN (2018), sowie sein bekanntester Film ANTIKÖRPER (2005). Mit FREIES LAND (2019) hat er nun einen neuen Thriller am Start, der sogar rein inhaltlich etwas mehr Substanz bietet als der gängige Genre-Durchschnitt. Ich möchte sogar behaupten, dass der politisch aufgeladene Krimi mit eine von Alvarts besten und reifsten Arbeiten ist!

Handlung:
1992: Nachdem er den Zorn seiner Vorgesetzten auf sich gezogen hat, wird der, aus Hamburg stammende, Komissar Patrick Stein (Trystan Pütter) in ein kleines Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern geschickt. Gemeinsam mit dem ehemaligen DDR-Polizist Markus Bach (Felix Kramer) soll er das Verschwinden zweier Mädchen untersuchen. Das ungleiche, sich mit stetigem Misstrauen begegnende Duo geht zuerst davon aus, dass die Teenagerinnen für eine bessere Zukunft nach Berlin ausgerissen sind. Als jedoch die vergewaltigten und verstümmelten Leichen der Schwestern gefunden werden, stoßen die Ermittler immer tiefer in das von Frust und Enttäuschung gezeichnete Herz des Städtchens, welches nach dem Mauerfall keine Zukunft zu haben scheint. Bald ist gewiss: Das Verschwinden der Mädchen ist kein Einzelfall!

Wer jetzt denkt, FREIES LAND ist weiterer simpler Thriller, in dem ein handelsüblicher Kriminalfall aufgetischt wird, wird nur in Teilen bestätigt werden. Obwohl der Film mit einem Mordfall und der Suche nach dem Täter tatsächlich auf bestens bewährte Elemente setzt, hat Alvarts düsterer Krimi weit mehr zu bieten als den üblichen Standard, den man im Abendprogramm der öffentlich rechtlichen Sender geboten bekommt. Für seinen neuesten Film hat sich der Drehbuchautor und Regisseur einen bereits existierenden Stoff zur Brust genommen. In dem spanischen Film LA ISLA MINIMA – MÖRDERLAND (2014) geht es ebenfalls um einen solchen Fall, angesiedelt wenige Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur und dem schwierigen Übergang Spaniens hin zur Demokratie. Gemeinsam mit seinem Co-Autor Siegfried Kamml hat sich Alvart die Geschichte nun auf bemerkenswert eindringliche Weise zu Eigen gemacht.

In FREIES LAND wird die nordöstliche Provinz nach dem Mauerfall porträtiert, jene Zeit, in der die Erwartungen und Hoffnungen der ehemaligen DDR-Bürger nach Fortschritt und einer ergiebigen Zukunft bitter enttäuscht wurden. Eine Zeit, in der sich westdeutsche Industrielle breit gemacht haben und in der die Versprechungen, die noch 1990 gemacht aber letztendlich nicht eingehalten wurden. Alvart zeichnet seine Kulisse als hoffnungslose Provinz, in der Unzufriedenheit herrscht und in der mehr Rost blüht als alles andere, eingebettet in eine triste Herbstatmosphäre, die das Kolorit mit seiner kalten und rauen Wirkung noch verstärkt. Alvart, der persönlich für die Bildgestaltung und die Kamera zuständig war, hat hier einen höchst unangenehmen, aufwühlenden Pot-Boiler abgeliefert, der fast schon mehr die Figuren und die zeitgenössischen Hintergründe in den Vordergrund rückt, als den eigentlichen Fall.

Dieser ist eigentlich nur Mittel zum Zweck, eine Metapher für die damalige Stimmung, die alles andere als rosig war. So beobachten wir heruntergekommene Fischer, die sich mit Schmuggel ein Zubrot verdienen, aufständische Fabrik-Arbeiter, die sich weiterhin benachteiligt fühlen und an der Untergrenze lebende Familien, die ihren Frust in der örtlichen Kneipe ertränken. Dazwischen wird ermittelt. Wer hat die Mädchen zuletzt gesehen? Wer hat ein Motiv? Steckt mehr dahinter als reine Willkür? Fragen über Fragen werden aufgeworfen, die endgültige Auflösung ist bei weitem weniger komplex als man es erwarten würde. Obwohl Alvart hier größtenteils auf konstruierte Twist & Turns verzichtet, wird die Story spannend erzählt, was vor allem an den guten Darstellern liegt, die den Figuren einiges an Profil geben. So folgt der Film zwei gegensätzlichen Polizisten, deren Hintergründe mehr und mehr in den Fokus rücken und die als gebrochene Existenzen geschildert werden. Der eine, ein idealistischer Ermittler, der sich an Vorschriften hält, der andere ein hart gesottener DDRler, der auch vor körperlicher Züchtigung nicht zurückschreckt. Im Verlauf der recht angenehm vergehenden 130 Minuten verschieben sich immer mehr die Perspektiven, was den Protagonisten weitaus mehr Fleisch gibt, als man vermuten mag. Trystan Pütter und Felix Kramer verkörpern diese beiden unterschiedlichen Charaktere erstaunlich realistisch, auf Klischees wird weitestgehend verzichtet. Auch der restliche Cast weiß zu gefallen.

Optisch ist Alvarts Ost-West-Thriller ein wahrer Leckerbissen, sogar seine visuell beste Arbeit mit der eindringlichsten Atmosphäre. Die düstere, kalte und graubraune Stimmung überträgt sich in den eleganten Kamerafahrten und dem zurückhaltenden Schnitt erstaunlich intensiv und lässt den Zuschauer bis zum Ende mitfiebern. Hier kommen Erinnerungen an die erste Staffel TRUE DETECTIVE (2014) hoch und das muss eine deutsche Produktion erstmal schaffen!

Eurovideo hat den Film nun im Heimkino veröffentlicht. Bild- und Ton sind sehr gut, besonders auf der Blu-Ray kommen die kontrastreichen Bilder wunderbar zur Geltung. Extras sind leider nicht vorhanden.

Fazit:
Mit seinem Remake FREIES LAND (2019), ist Christian Alvart ein höchst sehenswerter Thriller gelungen, der nicht nur narrativ spannend ist, sondern auch seinen zeitgenössischen Hintergrund aufarbeitet. Unter den deutschen Filmen der letzten Zeit, eine echte Empfehlung, vor allem für Genre-Fans!

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