Das Fernsehen ist tot!“. – Nur ein kleiner Satz, aber er wird mit schöner Regelmäßigkeit von Zeitgenossen in die Welt gesetzt, die eigentlich sagen wollen, daß sie sich hauptsächlich im Internet bewegen und schon lange kein lineares Fernehen mehr geschaut haben. Geschweige denn, überhaupt noch jemanden kennen, der das tun würde. Aber ist das (deutsche) Fernsehen denn wirklich tot? Oder legt man in Deutschland nur keinen gesteigerten Wert auf komplexe Erzählungen? Um das zu durchdringen ist es unerlässlich zu betrachten „wer wir sind“.

Ein Essay von Manuel Hinrichs

Herzlich Willkommen zu Teil eins meiner dreizehnteiligen Kolumne. Mein Name ist Manuel Hinrichs – ein TV-Konsument wie Du und ich (?). Ich werde hier versuchen, die soziokulturellen Auswüchse des Fernsehens im Kontext zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen der deutschen Zuschauer zu betrachten – und damit natürlich auch das, was ich unter Fernsehen verstehe. Das Ziel ist, eine Erklärung dafür zu finden, warum Deutschlands Film- und Serienlandschaft weit hinter den internationalen Maßstäben zurückbleibt, und maximal einer verwässerten Nabelschau gleicht.

Da ich aber weder „irgendwas mit Medien“ mache, noch dies eine wissenschaftliche Arbeit ist, werden mir sehr wahrscheinlich formale Fehler unterlaufen. So ist nicht auszuschließen, daß ich zwischenzeitlich übelst doziere oder mich in Schachtelsätzen verlaufe, mich künstlich aufrege oder die Fassung verliere. Ich werde also Nebengleise finden und diese dann auch mit Freude benutzen, wenn sie sich anbieten. Alles aber in der Hoffnung, dass sie in eine ähnliche Richtung laufen mögen.

Und sollte die Aufmerksamkeitsspanne der Leserin/ des Lesers bereits jetzt eingeschränkt sein oder sich ganz plötzlich das Bedürfnis nach standardisierten Subjekt/Prädikat/Objekt-Sätzen oder sogar vielen Bildern eingestellt haben, dann würde ich freundlich von einer weiteren Vertiefung in diesen Text absehen. Übrigens ebenso, wenn es entweder einen noch nicht diagnostizierten Mangel an Geduld gibt, oder man den Drang, alle paar Augenblicke auf das Smartphone schauen zu müssen, nicht unterdrückt bekommt (außer, man liest diesen Text auf einem Smartphone).

Allen davon Betroffenen möchte ich ans Herz legen: Es tut mir wirklich sehr leid, aber es hat keinen Sinn weiterzulesen und ich bedanke mich für die bisherige Aufmerksamkeit. Liebe Grüße.

Für alle Anderen gilt: Herzlich Willkommen im Tollhaus des Fernsehens!

Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, dass es nur drei unaufgeregte Fernsehsender gab (ARD, ZDF und das dritte Programm)? Und dass in den grenznahen Gebieten dann noch Sender der entsprechenden Nachbarländer hinzukamen? Die Älteren werden sich noch erinnern.

Auf all diesen Sendern liefen unfassbar unschuldige Sendungen, welche man nicht verpassen durfte, denn sie wurden damals nacheinander ausgestrahlt, also linear. Wenn man zu spät kam, verpasste man entweder den Anfang, oder gleich die ganze Sendung. Daher konnte man sich diese Art der Unpünktlichkeit auch nicht oft erlauben, weil man am Montag morgen, in der Schule auf dem Pausenhof, nicht mitreden konnte. Deshalb kam man eben auch nicht zu spät! Niemals!

Diese Sendungen, Filme und Serien waren ein so selbstverständlicher Teil des gesellschaftlichen Diskurses, daß sie alle Menschen durch kollektive Erinnerungen verbanden. Das ganze Land war nach den Anfangszeiten der Sendungen durchgetaktet und man kann bis heute Überreste dieser vergangenen Ära finden. Das bekannteste Relikt aus jenen Tagen ist dann wohl auch die Nachrichtensendung Tagesschau um Punkt 20.00 Uhr. Bis heute ist es schlicht unmöglich, meine Eltern zwischen 20.00 und 20.15 Uhr zu erreichen. Erschwert wird es aber auch deshalb, weil das Telefon bei ihnen nicht im Wohnzimmer, sondern im Flur steht. Quasi außer Reichweite. Damals wäre auch niemand jemals auf die Idee gekommen, sich während einer Sendung anderweitig zu beschäftigen.. ein gleichzeitig benutztes Mobiltelephon lag außerhalb aller Vorstellungen und wäre von Vadder niemals toleriert worden. Er hätte einen hochkant rausgeschmissen.

In dieser geradezu heiligen Viertelstunde durfte niemand auch nur ein Wort sagen, man könnte ja sonst was verpassen. Auch die Erwachsenen wurden also zur selben Zeit auf den selben Wissensstand gebracht. Folgerichtig war in diesen 15 Minuten auch niemand auf der Straße zu sehen; die gesamte Republik hatte sich vor dem Fernseher versammelt.

Trotz der Erkenntnis, dass früher eben nicht alles besser war, bin ich aber dennoch froh, aus dieser Zeit zu kommen. Denn was man heute nur allzu gerne vergisst zu erwähnen ist, dass es auch die Zeit der Vorfreude war. Man freute sich eine Woche lang auf den nächsten Film, die nächste Show oder die nächste Folge einer Reihe oder einer Serie. Niemand hatte das Bedürfnis, alle Folgen einer Serie am Stück zu schauen, denn warum, in Dreiteufelsnamen, sollte man sich selbst um die Vorfreude bringen?

Das wäre doch geradezu absurd.

Und so war ich auch außer mir vor Freude, als meine Eltern mir im Alter von sechs Jahren in einer krankheitsbedingten Phase einen kleinen NECKERMANN/ KÖRTING Schwarz/Weiß Fernseher mit 30er Diagonale (Zentimeter, nicht Zoll!) in das Kinderzimmer stellten und ihn nach meiner Krankheit dort stehen ließen.

Es war dieser kleine Kasten, mit dem bei mir alles begann. Er wurde mein Fenster zur Welt.

Anfangs noch durch elterliche Regeln kontrolliert, wurde ich von 18.00 bis 18.30 Uhr vor die US-Version der Sesamstraße gesetzt, welche wohl nahezu jedes Kind meiner Generation geschaut hatte. Anschließend Zähneputzen und bettfertig machen, bis nach meinem damaligen westdeutschen Sandmännchen von 18.50 Uhr bis 19.00 Uhr, die sogenannte „Bettgehzeit“ war.

Dann erweiterte sich mein Repertoire um Die Sendung mit der Maus (ab 1971), und die Serie Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt, (1972) eine Produktion der Augsburger Puppenkiste. Als professioneller TV-Weltenbummler machte ich dann Bekanntschaft mir den australischen Serien Skippy, das Buschkänguruh (1968-1970) und S.O.S. – Charterboot (1969). Beide Serien fügten sich ohne Probleme in die Erzählungen der US-Serien Flipper (1966-1969), Mein Freund Ben (1967-1969), bei der es um die Freundschaft eines Jungen mit einem Schwarzbär ging, und dem Hundeklassiker Lassie (1954) ein. Clarence, der schielende Löwe (1965) und die aus ihm entwickelten Abenteuerreihe Daktari (1966-1969) welche, trotz der afrikanischen Anmutung, ebenfalls aus den USA kam, hinterließ bei mir einen so großen Eindruck, daß ich unbedingt einen Land Rover im Zebralook brauchte. Den gab es zwar von Corgi, war mit knapp DM 20,- aber viermal so teuer, wie ein normales Matchbox-Auto und so mußte ich mich bis Weihnachten gedulden.

Das war zwar schon richtig viel Wildnis aber ich kann aber nicht ausschließen, daß es die kanadische TV-Serie Strandpiraten (1971-1982) mit der Barkasse „Persephone“ war, wodurch ich eine Liebe zu absolut einsamen Naturlandschaften entwickelte. Bis heute gilt es bei meinen Freunden als ausgemacht, daß der Autor dieser Zeilen in der ersten Szene einer Serie oder eines Filmes nur einen (Drohnen-) Kameraflug über einsame Schnee- oder Waldlandschaften sehen muss, damit sein Interesse zum Weiterschauen geweckt ist. Und es ist nicht zu leugnen, dass da wohl auch was dran ist.

Während es aber heute nahezu egal ist, wann eine Serie oder irgendeinen Film ins TV-Programm eingespeist wird, hatte man als Kind der 1970er Jahre nur einen wirklich relevanten TV-Termin: Das Vorabendprogramm! Gewöhnlich begann er zunächst um 18.20 Uhr und ging bis 18.50 Uhr, später ergänzt durch den Zeitraum zwischen 17.50 Uhr und 18.15 Uhr.

Im Vorabendprogramm sah man dann Tierdokumentationen, wie z.B. Im Reich der wilden Tiere, oder die Langläufer Rauchende Colts, Die Strassen von San Francisco und natürlich die Reihe Western von Gestern, einer Collage aus alten B-Western, die in den 1930er/1940er Jahren als Vorfilme zum Kino-Hauptfilm gedreht worden waren.

Ab 1980 startete ich nachmittags mit Captain Future (J 1978/ ab 1980 in Deutschland) ins All und fand abends Wiederholungen von Raumschiff Enterprise (1966-1969). Dennoch war es aber der Eagle-Transporter der Serie Mondbasis Alpha 1 (1975-1977), den ich aus Lego nachbaute. Den fand ich viel cooler. Ebenfalls ab 1980 entdeckte ich den Bereich „Luftfahrt“ in Form der extrem kurzlebigen TV-Serie Chopper 1-Bitte melden (1974/ ab 1980 im deutschen TV!). Und natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ein kleines Hubschrauber-Modell, eine Bell 206 Jet Ranger angeschafft werden musste. Die kurzlebige Serie hatte sich in meinem Kopf festgesetzt.

Vorher hatte ich aber schon mit 8 oder 9 Jahren Detektiv Rockford (1974-1980) geschaut. Die Ansage auf seinem Anrufbeantworter -„Bitte hinterlassen sie ihren Namen, Rufnummer und ihre Nachricht, ich rufe zurück! PIIIIEEP“!- ist inzwischen in das kollektive Gedächtnis meiner Generation übergegangen. Und, ganz Kind der 1970er Jahre, habe ich mich immer auf seinen goldenen Pontiac Firebird gefreut, so daß ich bald ein ebenfalls goldenes Exemplar dieses Typs von Matchbox in der Kinderzimmer-Garage hatte, wenngleich auch das falsche Baujahr.

1976 sah ich dann natürlich mit Freude und wie alle Anderen auch, die Abenteuer von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, im Jahre 1978 folgte Der Doktor und das liebe Vieh und ab 1979 schliesslich die Sendung Pusteblume, später in Löwenzahn umbenannt (1981-2005). Sukzessive öffnete sich mein ökologische Gewissen und ich fing an Insekten zu retten, wo immer sich die Gelegenheit bot. Fortan streifte ich über Felder und Wiesen, bestreifte Bach- und Waldränder, immer auf der Suche nach hilfebedürftigem Getier. Für jenes Kriech-, Krabbel- oder Fluggetier, welches nach einem Zusammenstoß mit dem elterlichen Renault 16 das Zeitliche gesegnet hatte, legte ich durchaus würdevolle Friedhöfe an. Das gebot einfach der Respekt gegenüber anderen Lebewesen. Und wie bei allen anderen Kindern dieser Zeit auch, gab es nur sehr selten Langeweile. In den Sommerferien ging ich nach dem Frühstück raus und kam gefühlt schon einen Wimpernschlag später wieder rein. Nämlich dann, wenn es dunkel wurde.

Bei soviel Sauerstoff brauchte man natürlich einen Ausgleich. Im Fernsehen liefen auf dem dritten Programm, dem heutigen NDR, nicht nur Wiederholungen der englischen Reihen Timetunnel (UK 1966/67; in Deutschland ab 1971/72) oder Mit Schirm, Charme und Melone (UK 1961-1969; in Deutschland ab 1969), sondern auch die Filmreihe Das Gruselkabinett (1967-1990),dessen Einspieler „Mumien, Monstren, Mutationen“ ankündigten. Da diese Reihe erst um 21.45 Uhr, später um 22.00 Uhr, anfing und ich zu diesem Zeitpunkt bereits im Bett liegen sollte, entwickelte ich eine Strategie, die ich Punkt für Punkt abgearbeitet habe:

Punkt 1: Ich entnahm meinem Sparschwein aus Porzellan genau DM 5,-, um in der Stadt einen Mono-Ohrhörer für DM 3,50 zu kaufen, vorgeblich für mein kleines rotes Taschen-Transistorradio mit Handschlaufe. Wieder zu Hause, machte ich mich auf den kurzen Weg zu Frau Quitzau’s Gemischtwarenladen und ließ mir eine Bunte Tüte für 20 Pfennig zusammenstellen. Von dort bezog ich auch immer meine Bastei-Lübbe Märchen-Singleschallplatten, zum Beispiel Des Kaisers neue Kleider. Nach unserem Umzug im Jahre 1978 wurden diese über alle Maßen wichtigen Aufgaben an den Gemischtwarenladen von Herrn Heuer übertragen.. wahrscheinlich gab es ein international gültiges Memo mit meinen Vorlieben und Bedürfnissen, die bei einem Umzug automatisch an den zuständigen Gemischtwarenladen des neuen Wohnortes telegraphiert wurden.

Punkt 2: Abwarten, bis die Eltern beschäftigt waren. Dann heimlich ins Wohnzimmer, wo in einem ganz bestimmten Winkel die geschlossene Fernsehzeitung auf einem ganz bestimmten Platz auf dem Wohnzimmertisch lag. Dann merkte man sich die Ablagesituation der Zeitung ganz genau, bevor man einen Blick auf das für heute geltende Programm warf und verinnerlichte. Danach musste die Fernsehzeitung wieder zugeklappt werden und in exakt jenem Winkel abgelegt werden, wie man sie auf dem Zeitungsstapel vorgefunden hatte.

Punkt 3: In einem unbeobachteten Moment ein paar Streifen Tesa-Film aus der Küchenschublade holen und ein Stück Pappe zu präparieren, um es von innen vor das Schlüsselloch zu kleben.

Punkt 4: Ganz normal ins Bett gehen und leise in die Nacht horchen, ob auf dem Flur noch Bewegung zu hören ist, mindestens ein paar Minuten und gegebenenfalls warten.

Punkt 5: Bei absoluter Wohnungsruhe und unter allergrößter Konzentration eine große Wolldecke zu einer Wurst drehen, damit unter der Tür keine Lichtreflexe vom Fernseher in den Flur in Richtung der offenen(!) Schlafzimmertür der Eltern dringen konnten.

Punkt 6: Zunächst den Klinkenstecker des Ohrhörers in die entsprechende Buchse im Fernseher stecken und erst dann das Gerät anstellen. Ein möglicherweise unregulierter plötzlicher lauter Ton könnte die Eltern auf den Plan rufen – und das gäbe ein Donnerwetter.

Punkt 7: Eine Sitzposition auf der Bettkante finden, bei dem einem nicht die Beine einschlafen und der Rücken nicht weh tut. Die Kunst bestand darin, einerseits weit genug vom Bildschirm weg zu sein, damit einem die Augen nicht wehtun, andererseits das Kabel aber nicht soweit gespannt ist, daß es entweder den Ohrhörer aus dem Ohr, oder den Klinkenstecker aus der Fernsehbuchse ziehen würde. Auch hier würde ein plötzlicher lauter Ton.. genau! Gleichzeitig mußte man aber nah genug am Fernseher sein, damit man überhaupt etwas mitbekam. Und bei einer Bildschirmdiagonale von nur 30 Zentimetern musste man schon sehr nah ran.

Wenn man all diese Punkte berücksichtigt hatte, konnte es endlich losgehen. Unterlegt mit endcoolem Jazz, übrigens der erste Kontakt mit dieser Musikrichtung, moderierte mein absoluter Lieblingsmoderator Dénes Törzs dann Wiederholungen der Filme von Jack Arnold an, z.B. Tarantula (1955) und Die unglaubliche Geschichte des Mister C. (1957). Es gab Francis Ford Coppolas Film Dementia 13 (1963) zu sehen und natürlich auch Roger Cormans Filme Der Fall des Hauses Usher (1960), The Terror und Der Rabe (beide von 1963). Allen Filmen war gemein, daß sie immer bis knapp 00.00 Uhr liefen; die Augen waren trocken, ein Ohr war feuerrot und piepte und der Rücken tat natürlich höllisch weh – aber das war es immer wert.

Von hier war es dann auch nur ein Katzensprung zu Hollywoods Film Noir, der Schwarzen Serie, die in loser Reihenfolge im Fernsehen wiederholt wurden. Stellvertretend sei hier Die blaue Dahlie (1946) mit Veronica Lake und Alan Ladd genannt. Noch nie zuvor hatte ich Licht und Schatten als filmisches Stilmittel wahrgenommen. Was für eine Atmosphäre.

Ich erinnere mich leider nicht, auf welchem Sender ich Douglas Trumbulls Meisterwerke Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All (1971) und Lautlos im Weltraum (1972) zuerst sah sah, aber beide Filme beeindruckten mich so nachhaltig, dass ich nicht nur einen geheimnisvollen amerikanischen Van in der Kinderzimmer-Garage hatte, sondern auch die beiden Roboter aus Lego nachbaute.

In meiner Kinderzimmer-Garage sammelten sich derweil weitere Eindrücke jener Filme und Serien, die ich meist zufällig heimlich schaute. Der bronzefarbene 1975er Buick Regal von Lieutenant Kojak (1974-1991) – Entzückend! – von Corgi gehörte ebenso dazu, wie auch Kowalskis weißer Dodge Challenger aus Fluchtpunkt San Francisco (1971). Da nur ein rotes Exemplar mit weißem Dach von Matchbox verfügbar war, malte ich ihm mit einem weißen Lackstift kurzerhand eine neue Außenfarbe. Der ultracoole Truck aus Steven Spielbergs TV-Spannungs-Meisterwerk Duell (1971) wurde von mir auch aus meinen Lego-Steinen nachgebaut. Bis heute transformiert sich jeder Lastwagen im Innenspiegel in exakt dieses angeranzte Lastwagenmonstrum.

Um das Jahr 1975/1976 herum, wurde ich durch die sonntägliche ZDF Matinee ein ums andere Mal zum einem Mitglied der Croisière Jaune, einer Asien-Expedition im Jahre 1931 mit sechs kleinen Citroën-Halbkettenfahrzeugen, und ich erinnere mich noch daran, daß die Teilnehmer ihre Fahrzeuge bei unüberwindlichen Geröllfeldern oder reißenden Flüssen in alle Einzelteile zerlegten, die ganzen Teile über oder durch das Hindernis trugen, und auf der anderen Seite wieder zu einem Fahrzeug zusammenbauten – im Himalaya! – Bei minus 30 Grad!

Dann hielt die Ernsthaftigkeit Einzug in mein Leben. Im Jahr 1977 hatte die Terrorgruppe RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer entführt und das Fernsehen berichtete von der Fahndung. Als meine Eltern und ich im Auto unterwegs waren, wurden auch wir von schwerbewaffneten Beamten des Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) kontrolliert. Abends habe ich das dann mit meinen Matchbox, Siku und Majorette-Autos nachgestellt.

Die gesamte Republik wurde medialer Zeuge der Nicht-Kommunikation zwischen den Entführern und den Behörden, die ins Nichts führen sollten; ganz wie heute, wenn sich zwei Gruppen oder Parteien gegenüberstehen, von denen sich beide im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen. Deshalb wäre mein Vorschlag ja auch immer noch, sich von allen Gruppen und Parteien fernzuhalten, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen.. aber was weiß ich schon.

Nach eineinhalb Monaten wurde Schleyer jedenfalls umgebracht und im Kofferraum eines Audi 100 gefunden – im Elsass – die Kameras des Fernsehens waren natürlich vor Ort.

Bei der TV-Übertragung der Trauerfeierlichkeiten schlich sich dann eine Irretation in meine Gedanken. Es war nicht für mich zu durchschauen, ob Bundeskanzler Helmut Schmidt nun dem CDU-Mitglied Schleyer Respekt erweist oder dem ehemaligen SS-Untersturmführer Schleyer.

Es war exakt diese Phase, in der ich mein Interesse an einer „schwarz-weißen“ Betrachtung der Welt verlor. Ich entwickelte ein Bedürfniss nach den verschiedenen „grauen“ Zwischentönen und damit nach einer etwas differenzierteren Betrachtungsweise. Ich wollte Dingen auf den Grund gehen und hinter die Kulissen schauen. Aktionen und Reaktionen verstehen. Ich war 9 Jahre alt.

Unter diesem Aspekt entdeckte ich kurze Zeit später auch den französischen Politfilm für mich. I wie Ikarus (F 1979) und 1000 Milliarden Dollar (F 1982), beide von Henri Verneuil, bildeten den Beginn einer Leidenschaft, die sich schnell auch nach Italien erstrecken würde.. darauf komme ich aber noch zurück. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich auf jeden Fall Enthüllungs-Journalist werden. Die stilbildenden Sendungen Personenbeschreibung (D 1971-1993) von Georg Stefan Troller oder die Dokumentationen der Reihe Bilder, die die Welt bewegten (D 1980-1983) von Peter von Zahn nahmen mich an nie gesehene Orte mit. In die Psyche von Menschen oder von ganzen Ländern. In Verbindung mit Costa-Gavras Film Vermisst (1982), Roger Spootiswoodes Film Under Fire (1983) und Roland Joffés Film Killing Fields- Schreiendes Land (1984), modifizierte sich mein Berufswunsch alledings ein wenig. Nun wollte ich eindeutig Kriegsberichterstatter werden.

Ungefähr zur selben Zeit hatte ich von der gemeinsamen (SS-) Vergangenheit Horst Tapperts und dem Schöpfer der Reihe Derrick, Herbert Reinecker natürlich keinen blassen Schimmer. Mit der selben Ahnungslosigkeit freute ich mich auch immer auf Herrn Martin, den Butler in Hans-Joachim Kuhlenkampffs Show Einer wird gewinnen. Das der Schauspieler Martin Jente, der den Butler spielte, ein SS-Oberleutnant in der Adjudantur des Führerhauptquartiers war, erfuhr man erst nach seinem Tod im Jahre 1996.

Und natürlich hatte ich keine Ahnung, daß Musik ist Trumpf -Showmaster Peter Frankenfeld während des Krieges ein regimekritischer Stand-Up Comedian war – und zwar lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Genau so wenig wusste ich, dass der Quizmaster Robert Lembke (Was bin ich?) sich im dritten Reich weigerte, eine Loyalitäts-Erklärung gegenüber der NSDAP abzugeben und sich daher immer wieder verstecken musste, bis er nach dem Krieg mit Erich Kästner und Stefan Heym in München Die Neue Zeitung gründete.

Eine echte Überraschung war für mich, dass Hans Rosenthal nur ganz knapp den Holocaust überlebte, bevor er im Land der Täter mit Dalli Dalli nicht nur erfolgreich, sondern auch Deutschlands beliebtester Showmaster wurde.

Ich habe alles geschaut, was es gab.

Entscheidend war für mich einfach, daß man in nicht einmal einer Handvoll (öffentlich-rechtlicher) TV-Sender, immer genügend interessante Beiträge fand. Unterschiede machte ich nur bei den mehr oder weniger gefälligen Musikrichtungen, die dargeboten wurden und natürlich den locker eingestreuten Gags.

Diese Fernsehära war dominiert von grauen oder braunen Anzügen und die Studiokulissen variierten diese Farbpalette. Selbst als Kind konnte man manchmal wahrnehmen, dass es ein Spaß mit gebremstem Schaum war. Natürlich, ohne es ausdrücken zu können.

Derweil hatte der durchschnittliche deutsche Fernsehzuschauer sich in die wohlige Umarmung familientauglicher TV-Reihen, wie z.B. Ich heirate eine Familie (1983-1986), Diese Drombuschs (1983-1994) oder Die Schwarzwaldklinik (1985-1989) zurückzogen. Es waren diese TV-Reihen, die abbildeten, wie Deutschland sich und seine Kinder am liebsten sieht: Ein biederer Wohlstand in einem Einfamilienhaus im Vorort, Hund, Katze, Kombi. Die Kinder sind wohlgeraten, machen keine Fisimatenten oder Sperenzchen und haben stets ordentlich gekämmte Haare. Ganz so, als wenn ein Besuch bei Oma und Opa anstehen würde. Anständig gekleidet mit Oberhemd und Weste, Halbschuhen und Bundfaltenhose. Jeglicher Spieltrieb war dann zu vermeiden, weil das ja Beulen in die Kniebereiche der gerade frisch gebügelten Hose drücken würde. Und die frisch geputzten Halbschuhe verhinderten zuverlässig jeden Ausflug in die Pfützen auf dem schlammigen Feld nebenan. Da ist doch mal die Frage angebracht, woher dieses Bild einer perfekten deutschen Familie wohl kommt? Und warum dieses Bild uns bis heute beeinflusst und einschränkt?

Wer allerdings dachte, dass die extrem langlebigen Krimireihen Derrick, (1974-1998), Ein Fall für Zwei (1981-2013) und Der Alte (seit 1977!) für Abwechslung sorgen würden, sah sich enttäuscht. Denn auch sie standen ja nun auch nicht gerade für Innovationsfreude. Hierzulande befleckte nur Kommissar Schimanski 1981-1991) im Duisburger Tatort die biedere provinzielle Oberfläche.

Die Komplexität der Gesellschaft, in der ich lebte, war mir in letzter Konsequenz noch gar nicht klar.

In jener Zeit versprachen nur die sehr gut geschriebenen Krimis der US-Reihe Columbo (1968-2003!) intellektuelle Abwechslung und einen anderen Blick auf die Welt. Zwar immer noch im alten Serienkonzept verankert, dafür aber immer mit einer liebevollen Schrulligkeit. Die US-Krimireihe Magnum (1980-1988) zeigte dann den natürlich immer hart arbeitenden Deutschen, daß es ein Leben jenseits des Sehnsuchtsortes Schwarzwald gibt.

Vielleicht kann man sich nun ja auch ein wenig vorstellen, welchen Impact die US TV-Serie Miami Vice (1984-1989) auf den deutschen Bildschirmen hatte. Pastellfarbene Häuserfassaden, Leinenanzüge mit hochgekrempelten Ärmeln über lilafarbenen T-Shirs, Flamingos, der Kokain-Lifestyle von kolumbianischen Drogenhändlern, glitzernde Armbanduhren, teure Sonnenbrillen und natürlich viele extravagante Sportwagen. Unvergesslich, wie Sonny Crockett und Ricardo Tubbs in der Folge Florence Italy (Staffel 2) im Ferrari Testarossa versuchen, einen echten Porsche 906 Carrera 6 Rennwagen (sehr wahrscheinlich Chassis #906-147), durch die neon-rot und blau beleuchteten Strassen Miamis zu verfolgen… und es nicht schaffen!

Alles unterlegt mit Popsongs der coolsten Interpreten ihrer Zeit (u.a. Phil Collins, Frank Zappa und Miles Davis), die natürlich auch gleich mitspielten. Jede Folge kostete schon damals $ 1.000.000,-, was dem Umstand geschuldet war, daß Regisseur Michael Mann für diese TV-Produktion lupenreines Kinoequipment eingesetzt hatte; sowohl in der Kameratechnik, als auch für Ton und Beleuchtung.

Nicht nur formal war diese Serie also eine Benchmark für alle nachfolgenden Serien.

Nicht nur in den USA.

Die Maschine glühte also vor.

Ende Episode I

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