Wie eine Fata Morgana.. so nah und doch so weit! Diesmal geht es tatsächlich um gute TV-Produktionen aus Deutschland. Ja, es gibt sie wirklich, auch wenn der Großteil von Euch es kaum glauben wird. Ich liefere Euch zum Beweis einen verschwommenen Überblick über diese wirklich existierenden Filme und Serien – inklusive der ein oder anderen Lobhudelei. Das seid Ihr zwar von mir bislang nicht gewohnt, doch nennt mich Altersmilde – ein klein wenig Harmonie zwischendurch muss auch mal sein.

Ein Essay von Manuel Hinrichs

Wie wir bisher schon feststellten, nahmen die herausragendsten Film- oder Serienprojekte den Zuschauer als solches immer ernst, blieben immer in der Erzählung und opferten die eigenen Charaktere niemals dem Selbstzweck. Und dazu gehörte natürlich auch, dass man den Zuschauer auch mal ohne Happy End in den Abend entließ.

Die Herausforderung bestünde also darin, dass Film- oder Serienprojekte es schaffen, mit Qualität zu unterhalten. Gar nicht so leicht. Bliebe die Zuschauerschaft nämlich aus, wären ja auch Qualitätsfilme und -serien in Gefahr, abgesetzt oder aus dem Programm genommen zu werden. Es galt also, ein Gleichgewicht zwischen Content und Qualität zu finden. Und Qualität kostet üblicherweise sehr viel Geld.

Allerdings darf man sich auch hier nicht vertun. Eine Tasche voller Geld vor der Hoteltür, jene, mit den Dollar-Fantastilliarden der Streamingdienste, löst die grundsätzlichen Probleme natürlich nicht. Zuviel Geld kann ein Projekt genauso korrumpieren, wie ein amoklaufender TV-Redakteur, der glaubt, dass er in ein Fass mit dem Zaubertrank der kreativen Erkenntnis gefallen ist.

Ja, das Geld der Streamingdienste kann für eine Bewegungsfreiheit sorgen, mit der deutsche TV-Produktionen mit Senderbeteiligung nicht konkurrieren können. Aber es gab bereits so einige Fälle, in denen dieses Geld weder klug geschriebene Drehbücher noch eine professionelle Filmcrew ersetzen konnte. Geschweige denn einen Cast, der wissen würde, was zu tun ist.

Umso höher sollte man dann auch die Projekte wertschätzen, die den Zuschauer auch ohne Onkel Dagoberts Geldspeicher in der Hinterhand überzeugen konnten. Sollte man also geduldig suchen und offenbleiben, dann entdeckt man gute TV-Drehbücher nicht nur im gesamteuropäischen, sondern sogar auch im deutschsprachigen Fernsehraum. Und dies unfassbarerweise auch im linearen Fernsehen auf dem heiligen 20:15 Uhr Sendeplatz, ich erwähnte es ja schon.

Dennoch komme ich auch hier leider nicht umhin, eine Gewinnwarnung auszusprechen. Insbesondere auch, weil selbst die angesprochenen „guten TV-Drehbücher“ keineswegs bedeuten müssen, dass diese in der finalen Umsetzung zur Serie oder zum Film formal auf irgendeinem internationalen Niveau wären. Restrisiken in Form hanebüchener Ausflüge in die Absurditäten des gesprochenen Textes können da dann auch nicht ausgeschlossen werden. Aber hey… ich denke, dass die versierte Zuschauerin / der versierte Zuschauer die Güllepumpe hoffentlich so langsam mal erkennen würde, wenn sie vor ihren Augen angeworfen wird.

Mit „guten TV-Drehbüchern“ sind hier also ausschließlich überzeugende, nachvollziehbare Geschichten und glaubhaft geschriebene Charakterisierungen der Figuren gemeint. Ja, selbst im filmisch provinziellen Deutschland gibt es hierfür durchaus positive Beispiele.

Spontan fällt mir da z.B. Bjarne Mädels Ausflug ins Regiefach ein: Sörensen hat Angst (2020).  Grimme-Preisträger Sven Stricker schrieb die Bücher mit jederzeit nahbaren und glaubwürdigen Charakteren als lakonische Mischung aus Psychodrama und Deichkrimi.

Diese Mixtur aus landschaftlicher Weite und psychischer Enge mutete stimmungstechnisch durchaus skandinavisch an. Mit glaubwürdigen Geschichten und einer Kamera, die wusste, was zu tun war, störte dann auch der übliche TV-Krimilook nicht mehr. Und es scheint weiterzugehen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes wurde bereits ein weiterer Sörensen-Roman in einen Film gegossen: Sörensen fängt Feuer (2023). Dieser konnte aber wegen der Überschneidung mit dem zeitigen Redaktionsschluss noch nicht gesichtet werden.

Ein weiterer Fall, bei dem der TV-Look nicht störte, war der Agententhriller Wendezeit (2019) aber vielleicht lag es ja auch am Thema. Petra Schmidt-Schaller spielte hier eine Agentin, die zum Zeitpunkt des Mauerfalls in Berlin für die CIA arbeitet, wo sie aber der MfS platziert hatte. In einer Mischung aus Memory und Tetris, versuchte sie, nicht unter die Räder der Geschichte zu kommen. Und ihr CIA-Bereichsleiter Jeremy Redman, gespielt von Ulrich Thomsen, MfS-Chef Markus Wolf (Robert Hunger-Bühler), wie auch ihr Mann (Harald Schrott) und ihre Teenager-Kinder, erleichterten diese Aufgabe nicht gerade. War der gesamte Film auch recht überzeugend konstruiert, musste es dennoch einen Abzug in der B-Note geben. Warum nur, zum Teufel, mussten die CIA-Mitarbeiter in einer amerikanisierten deutschen Sprache sprechen?

Marcus H. Rosenmüllers Film Trautmann (2018) mit David Kross hielt indes eine unglaubliche Episode aus der Nachkriegszeit vor. In einem Kriegsgefangenenlager in England fällt der junge Wehrmachtssoldat Bert Trautmann durch sein sportliches Talent im Fußball auf und landet schließlich im Tor von Manchester City. Zu diesem Zeitpunkt ein Verein mit Fans, die größtenteils einen jüdischen Glauben haben.

Einen durchweg interessanten Ausblick bot in diesem Zusammenhang auch die israelisch/deutsche Koproduktion Plan A (2021) von Doron Paz und Yoav Paz. Aus der Sicht des Holocaust-Überlebenden Max (August Diehl), erzählte dieses Thriller Drama eine weitestgehend unbekannte Episode aus Deutschlands rechtloser Phase zwischen 1945 und 1949. Vor Verzweiflung und vor Wut auf die Mörder seiner Familie zerfressen, schließt Max sich einem Teil der jüdischen Brigade der britischen Armee an, die eine Liste mit SS-Männern „abzuarbeiten“ gedenkt. Dort erlangt er Kenntnis von einer anderen jüdische Partisanengruppe, die sich einer Aufgabe aus dem Alten Testament verschrieben hatte: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Für jeden getöteten Juden muss ein Deutscher sterben.

Abgründe anderer Art bot die außergewöhnlich gute TV-Krimireihe Unter Verdacht (2002-2019), in welcher wir in 30 Folgen á 90 Minuten quasi Zeuge des Kampfes von Don Quijote und Sancho Panza gegen die Windmühlen wurden. Kriminaloberrätin Dr. Eva Prohacek, gespielt von Senta Berger, und ihr Assistent André Langner, gespielt von Rudolf Krause, kämpften in der Internen Abteilung des Bayrischen LKA nicht nur gegen korrupte Polizisten jeglichen Ranges und gegen ihre „Spezln“ aus der Wirtschaft, sondern auch noch gegen ihren perfiden Chef Dr. Claus Reiter,der selbst tief im Korruptionssumpf aus Gefälligkeiten mit der Münchener Staatskanzlei verstrickt war. Kongenial verkörperte Gerd Anthoff diesen kaltlächelnden Opportunisten als zeitgemäße Version von Heinrich Manns Lehrbeispiel Der Untertan, ausgestattet mit der jovialen und linkischen Biederkeit eines beamteten Schreibtischtäters mit Macht, Ambitionen und Parteizugehörigkeit, immer auf der Hut, dass ihm die Kontrolle nicht entgleitet und immer bereit, seine eigenen Ermittler zu sabotieren, wenn es ihm und seinen Freunden nützt.

Aber es ging noch düsterer. Nämlich mit einer Krimireihe von Lars Becker (Regie) und Georg M. Oswald (Buch), in der es sich um die Machenschaften zweier ziviler Anti-Drogenpolizisten drehte: Die TV-Krimis Unter Feinden (2013), Zum Sterben zu früh (2015), Reich oder Tot (2018) und Alles auf Rot (2021) waren ein Genre-Geschenk für die Zuschauer und die Schauspieler, allen voran Nicholas Ofczarek, Fritz Karl und Jessica Schwarz, welche zu jedem Zeitpunkt überzeugend, glaubhaft und in sehr gut erzählten Stories spielten. Diese vier Krimis stellten eine Ausnahme in der deutschen Krimilandschaft dar. Hier wirkte nichts künstlich hinzugefügt. Alle Filmfiguren waren glaubhaft ihrer Welt verankert, sowohl in ihren Motiven als auch ihren Handlungen und die überzeugend interpretierten Dialoge taten ihr Übriges.

Genauso ging es mir bei der herausragenden achtteiligen Serie Die Toten von Marnow (2021) mit Sascha Alexander Gersak und Petra Schmidt-Schaller. Kommissar Frank Elling entgleitet auf der Suche nach einem Serienmörder so langsam, aber sicher die Kontrolle über sein ruhiges Vorstadtleben mit Swimmingpool. Zum Glück versucht seine Partnerin Kommissarin Lona Mendt die Orientierung zu behalten.

Vor 10 Jahren erschien der TV-Krimi Mord in Eberswalde (2013) mit Ronald Zehrfeld und Ulrike C. Tscharre. Nach einem Drehbuch von Holger Karsten Schmidt, von ihm wird gleich noch die Rede sein, entstand ein Krimi über die Jagd nach dem Kindermörder Erwin Hagedorn. Entgegen der Staatsdoktrin der DDR, nach welcher Verbrechen dieser Art nur im dekadenten Westen vorkommen würden, bemüht sich der ortsansässige Volkspolizist Hauptmann Heinz Gödicke (Zehrfeld) um Aufklärung und Hilfe seitens des MfS.

Eine weitere spannende Geschichte aus der DDR beleuchtete auch der zweiteilige TV-Krimi Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod (2018), erneut mit Ronald Zehrfeld, sowie Silke Bodenbender. Als in der DDR des Jahres 1988 eine westliche Touristin im Harz tot aufgefunden wird, ersucht der ermittelnde Volkspolizist (Zehrfeld) um Hilfe aus dem Westen. Nach einiger Überzeugungsarbeit bei seinen Vorgesetzten, erreicht er die Einreise einer LKA-Ermittlerin (Bodenbender).

Aber auch die in 10 Folgen ausgestrahlte Krimireihe Kommissarin Heller (2014-2021) mit Lisa Wagner und Counterpart Hans-Jochen Wagner (nicht verwandt) war in jeder Hinsicht überzeugend. Sie war tatsächlich die einzige Kommissarin im deutschen Fernsehen, deren psychische Probleme im Kontext der Erzählungen immer nachvollziehbar waren. Immer im absoluten Notprogramm arbeitend, hat mir ihre Verzweiflung wirklich das Herz zerrissen.

Für eine deutsche Standard-Krimireihe mit ungewöhnlich komplexen Charakteren ausgestattet, entläßt aber auch die Reihe Wolfsland (seit 2016) mit Yvonne Catterfeld und Götz Schubert den Zuschauer gerne auch mal ohne Happy End in den Abend. Gut so, weiter so.

Mit einem Remake des spanischen Kinofilms La Isla Minima – Mörderland (2016 / Regie: Alberto Rodriguez Librero), schaffte es Regisseur Christian Alvart seinen Kameramann formal gelungende Bilder drehen zu lassen. Die Rede ist vom Film Freies Land (2019) mit Felix Kramer und Trystan Pütter als ungleiches Polizistenpaar, die das Verschwinden zweier Schwestern in Mecklenburg-Vorpommern aufklären wollen. Interessant war, dass Meck-Pomm wohl noch nicht trist genug wirkte, denn tatsächlich wurde in der Ukraine gedreht! Ein Betriebsausflug, der der Form des Filmes außerordentlich guttat. Wenn nur nicht immer der direkt abgenommene Ton so flach klingen würde. Aber das ist ja ein generelles Problem in deutschen Produktionen.

Geschlampt wurde aber auch im Detail, denn natürlich liegt der im Film abgehandelte Ort Löwitz zwar in Mecklenburg, mitnichten aber an der Neiße, die noch nicht einmal durch dieses Bundesland fließt. Am Beispiel dieses Filmes zeigte sich, dass die kulturellen Eigenschaften der Urgeschichte nicht einfach ohne Veränderung auf die neue Geschichte transferiert werden können. Dennoch bleiben es unbestritten beindruckende Bilder, ein gutes Schauspiel und eine gute Dramaturgie. Und das ist bereits mehr, als deutsche Standardware gemeinhin zur Verfügung stellt.

Vom selben Regisseur, Christian Alvart, stammte auch die Genre-TV-Serie Sløborn (4 Staffeln / seit 2020) mit der interessanten Prämisse eines tödlichen Virus, das auf die Bewohner einer Insel samt ihrer vor Ort befindlichen Touristen trifft. Alles durchaus glaubwürdig und durchweg in der filmischen Realität mit nachvollziehbaren Charakteren verhaftet.

Dass auch TV-Filme den Zuschauer ernst nehmen können, gleichzeitig aber nicht düster sein müssen, zeigten u.a. die beliebten Küstenkrimis. Als perfektes Beispiel sei hier Mörder auf Amrum von 2009 genannt. In diesem funktionierenden Hybriden aus Küstenkrimi und Western (Regie: Markus Imboden) spielte Hinnerk Schönemann den Polizisten Helge Vogt, dem die Optionen zwischen den Fingern zerrinnen. Ja, dieser Film war eindeutig eine norddeutsche 12 Uhr Mittags Variante. Aber wenn man sich anschaute, wie gekonnt hier regionale Eigenheiten mit dem Stoff verwoben wurden und eben nicht nur eine Kopie, sondern etwas vollkommen Neues entstand, dann hatte das wirklich unser Lob verdient.

Und weil das so gut ankam, wurde der Stoff überarbeitet und eine Film-Reihe daraus entwickelt. Resultat war eine vierteilige Krimireihe um den Privatdetektiv Finn Zehender (2011-2014), ebenfalls gespielt von Hinnerk Schönemann. Die Idee des Küstenkrimi / Westernhybriden wurde unter der Regie von Markus Imboden also fortgesetzt.

In der Nachbetrachtung wirkte die Finn Zehender-Reihe dann auch wie ein Wegbereiter für die weitaus gefälligere, fast schon zu durchkonstruiert wirkende Krimischnurre Nord bei Nordwest (seit 2014). Gerade im direkten Vergleich zu den Vorgängern wimmelt es hier geradezu vor schrägen Charakteren. Aber egal. Der durchweg sympathische Cast machte das wieder wett, insbesondere in den früheren Folgen. Im fiktiven Ort Schwanitz auf der Halbinsel Priwall bei Lübeck, sorgte Dorfpolizistin Lona Vogt (Henny Reents) für Recht in Ordnung. Unterstützung erhielt sie dabei von Neu-Tierarzt und Ex-LKA Ermittler Hauke Jacobs (erneut Hinnerk Schönemann), sowie von seiner Tierarztpraxis-Assistentin Jule Christian (Marleen Loose).

Letztlich zeigte also auch diese Reihe, wie Geschichten glaubwürdig und zuschauernah erzählt werden können. Aber das war natürlich kein Zufall, denn als Autor all dieser Küstengeschichten zeigte sich schon wieder ein alter Bekannter verantwortlich: Holger Karsten Schmidt. Und weil er wohl einen heftig großen Kaffee-Vorrat besaß, verdankten wir ihm auch noch die knorrige Harz-Krimireihe Harter Brocken (seit 2015) mit dem großartig verschlurften Cast um Aljoscha Stadelmann, Moritz Führmann und Anna Fischer.

Auf die Kellerkinder der Krimireihe München Mord (seit 2014) will man aber auch nicht mehr verzichten. In das Souterrain des Kommissariats ausgelagert, vermochten der geschasste Kriminalhauptkommissar und ex Psychiatrie-Insasse Ludwig Schaller (Alexander Held), der umtriebig draufgängerische Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) und die Nichte des Polizeipräsidenten und Ukulele-Virtuosin Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) durch ihren Eigensinn ihren Chef, Kriminaloberrat Helmut Zangel (Christoph Süß), ja regelmäßig an den Rand eines veritablen Nervenzusammenbruchs führen, aber die hohen Aufklärungsquoten des dynamischen Trios verhinderten zuverlässig weitere Degradierungen.

Das trifft natürlich auch auf den Mikrokosmos der schrulligen Franz Eberhofer-Krimiverfilmungen der Autorin Rita Falk zu. Und bevor ich noch in Verdacht geraten sollte: Natürlich vermisse ich Film Hund Ludwig aka Joker ebenfalls.

Diese Reihe kam sogar so gut an, dass es recht erfolgreiche Kinoveranstaltungen für die Fanbase dieser TV-Reihe gab. Es lässt schon tief blicken, wenn man bedenkt, dass wir offenbar ein Faible für Dorfpolizisten haben. Das ist aber zu vernachlässigen, weil diese Krimis mit Lokalkolorit das Herz am rechten Fleck tragen, die Erzählungen stimmen und der Zuschauer dadurch mitgenommen wird. Auch um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, muss es hier nochmal betont werden: Einige Teilnehmer der bisherigen Auswahl hatten zwar durchaus auch einen guten Look und bewegten sich zuverlässig weit oberhalb des üblichen erzählerischen, darstellerischen und technischen Standards in der deutschen Krimilandschaft, aber letztendlich haben wir es bei keiner der o.g. Filmreihen mit kinotauglichen TV-Filmen auf einem internationalen Niveau zu tun.

Deutsche Produktionen mit TV-Beteiligung, welche man mit Fug und Recht als ‚Kinofilme‚ bezeichnen könnte und welche daher auch ins Kino gehören würden, bleiben im deutschsprachigen Raum absolut rar. Es ist kaum vorstellbar, aber nach langem Nachdenken fielen mir keine Handvoll deutschsprachiger Beispiele ein, die in jeder Hinsicht, auch nach internationalen Maßstäben, echte Kinofilme waren. Für eine bessere Orientierung der hier verwendeten Kriterien: Die jederzeit als TV-Filme identifizierbaren Beiträge Der Untergang (2004) und Das Leben der Anderen (2006) waren eher nicht unter ihnen.

Deshalb muss hier zuallererst der in jeder Hinsicht großartige deutsche Spielfilm Der Hauptmann (2017) von Robert Schwentke genannt werden. Großartig auch deshalb, weil es Schmerzen bereitete, diesen Film zu schauen. Anhand einer historisch verbrieften Figur, sezierte Schwentke hier den Kern der deutschen Obrigkeitshörigkeit und des Kadavergehorsams als eine Mischung aus Überlebenstrieb und Sadismus. Er zeigte eine Welt auf, in welcher Menschlichkeit keinen Platz hatte.

Zum Vergleich: In Stanley Kubriks Meisterwerk Wege zum Ruhm (1957) stand Colonel Dax (Kirk Douglas) noch für den kläglichen Rest an Menschlichkeit im Angesicht des Irrsinns des Krieges. Seine Rolle war die Perspektive des Kinozuschauers.

In Der Hauptmann verkörperte der 19-jährige Schornsteinfeger-Lehrling Willi Herold (Max Hubacher), der von seiner Truppe getrennt worden war, das genaue Gegenteil. Hier gab es keinen derartigen Rückzugsraum für die Zuschauer. Ohne Identifikationsfiguren oder sonstige Sympathieträger in Sicht, war der Zuschauer dazu verdammt, der Metamorphose des Gefreiten Herold zum ‚Henker vom Emsland‚ zuzuschauen. Innerhalb von acht Tagen ermordete er in einem Lager mit Hilfe einiger ebenfalls truppenloser Wehrmachtssoldaten aus Spaß 180 Menschen, u.a. mit Handgranaten und einem 2cm Flak-Geschütz!

Es war ausschließlich Kaltblütigkeit, ein großspuriges Auftreten und eine gefundene Hauptmanns-Uniform, welche ihm die nötige Autorität für diese Taten verlieh. Ein Bedürfnis traf auf eine Gelegenheit. Wahrscheinlich ist es nach all den Jahren unnötig, aber jenen, die an dem menschlichen Bedürfnis nach Autorität ein Interesse haben, sei in diesem Zusammenhang eine Beschäftigung mit Stanley Milgrams Experiment des Jahres 1961 empfohlen, falls dieses nicht schon längst geschehen ist. Da diese menschlichen Eigenschaften und Abgründe also immer noch in uns allen schlummern, sollte auch hier nicht vergessen werden, den Abspann anzuschauen. Wie man das ja ohnehin tun sollte.

Der zweite Film, der mir einfiel, war das fantastische Naturdrama Der Mann aus dem Eis von Felix Randau (2017), hier in Form einer deutsch / italienisch / österreichischen Koproduktion. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ein Film über die Mumie unseres Vertrauens mich so nachhaltig beeindrucken würde. Wenngleich die Handlung natürlich eine reine Spekulation dessen ist, was Ötzi in den letzten Tagen vor seinem Tod erlebt haben könnte, inszenierte Randau ein in aller Breite jederzeit nachvollziehbares Jagddrama, reduziert, episch und geradezu liebevoll. Ganz nebenbei zeigte er, welchen Platz wir in der Natur einnahmen, wie wir mit der Natur lebten, ein Teil von ihr waren. Ganz ohne Geschwätzigkeit erzeugte Der Mann aus dem Eis eine unfassbare Nähe zu den Figuren und ihren Motivationen.

Neben Jürgen Vogel konnte hier auch das italienische Großkaliber Franco Nero verpflichtet werden. Dass diese bekannten Gesichter sich aber nicht störend auf die Erzählung auswirkten oder über Gebühr Aufmerksamkeit auf sich lenkten, kann als großes Plus angesehen werden, denn der Hauptdarsteller war eindeutig die fantastisch inszenierte Natur.

Und dann gab es da natürlich noch die deutsche Netflix-Produktion Im Westen nichts Neues (2022), bei dem die beteiligten Drehbuchautoren Edward Berger (auch Regie), Lesley Paterson und Ian Stokell nicht müde wurden zu betonen, wie stolz sie auf die Darstellung der Kapitulationserklärung von 1918 im Eisenbahnwagon von Compiègne waren. Sie hätten es geschafft „eine Brücke ins Dritte Reich“ zu schlagen.

Während die deutsche Delegation im Eisenbahnwagon im Wald von Compiègne immer noch glaubte, dass sie in der Position sei, ein Verhandlungsgespräch, um die Kapitulationsbedingungen mit den Franzosen auf Augenhöhe zu führen, machte der Gesprächsführer General Ferdinand Foch (Thibault de Montalembert) schnell und unmissverständlich klar, dass Frankreich kein Interesse an Kapitulationsverhandlungen haben würde. Er würde also mit Nachdruck auf die Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages zur bedingungslosen Kapitulation bestehen.

Nach einigem Hin und Her, sowie der Feststellung, wer hier eigentlich bei wem um eine Kapitulation ersucht hatte, insistierte der deutsche Diplomat Matthias Erzberger (Daniel Brühl). Wenn sie schon nicht verhandeln wollen, dann würden die Franzosen die Verantwortung für die Folgen tragen müssen. Sein flehender Spruch zu General Foch: „Seien sie gerecht zu ihrem Gegner, sonst wird er diesen Frieden hassen!

Moment… wie bitte?

Im Jahr 1918 konnte im doch noch niemand wissen, welche Propagandawellen Deutschland nach der Unterschrift überrollen würden – Stichwort Dolchstoßlegende. Warum also diese Autorenformulierung?

Für mich hat dieser Satz nämlich folgenden Subtext:

Weil die Franzosen ja gar nicht verhandeln wollten und unbedingt auf die Unterschrift beharren mussten, wäre es nicht Deutschland, sondern Frankreich, das die Büchse der Pandora öffnen würde. Mit Frankreich vermeintlich überzogenen Forderungen nach Reparationen, die auch riesige Getreidelieferungen, Teile des Ruhrgebiets und sonstige Abtretungen zum Inhalt hatte, hätte Deutschland in diesem Szenario ja gar keine andere Wahl mehr, als irgendwann später erneut das Mittel des Krieges einzusetzen, um sich – ja, sprechen wir es ruhig aus – gegen Frankreich zu verteidigen.

Ach du meine Güte. Dieser dramaturgische Kniff im Text bedeutet nichts weniger, als dass es dann nicht Deutschland war, welches die Ursache für den Zweiten Weltkrieg gesetzt hat, sondern Frankreich.

Alle hunderttausend heulenden Höllenhunde, die Geschichtsbücher müssen wohl umgeschrieben werden.

Okay, ihr denkt, dass ich übertreibe. Aber selbst, wenn ich diesen einen Satz gerade extrem auf die Goldwaage gelegt habe, so kann man ihn doch genauso auslegen. Und seht es mir nach: In einer deutschen Film-Produktion, die einen absoluten Schlüsselmoment der deutschen Geschichte beleuchtet, sollte so ein Satz nicht auslegbar sein; und zwar aus dem Grund, dass belegte geschichtliche Abläufe einfach keinen Auslegungsspielraum haben!

Vielleicht helfen uns ja die Worte des Militärhistorikers Prof. Sönke Neitzel bei einer weiteren Einordnung dieses Filmes: „Was in diesem Netflix-Film (Im Westen nichts Neues / ed.). an Geschichtswissen drinsteckt, können Sie auf maximal einer halben Seite aufschreiben!“ Außerdem sei er (der Film / ed.) „fehlerhaft, klischeebeladen und wenig authentisch“, sowie „weit entfernt von der historischen Realität des ersten Weltkrieges!“ (Auszug aus einem MDR-Interview im November 2022).

Bitte nicht falsch verstehen.

Es war ein Grund zur Freude, dass endlich mal wieder ein deutscher Film einen Oscar gewinnen konnte. In diesem Fall sogar vier Stück!

Aber irgendwie war es auch extrem schade, dass hierfür die Aussage eines alten und interessanten Filmstoffs unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit in einen Unterhaltungsfilm deformiert werden musste, weil man dachte, eine geschichtliche „Brücke“ zum nächsten großen Knall zu brauchen. Ob eine frühe Beteiligung eines Historikers an der Entwicklung der Drehbücher hier Wunder gewirkt hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, bleibt aber Spekulation.

Immerhin: Die 2022er Verfilmung von Im Westen nichts Neues hatte für deutsche Verhältnisse durchaus einen Kinolook, innerhalb des gewählten Rahmens glaubhaft agierende Darsteller und vereinzelt auch CGI-Effekte auf internationalem Niveau und gehörte somit durchaus ins Kino.

Das sollte uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Deutschland das Geld ganz woanders verdient wird.

Lustige Knochen gesucht.

Ende Episode IX

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