In den 1970er/1980er Jahren war der Weg zur Poststelle ein amtlicher Vorgang. Dass Twix selbstverständlich Raider hieß, ist common sense. Paprikachips von Trüller (die mit dem frühen rot/grün gestreiften Tütendesign) kosteten 0,79 Pfennig und eine Dose Royal Crown Cola gab es für 0,39 Pfennig. War der Planet deshalb ein friedfertiger Hort der Glückseligkeit? War früher wirklich mehr Lametta? Nein, natürlich nicht! Geiz war nicht geil, sondern wurde mit dem Tod bestraft. Meistens mit dem Tod der eigenen Kinder. Dreipunktgurte auf der Rücksitzbank von Neuwagen kosteten nämlich DM 1.000, – extra. Auch deswegen wird es mal Zeit, das Schweigen der Lämmer zu brechen!

Ein Essay von Manuel Hinrichs

Heinz Schenks perfektes Wochenend-Sedativum Zum Blauen Bock entließ den zivilisations- und fortschrittsgeplagten deutschen Bürger dreißig Jahre lang (1957-1987) mit Äppelwoi im Bembel auf „Eins“ und „Drei“ klatschend ins Samstagnachmittags-Delirium, während das modernste Sendekonzept jener Jahre die Sendung Wetten dass…? (1981-1987) darstellte. Dennoch moderierte Frank Elstner seine Schöpfung unverdrossen mit der Seriosität eines Bankfilialleiters eines 15.000 Einwohner Örtchens.

Ab 1987 übernahm der Berufsjugendliche Thomas Gottschalk die Sendung und transformierte das keusche Sit-In in ein routiniertes Sofagetatsche (1987-1992/1994-2011), welches mit anzüglichen Altherrenwitzen, frechen Schenkelklopfern bei der Sitznachbarin und Zwangsschmatzern für die belästigten weiblichen Gäste zu begeistern wusste.

Das war einfach der Zeitgeist“, könnte man entschuldigend anführen. Könnte man, wenn dieser Zeitgeist nicht auch damals schon inakzeptabel gewesen wäre. Und um ihn wieder in die Flasche zu bekommen, war es leider schon zu spät. Schon drei Jahre vorher, am 1. Januar 1984, war nämlich das werbefinanzierte Privatfernsehen mit SAT1, auf Sendung gegangen, einen Tag später gefolgt von RTL plus. Zwar gab es nun mehr Vielfalt, aber fand diese meist doch unterhalb der Gürtellinien statt.

Das Programm bestand aus zugekauften US-Serien, eigenproduzierten Unterhaltungsformaten mit einer sehr deutschen Humorausprägung, sowie Nachrichtensendungen mit Werbeeinblendungen im Stil verfilmter BILD-Zeitungen mit Playboy Touch. Der Adressat dieser Programme wurde lokalisiert und so entstand die vollkommen aus den Fingern gesogene „werberelevante Zielgruppe zwischen 14 und 49“.

Irgendwann scheute man sich auch nicht mehr, auch die fragwürdigsten Sendeformate bei den italienischen Sendern eines Silvio Berlusconi oder Programme des niederländischen Produzenten John de Mol einzukaufen. Die Grenzen des guten Geschmacks hatten ganz schnell die Viskosität eines zwei Stunden durchgekauten Hubba Bubba-Kaugummis. Meistens ging es hier aber um die, nach dem Zynismus und dem Sarkasmus, drittniedrigste Form des Humors: Die Schadenfreude! Generationen von Flachwitzerzählern machten hier ihre ersten Gehversuche.

Um den Anschluss in Form von wichtigen Marktanteilen bei den Jüngeren nicht zu verlieren, musste auch das Niveau der Öffentlich-Rechtlichen merkbar absinken, mit allen bekannten Nebeneffekten. Der neue Kern des Unterhaltungsfernsehens war im Grunde der alte Kern: Immer schön auf die intellektuelle Zwölf! Und zwar so lange, bis jemand lacht.

Witzischkeit kannte keine Grenzen. Und auch kein Pardon!

In ungefähr dieselbe Zeit fiel unser erster großer Befreiungsschlag. Heute ist es ja kaum noch vorstellbar, dass es erst Vicco von Bülow aka Loriot gelungen war, dass wir endlich über uns selbst lachen konnten… generationsübergreifend! Und das bis heute!

Einer seiner fiktionalen Charaktere erinnerte uns daran, dass es immer noch Mitmenschen gab, die erst beim Viervierteltakt eines Marsches aus dem Sofa springen. Machen wir uns mal nichts vor: Wenn die Marschmusik unkontrolliert aus Opa Hoppenstedt herausbrach, dann lachten wir auch über unsere Vergangenheit, über unser Gestern.

Obwohl der Blaue Bock nun auch schon 40/50 Jahre zurückliegt, wird in Deutschland aber weiterhin auf „Eins“ und „Drei“ geklatscht. Bis heute scheinen uns die Zwischentöne einfach nicht zu liegen. Warum finden wir scheinbar erst bei einem Marsch einen gemeinsamen Takt? Und war nicht sogar Smoke on the Water von Deep Purple ein Marsch?

Schon klar. Natürlich war es gewollt, dass wir nur nach vorne schauen und uns nicht mehr umdrehen, und als folgsamer Deutscher hörte man natürlich auf die Autoritäten aber… herrjeh… das hieße doch nicht, dass man sich nicht auch weiterentwickeln hätte können.

Heinos Gassenhauer Blau blüht der Enzian und später Helene Fischers Atemlos (durch die Nacht), sowie ein Teil der Songs aus dem Repertoire von Rammstein machten aus unserer offen zur Schau getragenen Leidenschaft für Marschmusik ein Geschäftsmodell und konservierten unsere Affinität.

In diesem Urschleim der verordneten Gemütlichkeit wuchsen auch fragwürdige Alleinunterhalter und schmierige Selbstdarsteller wie Andreas Gabalier und Michael Wendler zu wahrhaftigen Mannsbildern heran, bei denen die deutsche Volksseele sich gleich wieder zu Hause fühlen konnte. Wie früher, als wir noch andere Länder bereisten, die uns gar nicht eingeladen hatten.

Hölderlin, Schiller, Goethe… entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass jeder von uns das Wissen der Welt in der Tasche trägt und es offenbar keine Bedeutung hat? Stumpfsinn ist immer etwas verlockender.

Ich bin weder ein Psychologe noch ein Historiker noch hochgebildet, aber in meiner derzeitigen Rolle als deutscher Klugscheißer nehme ich an, dass Deutschland nach zwei verlorenen Kriegen eine Kränkung erfuhr, von der das Land und seine Bürger sich bis heute noch nicht wieder erholt haben. Ja, große Teile dieses Landes lagen in Schutt und Asche, aber diese True-Crime Bühne entpuppte sich als perfektes Terrain für ein soziologisches Experiment, an welchem wir bis heute teilnehmen.

Nach dem ersten Schock über das, was man selbst getan hatte, oder wozu diejenigen, die man ja nach wie vor liebte, fähig waren, und ja, auch nach einem ausgiebigen Bad im Selbstmitleid, bekam des westliche Deutschland von den amerikanischen, englischen und französischen Alliierten eine demokratische und marktwirtschaftliche Gesellschaftsordnung übergestülpt, auch als Bollwerk gegen jegliche Form eines neuerlichen Faschismus, aber auch gegen den Kommunismus. Aus dieser sozialen Marktwirtschaft entstand Anfang der 1990er Jahre schließlich ein neoliberaler Raubtier-Kapitalismus. Die Direktive war (und ist!) Wachstum, Wachstum über Alles!

Das östliche Deutschland musste zunächst vor Josef Stalins, dann vor Nikita Chruschtschows Gnaden einen etwas anderen Weg gehen und bekam die Verheißung des Sozialismus kommunistischer Ausprägung verordnet, eine Gesellschaftsordnung, welche alsbald in einer weiteren Diktatur aufging. Man ging also unterschiedliche Wege, bevor 1961 das passierte, was immer passiert, wenn Mütterchen Russland Angst bekommt: Es verbreitet Angst! Also wurden Zäune und Mauern gebaut, welche ihren ganz eigenen Teil dazu beitrugen, die Bevölkerungen beider deutschen Staaten weiterhin voneinander zu entfremden.

Die These ist: Da die deutsche Bevölkerung sich 1945 ihre Freiheit nicht selbst erkämpft hatte, ist es sehr wahrscheinlich, dass die erlernten nationalsozialistischen Stereotype und das im Kern rassistische Menschenbild quasi subkutan als Phantomschmerz in den Gesellschaften beider deutscher Staaten verblieben und dann etwas gedimmt an die nachkommenden Generationen weitervererbt wurden. Als Beleg dient mir hier die Tatsache, dass bekanntlich niemand als Menschenfeind und/oder Rassist geboren wird, trotzdem aber auch im Jahr 2023 immer noch jeder vierte Deutsche ein antisemitisches Weltbild hat.

Es liegt also auf der Hand, dass sich wahrscheinlich nicht nur die auf den Juden-Auktionen ersteigerten Gegenstände in den späteren Erbmassen befanden, sondern auch bestimmte Softskills. Vielleicht die eine oder andere Spielart von Gewissenskälte hier, einen Mangel an Empathie dort, und natürlich die unsympathische Fähigkeit, ein menschliches Schicksal in einen bürokratischen Verwaltungsvorgang zu verwandeln und damit unbehelligt durchzukommen.

Außerdem lieben wir es nach wie vor, Menschen ein- und auszusortieren und in Schubladen zu stecken. Es gab nicht einmal dann einen breiten gesellschaftlichen Aufschrei, als in den 1990er Jahren sogenannte „wertvolle“ Mitglieder der Gesellschaft, ärmere Menschen als „Totes Humankapital“ bezeichneten, obwohl es letztlich dieselbe diffamierende Herrschaftssprache war, wie auf der Rampe in Auschwitz.

Um diesen kalten Kaffee auch nur ansatzweise trinkbar zu machen, stellen wir ihn seit Jahren auf den Ofen der Verdrängung – und hierfür mussten wir uns zunächst auf eine neue Herkunftserzählung einigen: Die Chimäre der Stunde Null.

Leider hatte es denselben Effekt, als wenn uns bei einer ultralangen Mathematikaufgabe bereits am Anfang ein Rechenfehler unterlaufen wäre. Selbst wenn danach jeder einzelne Rechenvorgang korrekt wäre, würde das Ergebnis dennoch immer falsch sein, weil diesem Ergebnis schlicht eine falsche Annahme zugrunde liegt.

Wer jetzt immer noch denkt, dass das Probleme der Vergangenheit sind und heutige Generationen nichts mit den Geschehnissen vor 80 Jahren zu tun haben ignoriert, dass der immer wieder aufgewärmte Kaffee immer wieder auszukühlen droht und sich als das entblößt, was er wirklich ist: Eine durch und durch ungenießbare braune Plörre, die schon wieder Morgenluft wittert, auf eine Chance wartet.

Vielleicht irre ich mich ja, ausschließen kann ich es nicht, aber im Umgang mit rechtem Terror gibt es immer mal wieder Stilblüten, bei denen man sich fragt, ob die verantwortlichen Behörden den Subtext, die mangelnde Sensibilität ihrer Kommunikation, soweit überhaupt vorhanden, wirklich nicht bemerken. Inzwischen gibt es dahingehend ja wirklich genügend Einzelfälle.

Zum Beispiel, dass die Opfer des NSU (2000-2007) medial gleich mal erneut „geopfert“ wurden, indem man ihnen unterstellte, sie seien das Ziel von Racheaktionen aus der Organisierten (Clan-) Kriminalität geworden. Wohl mangels besserer Ideen legten die Ermittlungsbehörden den Fokus schon wieder auf die Herkunft der Opfer. Warum? Nun, wer könnte sonst ein Interesse daran haben, Menschen mit Migrations-Optik anzugreifen, wenn nicht Menschen aus demselben Kulturkreis?

Also zeigte man der Welt die präferierte Ermittlungsrichtung, indem man schon mal eine „Sonderkommission Bosporus“ einrichtete. Das nennt man dann wohl Ermittlerethos.

Und es passierte das, was immer passiert, wenn jemand die Richtung vorgibt: Als Gipfel der Menschenverachtung diffamierte eine bayrische Zeitung die Taten dann als Döner-Morde. Bei dieser Redaktionssitzung der sogenannten bürgerlichen Mitte wäre ich wirklich gerne dabei gewesen.

Aber auch, als 2016 in München ein Deutscher mit iranischer Abstammung neun Menschen aus rassistischen Motiven erschoss, sprachen verantwortliche Politiker und große mediale Resonanzkammern von einem Amoklauf. Ermittlungen brauchen Zeit, schon klar. Allerdings gelten Amokläufe als unpolitische Tat. Und die befinden sich in einem ganz anderen Tatspektrum als rassistisch motivierte Terroranschläge! Es dauerte drei Jahre, bis die offiziellen Stellen ihre Erkenntnisse der Realität angepasst hatten.

Es steht also die Frage steht im Raum, warum bei einem Opfer mit nicht typisch deutsch klingendem Namen, nicht grundsätzlich auch mal in Richtung eines Hassverbrechens ermittelt wird. Werden Polizeianwärterinnen und -anwärter hinsichtlich der Herkunft ihrer Behörde genügend sensibilisiert? Sollte die Auseinandersetzung mit eigenen Defiziten nicht zu den Stärken einer Behörde gehören? Nicht in Deutschland.

Wie war noch gleich ein Ausruf der Rechtsradikalen? Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen? Dann packt mal, ihr Verfassungsfeinde.

In diesem Zusammenhang sollten sich auch mal die anständigen Beamten des 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main fragen, warum niemanden der Dreck interessiert hat. Ein wichtiger Hinweis: Nestbeschmutzer sind diejenigen, die den Dreck ins Nest getragen haben, und nicht diejenigen, die den Dreck wieder entfernen wollen.

Es scheint offenkundig zu sein: Reflektion und Kommunikation scheinen nicht zu unseren Stärken zu gehören und in der Fläche fehlt uns wohl immer noch die Fähigkeit zur Empathie. Und sehr wahrscheinlich auch zur Antizipation. Nichts darf unsere über Jahrzehnte mühsam gereinigte weiße Weste beschmutzen. Also stellen wir uns einmal mehr nicht dem Monster unter unserem Bett.

Wie gesagt, ich denke nur laut. Nichts muss stimmen, alles wäre möglich. Es ist aber das nächste Puzzlestück für etwas, was wir unseren Wertekomplex nennen.

Ich sage das nicht zum ersten Mal, aber könnte hier am Ende gar die Fähigkeit, uns selbst möglichst glaubwürdig zu belügen, der einzige Wert sein, den wir beizutragen haben?

Ich bin absolut kein Freund von Ideologien, ob sie nun von Linkem Gesindel, Rechtem Abschaum, Mittigem Pöbel oder sonstigen verorteten Müllhalden der deutschen Geschichte kommen, weil sie sich immer entweder im Besitz der absoluten Wahrheit oder auf einer Mission wähnen. Trotzdem bin ich höchstselbst auch in permanenter Gefahr, der Schwafelei anheim zu fallen (da, schon wieder!). Anhand der benutzten Rhetorik-Werkzeuge dieser Gruppierungen erkennt man aber, dass auch Teile der Gesellschaft, der Politik und der Medien, immer noch nicht in der zivilisatorischen Gegenwart angekommen sind.

Ein sperriges und unbequemes Thema, ich weiß. Aber anders kommen wir hier einfach nicht weiter.

Es ist wie eine dieser Matrjoschka-Puppen: Jede weitere führt nur zu immer neuen Fragen.

So schließt die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte leider auch den Umgang mit dem „N“-Wort ein. Auch durch die Verwendung in diversen Filmen, ist es offenbar einfach nicht aus unserem Sprachgebrauch zu löschen.

Es kann also auch schon mal vorkommen, dass es aus Gedankenlosigkeit, zur Unterhaltung, oder als Provokation benutzt wird, ohne dass der Urheber ein „aktiver“ Rassist ist.

Das ist umso trauriger, wenn man weiß, dass das Benutzen des „N“-Wortes immer mit den alten Mechanismen des Kolonialismus herumspielt, Menschen in wertige („Wir“) und weniger wertige Menschen („Die Anderen“) zu unterteilen.

Meine These ist hier: Vielleicht, weil uns selbst die Erfahrung fehlt, aufgrund äußerer körperlicher Merkmale wie der Hautfarbe diffamiert zu werden, und weil wir es seit Dekaden gelernt haben, versetzen wir uns meistens in die Sprache der ehemaligen Herrscher mit ihrer komplett ausgedachten Richtlinienkompetenz. Cowboy oder Indianer? Was für eine Wahl, gehörte man als Cowboy doch immer zu den Gewinnern der Geschichte.

Überraschung: Alleine dadurch, dass wir Kinder eben nicht die Rolle der damaligen Unterdrückten einnahmen, traten wir unbewusst den Beweis an, dass wir die Positionierungen der Figuren in der Geschichte ganz genau verstanden hatten. Wer wollte schon unterdrückt werden.

Und das bedeutet nichts weniger, als dass auch das „N“- Herrschaftswort, in welchem Kontext auch immer benutzt, immer eine Respektlosigkeit in Form eines Abwärtsvergleichs ist. Es wird immer dann genutzt, um andere zu entmenschlichen, klein zu machen, sich über sie zu stellen. Das Recht auf eine freie Rede schließt allerdings nicht das Recht ein, Menschen zu entwürdigen. Weder bewusst noch beiläufig – und sicherlich nicht aus Spaß.

Die wenigen, die am Grundgesetz noch interessiert sind, wissen, in welchem Buch sie das nachlesen können.

Inzwischen belegen sogar neurologische Untersuchungen, dass sich das „N“-Wort subtil einschleifen kann! Zusätzlich zu dem, was man am Rande der eigenen Sozialisation oder im Internet aufgeschnappt hat, bedeutet es, dass auch die Beschäftigung mit den Filmen Quentin Tarantinos oder den Western eines John Ford durchaus dazu führen könnte, dass man rassistisch abstumpft, betriebsblind oder auch eine Art „Passiv-Rassist“ wird. Dazu führen „kann“, nicht „muss“! Die Hemmschwelle, diese Sprache zu nutzen, sinkt aber.

Und hier macht es einen Unterschied, ob das „N“-Wort im Kontext eines Filmes oder eines Kunstwerkes durchaus einen Sinn ergeben kann, an jedem anderen Ort aber, zu jeder anderen Zeit oder zu jeder anderen denkbaren Situation, das generelle Benutzen dieses Wortes immer und ohne Ausnahme unangemessen ist. „Differenzierung“ wäre das Gebot der Stunde.

Da fragt man sich doch unwillkürlich, ob eine starke Persönlichkeit oder ein starker Charakter ein Garant sein könnte, um dieser Entwicklung der Unarten erhobenen Hauptes zu begegnen. Leider ist auch hier die Antwort beunruhigend unbefriedigend.

Ausnahmen mögen die Regel bestätigen aber zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass man es in diesem Land immer noch eher zu etwas bringt, wenn man im Zweifel eher nach unten, als nach oben tritt, sich anpasst, mitläuft, mitlacht. In die eigenen Reihen schießt man da eher nicht.

In den meisten sozialen Gefügen ist die Wahrscheinlichkeit also recht hoch, dass man bei einem rassistischen Witz einfach mitlacht.

All jenen, die also schon allein die Hautfarbe eines Menschen für witzig halten, sei dringend eine Therapie, einen gezielten Axthieb in den eigenen Schädel oder wenigstens die Bücher von James Baldwin empfohlen. Die Bücher dieses Autors gehören nämlich immer noch zum Klügsten, was man zum Themenkomplex des Rassismus lesen kann.

Für Quereinsteiger sei Raoul Pecks ergänzender Dokumentarfilm I Am Not Your Negro (2016) empfohlen, in welchem es u.a. um Baldwins unvollendetem Buch Remember This House geht. Dennoch bleibt es aber Raoul Pecks vierstündigem Dokumentarfilm Rottet die Bestien aus (2021) vorbehalten, den Zuschauer auf eine ganz spezielle Reise in die Finsternis mitzunehmen.

In ihr wurde deutlich gemacht, dass wir es mit allem Möglichen, ganz sicher aber nicht mit „Lach- und Sachgeschichten“ zu tun haben. Ein absolutes Meisterwerk des Dokumentarfilmes.

Und nur mal so zum Vergleich:

Was ist weiß und fettig und fliegt über die Wiese?

Die Biene Mayo!

Ganz genau.

DAS ist deutscher „Humor“!

Was wissen wir bis jetzt eigentlich?

Doch nur, dass der Konsum flacher Komödien nicht grundsätzlich auf eine bestimmte politische Gesinnung schließen lässt. Und doch scheint unser Bedürfnis nach „einfacher“ Unterhaltung irgendwie mit unserer Vergangenheit zusammenzuhängen.

Fest steht nur, dass „seichte Unterhaltung“ offenbar als Katalysator funktioniert. Was auch immer vorne eintritt, kommt hinten als Vorstellung von der „guten alten Zeit“ heraus, als alles vermeintlich noch in Ordnung war, Frauen und Männer ihre Plätze kannten, die Deutschen respektiert wurden, glaubten, die Kontrolle zu haben, wenn nur alle dieselbe Hautfarbe hätten… einfach glauben wollten, dass wir am besten dran wären, wenn wir unter uns bleiben würden. Oder zumindest die Straßen geflaggt waren, wenn wir anrückten.

Blitzkrieg war das einzig relevante Deutschland-Tempo. Unser angedachtes Motto war: Wo wir sind, ist vorne! Aber im Grunde brauchte „Elite“ ja gar kein Motto, weil wir das Deutschland-Ticket ja schon sowieso immer im Blut hatten… gültig von Oslo bis Oran und von Lissabon bis Moskau. So sahen Sieger aus. Dachten wir.

Also ja, nochmal: Unsere einzigartige charakterliche Ausstattung könnte möglicherweise erklären, warum ein gewisser Teil der Bevölkerung seichte Unterhaltung der Hochkultur vorzieht. Deutsche Komödien haben hier ganz klar eine Funktion. Sie sind die Marschmusik des deutschen Filmes, der Soundtrack, der Score auf unserer Insel der Glückseligkeit.. gleichzeitig der Stock im Arsch, das künstliche Hüftgelenk und die Kugel im Kopf. Sie helfen uns dabei, dass wir uns nicht mehr umdrehen müssen. Nie wieder!

Das Fatale dabei ist nur leider, dass es für eine Orientierung mal nötig wäre, dass man sich umdreht.

Überraschenderweise wurden die Deutschen nicht nur von Napoleon Bonaparte und Wladimir Iljitsch Lenin durchschaut, sondern auch noch von einem Briten.

Kein Geringerer als Winston Churchill, riet der freien Welt an, wie die Krauts nach dem Zweiten Krieg einzuhegen wären. Man müsse uns, den Deutschen, nur genug Geld geben, dann bräuchte die Welt uns nicht mehr zu fürchten!

Klammer auf: Um sich dem Format dieses britischen Politikers auch nur entfernt anzunähern, muss man einfach feststellen, dass beide, der ehemalige Hinterhof-Schläger, Lokalpolitiker (Großraum Moskau), Menschenfeind, Befehlshaber für Auftragsmorde und aktuelle Kriegsverbrecher Wladimir Putin, so wie auch die Karikatur eines Sexisten, Dorftrottels, Menschenfeinds, waschechten Volksverräters und Terroristenführers Donald Trump, in den Fußabdrücken Winston Churchills einen dreiwöchigen Segeltörn machen könnten. Klammer zu.

Und jetzt mal einen Blick in den Spiegel: Inzwischen haben wir unsere Zerstreuung durch Konsum und seichte Unterhaltung perfektioniert. Seduktion und Sedierung. „Füße hoch und Kopf aus“. Das Ziel war, zu verdrängen und das Gehirn nicht mehr zu benutzen. Also benutzten wir es auch nicht.

Nur warum taten wir es selbst dann nicht, als die psychischen Belastungen trotzdem immer weiter zunahmen?

Überprüfbare Zahlen wären hier der erste Schritt. Schauen wir mal: Von allen Beschäftigten weltweit arbeiten nur 20% engagiert, 61% sind unbeteiligt und 19% sind sogar so unzufrieden, dass sie gegen ihr Unternehmen arbeiten (Stichwort „Sabotage“). Die Gehälter der Arbeiter stiegen seit 1978 um 18%, während die Gehälter der CEO’s um 1322% stiegen. Nachzuschauen in der finnischen Dokumentation Arbeit ohne Sinn (2022).

Die deutsche Wesensprüfung verläuft da nicht viel besser. Was finden wir denn für Fakten dazu… hm… Blätter raschel… ah, hier:

In Deutschland gaben im Zusammenhang mit ihrer Arbeit 78% der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, dass sie erschöpft sind, 75% geben bezüglich ihrer Arbeit Wut(!) und Verärgerung(!) an und erstaunliche 66% Lustlosigkeit!

Belegt ist außerdem, dass wir unsere immer vorhandene Unzufriedenheit mit „shoppen“ bekämpfen und so unseren Stress abbauen.

Wenn man jetzt aber bedenkt, dass nur 27,1% der deutschen Bevölkerung angaben, ihre Zeit am liebsten mit „Shoppen“ zu verbringen, was machen dann die anderen ca. 40% bis 60% der Bevölkerung stattdessen, um ihre Erschöpfung, Wut, Verärgerung und Lustlosigkeit zu bekämpfen?

Und wollen wir das überhaupt wissen?

Es scheint, dass wir hier erneut eine komplexe Lage haben:

Verdrängung plus 40 Jahre Privatfernsehen plus 30 Jahre „Ich“-AG-Neoliberalismus plus 20 Jahre Internet. Klar, dass man da ein wenig unter Stress gerät und die Filme Til Schweigers oder der Marvel-Studios für großes Kino hält. Oder auch die Ehefrau oder die linke Spur für Privateigentum. Die Wahrheit ist: Sir Winston hatte Recht behalten. Ein überarbeitetes Deutschland im Shopping-Modus würde sicherlich niemanden mehr angreifen.

Allerdings würde ein von sich selbst gestresstes Deutschland auch niemanden mehr verteidigen. – Zuallerletzt sich selbst.

Wären zwar immerhin 61% der Bevölkerung zu Ersatzdiensten bereit, gäbe es bei den robusten Bereichen aber schlechte Nachrichten.

Bequem, wie wir geworden sind, hätten im Deutschland des Jahres 2022 nur noch 16% der Menschen im wehrfähigen Alter das Land mit einer Waffe in der Hand verteidigt. Und wie sich inzwischen herausgestellt hat, mit abfallender Tendenz, denn Anfang des Jahres 2023 waren es insgesamt nur noch 11%, die das tun würden. Und nur 5% würden es freiwillig tun.

Da fällt einem ja glatt das Monokel in die Suppe.

Sind 89% der Einwohner dieses Landes also Verfassungsfeinde?

Nein. Aber im Fall der Fälle würde ihnen eine standrechtliche Erschießung drohen. Was aber in Ordnung gehen würde, weil das Wohnungsproblem auf einen Schlag gelöst wäre.

Gut, nur weil so etwas laut des dann herrschenden Kriegsrechts zutreffen würde, war der Verweis auf freie Wohnungen zynisch und vollkommen unnötig. Ich entschuldige mich an dieser Stelle und werde sofort ein Praktikum bei einem Immobilien-Makler beginnen, während ich eine olivgrüne Krawatte samt Leopard II-Krawattennadel trage.

Aber im Ernst. 89% der Einwohner dieses Landes denken, dass es hier nichts Schützenswertes gibt – kein zu Hause, keine geliebten Menschen. Nichts, wofür es sich lohnen würde, den Arsch aus dem Sofa zu heben. Und dass, obwohl mit Wilhelm Busch sogar auch ein „Dichter & Denker“ wusste, dass der Frieden bewaffnet sein muss.

Noch interessanter war aber die Information, dass diese 89% auf ihre Annehmlichkeiten trotzdem nur sehr ungerne verzichten würden.

Frau Stehrumchen und Hans Guckindieluft aus Hintertupfingen erwarten ihre Bestellungen weiterhin am nächsten Tag. Aber eine Leistung erbringen, die über das Einrichten eines PayPal Kontos hinausgehen würde? Da würde es schwierig werden.

Scheinbar haben wir es wohl nie so richtig verinnerlicht, dass Demokratie nur dann funktioniert, wenn man mitmacht. Wenn schon nicht beim Militär, dann doch wenigstens in irgendeinem anderen Dienst für die Gesellschaft. Dazu würde jedoch auch eine kulturelle Weiterbildung gehören… eine, die über das Kotzen in irgendwelche Blumenkübel auf El Arenal hinausgehen würde.

Bisher sieht es aber eher so aus, als hätte die Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes die Chance der geschenkten Demokratie als persönliche Freiheit missverstanden, im Zweifel, um den persönlichen Wohlstand zu mehren. Wir machten also das, was uns schon immer am wichtigsten war: Wir waren uns selbst am nächsten. Und wenn uns dabei niemand folgen wollte, stampften wir trotzig mit dem Fuß auf.

Ja, sicher doch. Natürlich brauchten und brauchen wir weiterhin spaßige Ablenkungen, sonst wäre das Leben ja auch langweilig. Die extrem niedrigen Zahlen von 11 Prozent gesamt und 5 Prozent freiwillig deuten aber darauf hin, dass unser Kopf bereits wieder bis zum Anschlag im Sand steckt, Es würde bedeuten, dass wir an unserem Wohlstand übersättigt sind und ihn deshalb nicht mehr wertschätzen.

Und damit, so meine Schlussfolgerung, ihn auch nicht mehr verdienen.

Ist das okay? Naja, immerhin hatten wir ja einige Jahrzehnte unseren Spaß, bis die Realität der restlichen Welt sich eines Tages anschickte, uns zu besuchen, an unsere Tür zu klopfen, und uns zur Begrüßung mit Schmackes einen vor den Latz zu hauen.

Deshalb erstmal zur Selbstvergewisserung und zur Auffrischung eine erste Grundlage, wie man mindestens mit einer Übermacht oder sonstigen Mobbern und Feiglingen verfährt.

Aber was auch immer wir in einer Situation, wie der abgebildeten tun würden: Alles, wirklich alles wäre besser, als uns erneut mit unserem Schnuffeltuch in unsere Schlafmulde zurückzuziehen, Manifeste von Altkommunistinnen und Ex-Emma-Herausgeberinnen zu unterschreiben und uns Imagine in Dauerschleife anzuhören, weil –ZACK– wäre unser Kopf noch tiefer im Sand und wir würden schon wieder ganz beseelt von der Idee sein, dass die Welt uns auf unserem Weg in das Zentrum des Wattebauschs folgt.

Zu „hoffen“, wir könnten weiterhin unbehelligt unseres Weges gehen, ist wie der Versuch, eine Suppe mit einer Gabel essen zu wollen. Grundsätzlich die richtige Produktgruppe, aber leider das falsche Instrument.

Vielmehr scheint es, dass wir mit unserem Konsum der leichten Kost letztendlich nur unserem Wunsch Ausdruck verleihen, in Ruhe gelassen zu werden. Eine Ruhe, die wir uns, wie gesagt, ähnlich wie auch unseren wohlfeilen Pazifismus, eigentlich gar nicht mehr leisten können. Diese Utopie konnten wir uns immerhin nur deshalb all die Jahre leisten, weil andere ihren Kopf für uns hingehalten haben.

Persönlich denke ich deshalb ja, dass wir langsam ein wenig mehr Realismus wagen sollten.

Sorry, bei so vielen Baustellen kann ich keinen Raum erkennen, in welchem auch nur eine weitere stumpfe Flachköpper-Komödie eine Daseinsberechtigung haben könnte. Sie streuen uns nur weiteren Sand in die Augen. Sie sind das Orchester auf der sinkenden Titanic.

Gefesselt von den Gesängen der Sirenen aus Wirtschaft, Politik und Unterhaltung sind wir inzwischen nahezu außerstande, zu handeln. Also stehen wir nutzlos im Ballsaal herum, bis uns jemand sagt, wo die Schwimmwesten sind.

Das Problem? Während wir nutzlos herumstehen, findet sich nicht nur in Hameln ein Rattenfänger, der jemanden kennt, der gehört hat, dass jemand gesagt hat, wo die Schwimmwesten liegen, respektive „was als nächstes zu tun ist“.

Bitte versteht mich auch hier nicht falsch, speziell auch nach meinen Ausführungen zum deutschen Pazifismus: Ich bin weder Militarist noch kriegsgeil. Sicher nicht.

Es gibt gute Gründe dafür, dass Kriege oder kriegerische Handlungen für dieses Land nicht sinnstiftend sind. Nur bedeutet das leider nicht, dass andere Länder das genauso sehen würden.

So verlockend das „Prinzip Hoffnung“ auch sein mag, es ist wenig hilfreich.

Für den Anfang wäre schon mal einiges gewonnen, wenn wir mal unsere Fantasie bemühen und nicht immer nur den Status Quo verwalten, sondern mal über Legislaturperioden hinaus Ideen entwickeln würden.

Ich kann auch damit anfangen, wenn ihr wollt. In einem Anfall tagträumerischem Eskapismus war sie plötzlich da, meine Maximalfantasie.

Seitdem halte ich Abschiebungen für eine wirklich gute Idee. In diesem Falle die absolut finalen Abschiebungen aller(!) Individuen, die sich gegen die Verfassung der Bundesrepublik stellen: Also alle Innere Feinde von Links und Rechts, der Mitte, von oben und von unten. Jeder, der den Bürgerinnen und Bürgern in irgendeiner Art und Weise Schaden zufügt oder zugefügt hat. Vom religiösen Fanatiker, der ein Attentat plant, bis zum reichen Steuerhinterzieher. Vom Fahrradfahrer, der glaubt, dass die StVO für ihn nicht gelten würde, bis zum rasenden Autofahrer, dem die sittliche Reife fehlt, ein tonnenschweres Fahrzeug zu bewegen. Jeder, der meint, er hätte einen Anspruch auf Rücksichtslosigkeit. Es wären Abschiebungen ohne Rücksicht auf die Nationalität oder die Farbe des Passes, Hautfarben oder Ansehen der Person. Ein absoluter Traum.

Ich dachte da an einen Regelflugbetrieb mit Transportflugzeugen in Richtung Nordatlantik. Und bei 15.000 Fuß Höhe würden sie springen müssen. Ohne Fallschirm. Problem gelöst. Sie erfüllten als maulgerecht zerschmettertes Fischfutter dann endlich mal einen sinnvollen Zweck.

Mantra? Entweder das Recht gilt für Alle oder für Keinen!

In Wirklichkeit aber, wäre man auch im Namen der Menschlichkeit ja nichts weiter, als ein weiterer Faschist, der die abscheulichsten Handlungen der Menschheitsgeschichte mit einer logisch klingenden Ideologie zu unterfüttern versuchte.

Da fragt man sich doch, wie viele unterhaltende Nebelkerzen ich hier wohl noch werfen könnte, um die Frage nach dem weißen Elefanten im Raum noch weiter hinauszuzögern?

Insbesondere, wo es hierbei doch nur um eine einzige Frage geht: Was hindert uns daran, dass wir einen klaren Kopf behalten und unseren gesunden Menschenverstand bemühen? Ist es vielleicht unsere vielfältige Unterhaltungsmaschine inklusive all der schmissigen „Trending Topics“ oder den nächsten iPhone- oder Playstation-Generationen? Oder die daraus resultierende gute Laune?

Gefallen wir uns in der Rolle des geistig trägen Zuschauers, der sich für einen Akteur hält?

Oder sind wir ganz einfach immer noch im Kern Rassisten, weil wir das so gelernt haben?

Hatte die von dem Produzenten und Showrunner David Chase (Detektiv Rockford) erdachte Figur des Corrado „Junior“ Soprano etwa Recht, als er diese sagen ließ:

Es gibt Leute, die so weit hinten im Rennen liegen, dass sie glauben, sie würden führen!“.

Na super.

Kann ich vielleicht aus dieser Horrorstory noch aussteigen?

Ende Episode XII

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