Jetzt tanzen alle Puppen – Macht auf der Bühne Licht – Macht Musik bis der Schuppen wackelt und zusammenbricht! – Was das mit uns zu tun hat? Jedenfalls mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Begleitet mich im mittlerweile elften Teil meiner Reihe um Televisionen und Kulturinformatik auf einer Reise zurück in die Zeit. Ihr meint, damals war alles besser? Nun, dann lasst Euch eines Besseren belehren.

Ein Essay von Manuel Hinrichs

Letzte Woche ging es um die Frage, ob wir vielleicht genau die Komödien haben, die wir verdienen? Was wäre aber, wenn wir genau die Komödien brauchen, die man uns vorsetzt? Beunruhigend, denn dann ist es nämlich nicht ganz auszuschließen, dass wir dazu verdammt sein könnten, in dieser Vorhölle des filmischen Mittelmaßes noch etwas länger zu verweilen. Um sich differenziert zwischen den zivilisatorischen Abraumhalden und den Blümchenwiesen zu orientieren, benötigt man aber noch ein wenig Kontext. Zartbesaitete oder weltfremde Seelen könnten zwar unangenehm berührt werden, aber geschichtlich belegte Wahrheiten sollten jedem zumutbar sein.

Seit es bewegte Bilder gab, dienten sie der Zerstreuung, der Unterhaltung, dem Ausflug in einen Glamour, zu dem der gemeine Bürger normalerweise keinen Zugang hatte. Für einen wie auch immer gearteten und ernst gemeinten Bildungsauftrag war es noch viel zu früh und so beackerten diese Projektionen die Blümchenwiese am Strand. Sie diente dem Zuschauer als Hilfsmittel, damit er den Sandhügel auch finden würde, in den er seinen Kopf stecken konnte. Würde er den Kopf aus dem Sand ziehen, würde er immer noch die Blümchenwiese sehen. Signalwirkung: Alles ist gut. An diesem Ort war jeder Anflug von Realität zu vermeiden. Leider blieb es nicht dabei.

Während des Dritten Reiches schlich sich übelste antisemitische Propaganda in Form von seichter Unterhaltungsware in die Hirne eines weitestgehend medial ungebildeten Volkes. Zu dieser Zeit entstanden dann Filme, die den Zuschauer auf das Endziel vorbereiten sollten. Vom antisemitischen Hitlerjunge Quex (1933), einem der erfolgreichsten Filme der Saison 1933/34, bis zu durchschnittlichen Lustspielen, die aber im Gewand eines echten Roadmovies durchaus funktionierten. Als Beispiel sei hier Der Blaufuchs (1938) genannt, gedreht mit Zarah Leander, Willy Birgel und Paul Hörbiger. Die Regie hatte der Ukrainer Victor Tourzhansky (sprich: Tourjansky), einer der verantwortlichen Film-Direktoren der UFA höchstselbst. Der Textdichter Bruno Balz schrieb der Leander das Lied Kann denn Liebe Sünde sein.

Für die Dreharbeiten wurde nicht gegeizt und so stellte Tourzhansky, ehemaliger Schüler des Vertreters des Naturalismus und Theaterreformers Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, sogarkurzerhand seinen eigenen, zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alten Mercedes-Benz 500K Roadster mit Fahrgestellnummer #105351 als Starcar zur Verfügung. Eine wirklich generöse Geste.

Für alle, die mit dieser Materie nicht vertraut sind: Wie über so viele andere deutsche Luxuswagen dieser Ära auch, existiert natürlich auch über diesen Wagen das Gerücht, dass er ursprünglich von Adolf Hitler in Auftrag gegeben wurde. In diesem Falle, um ihn der Lieblingsschauspielerin von Josef Goebbels zu schenken: Zarah Leander. Vielleicht war die schwedische Diva also tatsächlich die erste Besitzerin von #105351, bevor sie ihn schließlich an Victor Tourzhansky weitergab. Sein Name ist im Zusammenhang mit diesem Wagen immerhin verbrieft. Genauere Informationen enthält wahrscheinlich nur noch das Kommissionsbuch des Jahres 1934 im nichtöffentlichen Archiv der Daimler-Benz AG.

Was auch immer letztlich der Wahrheit entsprach: Das Budapester Kennzeichen „Bp 56.838“ kann aus dramaturgischen Gründen natürlich immer ein falsches Kennzeichen für den Film gewesen sein, unterstrich in jedem Falle aber auch die Selbstverständlichkeit und die Weltläufigkeit, mit der Deutsche sich zu diesem Zeitpunkt in Europa bewegten.

Nach dem Krieg von den Generälen der russischen Armee nach Riga verschleppt, befindet sich #105351, der einzige noch existente 500K Roadster mit dieser Karosserieform, inzwischen in den Händen seines elften Besitzers auf Hawaii, wo er heute den Status eines millionenteuren Kunstwerkes innehat. Dennoch konnte auch der Glamour-Faktor eines mit ca. RM 20.000, – teuersten Fahrzeuge seiner Ära nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Seele sich längst verfinstert hatte. Abhilfe schuf das Kino. Das war das ganz große Ding im Dritten Reich. Wurden im Jahr 1939 bereits 624 Millionen Besucher gezählt, gingen 1940 schon 834 Millionen Besucher ins Kino.

In diesem Zusammenhang geht mir einfach nicht aus dem Kopf, dass Veit Harlans antisemitischer Hetzfilm Jud Süß (1940) im Deutschen Reich bis 1943 über 20 Millionen Zuschauer hatte. Zum Vergleich: Der erfolgreichste Nachkriegsfilm in Deutschland war Titanic mit 18 Millionen Zuschauer. Und nach diesem Film wollten alle Zuschauer entweder Kate Winslet oder Leonardo DiCaprio sein. Was für geistige Auswirkungen hatte wohl also erst Jud Süß?

Jede Aktion zieht meist doch eine Reaktion nach sich. Am 27. Mai 1942, also mitten im Zivilisationsbruch, fand mit der Operation Anthropoid das letztlich erfolgreiche Attentat auf den Chef des Reichssicherheitshauptamtes und der Gestapo Reinhard Heydrich in Prag statt. Noch am selben Tag ergriff die Gestapo Rachemaßnahmen, namentlich die standrechtliche Erschießung von über 5.000 Menschen im Protektorat Böhmen und Mähren.

Am 9. Juni 1942 wurde Heydrich in Berlin begraben. Daraufhin gab Thomas Mann in der BBC ein Interview: „Er (Heydrich / ed.) bekam den natürlichsten Tod, den ein Bluthund wie er habe sterben können. Wohin dieser Mordknecht kam, floss das Blut in Strömen. Überall, auch in Deutschland, hieß er schlecht und recht: der Henker. Nun, er ist ermordet worden. Und wie nehmen die Nazis das auf? Sie fallen in Krämpfe. Sie stellen sich buchstäblich an, als sei die unfasslichste Missetat geschehen, als sei der Menschheit Höchstes angetastet und ein anderer Metzgermeister (Heinrich Himmler / ed.) sagt ihm am Grabe nach, er sei eine reine Seele und ein Mensch von hohem Humanitätsgefühl gewesen. Das alles ist verrückt!“.

Wirklich verrückt ist aber, dass am 12. Juni 1942, also zur selben Zeit, als die Sonderkommandos der Einsatzgruppen der Polizei und der Gestapo, zehntausende Menschen ermordend und brandschatzend durch die Ukraine, die Baltischen Staaten, den Balkan, Polen und Russland zogen, im lebenslustigen Berlin die UFAProduktion Die große Liebe (1942), ebenfalls mit Zarah Leander, ihren deutschen Kinostart hatte. Dieser Film wurde der kommerziell erfolgreichste Film im Dritten Reich. Sehr wahrscheinlich hatte ihr Lied Davon geht die Welt nicht unter einen erheblichen Anteil daran. Jahrelang hatte man gedacht, dass das Lied als Motivator für die eingekesselte Wehrmacht in Stalingrad diente. Der Todeskessel von Stalingrad entwickelte sich aber erst im Winter 1942/43. Wieder war es Bruno Balz, ein Freund Zarah Leanders, der das Lied geschrieben hatte. Balz war ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten. Als er 1941 wegen seiner Homosexualität denunziert wurde, kam er für drei Wochen in Gestapo-Haft, wo er dann das Lied schrieb. Das Lied wurde also nachträglich von interessierten Kreisen umdeklariert.

Das Kino erreichte dann auch im Jahr 1943 seinen absoluten Höhepunkt. In jenem Jahr, in welchem der Krieg mit der Einkesselung der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad nicht nur einen Stillstand, sondern auch noch eine elementare Wende erlebte, lösten in Deutschland insgesamt unglaubliche 1.116 Milliarden(!) Zuschauer eine Kinokarte. Auch deswegen denke ich, dass wir das glühende Schwert in der Wunde jetzt auch noch drehen sollten.

Am 5. Januar 1944, erschien in Hitlers Reichskanzlei eine bürokratische Auflistung des Vermögens, welches man jenen in den Konzentrationslagern ermordeten, jüdischen Menschen gestohlen hatte. Sie umfasste schockierende 73.852.080,74 Reichsmark in bar, 8.973.651,60 Reichsmark in Gold, 43.662.450, – Reichsmark in Schmuck und Juwelen und 46.000.000, – Reichsmark in Seide. Nicht eingeschlossen waren hier jene Wertsachen, welche durch die Lagerkommandanten und SS-Wachen gestohlen wurden. Zwei Wochen später, am 18. Januar 1944, starben in Leningrad nach 900 Tagen Belagerung durch die Wehrmacht rund eine Million Menschen durch Hunger.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Januar 1944 warfen 1077 britische Bomber 3715 Tonnen Bomben auf Berlin ab. Am selben Tag erschoss die Gestapo 180 jüdische Menschen im Warschauer Ghetto. So, wie auch in den folgenden Wochen und Monaten dort ungefähr alle zwei Tage bis zu 300 Menschen täglich ermordet wurden.

Doch das war nicht alles, was am 28. Januar 1944 geschah.

An diesem Tag hatte der UFA-Kinofilm Die Feuerzangenbowle (1944) mit Heinz Rühmann seine Deutschland-Premiere im bombardierten Berlin. Einige der jungen Schauspieler, die Pfeiffers Klassenkameraden gespielt hatten, erlebten die Premiere aber nicht mehr. Sie waren nach dem Dreh direkt an die Front geschickt worden und gefallen.

Von den circa 1.200 abendfüllenden Spielfilmen, die im Dritten Reich entstanden waren, verboten die Alliierten knapp 300. Der Film Die Feuerzangenbowle war nicht darunter, obwohl dieser recht deutlich die Idee verbreitete, Menschen in Rassen einzuteilen und somit geholfen hatte, die nationalsozialistische Rassenideologie im Bewusstsein der Deutschen zu normalisieren. Auf das, was unterschwellige Botschaften mit den Seelen von Menschen machen, gehen wir später noch ein.

In den Nachkriegsjahren stand es um die deutsche Seele aber nicht sehr viel anders. Erneut erwies sich die seichte Unterhaltung als perfektes Mittel der Wahl. Dieses Mal aber in aller Bescheidenheit, um all die Gräueltaten zu verdrängen, die man entweder erlebt, oder Anderen angetan hatte. „Seichte Plätscherei“ war also auch hier das Gebot der Stunde, denn kaum ein Mensch reflektierte in jenen Jahren seine Handlungen. Oder die Filme, die man in den frühen 1950er Jahren schaute.

Der Geschichtsprofessor Bill Niven mit Lehrstuhl an der Nottingham University merkte hierzu an:

Wenn man diese Filme in den 1950er- und 1960er-Jahren (wieder) anschauen kann und man sie vielleicht auch während der Nazi-Zeit angeschaut hat, dann wäre der folgende Gedanke ja nicht ganz abwegig: Im Dritten Reich war dann doch nicht alles so schlimm, oder? Dass die (die Filme / ed.) heute noch gezeigt werden, würde doch sogar beweisen, dass diese Filme in Ordnung waren. Ich frage mich, ob man auf diese Art und Weise nicht so langsam auch das Gefühl bekommen könnte, wenn alles nicht so schlimm war, dann muss ich meine eigene Rolle gar nicht so genau untersuchen, oder?“.

Der Film Die Feuerzangenbowle war also schon immer weitaus mehr als nur ein kultiger Silvesterspaß. Im Subtext transportiert er nach wie vor nationalsozialistisches Gedankengut im Mantel eines Unterhaltungsfilmes und verfestigt rassische Ideologien und Ressentiments. Bis heute.

Hierzu schrieb Andreas Beckmann vom Deutschlandfunk im Jahr 2018: „NS-Filme brachten (den Tätern und ihre Erben / ed.) noch jahrzehntelang Lizenzgebühren ein. Wie sehr sie Heldenbilder, Geschlechterstereotype und politische Einstellungen der Deutschen beeinflussten, ist aber noch weitgehend unerforscht!“.

Unerforscht. Das mag wohl so sein. Wie wir aber schon mal festgestellt hatten, lebt niemand in einem luftleeren, unbeeinflussten Raum. Es wird also eine Beeinflussung, welcher Art auch immer, stattgefunden haben. Mögen offizielle Stellen die Geschichte ihrer eigenen Behörden auch durchleuchtet haben, die Bürger legten in den Jahren nach dem Krieg bezüglich dessen nicht so viel Tatendrang an den Tag. Es ist also kaum verwunderlich, dass dieser Themenkomplex unerforscht ist. Ich persönlich finde ja eher interessant, warum bei all den Historikern und Geschichtsprofessoren offenbar noch niemand auf die Idee gekommen sein will, hierzu überhaupt irgendeine Forschungsarbeit zu betreiben. Wäre es nämlich so, dann wären meine Texte auf der Suche nach dem Kern auch nicht so lang.

Natürlich war die Gemengelage in der Nachkriegszeit extrem komplex aber in einer Zeit, in der es keine psychologischen Betreuungen für traumatisierte Ex-Soldaten oder Zivilisten gab, und von denen ein Großteil ausgerechnet auch noch überzeugte Mitglieder der NSDAP, mindestens also politisch von dieser Ideologie durchdrungen waren oder gleich Mitwisser und/ oder Täter, die da aus der Kriegsgefangenschaft zurück zu den kläglichen Überresten der eigenen Familien kamen, war eine Fortführung der „seichten Unterhaltung“ vielleicht der einzige Weg, um nicht wahnsinnig zu werden – man hatte wohl die Wahl: Entweder Selbstverleugnung oder einen Strick im Schuppen. Und da man ja schon im Krieg wie ein Feigling gehandelt hatte und Zivilisten sogar abknien ließ, bevor man sie erschoss, erschien der Strick für die meisten Täter wohl zu… hm… mutig.

Die Jahre ab 1949 waren also durchaus davon geprägt, dass die Deutschen die Aufgabe der Aufarbeitung in die neue, von den Alliierten verordnete Jurisprudenz legten… der einzelne Bürger hatte ja nur wenig Erfahrung mit Recht und Gerechtigkeit. Es wurde aber schnell deutlich, wie schlecht die neue deutsche Justiz im Angesicht des Jahrhundertverbrechens in Wirklichkeit präpariert war. Naja, … oder wie gut sie von „interessierten“ deutschen Kreisen dahingehend präpariert wurde. Je nach Perspektive.

Beim Sichten der Filmaufnahmen der Auschwitz-Prozesse (1963-1981) und der Majdanek-Prozesse (1976-1981) fallen dem versierten Beobachter dann auch immer wieder die unverhohlene Selbstgewissheit der Täter auf. Feixend und lachend bewegten sie sie durch den öffentlichen Raum auf dem Weg zum Gericht, ganz so, als ob sie wüssten, dass ihnen nichts Ernsthaftes blühen würde.

Aber ich will nicht vorgreifen.

Weil man direkt nach dem Krieg also schwer damit beschäftigt war, seinen neuen Platz zu „organisieren“, konnte auch schon mal übersehen werden, dass man durchaus auch in Wohnungen und / oder Häusern wohnte, die vor dem Krieg noch andere Besitzer oder Mieter hatten. Und natürlich hatte man diese Liegenschaften mit jenen Gegenständen eingerichtet, die gerade verfügbar waren. Mit Teppichen, Möbeln und sonstigem Hausrat; zusammengeklaubt aus den Schuttbergen des Horrors.

Fest steht immerhin, dass kein einziger Jude ermordet wurde, ohne vorher beraubt worden zu sein. Was mit den Devisen, dem Gold, Gemälden, Firmen und Geschäften der Ermordeten geschah, ist weitestgehend geklärt. Jedenfalls so ungefähr.

Mich interessiert aber schon ein wenig, wo neben dem offensichtlichen Raubgut, z.B. den Häusern, Grundstücken, Booten und Automobilen, die knapp 450.000 Betten, 900.000 Schränke, 1.800.000 Stühle, 7.000.000 Teller und Bekleidungsgegenstände, auch Kinderbekleidung, geblieben sind, die zwischen 1933 und 1945 auf den sogenannten „Juden-Auktionen“ für circa ein Fünftel ihres tatsächlichen Marktwertes, zunächst wegen Auswanderung, später wegen Verkleinerung versteigert wurden.

Wissenschaftliche Quellen deuten dann inzwischen auch an, dass das NS-Regime sich mit den Auktionen nicht nur die Reichskassen gefüllt, sondern schlicht die Loyalität der Bevölkerung durch die Partizipation am Raub des jüdischen Eigentums erkauft und sie so zu Mitwissern der Deportationen und des Völkermordes gemacht hatte.

Fotos dieser Auktionen zeigten jedenfalls eine gelöste Volksfeststimmung, man hatte viel Spaß. Schon damals waren die Deutschen nicht zu halten, wenn ein kleines Schnäppchen zu ergattern war. Offenbar können wir einfach nicht raus aus unserer Haut.

Dass man seinen eigenen geliebten Kindern aber die Hemden, Hosen und Mäntelchen ausgerechnet jener Kinder anzog, die mit Zügen zu ihrer Ermordung in die Konzentrationslager gefahren wurden, zeugte schon von einer außergewöhnlichen Gewissenskälte. Sehr wahrscheinlich dachte man sich einfach nichts dabei. Ganz so, als ob es einen entschuldigenden Effekt hätte, wenn man sich nichts dabei denken würde. Und bevor wir es wieder vergessen: Die Kinder, denen die Bekleidung der ermordeten Kinder angezogen wurden, gehörten zur Generation meiner Eltern, für die jüngeren Leserinnen und Leser war es wohl die Großelterngeneration.

Und nach dem Krieg? Man muss es einfach wiederholen: Die ehemaligen Täter, Mitwisser und Beteiligten saßen mit an den deutschen Küchentischen. Der Horror war ein Mitglied der eigenen Familie… es waren unsere Omas und Opas, Mütter und Väter, Schwestern und Brüder!

Im Angesicht des Küchentisches schloss sich der letzte verfügbare Raum, in dem man damals noch hätte reden können. Man machte also genau das, was man im Krieg auch schon gemacht hatte, wenn man die Familie nicht spalten wollte: Man schwieg! Vermutlich auch aus Scham, weil man Angst hatte, dass die ursprünglichen, meist jüdischen Besitzer wiederkommen und Ansprüche auf Wohnung und Inventar geltend machen könnten und man so als Profiteur des Holocaust bekannt werden würde. Auch damals hatte man schon eine irrationale Angst davor, was wohl die Nachbarn sagen würden, obwohl deren Westen mit hoher Wahrscheinlichkeit ja auch nicht so weiß geblieben wären. Also hoffte man, dass sie, die Juden, verschwunden bleiben mögen. Um diesem inneren Monster da noch standhalten zu können, war jede Ablenkung, sei sie noch so seicht oder banal, hoch willkommen.

Mit diesem Schweigen haben wir es seitdem zu tun und „wundern“ uns ein ums andere Mal darüber, woher wohl die faschistischen Tendenzen in der ach so bürgerlichen Mitte kommen und warum das politisch verordnete „Nie wieder“ bei bis zu 30% der Gesellschaft nicht ankommt.

Familien boten hier keinen allgemeinen Rückzugsraum, sondern waren hauptsächlich ein „safe space“ der Täter. Die daraus resultierende Sprachlosigkeit ist bis heute ein elementarer Teil des Monsters unter unserem Bett.

Und noch einmal: Es hat Ursachen, warum das Gros der Bevölkerung nach einem harten Arbeitstag auch heute noch keine anspruchsvolle Freizeitbeschäftigung in Betracht zieht oder gar philosophischen Gedanken nachhängt. Man könnte ja auf etwas Ungeheuerliches stoßen.

Nach dem Abgrund befand sich Progressivität oder Glamour jedenfalls nicht mehr auf der Liste jener Dinge, die man schmerzlich vermissen würde. Die Deutschen brauchten etwas Bodenständiges. Die urdeutsche Lust am Abwärtsvergleich, am Mobben, an Neid und Mißgunst, wurde vorübergehend ad acta gelegt und von einer neuen Sehnsucht abgelöst.

Nun rief die Natur… und wir riefen zurück. Zunächst in Form von trojanischen Pferden, wie zum Beispiel dem von der SED zu eigenen propagandistischen Zwecken umgedeuteten ehemaligen nationalsozialistischen Propaganda-Film Der Berg ruft (1938) von Luis Trenker oder auch dem Verwechslungs-Lustspiel Drei tolle Tage (1936) von Hans Deppe. Später übernahm diese Aufgabe dann Nachkriegs-Heimatfilme wie Grün ist die Heide (D 1951), ebenfalls von Hans Deppe, oder Der Förster vom Silberwald (A 1954) von Regisseur Alfons Stummer. Durch sie bekam man für das Wegschieben der grausigen Realitäten zuverlässig helfende Werkzeuge an die Hand. Wenngleich das Bergpanorama-Setting auch immer an das Areal, um Hitlers Berghof oberhalb von Berchtesgaden zu erinnern drohte.

Und die in Schleswig-Holstein gedrehte Immenhof-Trilogie Die Mädels vom Immenhof (1955 / Regie: Wolfgang Schleif), Hochzeit auf dem Immenhof (1956 / Regie: Volker von Collande) und Ferien auf dem Immenhof (1957 / Regie: Hermann Leitner), führte sogar dazu, dass wir irgendwann wirklich glaubten, dass das Leben ein Ponyhof ist.

Der Film Ferien vom Ich (1952), nochmals von Hans Deppe, trieb das deutsche Gegenwarts-Leitmotiv dann schon im Titel auf die Spitze. Ferien vom Ich! Da kannte einer sein Publikum aber ganz genau.

Sicherlich kamen alle diese Filme zu keinem Zeitpunkt an die besten Werke des italienischen Neorealismus heran, z.B. an Vittorio de Sicas Meisterwerk Fahrraddiebe (1948) oder auch Roberto Rossellinis meisterhaften Dramen Rom, offene Stadt (1945), Deutschland im Jahre Null (1948) und Stromboli (1949). Von Letzterem heißt es sogar, dass Ingrid Bergman wahrscheinlich niemals besser war, wie in diesem Film. Während der Dreharbeiten wurden sie und Rossellini ein Paar und man kann durchaus sagen, dass er begann, sie mit Ferraris zu überschütten, die sie niemals fuhr, weil sie ihr Angst machten. Also fuhr er die Ferraris mit der Bergman auf dem Beifahrersitz zu den Theatern, den Restaurants und den Bistros.

Wobei: Wer sich jemals in einem italienischen Örtchen am Straßenrand neben einem rollenden oder auch nur warmlaufenden Ferrari 375MM in dem Versuch aufgehalten hat, dieses Mal keinen Hörsturz zu bekommen, wüsste, dass sie ganz sicher nicht vor das Restaurant gefahren sein konnten, sondern eher mit aller Gewalt vor das Restaurant brüllten. Es war kein Posen! Es war ein Auftritt! Es war schlicht der Beginn des Jet-Set.

Frederico Fellinis Film La Dolce Vita (1960) war da eigentlich nur noch Formsache… der Film zum Lebensgefühl im Nachkriegs-Italien. Bei solchermaßen vorgelebten Verlockungen kann man sich ungefähr vorstellen, dass sich auch in Deutschland das Interesse an authentischem Kriegsverarbeitungskino in Grenzen hielt. Also, für den Fall, dass seitens der damaligen deutschen Bevölkerung ein aufrichtiges Interesse an einer Aufarbeitung überhaupt jemals vorhanden gewesen sein sollte. Aber natürlich gab es vereinzelt auch ernsthafte Ansätze, um das Erlebte zu reflektieren.

Helmut Käutners Film In jenen Tagen (1947) war ein wirklich gutes deutsches Nachkriegsportrait, welches in seiner Fragestellung durchaus als Blaupause für Steven Spielbergs Film Warhorse-Gefährten (2011) herangezogen worden sein könnte. Und Des Teufels General (1955 / nach Carl Zuckmayer) beleuchtete u.a. die Zweifel eines Wehrmachtsgenerals, der sich zwischen der Befehlskette und seinen antifaschistischen Idealen entscheiden musste.

Wolfgang Staudte befasste sich mit seinen herausragenden Werken Die Mörder sind unter uns (1946) mit Hildegard Knef und natürlich Rosen für den Staatsanwalt (1959) mit Walter Giller, Ingrid van Bergen und Martin Held nicht nur mit den Folgen der faschistischen Ideologie auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft, sondern mit Der Untertan (1951 / nach Heinrich Mann) auch mit einem der widerwärtigsten unter den typisch deutschen Charakterzügen: Nach oben buckeln, nach unten treten!

Tatsächlich hatten beide, Helmut Käutner und Wolfgang Staudte, gegen den übermächtigen Zeitgeist ihrer Ära zu kämpfen, der da lautete: „Nach vorne schauen und nicht mehr umdrehen!“ Beide deutsche Gesellschaften, Ost und West, benutzten hierfür unterschiedliche Lügen Konstrukte, ihren jeweiligen Ideologien entsprechend, und verpassten einmal mehr die dringend notwendige Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.

Es war sogar irgendwie zu verstehen: Ob man nun im Sozialismus lebte oder im Kapitalismus, dann stand der Glamour eines Jet-Set sowieso nicht breitenwirksam zur Debatte. Er war in jedem Fall unerreichbar. Im Osten sorgte der Staat durch Kollektive für einen gewissen Wohlstand und im Westen bedeutete es, dass der Einzelne das deutsche Wirtschaftswunder nicht verpassen durfte.

Im Westsektor hieß das, dass man extrem schnell sein musste, denn das Motto schien zu lauten: „Greif zu, sonst nimmt es jemand anderes“ oder gemäßigter: „Aufgestanden, Platz vergangen!

Austauschbare Komödien mit Theo Lingen oder Heinz Erhardt holten die Deutschen schließlich aus ihrer selbstverschuldeten Agonie und gaben ihnen ein überschaubares, weil moralinsaures, Humor-Korsett. Man erfand sich vollkommen neu.

An dieser Stelle kann man schon etwas feststellen:

Ohne die Vorfahren in Schutz nehmen zu wollen oder ihre Taten gar zu relativieren, sind wir sehr wahrscheinlich Nachkommen einer Gesellschaft, die zu großen Teilen unter einer nicht diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung litt, diese aber unter hohem psychischem Einsatz unterdrücken musste.

Wenn das nichts mit dem Bewusstsein einer Gesellschaft und ihrer Nachkommen bis heute macht, was denn dann?

Es ist also kompliziert… und wirklich extrem komplex. Wie komplex, zeigt ein ganz spezieller Schlüsselsatz in Adolf Hitlers Reichenberger Rede von 1938. In ihr führte er aus, wie er die deutschen Kinder(!) zu „brechen“ gedenkt.

So widerwärtig ich diesen Abschnitt auch persönlich finde, auf jeden Fall ist er ein Puzzlestück und somit ein wichtiger Teil des deutschen Psychogramms. Schauen wir einfach mal.

Unsere Kinder müssen – Zitat: „…in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassen- und Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter… und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!

Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben“ ???

Es mag gewagt klingen, aber ich denke, dass die Wellen dieses Halbsatzes wahrscheinlich immer noch an den Ufern unserer Gegenwart brechen.

Es ist jedenfalls nicht ganz unwahrscheinlich. Denn gemessen daran, was und wieviel die breite Masse als Unterhaltung oder Zerstreuung benötigt, oder wie viel Zuspruch rechtsnationales Gedankengut schon wieder (oder immer noch?) erzielt, kann man durchaus Rückschlüsse auf die Verfasstheit unserer Gesellschaft ziehen… und auf den Grad der Verdrängung.

Denn sie sind ja nach wie vor da: Der Neid, die Missgunst, die Schadenfreude, der Voyeurismus und natürlich auch der Abwärtsvergleich… also all das, was ja ohnehin all die Jahre unter der Oberfläche an charakterlichen Schwächen gärte.

Folgerichtig etablierten sich auch TV-Formate, die das Potential hatten, die deutsche Lust am Denunziantentum zu fördern. Mit der schon im letzten Teil erwähnten „KultsendungAktenzeichen XY ungelöst von Eduard Zimmermann legten immerhin schon mal wieder konservative Kräfte fest, was „normal“ ist, und was nicht.

Zeitsprung. Nachdem in den 1990er Jahren eine neoliberale Schmähsprache gegenüber ökonomisch Benachteiligten standardmäßig zum „guten Ton“ gehörte, zeigen inzwischen nicht nur (private) Spaltpilze wie RTL II längst schon wieder mit dem Finger auf die ökonomischen und sozialen Schwächen Einzelner, führen sie vor, stellen sie bloß und nutzen ihre (meist finanziellen) Notlagen aus um daraus Unterhaltungsformate wie Hartz und Herzlich, Hartz Rot Gold oder Armes Deutschland – Stempeln oder Abrackern? unter dem Deckmantel einer informativen Berichterstattung zu gestalten. Nein, auch Politiker der sogenannten bürgerlichen Mitte und Arbeitgebervertreter fangen inzwischen schon wieder massiv damit an, menschenverachtend gegen die unteren Einkommensschichten zu hetzen, das Soziale gegen die Interessen der Wirtschaft auszuspielen. Aber zurück zum Sinn dieser medialen Schmäh-Formate.

Denn der Sinn erschließt sich mir nicht so ganz. Lösen diese Formate bei uns Hilfsbereitschaft aus? Oder gar Empathie? Nein. Nach wie vor fühlen wir uns besser, wenn es anderen schlecht geht. Alles andere wäre ja auch eine viel zu intellektuelle Leistung für den durchschnittlich stumpfen Zuschauer solcher Sendungen.

Um von diesem Defizit abzulenken, beherrscht der Zuschauer aber einen Kunstgriff. Hierfür braucht er nur auszuführen, dass er es entweder nur aus „Spaß“ schaut oder die vorgeführten Protagonisten ja jederzeit die Wahl hätten, abzubrechen oder sogar hätten wissen müssen, worauf sie sich einlassen würden. Tenor: „Die sind ja selber schuld!

Es stellt sich hier also durchaus die Frage, woher der vermutlich nicht gerade mit Geld gepamperte Protagonist einer solchen Sendung eigentlich wissen sollte, worauf man sich einlässt, wenn einer der Vertragspartner nicht nur dafür sorgen kann, dass etwas im Kühlschrank ist, sondern auch noch die Macht hat, während des „Spieles“ die Spielregeln zu ändern? Eine drohende Existenznot wäre da schon mal eine echte Hürde, um den Dreh einfach so abzubrechen. Von der ebenfalls drohenden Konventionalstrafe bei Nichterfüllung des Vertrages mal ganz abgesehen.

Aber auch psychologisch wäre ein vorzeitiger Abbruch der Dreharbeiten ein gewagter Gedanke.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Protagonist in diesem Format wahrscheinlich zum allerersten Mal von seiner Außenwelt wahrgenommen wird. Sichtbarkeit ist nicht unwichtig für jemanden, der ja sonst nicht gerade auf Augenhöhe wahrgenommen wird, weil er kein nützliches Mitglied der Gesellschaft ist. Da haben wir es: Eine weitere Hürde.

Man hätte es ahnen können: Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist weiterhin eine Gerade. Also ist er natürlich selbst schuld! In Einzelfällen mag das zutreffen. Aber in Wirklichkeit ist es nur eine dreiste Schuldumkehr, um uns selbst von der Verantwortung als Voyeur dieser Formate freizusprechen.

Allerdings hat auch der Gedanke, dass der Protagonist ja jederzeit abbrechen könnte, einen weiteren gigantisch großen Schönheitsfehler.

Um aus so einem Sender-Vertrag rauszukommen, müsste der Protagonist eines solchen Formates nämlich mit allen Wassern gewaschen sein. Ein Umstand der, wenn er es denn wäre, ihn sicherlich in die Situation versetzen würde, etwas an seiner grundsätzlich prekären Situation zu ändern – meint:

Wenn er wirklich ein mit allen Wassern gewaschener smarter Typ wäre, bräuchte er kein Kamerateam im Wohnzimmer.

Was ich sagen will:

Einem als „Sozialschmarotzer aus einem sozialen Brennpunkt“ diffamierten Menschen dürfte es um einiges schwerer fallen „Stopp“ zu rufen als einem gutsituierten Mitglied der bürgerlichen Mitte.

Ersteres suggeriert sprachlich ein schweres Defizit, zweiteres ein wohliges Gefühl der Gemütlichkeit. Da denkt man quasi den Jaguar vor der Altbauvilla am Stadtpark mit. Sollte unser vorgeführter Protagonist es wider Erwarten aber wirklich geschafft haben abzubrechen, müsste er nur noch einen richtig guten Anwalt für Medien-Vertragsrecht finden.

Obwohl – ich bin mir nicht ganz sicher, ob ein Härtefall-Bezugsschein vom Amtsgericht auch die Konsultation eines Medien-Anwalts der Topkategorie abdecken würde. Und es bräuchte da wirklich schon einen Top-Anwalt, besser zwei, wenn man in einem feindlichen Akt gegen einen globalen Medienkonzern vorzugehen gedenkt.

Aber, wenn man diese Formate aus „Spaß“ schaut, dann würde mich schon mal interessieren, woraus dieser „Spaß“ denn eigentlich genau besteht? Wes Geistes Kind muss man sein, um „Spaß“ daran zu haben, wenn jemand im Keller des Wohlstandes liegt?

Vielleicht „Spaß“ daran, mitten im (medialen) Lynchmob zu stehen und dem Protagonisten – nein: dem Delinquenten – lachend dabei zuzuschauen, wie er am Baum hängend versucht, den wackelnden Stuhl ruhig zu halten und unter den gegebenen Umständen eines von den Privatsendern vorgegebenen Skriptes, so etwas wie Haltung oder Würde zu bewahren? Und wenn alles „gut“ läuft, also im Sinne des Privatsenders, dann gibt es noch ein richtig schönes Gimmick für die Zuschauer!

Exakt: Der mediale Lynchmob wird sich anschließend entweder über die „soziale Hängematte“ oder deren zur Verfügung stehende freie Zeit empören, über die ganzen Bierdosen auf den Tischen oder den unanständig großen Flachbildfernseher an der Wand… und überhaupt: Ist das etwa eine PS5 neben dem Tisch? Das zahlt „Denen“ alles der Steuerzahler! Also „Wir“ ! Und da ist es dann schon wieder… unser Lieblingsspiel „Segregation“ : „Wir“ und „Die

Dabei ist es dem typischen Deutschen egal, ob er sich über eine Playstation in einem armen Haushalt erbost oder über das iPhone in der Hand eines Menschen mit Migrationsvordergrund.

Die Ursache ist immer dieselbe: Neid und Missgunst! Warum haben „Die“ sowas und „Ich“ nicht?

Die Mechanismen, die man als Angehöriger der SS-Wachmannschaften in Auschwitz auf der Rampe brauchte, sind wohl immer noch da.

Die unbequeme Wahrheit ist, dass wir es wohl immer noch brauchen, uns über Randgruppen zu stellen und auf sie herabzuschauen, uns über sie lustig zu machen, sie zu diskreditieren, zu diffamieren und abzuwerten. Das sieht nicht nach einer charakterlichen Veränderung im Vergleich zur Vorkriegszeit aus. Da die deutsche Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten nahezu unbehelligt geblieben war, war eine charakterliche Veränderung auch nicht notwendig, so scheint es.

Ist es möglich, dass wir wirklich keinen Deut näher am aufrechten Gang sind als noch vor achtzig Jahren?

Leuchtet das deutsche Bedürfnis nach Stumpfsinn also fast schon wieder ein? Oder überschätzen wir nur den Effekt von Bildung?

Ich weiß es doch auch nicht.

Selbst im Angesicht der Geschichte – oder besser: meinem individuellen Blick auf die geschichtlichen Vorgänge – weiß ich nur, dass TV-Serien wie Der Tatortreiniger (2011-2018) oder Warten auf’n Bus (seit 2020) ja auch deshalb so gut waren, weil sie eben nicht strunzenblöd durch die Tür kamen sondern einen unaufdringlichen und gut beobachteten Humor hatten… nicht zuletzt aber auch ein Herz für die leisen, sonst unsichtbaren Mitglieder unserer Gesellschaft, sowie einen scharfen Blick für die absurden Situationen des Alltags.

Wenn ich nur dahinterkommen würde, warum Qualität bei der Mehrheit der unterhaltungswilligen deutschen Gesellschaft nicht zu verfangen scheint. Sind die Erfolge der Vergangenheit in Form der heimeligen Unterhaltungs-Schrankwand in Eiche Rustikal immer noch so verlockend, zu lukrativ, als dass ein ernsthaftes Interesse an einer Weiterentwicklung deutscher Unterhaltungsstoffe bestehen würde? Was mag wohl der Grund sein?

Eiche Rustikal… da fällt mir doch glatt ein Song von Udo Lindenberg ein.

In seinem Song Grande Finale gibt es die Textzeile: „Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt!“ – Moment, liest sich das eigentlich nur für mich wie eine Mischung aus „Tanz auf dem Vulkan“ und dem „Kopf im Sand“ ?

Das war im Jahre 1981, ich war 13 Jahre alt und hielt das da noch für einen Witz.

Fuck… ich hatte ja keine Ahnung.

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