Die 1980er Jahre: Ein Jahrzehnt, geprägt vom Vorsprung durch Technik, Großstädten voller Punks, der Neuen Deutschen Welle, Tschernobyl, dem Zauberwürfel und Vokuhilafrisuren. Ein Fest für alle, die nicht dabei waren. Für Euch wird dieser Teil meiner Kolumne wieder einige Aha-Effekte bereithalten. Alle Anderen werden sich möglicherweise in Teil II unseres kleinen Klassenausfluges der Televisionen und Kulturinformatik wiedererkennen.

Ein Essay von Manuel Hinrichs

Im letzten Teil stellten wir fest, dass die Serie Miami Vice für TV-Krimiserien so etwas wie ein Gamechanger war. Der technische Aufwand, der hierbei betrieben wurde, war so immens, dass man fast aus dem Blick verlieren konnte, dass ungefähr zur selben Zeit eine weitere bahnbrechende Neuerung in den Startlöchern stand: Der bezahlbare Videorecorder.

Doch von vorne. Im Jahr 1958 kostete ein Ampex Profi-Videorecorder noch DM 400.000,- und zu den ersten Kunden gehörten fast ausschließlich Fernsehsender. Das war auch kein Wunder, bekam man für diese Summe doch zwanzig(!) Einfamilienhäuser mit Küche, Bad und Ofenheizung.

1964 brachte Philips dann einen Videorecorder heraus, der mit einem Preis von DM 7.000,- entweder dem ungefähren Jahresgehalts eines Arbeiters, oder dem Preis eines Ford Taunus entsprach. Zehn Jahre später überschlugen sich dann die Ereignisse. Schon seit 1975 gab das Videoformat Betamax, ab 1976 kam das Videoformat VHS, und ab 1979 das Videoformat Video 2000 hinzu. Und die ersten Videorecorder dieser Formate kosteten immer noch ganz locker um DM 2.000,-. Für eine derartige Ausstattung mußte man schon mindestens Beamter oder Angestellter sein, denn DM 2.000,- entsprachen immer noch dem Monatsgehalt eines Arbeiters. Als Alleinverdiener und Familienvater bedeutete es nichts weniger als zwei Jahre sparen. Damit will ich sagen, dass man da schon ein echter Filmfan hätte sein müssen, um zwei Jahre auf den Familienurlaub zu verzichten.

Bevor die Industrie sich aber in einem Krieg der Systeme auf ein allgemeingültiges Format einigen würde, blieb die neue Technik für Arbeiterkinder wie mich genauso unerschwinglich, wie ein Computer. Solche Geräte waren Raumfahrttechnik. Und so sollte es noch bis 1986 dauern, bis das VHS-Videosystem mit einem Marktanteil von 93% als Sieger hervorging. Plötzlich wurde es möglich, TV-Sendungen verhältnismäßig kostengünstig aufzunehmen und zu einem späteren Zeitpunkt anzuschauen. Okay, eine gute VHS-Kassette konnte auch schon mal bis zu DM 25,- kosten, mithin ein Betrag, für den man durchaus auch lecker Essen gehen konnte.

Viel spannender war aber, dass die Filme mobil wurden.. transportabel!

Die zusammengesparten DM 830,- für mein erstes VHS-Gerät, ein LOEWE OC630M(„M“ wie „Mono“!) waren dann auch das Äquivalent von knapp drei Monaten meiner Lehrlingsvergütung (heute: Ausbildungsvergütung) im zweiten Lehrjahr. Und natürlich folgte mit einer kurzerhand angeschafften Wagenladung TDK HS 240 Kassetten (TDK E-HG 240, wenn mehr Geld zur Verfügung stand) der Aufbau einer VHS-Sammlung, vollgepackt mit TV-Filmen.

Die Mitgliedschaft in einer besten Videotheken Deutschlands (so eine kannte doch jeder von uns) war da nur noch Formsache und Taxi Driver (1976) avancierte zu meinem ersten geliehenen Film. Wir schrieben das Jahr 1988 und nach Anschaffung eines zweiten VHS-Recorders zum Überspielen, rief das Land.

Ein Bedürfnis nach einem Computer wollte angesichts der Mondpreise nicht so richtig aufkommen, denn natürlich war man auch damals schon dazu gezwungen, ständig aufzurüsten und anzupassen, um am Ball zu bleiben. Ein finanzieller Wettlauf, den man nicht gewinnen konnte. Und so übersprang ich Kodaks Bildplatten, dann die professionellen DAT-Bänder, die simplen Video-CDs, Mini-Discs, DVD-R oder +R und sogar die bespielbaren Blu-rays. Hey, aber mal ehrlich, ein Computer war gar nicht nötig, wenn man nach 15 Jahren Mitgliedschaft und anschließender Einarbeitungszeit in den Untiefen der Videothek, endlich dort arbeitete, mit allen damit verbundenen Vorzügen.

Erst mit dem Erscheinen des Festplattenrecorders mit drei TV-Tunern kam ich in meiner persönlichen TV-Moderne an.

Na klar, inzwischen boten sich auch das Internet und durchaus bezahlbare Computer an, aber beides findet nach wie vor nur rudimentär in meinem Alltag statt: Das Eine als Werkzeug zur Recherche und das Andere als heillos unterforderte Schreibmaschine. Warum sollte ich diese Tools auch anders nutzen? Im linearen TV gibt es ja immer noch genügend Dokus und Kulturelles. Es waren jene linearen Sendungen, die mich davor schützten, mich in ein hirnloses, hasserfüllt geiferndes und volksverhetzendes Subjekt mit Rechtschreibschwäche zu entwickeln.

Kurz: Da habe ich wohl mal etwas richtig gemacht.

Und nun stehen wir vor der Situation, dass die nachkommenden Generationen eher kein lineares TV mehr schauen und auch die Ära der großen Filmstudios sich sehr wahrscheinlich dem Ende nähert. Und das bedeutet, dass nicht nur die Gesellschaft vor weiteren Umbrüchen stehen wird, sondern auch, dass auch die Auswahl an Filmen und Serien, welche auf physischen Datenträgern veröffentlicht werden, weiter schrumpfen wird.

Gleichzeitig wird sich die Anzahl von DVD- und Blu-ray-Sammlern auf ein so überschaubares Maß reduzieren, dass man für die wenigen Neuerscheinungen fast jeden Preis verlangen, und auch erhalten wird.

Videotheken verschwanden inzwischen und Internetseiten, deren Server auf kleinen pazifischen Inselstaaten registriert waren, beschleunigten den Verfall mit ihren illegalen Download-Angeboten. Allerdings müssen wir auch hier mal ehrlich sagen, dass es seit den 1980er Jahren nicht mehr nur um Kultur oder Qualität, oder gar die Liebe zu gut erzählten (Film-) Geschichten, sondern ausschließlich um den Profit der größten börsennotierten Konzerne der Welt ging – auch, wenn sie damals andere Namen hatten. So war es auch nur eine Frage der Zeit, bis diverse Dienste im World Wide Web für eine weitere Verramschung von musikalischen und filmischen Inhalten sorgen würden.

Es drängt sich hier sogar durchaus die Frage auf, wie viele Film- und Kulturschaffende unter diesen Bedingungen überhaupt noch bereit sein würden, ihre Lebenszeit in ein Herzensprojekt zu stecken, das zwar weiterhin eine hohe Qualität abbildet, dennoch aber nur geschätzte 0,005 Cent pro Klick für den Urheber erwirtschaften würde – Brutto.

Man musste also kein Mathematikgenie sein um zu erkennen, dass das auf Dauer nicht funktionieren würde. Als Reaktion darauf wurden in den Trümmern des alten Studiosystems ganze Produktreihen installiert, die sich hauptsächlich durch „Malen nach Zahlen“-Storylines und Überwältigungslook auszeichneten. Handwerklich nahezu perfekt aber seelenlos.

Und so stehen Filme als solches, von ein paar Ausnahmen abgesehen, inzwischen weitestgehend für eine nur noch sehr geringe Risikobereitschaft und einen Mangel an innovativen Ideen. Weil die Profitabilität von Filmen ja schon länger auf einem absteigendem Ast ist, musste etwas getan werden. Man wurde erfinderisch.

Der größte Player auf dem Markt, die US-amerikanische Filmwirtschaft, richtete eine „Killbox“ ein, einen Ort, der vorher festgelegt und eingerichtet wurde, um dem Gegner den finalen Todesstoß zu versetzen. Die einzige Aufgabe bestand nur noch darin, das Ziel in diesen Raum zu bekommen.

Und das war für die Filmindustrie der leichteste Move.

Die „Killbox“ wurde klar definiert und als Ziel wurde der DVD- und Blu-ray-Markt ausgemacht. Die Vernichtung des Datenträgermarktes und die Etablierung eines reinen „Video on Demand/VoD“ Angebotes war nämlich das eigentliche Ziel dieser Maßnahme.

Angefangen wurde damit, die Zeitspanne zwischen Kinostart und dem DVD/Blu-ray Release so drastisch zu verkürzen, daß die Konsumenten sich irgendwann fragen würden, warum sie eigentlich noch für € 15,- ins Kino gehen sollen, obwohl es den Film schon ein paar Wochen später als Stream geben würde – zu einem Bruchteil des Preises.

In einem weiteren Schritt entschlossen sich die Verleiher, die Anzahl jener Titel, die als DVD oder Blu-ray neu erscheinen würden, zu reduzieren und bisher tut sich da nur die Constantin-Film positiv als Firewall gegen den Ausverkauf des ehemals prosperierenden Marktes hervor. Warum genau, ist noch unklar, aber noch tun sie es immerhin.

Sterbende Kinos sind da nur der Beifang, denn durch diese auf einen gefühlten Wimpernschlag reduzierte Zeitspanne wird es den verbliebenen Kinobetreibern mittel- oder sogar schon kurzfristig die Überlebensfähigkeit nehmen.

Die Verkürzung des Abstandes zwischen Kinostart und Folgevermarktung auf ein paar Wochen, riss die Maske der Kultur von den von Gier und Angst zerfressenden Fratzen der großen Verleiher. Und folgerichtig verlegte sich die Filmindustrie auf das erfolgreiche Geschäftsfeld der Erpressung. Denn letztendlich hielten die Verleiher eine Pistole an die Schläfe der Kinobetreiber:

Entweder Du (das Kino) bist damit einverstanden, dass Du die absolute Filmneuheit nur noch x-Tage in deinem Saal verwerten/abspielen darfst, oder du bekommst keine absoluten Filmneuheiten mehr. Friss oder Stirb.

Deutlicher konnte das Filmbusiness (sic) seine Verachtung gegenüber der Kultur und dem interessierten Endverbraucher nicht zeigen; aber vielleicht war sie ja auch immer schon da, die Verachtung. Das Geld des so verzwergten Zuschauers, der kritiklos jeden hingerotzten Dreck als Gottesgabe feiern soll, will man aber, wie gesagt, schon noch haben. Aber inzwischen soll er gefälligst zu Hause bleiben und niemanden mit seiner Anwesenheit behelligen. Im Grunde braucht er ja nur seinen Daumen für die Fernbedienung.

Wer würde unter diesen Umständen überhaupt noch Qualitätsware nachfragen? Egal, wie mies das Produkt auch ist, es wird ja ohnehin konsumiert. Es muss ja nur bunt blinken, laut tröten, wenigstens mit Geschmacksverstärkern ausgestattet und mindestens auch noch leicht verdaulich sein, damit es den Verdauungstrakt auch schnell und ohne Komplikationen wieder verlassen kann.. bis zum nächsten filmischen Fastfood-Bullshit.

Der Mangel an betriebswirtschaftlicher Risikobereitschaft und innovativen Ideen sorgte jedenfalls für eine Flut an Prequels, Sequels und Prequels vom Sequel, sowie zweite, dritte und vierte Teile… die Film-Cashcow wurde gemolken, bis sie nur noch ein fast zu Tode gehungertes Rindvieh war, bereit für den Gnadenschuss.

An dieser Stelle blieben dem Konsumenten nur noch ganz wenige Optionen:

Option 1: Er wendet sich von der ganzen hirntoten Filmware ab – oder

Option 2: Er orientiert sich neu und fängt wieder an, Schlümpfe zu sammeln.

Aber dann passierte es.

Im toten Winkel, quasi im Halbschatten, fast außerhalb der Wahrnehmung der Konsumenten, tat sich eine kreative Lücke auf, eine dritte Option.

Es war die Stunde des längst totgeglaubten Mediums Fernsehen.

Angeschoben durch diverse Streamingdienste erlebte die alte Dame Fernsehen eine nahezu schlagartige Frischzellenkur; immer neidvoll beobachtet von den bisherigen Profiteuren der Filmwelt: Den großen Filmkonzernen.

Selbst eingefleischte Filmschauspielerinnen und Filmschauspieler merkten, dass sie sich nicht länger auf dem hohen Ross halten würden können, ausschließlich in Filmen spielen zu wollen und leckten Blut. Es dauerte ein wenig bis alle verstanden hatten, dass dem Fernsehen im Bereich der seriellen filmischen Erzählung nun niemand mehr etwas vormachen kann. Im Fernsehen war plötzlich alles möglich, inklusive der ganz großen Oper.

Dann wurde es für mich kompliziert.

Im Jahr 2019 wurde das analoge TV dann abgeschaltet und meine beiden LOEWE Röhrenfernseher würden obsolet werden, wenn ich sie nicht mit digitalen Modulen/Reciever ausstatten würde.

Bisher immer meiner Direktive folgend, keine Elektronikgeräte wegzuwerfen, die noch funktionieren, stand ich plötzlich ohne akzeptable Lösung da, denn große Erzählungen könnten auch größere Wiedergabeflächen brauchen. Was bedeutete, daß ich um ein etwas größeres TV-Gerät mit hoher Auflösung und digitalen TV-Tunern kaum herum kommen würde.

Aber es war ein sehr steiniger Weg.

Tatsächlich verursachte es mir erhebliche Schmerzen, meine Röhrenfernseher zum Elektroschrott geben, obwohl sie seit über 25 Jahren ohne größere Probleme einfach vor sich hin funktionierten; in längeren krankheitsbedingten Phasen gerne auch mal 14 Stunden am Tag. Sie waren also weitaus mehr, als nur irgendwelche elektrischen Möbelstücke.

Nur ein einziges Mal brauchte ich meinen Fernsehtechniker. An einem Freitagnachmittag kam er vorbei und lötete einem der beiden Geräte für nur € 30,- vor Ort zwei neue Widerstände und ein Relais ein – innerhalb von 15 Minuten! Das war endlich mal ein perfekt eingesetzter € 50,- Schein.

Ich tat also, was ich konnte und zögerte den Abschied bis knapp vor die Abschaltung des analogen Fernsehens, und damit bis weit in die Existenz der LCD, Plasma und LED-Flachbildschirme hinein, bevor dann doch ein nigelnagelneuer LED-Flachbildschirm angeschafft werden musste.

Im Zuge dieser Umstellung wanderte dann auch mein allererster Fernseher, den ich im Alter von sechs Jahren von meinen Eltern viel zu früh hingestellt bekam, in die Vitrine. Hierbei handelte es sich tatsächlich immer noch um den im ersten Teil des Beitrages (I) genannten KÖRTING, inzwischen satte 50 Jahre alt und nach wie vor funktionierend! Also hatte er auch nichts auf dem Schrottplatz verloren.

Doch warum erzähle ich das hier so ausführlich?

Es soll deutlich machen, welches „Mindset“ ich habe. Und wo es herkommt!

Ich wollte niemals das Neueste haben, sondern immer das zuverlässigste und beständigste Produkt mit der ausgereiftesten Technik; dann gerne auch für einen angemessen hohen Preis. Bei den analogen Photokameras war es z.B. das beste ohne Presseausweis erhältliche Modell von Nikon, die F3HP, und bei Automobilen waren es immer Mercedes-Benz W123. Stabilität plus Funktionalität plus Zuverlässigkeit ergab Qualität.

Zu dieser Einstellung gehörte es natürlich auch, daß ich mich für keines der genannten Produkte verschuldet hatte. Sie alle gehörten vom ersten Tag an mir und nicht der Bank. Und weil ich für alle Gegenstände hart gearbeitet hatte und deshalb um ihren Wert wußte, habe ich sie immer pfleglich behandelt. Resultat? Wegen ihrer Nutzung als Dauerläufer haben sie inzwischen ganz locker einen geringeren CO2 Fußabdruck als modernes Equipment. Scheinbar war ich bereits umweltfreundlich, als es diesen Begriff noch gar nicht gab.

Ihr könnt euch nun also meine Überraschung vorstellen, die mich beim Auspacken meines zwangsweise neuen(!) LED-Flachbildschirmes ereilte. Insbesondere auch, weil sich trotz irgendwann ja doch erheblicher Schwankungen des Einkommens, mein Bedürfnis nach Qualität ja nicht im Geringsten verändert hatte.

Bei dem flachen Neuankömmling handelte es sich im Wesentlichen um einen aus schwarzem Plastik hergestellten Bilderrahmen mit einem eingebautem Not-Lautsprecher von der Qualität derer, wie sie dereinst in den Transitor-Taschenradios von 1975 eingebaut waren. Das, was aus diesem Lautsprecher kam, war Welten entfernt von dem, was man auch nur im Entferntesten als „HiFi“ bezeichnen würde.

Da „plug and play“ hier eine naive Illusion war, mussten zusätzliche Kabel und Adapter angeschafft werden, damit ein Anschluss an meinen 1992er NAD 7000-Receiver überhaupt möglich war.

Doch damit nicht genug:

Die „Gehäusekonstruktion“ zeigte sich bereits bei einem leichten Lüftchen äußerst fragil im Plastikfuß, während meine alten LOEWE-Geräte vermutlich auch einen direkten Beschuss überstanden oder eine einsturzgefährdete Hauswand hätten abstützen können.

Ich hatte schon jetzt keine Lust mehr auf die neue Fernsehwelt.

Ende Episode II

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